Es war zu erwarten gewesen: Auch die aktuellen Anschläge sind alsbald mit üblen Verschwörungen in Zusammenhang gebracht worden. Spiegel-Online zitiert einen Araber, der glaubt, daß die Täter "vom deutschen Geheimdienst bezahlt" gewesen seien. Ein anderer in dem Artikel erwähnter Moslem nimmt die Aufdeckung der geplanten Flugzeuganschläge in Großbritannien als "Propaganda" wahr, bei der es darum gegangen sei, "vom Libanon-Krieg abzulenken".
Es gibt kaum ein die Öffentlichkeit beschäftigendes Ereignis, das nicht Verschwörungstheoretiker auf den Plan gerufen hätte. Die Wikipedia liefert mit ihrer Liste der Verschwörungstheorien einen im Wortsinn erschöpfenden Überblick - von modernen Verschwörungstheorien wie dem vorgeblichen Moon Hoax und den Theorien zu 9/11 bis hin zu Klassikern wie den Verschwörungen der Illuminaten und selbstredend von Juden. Und zahllosen sozusagen ad-hoc-Verschwörungstheorien - die Giftgase betreffend, die aus einem See in Kamerun strömten, oder eben ein aktuelles Ereignis wie die versuchten Kofferbomben-Anschläge.
Ich will in dieser kleinen Serie über Verschwörungstheorien nicht diskutieren, ob die eine oder andere dieser Behauptungen stimmt oder falsch ist. Ich halte keine von ihnen, soweit ich sie kenne, für auch nur im Ansatz bewiesen oder auch nur irgendwie plausibel. Aber das zu begründen würde ins Uferlose führen und wäre auch wenig ergiebig, denn Verschwörungstheorien lassen sich ihrem Wesen nach nicht widerlegen.
Beschäftigen will ich mich stattdessen mit der Frage, was eigentlich vielen Verschwörungstheorien zu ihrer weiten Verbreitung verhilft. Im jetzigen ersten Teil geht es um die allgemeinste Voraussetzung für Verschwörungstheorien: Die Unsicherheit unserer Kenntnis der Welt.
Nur sehr wenig von dem, was wir über die Welt wissen, enstammt unserer eigenen, unmittelbaren Erfahrung. Das unterscheidet uns Menschen radikal von allen Tieren, deren Weltkenntnis ganz überwiegend aus ihrer eigenen Sinneserfahrung kommt, sofern es nicht in ihren Genen verankert ist. Nur gelegentlich kommt so etwas wie indirektes Wissen hinzu - wie beispielsweise dann, wenn eine Biene durch ihren Schwänzeltanz den anderen Bienen den Ort eines Futterfunds kundtut oder wenn Murmeltiere auf den Warnpfiff eines Wächters hin im Bau verschwinden.
Das sind Beispiele dafür, daß soziale Kommunikation bei Tieren gelegentlich sozusagen den Augenschein ergänzt, oder - meist - ihn lediglich vorwegnimmt, ihn akündigt. Wir Menschen aber entnehmen fast alles, was wir wissen, nicht dem Augenschein. Wir haben es aus zweiter, dritter, vierter Hand. Wir haben es erzählt bekommen, gelesen, im TV gesehen. Aus Quellen, die ihrerseits auf andere Quellen vertrauen, die ihrerseits ... usw.
Was wir aus eigener Erfahrung wissen, das beschränkt sich weitgehend auf das, was "episodisches Wissen" genannt wird - das, was wir im Lauf unseres Lebens erlebt und zu einem Bild unserer sozialen, unserer räumlichen Umgebung zusammengesetzt haben.
Dieser unmittelbare Erfahrungsraum erweitert sich im Lauf unserer persönlichen Biographie, und er hat im Gefolge der zivilisatorischen Entwicklung gewaltig an Umfang zugenommen; jedenfalls für große Teile der Menschheit. Noch für Kant war dieser gesamte unmittelbare Erfahrungsraum auf die Stadt Königsberg beschränkt und auf diejenigen Personen, die dort wohnten oder die dorthin pilgerten, um ihn aufzusuchen. Zum Erfahrungsraum vieler Deutscher gehören heutzutage dagegen nicht nur viele Länder Europas, sondern gar die Karibik und Thailand.
Und doch hatte Kant eine Kenntnis der Welt in einem Umfang, wie dies die heutigen Deutschen nicht haben. Er hatte sie aus Büchern, aus Gesprächen mit Besuchern. Er hatte sie aus zweiter, dritter Hand. Und doch vertraute er ihr.
Sein Bild der Welt enthielt vorwiegend Sachverhalte, von deren Richtigkeit er sich nicht hatte persönlich überzeugen können. An deren Wahrheit er also hätte zweifeln können, und an deren Wahrheit zu zweifeln er als Aufklärer und Skeptiker in der Tradition Humes ja auch bereit gewesen war.
Aber er hatte eben auch gute Gründe, an sehr Vielem nicht zu zweifeln, das er nicht persönlich nachprüfen konnte. An den Ergebnissen der Astronomie beispielsweise, die ihn als jungen Magister sehr interessierten und die er seiner "Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels" zugrundegelegt hat. Auch seine Hauptwerke, so gründlich und kritisch sie auch den Voraussetzungend des Erkennens, des moralischen Handelns und des Urteilens nachspürten, basierten natürlich auf dem, was in mehr als zweitausend Jahren zuvor gedacht und entdeckt worden war.
Vieles, was Menschen über die Welt wußten oder zu wissen vermeinten, hatte vom Beginn der Kultur an diesen Charakter indirekten, vermittelten Wissens. Wissen über Ursprung und Ziel der Geschichte, über Götter und Geister, über Sonne, Mond und Sterne, über die Kraft von Kräutern und den Fluch verrufener Orte.
Wie kamen Menschen dazu, diesem überlieferten Wissen zu trauen? Sie trauten offensichtlich, weil sie vertrauten. Der cartesianische Zweifel lag ihnen so fern wie nur irgend etwas. Sie hatten das Vertrauen, daß ihre Alten und ihre Schamanen, ihre Weisen und ihre Priester ihnen die Wahrheit sagten.
So, wie die meisten uns darauf vertrauen, daß Wissenschaftler und Journalisten die Wahrheit schreiben, daß Regierungen uns nicht belügen, - kurz, daß die Institutionen unserer Gesellschaft vertrauenswürdig sind.
Die meisten von uns, aber eben nicht alle von uns. Die Zahl derjenigen Menschen scheint weltweit zuzunehmen, die an die Stelle des Vertrauens in die Institutionen ein sozusagen systematisches Mißtrauen setzen. Und das ist, so scheint mir, eine der Wurzeln von Verschwörungstheorien, vielleicht die stärkste.
(Fortsetzung folgt)Es gibt kaum ein die Öffentlichkeit beschäftigendes Ereignis, das nicht Verschwörungstheoretiker auf den Plan gerufen hätte. Die Wikipedia liefert mit ihrer Liste der Verschwörungstheorien einen im Wortsinn erschöpfenden Überblick - von modernen Verschwörungstheorien wie dem vorgeblichen Moon Hoax und den Theorien zu 9/11 bis hin zu Klassikern wie den Verschwörungen der Illuminaten und selbstredend von Juden. Und zahllosen sozusagen ad-hoc-Verschwörungstheorien - die Giftgase betreffend, die aus einem See in Kamerun strömten, oder eben ein aktuelles Ereignis wie die versuchten Kofferbomben-Anschläge.
Ich will in dieser kleinen Serie über Verschwörungstheorien nicht diskutieren, ob die eine oder andere dieser Behauptungen stimmt oder falsch ist. Ich halte keine von ihnen, soweit ich sie kenne, für auch nur im Ansatz bewiesen oder auch nur irgendwie plausibel. Aber das zu begründen würde ins Uferlose führen und wäre auch wenig ergiebig, denn Verschwörungstheorien lassen sich ihrem Wesen nach nicht widerlegen.
Beschäftigen will ich mich stattdessen mit der Frage, was eigentlich vielen Verschwörungstheorien zu ihrer weiten Verbreitung verhilft. Im jetzigen ersten Teil geht es um die allgemeinste Voraussetzung für Verschwörungstheorien: Die Unsicherheit unserer Kenntnis der Welt.
Nur sehr wenig von dem, was wir über die Welt wissen, enstammt unserer eigenen, unmittelbaren Erfahrung. Das unterscheidet uns Menschen radikal von allen Tieren, deren Weltkenntnis ganz überwiegend aus ihrer eigenen Sinneserfahrung kommt, sofern es nicht in ihren Genen verankert ist. Nur gelegentlich kommt so etwas wie indirektes Wissen hinzu - wie beispielsweise dann, wenn eine Biene durch ihren Schwänzeltanz den anderen Bienen den Ort eines Futterfunds kundtut oder wenn Murmeltiere auf den Warnpfiff eines Wächters hin im Bau verschwinden.
Das sind Beispiele dafür, daß soziale Kommunikation bei Tieren gelegentlich sozusagen den Augenschein ergänzt, oder - meist - ihn lediglich vorwegnimmt, ihn akündigt. Wir Menschen aber entnehmen fast alles, was wir wissen, nicht dem Augenschein. Wir haben es aus zweiter, dritter, vierter Hand. Wir haben es erzählt bekommen, gelesen, im TV gesehen. Aus Quellen, die ihrerseits auf andere Quellen vertrauen, die ihrerseits ... usw.
Was wir aus eigener Erfahrung wissen, das beschränkt sich weitgehend auf das, was "episodisches Wissen" genannt wird - das, was wir im Lauf unseres Lebens erlebt und zu einem Bild unserer sozialen, unserer räumlichen Umgebung zusammengesetzt haben.
Dieser unmittelbare Erfahrungsraum erweitert sich im Lauf unserer persönlichen Biographie, und er hat im Gefolge der zivilisatorischen Entwicklung gewaltig an Umfang zugenommen; jedenfalls für große Teile der Menschheit. Noch für Kant war dieser gesamte unmittelbare Erfahrungsraum auf die Stadt Königsberg beschränkt und auf diejenigen Personen, die dort wohnten oder die dorthin pilgerten, um ihn aufzusuchen. Zum Erfahrungsraum vieler Deutscher gehören heutzutage dagegen nicht nur viele Länder Europas, sondern gar die Karibik und Thailand.
Und doch hatte Kant eine Kenntnis der Welt in einem Umfang, wie dies die heutigen Deutschen nicht haben. Er hatte sie aus Büchern, aus Gesprächen mit Besuchern. Er hatte sie aus zweiter, dritter Hand. Und doch vertraute er ihr.
Sein Bild der Welt enthielt vorwiegend Sachverhalte, von deren Richtigkeit er sich nicht hatte persönlich überzeugen können. An deren Wahrheit er also hätte zweifeln können, und an deren Wahrheit zu zweifeln er als Aufklärer und Skeptiker in der Tradition Humes ja auch bereit gewesen war.
Aber er hatte eben auch gute Gründe, an sehr Vielem nicht zu zweifeln, das er nicht persönlich nachprüfen konnte. An den Ergebnissen der Astronomie beispielsweise, die ihn als jungen Magister sehr interessierten und die er seiner "Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels" zugrundegelegt hat. Auch seine Hauptwerke, so gründlich und kritisch sie auch den Voraussetzungend des Erkennens, des moralischen Handelns und des Urteilens nachspürten, basierten natürlich auf dem, was in mehr als zweitausend Jahren zuvor gedacht und entdeckt worden war.
Vieles, was Menschen über die Welt wußten oder zu wissen vermeinten, hatte vom Beginn der Kultur an diesen Charakter indirekten, vermittelten Wissens. Wissen über Ursprung und Ziel der Geschichte, über Götter und Geister, über Sonne, Mond und Sterne, über die Kraft von Kräutern und den Fluch verrufener Orte.
Wie kamen Menschen dazu, diesem überlieferten Wissen zu trauen? Sie trauten offensichtlich, weil sie vertrauten. Der cartesianische Zweifel lag ihnen so fern wie nur irgend etwas. Sie hatten das Vertrauen, daß ihre Alten und ihre Schamanen, ihre Weisen und ihre Priester ihnen die Wahrheit sagten.
So, wie die meisten uns darauf vertrauen, daß Wissenschaftler und Journalisten die Wahrheit schreiben, daß Regierungen uns nicht belügen, - kurz, daß die Institutionen unserer Gesellschaft vertrauenswürdig sind.
Die meisten von uns, aber eben nicht alle von uns. Die Zahl derjenigen Menschen scheint weltweit zuzunehmen, die an die Stelle des Vertrauens in die Institutionen ein sozusagen systematisches Mißtrauen setzen. Und das ist, so scheint mir, eine der Wurzeln von Verschwörungstheorien, vielleicht die stärkste.
© Zettel. Titelvignette: Die Verschwörung des Peter Amstalden in Luzern im Jahre 1478. Abbildung aus dem "Luzerner Schilling" (1513). In der Public Domain, da das Copyright erloschen ist.