8. August 2006

Gedanken über die Monarchie

Was spricht eigentlich gegen die Monarchie? Auf den ersten Blick mag die Frage abwegig erscheinen: Die deutschen Monarchisten, nicht wahr, die sind doch ein kleines Häuflein von versponnenen, offenbar irgendwie in der Vergangenheit hängengebliebenen Sonderlingen, wenn nicht Reaktionären? Und die deutsche Monarchie - hat sie nicht soviel Unheil angerichtet, daß sich schon deswegen der Gedanke an ihre Wiedereinführung verbietet?

Nun, Gedanken sollte man nicht verbieten; und es gibt nur wenige Gedanken, die sich verbieten. Daß es nicht realistisch ist, in Deutschland wieder eine Monarchie zu etablieren, gar das Haus Hohenzollern zurück auf einen wiedererrichteten deutschen Kaiserthron zu holen, liegt auf der Hand. Aber Gedanken kann man sich ja trotzdem machen.

Nicht mit dem Ziel, daß sie sich in Realität verwandeln. Das tun ja Gedanken ohnehin selten. Und wenn sie es tun - wie die Traumgedanken des Karl Marx über eine freie und gerechte Gesellschaft - , dann erweist sich der aus ihnen hervorgehende manifeste Trauminhalt nicht selten als der eines Alptraums.



Wo gibt es eigentlich noch Monarchien? Drehen wir - in Gedanken! - die Weltkugel.

In Amerika? Da gab es einmal den einen oder anderen Monarchen in Lateinamerika; in Brasilien einmal einen König Pedro, später den unglücklichen Kaiser Maximilian in Mexiko. Ephemere Versuche, vorbei. In Afrika? Der letzte durch eine alte Tradition legitimierte Monarch, Haile Selassie von Äthiopien, wurde 1974 gestürzt. König Faruk von Ägypten und König Idris von Libyen hatten schon früher ihren Thron verloren. Im südlichen Afrika gibt es Königreiche von Gnaden der Republik Südafrika; und es gab jenen bizarren Bokassa, Kaiser des "Zentralafrikanischen Kaiserreichs". Und dann gibt es noch den König von Marokko.

Den man aber vielleicht eher der arabischen Welt zurechnen sollte. Dort finden wir des weiteren den König von Jordanien, den saudischen König und diverse Emire und Sultane am Golf. Sodann - wir sind jetzt in Asien angekommen - einige Könige in Ostasien - den König von Thailand, von Kambodscha, den von Nepal, den von Bhutan. Und natürlich den japanischen Kaiser. Auch in Ozeanien gibt es wohl Monarchien; jedenfalls gab es sie. An die Königin von Tonga, von massiver Ehrwürdigkeit, erinnere ich mich noch aus meiner Kindheit.



Einige habe ich sicher vergessen bei diesem tour d'horizon. (Wer die vollständige Liste ansehen will, findet sie zum Beispiel hier). Die kleine Aufzählung zeigt jedenfalls: Es sind verstreute Monarchien, Überbleibsel, sozusagen einzelne Inseln in einem Meer von Republiken.

Anders Europa. Europa ist die letzte Hochburg der Monarchie. Norwegen, Schweden, Dänemark, das Vereinigte Königreich. Die Niederlande, Belgien, Luxemburg. Spanien und die Klein- und Halbstaaten Liechtenstein, Andorra und Monaco.

Seltsam, nicht wahr? Gerade dieser, was Demokratie und Rechtstaatlichkeit angeht, so weit fortgeschrittene Kontinent Europa hat noch derart viele Monarchien.



Mehr noch: Sie sind nicht nur zahlreich, die europäischen Monarchien, sondern sie sind auch ausnehmend erfolgreich. Ich habe mir einmal ein paar der heute so beliebten Rankings angesehen - und durchweg schnitten die europäischen Monarchien glänzend ab:
  • Nehmen wir die Freiheit. Da gibt es den Annual Worldwide Press Freedom Index, der die Länder der Welt danach anordnet, wie frei dort die Presse ist. An der Spitze liegen (alle mit jeweils demselben nahezu optimalen Indexwert von 0,5) Dänemark, Finnland, Island, Irland, die Niederlande, Norwegen, die Schweiz. Drei der sieben freiesten Länder der Welt sind Monarchien.

  • Nehmen wir die Wissenschaften. Auch bei den Universitäten gibt es natürlich Welt-Ranking, zum Beispiel das von Webometrics. Von den zehn weltbesten Universitäten liegen hiernach sieben in einer Monarchie, nämlich in Großbritannien oder Schweden. (Die meisten in Großbritannien).

  • Oder betrachten wir den ökonomischen Erfolg. Die Wikipedia bietet uns ein Financial and Social Ranking of European Countries. In der Kaufkraft pro Kopf der Bevölkerung sind unter den ersten Zehn fünf Monarchien (Luxemburg, Norwegen, Dänemark, Belgien und Großbritannien). Die Liste der europäischen Staaten mit der geringsten Arbeitslosigkeit enthält sogar sieben Monarchien unter den ersten Zehn (Andorra, die zur dänischen Krone gehörenden Faröerinseln, Liechtenstein, die britische Kronkolonie Gibraltar, die Niederlande und Monaco). Gut, darunter sind arg viele Kleinstaaten und -territorien. Lassen wir sie aus; dann sind unter den ersten Zehn immer noch vier Monarchien (die Niederlande, Norwegen, Schweden und Luxemburg).

  • Und nehmen wir schließlich das Ranking aller Rankings, den Human Development Index der Vereinten Nationen. Hier sind unter den besten zehn Staaten der Welt - den am meisten entwickelten, den mit der höchsten Lebensqualität - sieben europäische Staaten. Von diesen sieben sind vier (Norwegen, Luxemburg, Schweden und Belgien) Monarchien. Und von den drei nichteuropäischen - Australien, Kanada und die USA - sind zwei ebenfalls formal Monarchien; mit der britischen Königin als Staatsoberhaupt.


  • Geneigter Leser, ich danke Ihnen, daß Sie bis hierher gelesen und Ihren Zorn zurückgehalten hast. Den Zorn darüber, daß ich nicht längst auf einen trivialen Sachverhalt eingegangen bin: Der Erfolg eines Landes hängt selbstverständlich von so vielen, so komplexen, so vielfach interagierenden Faktoren ab, daß man ihn nicht einfach mit einem - noch dazu so äußerlichen - Faktor in Verbindung bringen kann, wie daß er die Staatsform einer Monarchie hat.

    Gewiß ist das so. Nur allzu wahr ist es! Es liegt mir folglich fern, etwa zu behaupten, Staaten wie Norwegen, die Niederlande und das Vereinigte Königreich stünden deshalb in diesen Rankings so gut da, weil sie Monarchien sind. Das wäre wahrlich eine abenteuerliche Behauptung.

    Nein, das nicht. Aber zwei weniger gewagte Vermutungen lassen sich aus diesen Rankings doch ableiten:
  • Erstens, eine Monarchie zu sein scheint eine Nation zumindest nicht daran zu hindern, ein freies, prosperierendes Land mit einer hohen Lebensqualität zu sein

  • Zweitens: Die auffällige Häufung von Monarchien in diesen Listen läßt vermuten, daß es irgendwelche indirekten Zusammenhänge zwischen der Fortschrittlichkeit dieser Länder und ihrer, sagen wir, Toleranz gegenüber der überkommenen Staatsform der Monarchie gibt. Vielleicht kann man sagen: Es sind Länder, die soviel soziale Stabilität, soviel nationales Zusammengehörigkeitsgefühl, eine so weitgehend ohne radikale Brüche verlaufene nationale Geschichte haben, daß sich dort nie revolutionäre Umstände ergaben, die zum Sturz der Monarchie geführt hätten.


  • Wenn man mit Historikern spricht, dann macht man die Erfahrung, daß die meisten es als unwissenschaftlich von sich weisen, die Frage "Was wäre gewesen, wenn ..." - zu stellen. Und daß viele von ihnen zweitens, ein wenig herausgefordert und/oder zu später Stunde, nur allzu gern auf diese Frage eingehen. Spielerisch natürlich, off the record, erst nachdem sie den Hut des Wissenschaftlers ab- und den des Teilnehmers an lockerer Runde aufgesetzt haben.

    Als jemand, der mehr in den Naturwissenschaften zu Hause ist, empfinde ich diese Frage allerdings als keineswegs unwissenschaftlich. Das Gedankenexperiment ist dort ein ehrwürdiges und gar nicht fragwürdiges Verfahren. Viele Modelle sind nichts anderes als auf dem Rechner implementierte Gedankenexperimente. Also, ich erlaube mir die Frage: Was wäre geworden, wenn Wilhelm II nicht im November 1918 zur Abdankung gezwungen gewesen wäre?

    Und ich erlaube mir - nein, keine Antwort, aber ein paar Überlegungen zu den, sagen wir, Optionen, die der Weltgeist dann gehabt hätte:
  • Es wäre alles nicht anders verlaufen, als es tatsächlich verlaufen ist. Der Kaiser hätte genau die Rolle übernehmen müssen, die Hindenburg spielte. Mit, nach der "Machtergreifung", einer Stellung gegenüber Hitler ungefähr wie der von Vittorio Emanuele gegenüber Mussolini.

  • Die Entwicklung wäre ähnlich verlaufen wie in der Realität, aber doch sozusagen gedämpft. In einer weiterbestehenden Monarchie hätten die Versuche der Kommunisten, nach 1919 Deutschland zur Sowjetrepublik zu machen, schneller und weniger blutig vereitelt werden können. Und andererseits hätte sich Hitler, solange der Kaiser noch lebte, nicht zu einem absoluten Diktator aufschwingen können.

  • Die optimistischste Variante: In einer weiterbestehenden Monarchie hätte der Prozeß des Übergangs zu einer konstitutionellen Monarchie erfolgreich fortgesetzt werden können, der ja schon längst vor 1914 begonnen hatte. Die Beamtenschaft, das Militär, hätten nicht in großen Teilen gegen den Staat gestanden, und die Kommunisten hätten nach 1919 so wenig eine Chance gehabt, wie die Nazis nach 1930.
  • Ja, gewiß, ein Traum. Gedanken, in Vorstellungen umgesetzt: Aber was hätte Europa erspart werden können, wenn Hitler keine Chance gehabt hätte, und wenn Europa aus dem Ersten Weltkrieg schon die Lehren gezogen hätte, die es, nach furchtbaren Leiden, endlich aus dem Zweiten Weltkrieg gezogen hat!



    Nein, ich bin nicht für die Wiedereinführung einer deutschen Monarchie; das würde jetzt ja nichts mehr verbessern und ist außerhalb jeder vernünftigen Erfolgsaussicht.

    Ja, ich halte es für wahrscheinlich, daß unsere Geschichte im 20. Jahrhundert weniger katastrophal verlaufen wäre, wenn die Monarchie nach 1918 Bestand gehabt hätte.