30. Juli 2007

So macht Kommunismus Spaß (5): Terrorismus der RAF, Terrorismus der Dschihadisten.

In "Welt-Online" steht im Augenblick ein sehr lesenswertes Interview mit der Tochter des vor dreißig Jahren, am 30. Juli 1977, von deutschen Terroristen ermordeten Bankiers Jürgen Ponto, Corinna Ponto. Darin sagt sie:
Eines Tages werden die Täter der RAF, wie auch der ETA, der Action directe und ihre Sympathisanten damit leben müssen, dass sie vor der Geschichte die ersten Formen, die nationalen Anfänge des inzwischen weltweiten Terrorismus gebildet haben.
Als ich im dritten Teil dieser Serie erörtert habe, warum heute der RAF-Terrorismus wieder so sehr in den Medien präsent ist, habe ich auf diesen Zusammenhang hingewiesen: Was damals ein paar Dutzend Verbrecher begonnen haben, das ist heute ein weltweites, uns alle bedrohendes Phänomen geworden. Man interessiert sich wieder für den RAF- Terrorismus, so habe ich argumentiert, weil er dem gegenwärtigen so ähnlich ist.

Jetzt möchte ich diese Überlegungen fortsetzen; aber diesmal mit Hinweis auf Unterschiede zwischen dem damaligen und dem heutigen Terrorismus.



Da ist erstens der Modus Operandi.

Die RAF ermordete, ebenso wie die Brigate Rosse, am liebsten einzelne Menschen.

Mal jagte man das Opfer in die Luft, wie Herrhausen. Mal knallte man es nieder, wie Buback und Ponto. Mal ließ man jemanden wochenlang leiden, bevor man "seiner kläglichen und korrupten Existenz ein Ende" machte. So stand es in einem "Bekennerschreiben", wie die Mitteilungen der Mörder verniedlichend genannt werden. Ein Ende durch Genickschuß, das hatte man sich für Schleyer einfallen lassen.

Also, die RAF war sehr erfindungsreich, was die Art anging, wie sie ihre Opfer zu Tode beförderte. Aber es waren einzelne Opfer. Die "Zielperson", ihre Begleiter, ihr Fahrer.

Die heutigen islamistischen Terroristen lieben das zwar auch; sie köpfen dann schon mal denjenigen, den sie in ihre Gewalt gebracht haben, statt ihn ins Genick zu schießen; kein sehr großer Unterschied.

Aber vor allem lieben sie das große Spektakel, die modernen Terroristen. Normale Bürger, sozusagen vom Baby bis zum Greis, sind ihre bevorzugten Opfer, und immer gleich möglichst viele davon. So weit war die RAF noch nicht gekommen.

Daß Menschen aus der gesamten Bevölkerung zu Opfern werden würden, das lag freilich auch in der Konsequenz der Strategie der RAF. Dazu gleich mehr.



Ein zweiter - der wesentliche - Unterschied scheint mir darin zu bestehen, daß die heutigen Dschihadisten sozusagen ernsthafte, realitätsbezogene Mörder sind, während die RAF-Mörder im Grunde aus einem Wahn heraus zu Verbrechern wurden.

Die Dschihadisten führen einen blutigen Krieg mit allen Konsequenzen, für sich, für andere. Es ist ein richtiger Krieg. Ein asymmetrischer Krieg, der sozusagen in unsere Zeit paßt.

Die Terroristen sind Teil einer weltweiten Bewegung, die immerhin bereits einen Staat erobert hatte, die weltweit unzählige Unterstützer und Sympathisanten hat. Die, dank der "Spenden" u.a. aus Saudi- Arabien, über nahzu unbegrenzte Geldmittel verfügt. Die im System der Madrasas in Westpakistan inzwischen eine schlagkräftige Vorfeld- Organisation hat, die ihr ständig neue, ideologisch bereits indoktrinierte Mitglieder zuführt.

So abscheulich, so verbrecherisch dieser Terrorismus ist: Er ist doch ein realistisches Unternehmen. Die Mörder wissen, was sie wollen. Und sie haben Chancen, es zumindest partiell zu erreichen. Wenn die USA nach den nächsten Präsidentschaftswahlen überstürzt aus dem Irak abziehen, dann ist ein von der El Kaida errichtetes Kalifat in einem Teil des Irak keineswegs eine Utopie.




In dem Film Black Box BRD äußern sich Eltern und Freunde ausführlich über den Terroristen Wolfgang Grams, der in Bad Kleinen ums Leben kam. Er wird als ein sozial engagierter, nachdenklicher und intelligenter junger Mann geschildert, der zur RAF kam, weil er unbedingt "etwas tun" habe wollen gegen das Unrecht in der Welt.

Als ich den Film gesehen habe, kam mir das umso bizarrer vor, je mehr dieses positive Bild von Grams sich entfaltete. Nicht, weil ich es den Gewährsleuten nicht abnehmen würde, daß Grams so gewesen ist. Sondern weil ich mich gefragt habe: Was in aller Welt wollte ein Mensch wie Grams damit erreichen, daß er sich entschloß, "etwas zu tun"?

Welches waren denn überhaupt die politischen Ziele der RAF? Was war ihr Gegenstück zu dem Ziel der Dschihadisten, das Kalifat zu errichten?

Welche Schritte zu diesem Ziel plante die RAF? Vergleichbar der Strategie der Dschihadisten, Länder wie Afghanistan und den Irak zu erobern und dort die Keimzellen des Kalifats zu schaffen, flankiert von Terroranschlägen in westlichen Ländern, um diese vom Eingreifen abzuhalten?



Es gibt, von einigen kleineren Schriften abgsehen, nur zwei Texte, in denen die Ziele und die Strategie der RAF dargestellt wurden.

Der eine trägt den Titel "Das Konzept Stadtguerrilla" und stammt von Ulrike Meinhof. Der andere, "Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa", wurde 1971 von Horst Mahler im Gefängnis verfaßt und unter der Tarnbezeichnung "Neue Straßenverkehrsordnung" herausgeschmuggelt. Später hat Wagenbach ihn als Rotbuch 29 veröffentlicht.

Also, wenn man wissen will, was denn "die RAF eigentlich wollte", dann ist man auf diese beiden Texte aus der Frühzeit angewiesen; der eine verfaßt von einer Autorin, die schon bald völlig an den Rand der Gruppe geriet, der andere von einem Autor, der heute ein Anführer der Rechtsextremen ist.

Nicht eben viel; nicht eben eine gute Quellenlage, wenn man wissen will, wofür diese Leute eigentlich Menschen gequält, zerfetzt, ins Genick geschossen haben.



Was steht in diesen beiden Texten? Sie sind einander sehr ähnlich; nur ist der von Mahler ausführlicher. Beide sind orthodox- kommunistisch. Die Argumentation wird von Lenin und von Mao her aufgebaut; es geht den Autoren darum, nachzuweisen, daß ihre Strategie streng den Anweisungen dieser Meister der Revolution folgt.

Das Ziel ist die kommunistische Revolution. Dazu muß man eine revolutionäre Situation schaffen; und die soll eben unter anderem durch Mordanschläge herbeigeführt werden. Mahler konkretisiert das mehr als Meinhof:
In der Anfangsphase bilden sich dezentralisiert und unabhängig voneinander einzelne Partisanengruppen, die Kommandoaktionen unternehmen. (...) Wenn die Kommandos taktisch richtig vorgehen, werden sie erreichen, daß die Unterdrückungskräfte, insbesondere die Polizei das System der Einzelstreifen in den Wohngebieten (Revieren) aufgeben müssen und sich nur noch in kampfstarken Gruppen bewegen können (...) Die Guerilla wird in der Lage sein, nach ihrer eigenen taktischen Wahl ausreichende Kräfte - ausgerüstet mit automatischen Waffen - zu konzentrieren, die derartige Patrouillen erfolgreich angreifen können. (...) Sowenig der Staat in der Lage ist, hinter jeden Arbeiter einen Gendarmen zu stellen, sowenig ist er in der Lage, jeden einzelnen Kapitalisten, Regierungsbeamten, Richter, Offizier usw. mit einem bewaffneten Posten zu schützen. (...) Gleichzeitig muß durch geeignete Aktionen der Guerilla das Privileg der Straflosigkeit für die Funktionsträger des staatlichen Unterdrückungsapparates beseitigt werden.
Und so weiter. Entworfen wird das Szenario des allmählichen Aufbaus einer kommunistischen "Gegenmacht", wie sich das ja im Vorfeld des Vietman- Kriegs in der Tat abgespielt hatte.



Nur, seltsam - wie man, von diesem Szenario ausgehend, zur kommunistischen Revolution kommen will, darüber findet sich in keiner der beiden Schriften auch nur ein einziges Wort.

Wohlüberlegt, scheint mir. Denn es liegt doch auf der Hand, daß der Staat diese Guerilla- Spielerei nicht so hätte gewähren lassen, wie damals die meisten Hochschulrektoren die Revoluzzer- Spielerei der "Roten Zellen" gewähren ließen.

Meinhof und Mahler muß es natürlich klar gewesen sein, daß diese von ihnen entworfene Strategie, sollte sie denn funktionieren, unweigerlich in einen Bürgerkrieg hätte führen müssen. Vielleicht träumten sie davon, so weit zu kommen wie 1920 die Rote Ruhrarmee oder die kommunistische Armee des Max Hölz in Sachsen.

Daß dann den Revolutionären zwar keine Freicorps, aber die Bundeswehr, wenn nötig vielleicht die US-Streitkräfte entgegentreten würden, das dürften Meinhof und Mahler verstanden haben. Sie hatten ja am Beispiel des Vietnam- Kriegs gerade erst gesehen, welche entsetzlichen Opfer - gerade auch unter der Zivilbevölkerung - der Guerillakrieg kostet, wie sie ihn herbeibomben wollten.



Sie wollten dieses Blutvergießen offensichtlich. Die Ermordung von einzelnen Personen sollte der erste Schritt sein; so etwas wie eine Initialzündung.

Als es richtig losging mit dem Morden, da waren sie allerdings nicht mehr dabei, die beiden Theoretiker und Strategen.

Beide waren Intellektuelle, die sich in Militärisches hineinträumten, die sich Gewaltphantasien hingaben; Phantasien, die angesichts der friedlichen, von Willy Brandt regierten Bundesrepublik, in der kein Arbeiter an Revolution und Bürgerkrieg dachte, wahnhaft waren.

Als die RAF dann in großem Stil zu morden anfing, da war es vorbei mit den programmatischen Schriften. Wollte man überhaupt noch irgend etwas, außer Herumballern, Bonnie und Clyde spielen, sich am Besitz einer Knarre ergötzen, die eigenen Leute aus dem Knast holen wie weiland Zorro seinen Vater?

Jedenfalls habe ich darüber nichts finden können, was diese zweite, was die dritte "Generation" der deutschen Terroristen überhaupt politisch wollte. Immer noch den Bürgerkrieg, und am Ende die Errichtung der Diktatur des Proletariats? Wenn nicht, was dann?

Alle aus der RAF, die sich öffentlich zu ihrer Vergangenheit zu erklären versucht haben - Boock, Dellwo, Jünschke, Grashof, Mayer-Witt - , haben dazu, soviel ich weiß, kein Wort gesagt. Sie reden vom Vietnam- Krieg, vom "Kampf gegen den Imperialismus". Nicht davon, welche Lage in der Bundesrepublik sie denn herbeibomben und herbeischießen wollten.



Und das ist eben der Unterschied zu den heutigen Dschihadisten. Diese wissen, was sie wollen. Sie halten - zu Recht - die Errichtung des Kalifats für realistisch.

Die RAF hatte anfangs ein Ziel und eine Strategie, die ungefähr so realistisch waren wie der Versuch, das Hippie- Paradies Christiania im Zentrum des Teheran Ahmadinedschads wieder aufzubauen. Dann, so scheint es, verschwand diese Fata Morgana. Was blieb, was Dutzenden von Menschen das Leben gekostet hat, das war die Kriminalität von Desperados.

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