14. August 2006

ZX 81

Vor ziemlich genau einem Vierteljahrhundert habe ich meinen ersten Computer gekauft. Er kostete 498 Mark und wurde in einer, wenn ich mich recht erinnere, blauen Schachtel mit einer futuristischen Abbildung darauf geliefert, in der sich außer dem Rechner das Handbuch, ein Netzteil und ein Kabel befanden.

Ich kann mich noch gut an den Augenblick erinnern, als ich ihn klopfenden Herzens auspackte. Ich hatte noch nie an einem Computer gearbeitet, allerdings schon viel mit Taschenrechnern; auch eifrig die universitäre "EDV" benutzt, also Daten "abgelocht" und im Rechenzentrum verarbeiten lassen.

Nun stand er also vor mir, mein eigener Computer! Ein Sinclair ZX81. Oder vielmehr: Er lag vor mir auf dem Tisch, ein kleines, schwarzes Kerlchen, ungefähr vom Format und Gewicht eines Paperbacks; die Tastatur eine kleine Fläche mit auf der Folie aufgedruckten Tasten, beschriftet in Rot und Weiß. Ich hatte ihn mir ungleich größer, gewichtiger, auch solider vorgestellt.

Das Handbuch verlangte, das Netzteil anzuschließen und den ZX81 mit dem Antenneneingang des Fernsehers zu verbinden. Das war die Installation und Einrichtung meines ersten Computers.

Darauf zeigte der Fernseher einen hellflimmernden Bildschirm, sonst nichts. Das Handbuch schlug vor, was der Anfänger nun tun sollte: Die Taste PRINT AT drücken, dann die Koordinaten 1,1 und dann in Anführungszeichen eine Ziffer.

Das tat ich, und siehe, da stand es, links oben auf dem Bildschirm: 4.

So begann meine Computerei.



Hier einige Daten des ZX81:
  • CPU: Zilog Z80 A
  • Taktfrequenz: 3,5 MHz
  • RAM: 1 KB
  • ROM: 8 KB (enthielt das Sinclair-Basic)
  • Festplatte: keine
  • Diskettenlaufwerk: keines
  • Ja, wie um Himmels Willen habe ich denn die Programme geladen? Nun, sehr einfach: Ich habe das Programm geschrieben, dabei schrittweise ausprobiert und in ein Notizbuch eingetragen. Wenn ich es wieder brauchte, habe ich es eben neu eingetippt.


    Was, das ganze Programm immer neu eingetippt? Ja, das ging gut. Denn lang konnte ein Programm für ein RAM von einem KB ja nicht sein. 30, 40 Zeilen, das war schon eine Menge. Und man versuchte ja mit allerlei Tricks, das Programm so knapp wie möglich hinzukriegen, um Speicherkapazität zu sparen. Zum Beispiel so kurze Zeilen schreiben, daß nur die linke Hälfte des Bildschirms genutzt wurde. Der Video-Speicher war nämlich dynamisch und brauchte weniger Speicherkapazität, wenn die rechte Bildschirmhälfte ungenutzt blieb. Auch durch geschickten Einsatz von GO TO-Schleifen konnte man manche Programmzeile einsparen.

    Solche Tricks lernte man aus den einschlägigen Zeitschriften, in denen auch Programme abgedruckt waren, die man abtippte. Später habe ich mir dann eine Speichererweiterung mit 32 KB gekauft und einen Cassettenrekorder, auf dem Programme gespeichert werden konnten. Mit einem lustigen Mickeymaus-Piepsen während der Datenübertragung.

    So richtig funktioniert hat das nie, und es kam dann auch bald die Zeit, wo ich den ZX81 beseitegelegt habe. Benutzt habe ich ihn nur zwischen 1981 und 1985. Und irgendwann, ein paar Jahre später, an einen jungen Mann verschenkt, mit allen Handbüchern und Programmen. Einer der großen Fehler meines Lebens.



    Der ZX81 war ungefähr tausendmal langsamer als ein heutiger PC mittlerer Preisklasse. Sein Arbeitsspeicher umfaßte ungefähr ein Millionstel dessen, was heute guter Mittelklassenstandard ist. Er hatte keinen Massenspeicher, einen winzigen Zeichensatz, nur allereinfachste Grafik (im Grunde nur weiße Blöcklein, die man unterschiedliche aneinanderreihen konnte), eine vereinfachte Version der Einfach-Programmiersprache BASIC.

    Aber er war ein vollwertiger Rechner. Wie er funktioniert auch heute noch jeder PC. Und das ist, finde ich, das Interessante an der Evolution des PC, die mit dem ZX81 begann: Er hat sich gewaltig gewandelt, und er ist auf erstaunliche Weise gleich geblieben.

    Die Leistungsexplosion der PCs in diesem Vierteljahrhundert ist nicht dadurch erreicht worden, daß man neue Funktionsprinzipien entdeckt und eingeführt hätte; der "massiv parallele" Rechner zum Beispiel ist weiterhin Zukunftsmusik. Nein, wie der ZX81 sind auch noch die heutigen PCs Realisationen der Prinzipien, die John von Neumann und Alan Turing formuliert haben. Es sind, trotz Coprozessoren und Dual Core, ihrem Wesen nach immer noch serielle Rechner mit der klassischen Architektur. Sie machen noch genau dasselbe wie mein ZX81 - nur ungleich schneller, nur mit ungleich mehr Speicherkapazität.

    Und sie bringen dadurch das zustande, was wie eine Kaskade von qualitativen Neuerungen aussieht: Der Benutzer schreibt nicht mehr Programmzeilen, sondern er klickt Icons an und bewegt, sagen wir, mit seinem Joystick Gestalten durch fiktive Welten, läßt sie agieren und kämpfen. Er produziert Powerpoint-Präsentationen, chattet in Realzeit und schreibt Blogs.

    "An der Oberfläche" etwas völlig anderes als das, was ich getan habe, wenn ich Zeile für Zeile ein BASIC-Programm in den ZX81 getippt habe. "Im Kern" aber dasselbe, just more of the same. Nur eben viel, viel mehr.



    Die Evolution der Computer zeigt damit ein ähnliches Bild wie die biologische Evolution.

    In der Evolution ist es sozusagen gang und gäbe, daß dieselben Funktionsprinzipien, erweitert und verbessert, zu ganz neuen Leistungen führen, zu "evolutionären Sprüngen".

    Das Gehirn des Menschen unterscheidet sich im Aufbau nicht grundsätzlich von dem anderer höherer Säuger. Vom ZNS anderer Primaten überhaupt nur noch quantitativ, nämlich durch eine größere Gesamthirnmasse und durch einen höheren Anteil des Neokortex und vor allem des Frontalhirns an dieser Gesamtmasse. Aber diese quantitativen Erweiterungen haben so etwas qualitativ Neues hervorgebracht wie die menschliche Kultur. Kleine Veränderungen im Genom, die sich im Phänotyp als sprunghafte Neuerungen darstellen.



    Die Metapher des Sprungs hat auch Sir Clive Sinclair verwendet, der geniale und genialische Erfinder des ZX81, drei Jahre nach der Markteinführung des ZX81. Inzwischen war es mit den "Heimcomputern" mit Riesenschritten vorangegangen, und Sinclair wollte mit seinem "Sinclair QL" (QL für Quantum Leap) einen nunmehr qualitativen Sprung tun.

    Aber ach, es wurde nur ein Hüpferlein. Gewiß war auch der QL sehr innovativ; er hatte zB ein seltsames neues Speichermedium namens "Microdrive" und einen für damalige Verhältnisse gigantischen Arbeitsspeicher von 128 KB. Doch er wurde ein kompletter Mißerfolg.

    Ich habe damals, wie viele, gierig auf die immer wieder verschobene Markteinführung gewartet und war fast entschlossen gewesen, den QL für ungefähr 2000 Mark zu erwerben. Aber während ich, Anfang 1985, noch die Testberichte studierte, kam der Amstrad PCW 8256 auf den Markt, in Deutschland als "Schneider Joyce" verkauft. Das war genau das, was ich brauchte - ein Computer und zugleich eine Schreibmaschine, das ideale System für den Textproduzenten, der es auch mit Zahlen und statistischen Tests zu tun hatte.

    Ein schönes Gerät, diese Joyce, das ich noch lange nach Auftreten der ersten "PC nach Industriestandard" benutzt und aufgerüstet habe. Ein ganzes Buch habe ich darauf geschrieben. Zwar gab es noch immer keine Festplatte (die damals "Winchester-Laufwerk" hieß, tausende von Mark kostet und immer vom "Headcrash" bedroht war). Aber immerhin besaß die Joyce ein Diskettenlaufwerk; jedes Unterkapitel paßte auf eine Diskettenseite. (Man konnte die Disketten umdrehen und auch auf der anderen Seite beschreiben).

    Das Scrollen durch eine Textdatei war so schön langsam, daß man sich dabei in Ruhe überlegen konnte, wie es weiter im Text gehen sollte. Und wenn man mal Pause machte, dann konnte man eine andere Diskette einlegen und LOGO laden (eine von dem genialen Seymour Papert erfundene, LISP-ähnliche Programmiersprache für Kinder) und damit allerlei Allotria treiben.



    Aber den Charme des ZX81, meines ersten Computers, hatte die Joyce trotz alledem nicht. Ganz zu schweigen von den Rechnern, die ich seither gekauft und, beim Kauf eines neuen, leichten Herzens entsorgt habe.