30. August 2006

Randbemerkung: Der größte Tisch der Welt

Das Internet hat die Zugänglichkeit von Wissen in einem Maß erweitert, das noch vor einigen Jahrzehnten unvorstellbar war. Jeder Nutzer hat Zugang zu einer riesigen Menge an Informationen, die zuvor größtenteils Spezialisten vorbehalten gewesen waren. Jeder kann sich heute in Minuten das auf den Rechner holen, was allenfalls durch aufwendige Recherchen in Bibliotheken und Archiven hatte zutage gefördert werden konnen.

Dieses Wissen muß freilich, damit es dem Nutzer nutzt, aufbereitet, es muß erschlossen werden. Der große Erfolg von Google und seinen Nachahmern, auch der Erfolg der Wikipedia, beruht darauf, daß sie das besser leisten als die unbeholfenen Suchmaschinen, mit denen wir in den ersten Jahren des WWW hatten vorlieb nehmen müssen.

Je mehr das im Web zugängliche Wissen wächst, umso mehr freut man sich über neue, pfiffige Arten, es verfügbar zu machen. Je größer das Wegenetz, umso wichtiger wird es, gute Karten zu haben und Routenplaner. Zum Beispiel spezialisierte Suchwerkzeuge für aktuelle Nachrichten.



An so etwas dachte ich, als ich in der Internet-Ausgabe der SZ diese Überschrift las: Internetaktion zum Weltwissen - Ich frag' ja nur - Das Internet-Forum "Dropping Knowledge" verspricht Aktivität statt Apathie und 11.200 weltbewegende Antworten.

Wow! Und der Artikel begann in der Tat vielversprechend:
Es gibt keine dummen Fragen. Auch das Internet lässt seine Nutzer in diesem Glauben: Was immer sie anfragen, sie werden mit Suchergebnissen überschüttet. Nur bedeutet Quantität eben nicht Qualität und nicht jede Frage - ob gut oder schlecht - erhält die Antwort, die sie verdient. Es sei daher an der Zeit, den wirklich wichtigen Fragen eine neue Plattform zu geben, befand der Werbeunternehmer Ralf Schmerberg und gründete vor drei Jahren den Verein "Dropping Knowledge".
Wunderbar, dachte ich, und machte mich auf zu der in dem Artikel angegebenen WebSite. Die URL enthielt einen Druckfehler (www.droppingkonwledge.org), aber der war schnell gefunden und behoben. Also - auf zu der Homepage von "Dropping Knowledge", die mir Qualität statt Quantität bei der Beantwortung meiner Fragen liefern würde.

Ich traf auf eine grafisch aufwendige Startseite, die mich allerdings zunächst nur auf ein Ereignis aufmerksam machte, nämlich daß am neunten September "112 of the world's great minds" sich um "the world's largest table" versammeln würden, um Fragen zu beantworten.

Ich hätte gern meine Frage gestellt - "Ist Pluto ein Planet?" - , aber egal, worauf ich auf der Startseite klickte, es begann der Download einer jedenfalls sehr großen Datei. Vielleicht des "Films", der auf der Startseite genannt wird. Nach einigen Versuchen habe ich das, als Landbewohner nicht DSL-begünstigt, abgebrochen. Ich wollte ja keinen Film sehen, sondern hätte gern meine Frage an 112 der größten Geister der Welt gestellt, oder wenigstens an einen von ihnen.

Damit wird es nun nichts. Jetzt tröste ich mich damit, aus der SZ zu wissen, wer zu "the world's great minds" gehört: Avi Primor, Hafsat Abiola, Wim Wenders, Roland Berger, Eliot Weinberger, Jonathan Meese und Hans Peter Dürr. Das sind alle, die in der SZ genannt werden.

Jeder von ihnen - und 105 weitere der großen Geister der Welt - beantwortet hundert Fragen, am neunten September 2006, in Berlin, auf dem Bebelplatz, am größten Tisch der Welt. Elftausendzweihundert Antworten an einem Tag, an einem Ort.

Eben Qualität statt Quantität.