2. Juli 2007

Fahrer, Prügler, Krieger. Über den Prozeß der Zivilisation

Die beiden archaischsten unter den heutzutage populären Sportarten sind vermutlich Boxen und die Formel 1.

Samstag Abend war im TV ein guter Boxkampf zu sehen. Gestern Formel 1 in Magny- Cours; der Große Preis von Frankreich. Ebenfalls sehr spannend.

Was macht eine Sportart archaisch, was bewirkt es also, daß sie phylogenetisch alte Bedürfnisse anspricht?

Es ist, denke ich, der pure Kampf. Der Kampf Mann gegen Mann, beim Boxen. Der Kampf jeder gegen jeden, in der Formel 1.

Aber den rohen, den unkontrollierten Kampf schätzen wir nicht, wir Kulturmenschen; wenngleich eine Affinität zu ihm vielleicht unser archaisches Erbe ist.

Was wir mögen, das ist schon der Kampf, aber gewissermaßen in Watte gepackt. Zivilisiert, geregelt, kontrolliert.

Boxen ist, gewiß, eine Prügelei. Aber die ersten Regeln des Boxsports wurden bekanntlich von britischen Gentlemen im 19. Jahrhundert kodifiziert. Man prügelt ja nicht wild, sondern man benötigt Technik, man braucht eine Taktik und eine Strategie.

Der Boxer muß einerseits mobilisieren, was ihm an Aggressivität gegeben ist. Andererseits muß er das beherrschen. Heiß wie ein Stier in der Arena; zugleich kühl bis ins Herz hinan.

Das war das Ideal der antiken Lebensphilosophie: Der Nous, der Verstand, der den Thymós kontrolliert und das Epithymetikón, die Wallungen und die Triebe. So sah es Platon; so hat er es in seinem Gleichnis des Wagenlenkers versinnbildlicht.

Noch deutlicher wird diese Spannung zwischen Aggressivität und kühler Rationalität bei der Formel 1. Feinste High Tech. Fahrer, die ein kompliziertes System perfekt beherrschen müssen, die eingebunden sind in die Arbeit eines Teams. Und zugleich dieser Ur- Kampf: Wer überholt wen, wer drängt wen beiseite, wer hat am Ende die Nase vorn.



Ist erst einmal einer der Sieger, dann triumphiert das Archaische.

Felix Sturm reißt die Arme hoch und streckt den Brustkasten heraus - so wird es schon der Homo Erectus gemacht haben. Er wird bekränzt, wenn auch nicht mit dem Lorbeer, so doch mit einem reich geschmückten Gürtel.

Kimi Räikkönen reißt auch die Arme hoch, oder jedenfalls einen. Er streckt die Brust raus. Er ist ganz Sieger, ganz Alpha-Mann.

Und natürlich ganz Macho. Denn mit das Schöne an der Formel 1 ist ja, daß sie eine der wenigen verbliebenen Domänen des Maskulinen ist.

Frauen, die boxen - als ich das vor Jahrzehnten zum ersten Mal las, hielt ich es für einen schlechten Witz. Nun ist es Wirklichkeit.

Ich habe einmal versucht, einen solchen "Kampf" zu sehen und mich schaudernd abgewandt. Warum nicht dann auch Männer, die in "Tänzerischer Gymnastik" hüpfen und zierlich auf dem Schwebebalken ihre Sprünglein machen?

Aber in die Formel 1 sind sie noch nicht eingedrungen, die Frauen. Wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit. Carpe diem also.



Nein, Frauen sind nicht für den Kampf gemacht. Sie müssen manchmal, leider, kämpfen, und dann tun sie es meist für andere - zum Schutz der ihnen Anvertrauten, abwehrend, rettend.

Aber der Kampf um des Kampfes willen, das dürfte doch eher in den männlichen Genen liegen.

Nur sind wir ja, wie die Environmentalisten uns zu Recht versichern, nicht nur Sklaven unserer Gene. Sondern unser Verhalten ist wesentlich kulturell bestimmt.

Also sind aus wilden Jägern Krieger geworden, die sich an Regeln des Kriegs hielten, mehr oder weniger.

Also sind später aus Kriegern - eine riesige kulturelle Leistung, eine der ganz großen Leistungen der Antike - Sportler geworden.

Der Kampf blieb, aber er wurde soweit rational kontrolliert, daß er niemandem mehr schadete, oder fast niemandem. Das Nous siegreich über den Thymós, so wie es Platon im Gleichnis des Wagenlenkers postulierte. In den sozusagen durchgestylten Turnieren des Mittelalters hat diese Zivilisierung des Kampfs einen Höhepunkt erlebt.

Also, die Aggression muß zugleich erlaubt sein und gezügelt werden. Das ist Zivilisation.

Deshalb sind beim Sport die Regeln so wichtig; deshalb ist es so zentral für jeden Sport, daß die Regeln penibel eingehalten werden: Das Archaische soll schon seinen Ausdruck finden im Kampf; aber nie ungezügelt.



Gestern in Magny- Cours fuhr einer aus der Box und mißachtete die Regel, daß er das erst darf, wenn der Lollipop oben ist. Prompt landete er im Aus.

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