12. Juli 2007

Web 0.0, Web 1.0, Web 2.0

Ich gehöre zur ersten Generation der Web-Nutzer.

Das war berufsbedingt. Das Internet wurde ja vom amerikanischen Militär eingerichtet.

Nein, zu dem gehöre ich nicht. Aber es wurde dann sehr schnell für Unis geöffnet, deren Wissen das Militär eben brauchte. Und dann merkten die Wissenschaftler, was für eine schöne und praktische Sache das ist. Zu denen gehöre ich.

Vor allem wir Naturwissenschaftler haben das schnell gemerkt.

Andere haben sich schwerer getan; ich kenne einen Juristen, der jetzt auch auf die Emeritierung zugeht, und der immer noch nicht weiß, wie man eine mail schreibt.



Ich habe das aber halt früh gelernt, in den Achtzigern. Es war das Web 0.0.

Zu Hause hatte ich das Neueste, den ZX 81, auf dem ich programmieren gelernt habe. Arbeitsspeicher ein Kilobyte.

In der Uni gab es andere Dimensionen. In unserer Abteilung stand ein Zilog-Rechner, von dem die Legende ging, dieses Modell würde auch von der NASA zur Steuerung von Mondflügen eingesetzt.

"Zilog" war eigentlich nur der Name des Prozessors, aber wir nannten den Rechner so. Er hatte, glaube ich, um die fünfzigtausend Mark gekostet und war der Stolz der ganzen Abteilung.



Zu seiner Betreuung war ein Diplom-Physiker da, full time job, plus drei studentische Hilfskräfte.

Der Rechner stand in einem speziellen Raum mit Klima- Anlage, der nur mit einem besonderen Schlüssel geöffnet werden konnte. Die Fachleute programmierten in Maschinensprache. Sie strickten auch das Betriebssystem ständig um.

Von diesem Rechner liefen Datenleitungen zu Terminals, die oft nicht funktionierten, weil es irgendwelche elektrostatischen Felder gab. Es wurden Tausende Mark für die Abschirmung ausgegeben, aber wirklich zuverlässig laufen tat das nie.



So ein Terminal hatte ich also in meinem Dienstzimmer. Es war ein sehr schönes Terminal, von Beehive. Es hatte wohl um die 3000 Mark gekostet.

Über das ging ich in den Zilog, und der war mit dem Zentralrechner der Uni verbunden. Meist war diese Leitung überlastet, da mußte man halt Geduld haben.

Dann begann ein langwieriges Verfahren, das ich nie auswendig wußte. Ich hatte aber einen ausgezeichneten Mitarbeiter, der mir half.

Also, man mußte Befehle eingeben, bekam Rückmeldungen, mußte auf die wieder mit Befehlen reagieren. Es war eine MS-DOS- Oberfläche. Ich glaube, am Anfang war es sogar noch CP/M, bin aber nicht sicher.

Wenn man dann alles richtig gemacht hatte, dann bekam man ein "Protokoll". Das beschrieb den Weg der mail. Das waren viele Bildschirmseiten, die man da bekam.

Der Weg ging in der Regel über das "Deutsche Rechenzentrum" in Darmstadt, das mir auch mal meine Varianzanalysen gerechnet hat; das war aber in den Sechzigern gewesen.



Das Web 0.0 war also ein Kommunikationsmittel für Militärs, Wissenschaftler, Regierungsmenschen.

Es war spartanisch. An Fonts, an Bilder usw. dachte niemand. Man hatte die 256 Zeichen von ASCII, und das war's. Man hatte einen schwarzen Bildschirm, auf dem die Schrift entweder weiß oder in diesem seltsamen Amber, also "Bernstein" erschien. Oder grün. Grün war mir am Liebsten.

Ich war's zufrieden. Mehr hätte ich nicht gebraucht; dachte ich damals.



Das Web 1.0 begann mit den graphischen Benutzeroberflächen. Ich werde das nie vergessen, wie ein Kollege einen Mac erworben hatte und den vorführte - und da standen nicht die gewohnten Programmzeilen in weiß oder Amber, sondern da sah man Fenster, Icons gar.

Die Mitarbeiter liefen zusammen und konnten es nicht fassen, dieses Wunderwerk.



Dann ging es sehr schnell mit dem Web. Es diente nicht mehr nur der Kommunikation zwischen Wissenschaftlern, sondern jeder Kommunikation.

Und es entwickelte sich diese Kultur des Web 1.0, die in gewisser Weise vor allem durch Infantilität gekennzeichnet war.

Es war eine ungeheure Bereicherung, "surfen" zu können, wie man das nannte. Man war frei, und man war - dachte man - anonym.

Man konnte weltweit plaudern; ich habe mich damals hauptsächlich in amerikanischen und französischen Chatrooms herumgetrieben. Man gab sich die dollsten Pseudonyme.

Es hatte etwas Anarchisches, dieses Web 1.0.



Es war die Zeit der "Foren". Zum Stil der Foren gehörte es, daß es keinen Stil gab.

Viele haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, orthographisch richtig zu schreiben.

Es wurde geschimpft, was das Zeug hielt.

Es gab eine allgemeine Duzerei. Es wurden wild Behauptungen in die Welt gesetzt. Andere wurden beleidigt, gemobbt. Man war ja anonym, man konnte die Sau rauslassen.

Nicht alle haben so geschrieben. Es gab und gibt Foren, in denen niemand etwas hinrotzt, sondern wo sich alle Mühe geben, gut zu schreiben.



Aber das war im Web 1.0 eine Ausnahme. Im Web 2.0 ist es eine Selbstverständlichkeit.

Die Flapsigkeit ist vorbei. Wer bloggt, der versucht gut zu schreiben, er prüft die Fakten, er benimmt sich nicht wie ein Fünfjähriger, sondern wie ein Erwachsener.

Eine interessante Entwicklung also.

Ich bin mir nicht sicher, ob sie am Medium liegt oder am Zeitgeist.

Mir kommen die meisten Menschen heute vernünftiger und ernsthafter vor als noch in den achtziger, den neunziger Jahren.

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