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7. September 2008

Marginale: Müntefering ante portas. Und schon wird aus dem Cunctator Steinmeier ein Scipio

Seit dem Scheitern Johannes Raus als Kanzlerkandidat bei den Wahlen 1987 gilt es in der SPD, und nicht nur dort, als ausgemacht, daß man einen solchen Kandidaten nicht zu früh nominieren darf.

Rau hatte man bereits zwei Jahre vor diesen Wahlen, am 15. September 1985, zum Kandidaten gekürt. Was bedeutete, daß er zwei Jahre im Feuer der Kritik stand und am Ende Helmut Kohl unterlag. (Die SPD erhielt 37 Prozent. Ein Ergebnis also, von dem sie heute nur träumen kann; damals war es ein klägliches Scheitern. Kohl erhielt über 44 Prozent).

Seitdem gilt die Regel: Den Kanzlerkandidaten erst nominieren, wenn es auf die Wahlen zugeht. Auch diesmal wollte man eigentlich in aller Ruhe abwarten, bis Beck sich - zu einem selbstgewählten Zeitpunkt - hinstellen und verkünden würde, daß the winner der Minister Steinmeier ist.

Von Beck in freiwilliger Selbstbescheidung nominiert. Von Beck als dem Herrn des Verfahrens, der entscheidet, wann und wie er wen zum Kanzlerkandidaten ernennt.

Warum jetzt die Eile, mit der offensichtlich bereits heute Steinmeier auf den Schild gehoben werden soll?

Weil Hannibal ante portas ist.



Sie hatten sich das so schön ausgedacht, die Oberen der SPD: Steinmeier wird Kanzlerkandidat. Ein Mann, der die Innere Mongolei vermutlich besser kennt als das Innere der SPD. Also keiner, der auch noch Vorsitzender werden will.

Der das nicht jetzt werden will, und damit ist Beck erst einmal sicher. Auch nicht später. Also kann Steinmeier den Kanzlerkandidaten machen, und später einmal beerbt Andrea Nahles den Kurt Beck.

Ein schöner, ein logischer, ein für alle profitabler Plan. Nur ist nun Müntefering wieder da.

Sofort schlossen sich die Reihen der Spitzengenossen. Eine "beratende Tätigkeit" wollte Beck dem Genossen Müntefering zugestehen, und klopfte dem offenbar früh Vergreisten auf die Schulter: "Es ist ehrenwert, wenn man mit 68 gebeten wird, seine Erfahrung einzubringen".

Aber es half nichts. Hannibal rückte näher, wenngleich vielleicht gar nicht einmal mit eigenen Truppen. Es war das Hilfsvolk der Wähler, das ihn in bedrohliche Nähe zur Kanzlerkandidatur brachte.

Laut ARD-DeutschlandTREND für September liegt bei der Frage nach dem SPD- Kanzlerkandidaten bereits jetzt Müntefering, der noch kaum wieder in der Öffentlichkeit aufgetreten ist, mit 36 Prozent nur knapp hinter Steinmeier (40 Prozent). Und "nach wie vor enorme Sympathien" für Müntefering ermittelte Infratest- dimap bei den Befragten.

Da hieß es also handeln.

Ein Kanzlerkandidat, gar ein Kanzler Müntefering hätte weder seinem Intimfeind Kurt Beck noch jener Andrea Nahles, deren Intrigen ihn 2005 zum Rücktritt getrieben hatten, das Amt des Vorsitzenden gelassen. Wie Schröder hätte dieser Kenner aller Geheimnisse der SPD gewußt, daß ein Kanzler, der nicht zugleich Parteichef ist, von dieser SPD nie die erforderliche Unterstützung erwarten kann. Helmut Schmidt hatte das zu spät erkannt und bereut, daß er nicht auch Vorsitzender geworden war.

Also, ein bevorstehender Wiederaufstieg Münteferings hätte sie alle drei bedroht - Beck, Steinmeier, Nahles.

Darauf konnten und wollten sie nicht reagieren wie Fabius Maximus, der Cunctator, der Zauderer es gegenüber Hannibal gemacht hatte; nämlich abwartend und zurückweichend.

Da heißt es, wir werden es heute mitgeteilt bekommen, tapfer kämpfen wie die Scipionen.



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26. August 2008

Zettels Meckerecke: Parteifreunde begrüßen die Rückkehr von Franz Müntefering. Jeder, wie er kann

Franz Müntefering ist der einzige Mann von politischem Gewicht, den die SPD noch hat: Der einzige, der populär sowohl in der Partei als auch bei den Wählern ist, der langjährige Erfahrung in Partei- und Regierungsämtern hat, der sich immer seiner Partei gegenüber loyal gezeigt hat. "Urgestein", wie man das so nennt, seit jemand einmal Herbert Wehner mit dieser Bezeichnung belegt hat.

Also herrschte Freude, vielleicht Hoffnung in der Spitze der SPD, als er nach dem Tod seiner Frau sich jetzt als aktiver Politiker zurückgemeldet hat?

Kann man so nicht sagen.

"Laut Parteichef Kurt Beck ist zu Münteferings künftigen Aufgaben 'alles gesagt', lesen wir in der heutigen "Süddeutschen Zeitung"; "Jede 'beratende Tätigkeit' für die SPD sei danach willkommen".

Und als müsse er mit jedem dritten Satz zeigen, daß er mit der deutschen Sprache seine Probleme hat, fügte Beck - so die "Welt" - hinzu: "Es ist ehrenwert, wenn man mit 68 gebeten wird, seine Erfahrung einzubringen". Ehrend meinte er wahrscheinlich.

Was Beck unbeholfen sagt, das artikuliert der Genosse Wolfgang Thierse mit der ihm eigenen Mischung aus Eloquenz und Bigotterie. Ebenfalls in der "Welt" zitiert:
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) warnte seine Partei davor, Müntefering "mit einer geradezu gigantischen Erlösererwartung zu überfordern". Es sei gut, wenn die SPD zeige, dass sie einen Kanzlerkandidaten und gutes anderes Führungspersonal habe, sagte Thierse den "Stuttgarter Nachrichten". Das sei besser, als einen einzigen Erlöser zu präsentieren, von dem dann alles abhänge und alles erwartet werde.
Wenn ich das lese, dann wird mir Klaus Wowereits Rotzigkeit schon fast sympathisch. Noch einmal die "Süddeutsche Zeitung": "Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wies im ZDF allerdings darauf hin, dass in der Parteispitze derzeit keine Position frei sei".



Jeder sagt es auf seine Art. Der eine unbeholfen, der andere ölig, der dritte mit Berliner Ruppigkeit. Meinen tun sie alle dasselbe: Jetzt sind wir dran. Müntefering soll gefälligst auf dem Altenteil bleiben, wo er hingehört.



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28. Juli 2008

Zitat des Tages: Keiner ist fähiger als Gordon Brown. Nur wozu? Nebst wieder einmal einer Anmerkung zu Kurt Beck

There is no one in the Labour Party who is capable of running the party worse than him.

(Es gibt niemanden in der Labour Party, der fähig dazu wäre, die Partei schlechter zu führen als er.)

Ein nicht genannter britischer Minister über den Ministerpräsidenten Gordon Brown, gestern zitiert von Scotland on Sunday, der Sonntagszeitung des Scotsman.

Kommentar: Traurig schaute er immer schon drein, der Gordon Brown. Aber nach einer Serie vernichtender Niederlagen der Labour Party, seit er Nachfolger von Tony Blair wurde, hat er inzwischen auch allen Grund dazu.

Nachdem Labour jetzt bei einer Nachwahl auch den eigentlich bombensicheren Wahlkreis Glasgow- Ost an die schottischen Nationalisten verloren hat, diskutiert die Partei "Selbstmord- Wahlen": Ein Kabinettsmitglied - gehandelt wird Jack Straw, den wir als Außenminister zur Zeit des Irak- Kriegs in Erinnerung haben - soll Gordon Brown ablösen und sofortige Neuwahlen ausschreiben.

Neuwahlen, die Labour, darüber macht man sich keine Illusionen, verlieren würde. Aber das sei immer noch besser, als bis zu dem spätesten Termin für Neuwahlen zu warten, das Jahr 2010, weil dann die Niederlage noch vernichtender ausfallen würde.



Die Labour Party hat es so gewollt. Man hat den erfolgreichen Tony Blair, vermutlich den fähigsten Labour- Ministerpräsidenten, den das UK je hatte, in die Wüste geschickt, weil man ihm die Solidarität mit den USA übel nahm und weil man seiner wohl auch einfach überdrüssig geworden war.

Statt seiner leistete man sich den ewigen Kronprinzen Gordon Brown, einen jener Leute, die der ideale Zweite Mann sind, die aber meist versagen, wenn sie an die Spitze müssen.

Inzwischen düfte mancher in der Labour Party sich Tony Blair zurückwünschen. So, wie in der SPD nicht wenige Franz Müntefering nachtrauern dürften.

Der gewiß nicht das Format Tony Blairs hatte, aber doch ein fähiger Vorsitzender war. Er wurde zum Opfer der Intrigen der Andrea Nahles.

Und nun hat die SPD den Kurt Beck. Ähnlich erfolglos, inzwischen äuch ähnlich unbeliebt wie Gordon Brown.

Nur - daß eine Partei Neuwahlen anstrebt mit dem Ziel, in die Opposition zu gehen und sich dort zu regenerieren, das gibt es wohl nur im UK. Jedenfalls nicht in Deutschland. Und schon gar nicht bei der SPD.



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22. Juli 2008

Kurioses, kurz kommentiert: Habemus candidatam

Wir haben eine veritable Kandidatin.

Kurt Beck über die Kandidatin Gesine Schwan im Sommerinterview des ZDF am vergangenen Sonntag, das heute Nachmittag auf Phoenix wiederholt wurde.

Kommentar: Eine veritable Kandidatin ist sie freilich, die Gesine Schwan; kein Phantom, keine Fata Morgana. Fragt sich nur, ob auch eine formidable, präsentable, respektable, oder was immer dem Kurt Beck da an Fremdwörtern durch den Kopf gegangen ist.

Sollte man, darf man sich darüber mokieren, wenn für jemanden Fremdwörter Glückssache sind? Man darf gewiß. Man sollte in der Regel nicht. Hier aber, finde ich, schon.

Denn dieser Satz war bezeichnend für das ganze Interview, in dem sich eine Floskel an die andere reihte. Nichtssagend, unbeholfen formuliert, vermutlich auswendig gelernt. Mit Stilblüten wie "Was die CSU derzeit macht, das ist Furcht vor dem Wähler - nicht mehr und nicht weniger."

In der Rangliste deutscher Politiker im gedruckten "Spiegel" dieser Woche findet man Kurt Beck auf Platz 18 von 20 Plätzen. Einen Platz vor ihm steht Gregor Gysi, einen Platz hinter ihm Oskar Lafontaine.

Die von TNS Forschung Befragten haben, indem sie diese Plazierung lieferten, ein Ergebnis nicht ohne Symbolik hinbekommen: Eingeklemmt ist er zwischen den beiden Anführern von "Die Linke", der Kurt Beck.

Daß er sich als ein brillanter Intellektueller erweisen würde, hat niemand von Kurt Beck erwartet. Aber für einen soliden Charakter, für eine ehrliche Haut hat man ihn gehalten. Dieses Bild hat er gründlich beschädigt, als er sich hinter die Tricksereien der Andrea Ypsilanti stellte. Was bleibt da noch?



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18. Juli 2008

Zitat des Tages: Signal für die Demokratie. Was kann die SPD noch retten? Wer?

Im Wahlkampf wurde mir heftig vorgehalten, ich würde etwas herbeireden, wenn ich vor einer möglichen Kooperation von SPD, Linken und Grünen gewarnt habe. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass man den Sozialdemokraten in diesem Punkt nicht trauen kann. Die SPD war bereit, aus purem Machtwillen Wahlversprechen zu brechen. (...) Dass nicht alle in der hessischen SPD Macht über Glaubwürdigkeit stellen, war ein wichtiges Signal für die Demokratie und für Frau Ypsilanti.

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit "Spiegel Online".

Kommentar: Daß nicht alle in der hessischen SPD Macht über Glaubwürdigkeit stellen, ist nicht nur ein Signal für die Demokratie und für Frau Ypsilanti. Es ist auch ein Segen für die SPD.

In "Panorama" entwarf gestern Christoph Lütgert ein pessimistisches, also realistisches Bild von der SPD, die sich in der größten Krise befinde, die er, Lütgert, jemals erlebt habe.

In der Tat. Auftrat in der Sendung auch der unvermeidliche Franz Walter, der allen Ernstes der SPD empfiehlt, sich auf die "Neue Mitte" zu beschränken und das linke Spektrum für eine "intakte, kampagnenstarke, gut geführte, populistisch raffinierte Linkspartei" freizugeben, mit der sie dann koalieren soll. Ein Rezept also für den Selbstmord der SPD. Es klang nicht so, als würde Walter ihr eine Träne nachweinen.



Anders, als Franz Walter es uns mit seiner Eloge auf die Kommunisten glauben machen will, hat die SPD aber nicht das Problem, daß sie ihre traditionellen Wähler zwangsläufig verliert, wenn sie die Partei der neuen Mitte sein möchte. Sie war immer gerade dadurch stark, daß sie beide Schichten angesprochen hat, und zwar erfolgreich. Exakt das war das Erfolgsrezept von Willy Brandt und Helmut Schmidt gewesen. Die neue Mittelschicht ist ja nicht erst nach der Jahrtausendwende aus dem Nichts entstanden.

Erfolgreich war die SPD als eine linke Volkspartei bis zum Jahr 2003, genauer bis zum 14. März 2003. An diesem Tag verkündete Gerhard Schröder die Agenda 2010 und zwang damit seiner Partei von oben einen radikalen Kurswechsel auf. Ohne vorausgehende Diskussion in den Parteigliederungen, ohne Überzeugungsarbeit. Nach Gutsherrenart; oder sagen wir: Nach Art dessen, was die Nachfolger der Gutsherren "demokratischen Zentralismus" nennen.

Das war der erste Vernichtungsschlag, der dieser Partei zugefügt wurde. Den zweiten führten gemeinsam Andrea Ypsilanti und Kurt Beck. Auf den Vertrauensbruch durch Schröder folgte der Wortbruch durch Beck/Ypsilanti.

Schröder machte klar, daß ihm die Meinung in seiner Partei schnuppe ist. Beck und Ypsilanti machten den Wählern klar, daß ihnen die Versprechen schnuppe sind, die sie im Wahlkampf gegeben haben.

Der eine trieb diejenigen aus der Partei, die in der SPD die Schutzmacht des Kleinen Mannes sahen. Die beiden anderen führten dieses Werk auf der anderen Seite zu Ende, indem sie diejenigen vertrieben, die in der SPD immer noch die Partei Kurt Schumachers, Willy Brandts und Helmut Schmidts gesehen hatten, also eine Partei politischen Anstands.



Was hilft der SPD noch? Ehrlichkeit. Die Wiederentdeckung der innerparteilichen Demokratie. Das Einhalten von Versprechen.

Nicht ein ehrlicher Mann wie Wolfang Clement, der das Desaster in Hessen hatte verhindern wollen, dürfte aus der SPD ausgeschlossen werden (der Schiedsspruch wurde aufgeschoben), sondern die SPD sollte sich von einem Mann nichts mehr sagen lassen, der die politische Lüge propagiert. Genau die Haltung, die dieser Franz Walter vertritt, ist es, die die SPD in ihre jetzige Lage gebracht hat.

Dank schuldet die SPD der mutigen und integren Dagmar Metzger. Wenn es jemanden gibt, der die SPD noch retten kann, dann sind es Parteimitglieder wie Dagmar Metzger.

Matthias Platzeck, der sich in der DDR der Dikatur nicht beugte, hätte vielleicht die SPD, die Schröder in Trümmern hinterlassen hatte, wieder auf einen besseren Weg führen können. Er hätte vielleicht das nachholen können, was Schröder versäumt hatte: Die SPD von der Richtigkeit dessen zu überzeugen, was Schröder ihr oktroyiert hatte.

Er ahnte wohl, als er das Handtuch warf, was für eine Aufgabe das geworden wäre.



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29. Juni 2008

Marginalie: Warum ist Kurt Beck eigentlich SPD-Vorsitzender? Ja, warum denn nicht?

Nils Minkmar hat in der FAZ etwas über Kurt Beck geschrieben. Das Hauptthema dieses lesenswerten (wenn auch arg umständlich gechriebenen; muß denn wirklich einer "regressiven Verschwörungstheorie schon aus medienökologischen Gründen widersprochen" werden?) Artikels ist, wie positiv die Medien anfangs, nachdem er Vorsitzender der SPD geworden war, den Kurt Beck dargestellt und beurteilt haben.

Das ist so gewesen; nur vergißt man es heute leicht und kann sich kaum noch vorstellen, daß Beck einmal als Hoffnungsträger der SPD gefeiert wurde.

Wer vom Rathaus kommt, ist klüger. Und so weiß auch Nils Minkmar jetzt, daß man Beck nie hätte zum Vorsitzenden wählen sollen: "Die endgültige Verantwortung für dieses Desaster trägt ... die Führung der SPD, die einen erfolgreichen Ministerpräsidenten nie für die kurzfristige Lösung eines Personalproblems auf Bundesebene hätte verfeuern dürfen."

Nur hat sie das immer so gemacht, die SPD. Mal mit Erfolg, mal ohne.

Willy Brandt wurde Kanzlerkandidat, weil er ein erfolgreicher Regierender Bürgermeister gewesen war. Johannes Rau, Björn Engholm, Gerhard Schröder, zuletzt Matthias Platzeck - sie alle wurden allein deshalb als Vorsitzende und/oder Kanzlerkandidaten an die Spitze der SPD geholt, weil sie kurz zuvor in ihren Ländern Wahlen gewonnen hatten und folglich als Stimmenfänger galten.

So war es auch bei Kurt Beck; er hatte, als Platzeck ausfiel, als einziger Landespolitiker der SPD eine Wahl sehr erfolgreich bestanden.



Seit dem Abgang der Generation von Willy Brandt, Helmut Schmidt und Hans-Jochen Vogel hat die SPD zu keiner stetigen Führung mehr gefunden.

Statt Vorsitzende nach gründlicher Debatte auf lange Frist zu wählen und ihnen auch dann die Treue zu halten, wenn es mal schlecht läuft, nimmt sie denjenigen, der gerade durch einen Erfolg glänzt, verschleißt ihn und greift dann halt zum nächsten, der sich gerade anbietet, weil er eine Wahl gewonnen hat.

So traf es den redlichen Kurt Beck, der in der Tat, für jeden erkennbar, mit dem Amt des Ministerpräsidenten des schönen Weinlands Rheinland- Pfalz das erreicht hat, was er, wie man heute gern sagt, maximal schultern konnte.

Er hatte mit diesem Amt den "Gipfel seiner Kompetenz erklommen". So stand es hier zu lesen, am 21. März 2007, zu einer Zeit, als viele Kollegen von der gedruckten Presse Kurt Beck noch für den Hoffnungsträger der SPD hielten.



Freilich - nicht immer war es ein erfolgreicher Wahlkämpfer, den die SPD zu ihrem Vorsitzenden erkor. Rudolf Scharping wurde es, weil das die Mitglieder so gewollt hatten. Oskar Lafontaine wurde es, weil er die Delegierten eines Parteitags mit einer demagogischen Rede besoffen gemacht hatte. Gerhard Schröder wurde es, weil Oskar Lafontaine hingeworfen hatte und keiner wagte, dem Kanzler dieses Amt streitig zu machen.

Und Franz Müntefering wurde es, weil er die Partei im Griff hatte. Andrea Nahles könnte die nächste sein, die es aus diesem Grund wird.

Dann freilich wird man sich noch sehnsüchtig des tapsigen Kurt Beck erinnern.



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2. Juni 2008

Zitat des Tages: "Den Kapitalismus hinter uns lassen"

Wir sind systemkritisch in dem Sinne, dass wir irgendwann einmal den Kapitalismus zugunsten eines demokratischen Sozialismus hinter uns lassen müssen.

Nein, das sagte nicht ein Vertreter von "Die Linke". Das sagte die Vorsitzende der Jungsozialisten in der SPD, Franziska Drohsel, im Interview mit Thorsten Denkler von der "Süddeutschen Zeitung".

Kommentar: Dazu gestern in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" Markus Wehner:
Weiterhin stehen sich die Anhänger des Schröderschen Kurses, der der Partei den Verlust von 300 000 Mitgliedern und elf verlorene Wahlen in Folge bescherte, und die SPD-Linken gegenüber. Die einen dominieren in der Regierung und im Bundestag, die anderen stellen die Mehrheit in den Landesverbänden der Partei.
Und diese Mehrheit bestimmt, mit wem die SPD koaliert.

Das hat Gerd Schröder im Herst 1998 erfahren, als er mit der CDU hatte koalieren wollen und auf Druck von der "Basis" mit den Grünen koalieren mußte.

Das hat nach den Landtagswahlen in NRW im Jahr 2000 Wolfgang Clement erfahren, der gern mit der FDP koaliert hätte, der aber von der "Basis" zur Fortsetzung der Koalition mit seiner Intimfeindin Bärbel Höhn von den "Grünen" gezwungen wurde.

Auch Kurt Beck kennt die Machtverhältnisse in der SPD. Also fügt er seiner Absage an eine Koalition mit "Die Linke" ein entschlossenes "aus heutiger Sicht" hinzu.



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27. Mai 2008

Marginalie: Franz Müntefering kennt seine Partei. Deshalb fordert er einen förmlichen Beschluß gegen ein Zusammengehen mit den Kommunisten

Der ehemalige SPD-Chef Franz Müntefering gab heute dem Morgenmagazin der ARD ein Interview, das man sich hier ansehen kann und das die ARD so zusammenfaßt:
Der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering fordert die SPD auf, sich klar zur Linkspartei zu positionieren. Er verlangt einen eindeutigen Beschluss gegen eine Zusammenarbeit mit der Linken.
Franz Müntefering kennt seine Partei. Was ein Vorsitzender sagt - zumal einer mit der Autorität von Kurt Beck -, das ist nicht die MAZ wert, die es aufzeichnet. Aber was Gremien formal beschlossen haben, das ist in der SPD heilig. Und es ist umso heiliger, je näher diese Gremien der "Basis" sind.

Der Vorstand der SPD könnte einen bindenden Beschluß fassen, die SPD werde nach den Wahlen 2009 weder eine Koalition mit "Die Linke" eingehen noch sich an einer Regierung beteiligen, die auf eine Duldung durch sie angewiesen wäre. Besser noch wäre es, wenn der Parteirat, das höchste Gremium zwischen den Parteitagen, einen solchen Beschluß bekräftigte. Und am allerbesten wäre es, wenn dieser Beschluß dann noch einmal auf dem Wahlparteitag 2009 eingebracht und von den Delegierten abgesegnet werden würde.

Dann könnte man, gegeben die Realitäten in der SPD, einigermaßen sicher sein, daß das Versprechen, im Bundestag nicht mit "Die Linke" zu kooperieren, eingehalten wird.

Nur fürchte ich, es wird nicht so kommen. Und wenn weder der Vorstand noch der Parteirat noch der Wahlparteitag es förmlich beschließen, dann kann Kurt Beck sagen, was er will. Es ist unverbindliches Gerede. So jedenfalls hält man es in der SPD, dieser Gremienpartei kat' exochen.



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26. Mai 2008

Zettels Meckerecke: Vorwärts in die fünfziger Jahre, aber bitte ohne Aufsehen! Über den Zustand der SPD. Nebst einem Blick auf Frankreichs Sozialisten

Wo steht die SPD eigentlich programmatisch?

Nicht wahr, diese Frage kommt Ihnen seltsam vor. Denn eine programmatische Diskussion findet in der SPD schon seit langem nicht mehr statt.

1998 hatte man kein Programm, sondern ein "rotgrünes Projekt". 2003 hatte man kein Programm, sondern es fand ein Putsch statt, der dieses Projekt beendete und durch eine "Agenda 2010" ersetzte.

Die SPD hatte damit den Schwenk von einer katastrophal realitätsfernen Politik, die Deutschland innerhalb von fünf Jahren in den Niedergang geführt hatte, hin zu einer halbwegs modernen, in gewissen Zügen sogar liberalen Politik vollzogen, deren Erfolge heute bei den Arbeitslosenzahlen und den Steuereinnahmen zu besichtigen sind.

Die SPD? Nein, nicht nur ein kleines Dorf leistete Widerstand, sondern fast die ganze SPD. Nur allzu verständlich, denn sie hatte den Schritt zu einer modernen Politik ja nicht aus Einsicht getan, wie seinerzeit beim Godesberger Programm. Oder wie die Labour Party, als Tony Blair nach langen Diskussionen in der Partei "New Labour" durchsetzte.

Sie hatte ihn im Grunde überhaupt nicht getan, den Schritt zu einer modernen linken Partei. Sondern der damalige Kanzler hatte, Macher, der er ist, die SPD so kräftig gestoßen, daß sie nach vorn stolpern mußte. Halb schob er sie, fast fiel sie hin.

Das konnte nichts werden und ist ja auch für die SPD nichts geworden. Nur für die Kommunisten ist es etwas geworden, die davon profitieren, wie die SPD dahinstolpert.



Also vielleicht dann jetzt, da die SPD sich in den Umfragen den zwanzig Prozent nähert, eine programmatische Klärung dessen, was sie eigentlich will? Ob sie die Agenda 2010 auch innerlich akzeptieren und eine moderne, sich dem Neoliberalismus öffnende Partei werden oder ob sie gemeinsam mit den Kommunisten und den Grünen den Weg in die Volksfront, also hin zu einer klassischen sozialistischen Politik gehen will?

I wo. Auch jetzt wird nicht offen debattiert, was diese Partei eigentlich will.

Sondern mit einer Unredlichkeit, die kaum noch zu überbieten ist, werden einerseits mit der Kandidatur von Gesine Schwan die Weichen für die Volksfront gestellt, während man andererseits weiter beteuert, im Bund nicht mit den Kommunisten kooperieren zu wollen: "Eine rot- rot- grüne Koalition im Bund kommt nicht in Frage", sagte Beck laut heutigem "Tagesspiegel" in Leipzig. (Wie Kurt Beck ein solches Versprechen interpretiert, das kann man hier nachlesen).

Es wird also weitergestolpert. Oder, um die Metapher zu wechseln: Die SPD bietet weiter die Fassade einer Partei, die dem Kurs der Agenda 2010 folgt; einem Kurs, ohne den ja die Große Koalition gar nicht möglich gewesen wäre. Aber hinter dieser Fassade ist das Haus schon komplett entkernt.

Hinter der bröckelnden Fassade arbeiten fleißige Seilschaften unter Anleitung von Andrea Nahles an der neuen SPD, also der SPD der fünfziger Jahre. Einer SPD, die - wie damals in der Adenauer- Zeit - bei den Wählerstimmen im "Dreißig- Prozent- Turm" stecken wird; ja für die dreißig Prozent schon ein Traumziel sind. Die das aber im Grunde nicht zu stören braucht, weil viele ihrer Ziele ja von den Koalitionspartnern "Die Linke" und "Die Grünen" mitvertreten werden.

Und gemeinsam ist man stark. Im heutigen "Spiegel" kann man es wieder einmal nachschlagen, auf Seite 36: Wie in den meisten vergangenen Monaten liegt die Volksfront mit genau 50 Prozent vor Schwarzgelb (47 Prozent).

Grund also für Linke, in welcher der drei Parteien sie nun ihre momentane Heimat haben, sich auf die nächsten Bundestagswahlen zu freuen. Die Agenda 2010, die Öffnung der SPD für moderne neoliberale Ideen, der ganze Schmus von der "Neuen Mitte" ist geräuschlos beseitigt. Ohne Diskussion in der Partei, ohne Beschluß eines Parteitags. Einfach so. So, wie in Kaderparteien die Weichen gestellt werden; in der SPD war das ja einmal anders gewesen.



Welch ein Unterschied zu Frankreich!

Auch die dortigen Sozialisten stehen vor der Entscheidung, ob sie weiter Seit' an Seit' mit den Kommunisten die Systemfrage stellen oder ob sie für eine moderne sozialliberale Politik à la "New Labour" optieren.

Aber anders als in der SPD, die so tut, als gebe es diese Alternative nicht oder als könne man sie durch Kungelei in Gremien entscheiden, ist in der französischen PS seit Monaten eine offene Debatte im Gang.

Am vergangenen Wochenende hat diese Debatte neue Nahrung durch ein Buch erhalten. Es heißt "De l'Audace!", und da diesr Titel ein Ausrufezeichen trägt, lautet die richtige Übersetzung nicht "Vom Mut", sondern "Nur Mut!". Der Verfasser ist Bernard Delanoe, der Bürgermeister von Paris, der im Gespräch mit Laurent Joffrin gesagt hat, "que la gauche que je défends est par essence libérale", daß die Linke, für die er eintrete, ihrem Wesen nach liberal sei.

Delanoe ist ein aussichtsreicher Kandidat für den Posten des Generalsekretärs seiner Partei, der im Herbst dieses Jahres neu zu besetzen ist. Eine aussichtsreiche Kandidatin ist Ségolène Royale, eine orthodoxe Sozialistin, die auf das Erscheinen von Delanoes Buch sofort reagiert hat: "Libéralisme est le mot de nos adversaires", Liberalismus ist das Wort unserer Gegner.

Die spannende, diese die ganze Partei aufwühlende Diskussion in der PS wird wohl bis zum Herbst weitergehen, und dann wird man sehr wahrscheinlich entweder Delanoe oder Royal wählen und damit eine Richtungsentscheidung treffen.

Offen, nach eingehender Diskussion. Und nicht heimlich, verdruckst und unredlich, wie es die SPD macht.



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11. Mai 2008

Zitat des Tages: Kurt Beck redet nicht von Steuererhöhungen

Ich rede nicht von Steuererhöhungen, aber es gibt in manchen Bereichen Handlungsbedarf.

Kurt Beck, laut einem Artikel in der heutigen F.A.S..

Statt eines Kommentars zitiere ich den ersten Absatz dieses Artikels:
10. Mai 2008. Die SPD will für Besserverdienende die Steuern erhöhen, um zugunsten der Geringverdiener und der mittleren Einkommen die Sozialabgaben zu senken. Das sollen nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung aus der SPD-Führung die Eckpunkte des Zukunftskonzepts sein, das der Parteivorsitzende Kurt Beck für Ende Mai angekündigt hat.



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15. März 2008

Zitat des Tages: Kurt Beck definiert "Wortbruch". Oder: Wie lange kann man auf Eiern tanzen?

Ein Wortbruch wäre es gewesen, wenn in Hessen nicht vorher alle Möglichkeiten für eine andere Koalition versucht worden wären und die Absicht zur Zusammenarbeit mit der Linkspartei von Anfang an bestanden hätte. Die gab es aber nicht.

Kurt Beck in einem Interview mit Nico Fried und Susanne Höll in der gestrigen "Süddeutschen Zeitung".

Da man Äußerungen immer im Zusammenhang lesen soll, hier eine zweite Antwort Becks aus demselben Interview:
SZ: SPD-Politiker legen den Beschluss zur Linkspartei unterschiedlich aus. Die einen interpretieren ihn als verklausuliertes Verbot von Rot-Rot, andere als Aufforderung zu Koalitionen.

Beck: Er ist eindeutig. Ein klares Nein im Bund. Für die Länder gilt: Es gibt keine Zusammenarbeit mit dieser Partei, wenn dort beispielsweise DKP-Mitglieder auf Wahllisten stehen. (...)
Wir wissen jetzt, was Beck mit "Ein klares Nein im Bund" meint: Solange nicht alle Möglichkeiten für eine andere Koalition versucht worden sind, wird die SPD nicht mit den Kommunisten koalieren. Danach wird sie es tun. Das ist dann kein Bruch des "klaren Nein", denn die Absicht einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei bestand ja nicht von Anfang an.

Was wir Kurt Beck ja gern abnehmen wollen. Wie auch, daß Frau Ypsilanti die Zusammenarbeit mit "Die Linke" nie erwogen hätte, wenn diese ihren bereits gewählten Spitzenkandidaten Pit Metz (laut "Tagesspiegel" ein "erklärter Kommunist") nicht wieder aus dem Verkehr gezogen hätte.

Es sei denn, daß vorher alle Möglichkeiten für eine andere Koalition versucht worden wären. Denn dann würde - das haben wir jetzt verstanden - auch diese Klausel "nicht mit Kommunisten auf der Liste" natürlich nicht mehr gelten.



Wie lange kann man einen Eiertanz eigentlich durchhalten? So lange, bis alle Eier, auf denen man herumtanzt, zermatscht sind und man selbst von oben bis unten bekleckert? Oder tanzt man dann noch auf den Schalen weiter, bis die Puste ausgeht oder man auf der Nase liegt, in dem Eiermatsch?

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7. März 2008

Wie die "rochierenden" Vorsitzenden Schröder und Beck die SPD ruiniert und die Kommunisten stark gemacht haben

Ein Auto fährt dicht an einem Passanten vorbei und spritzt ihn mit Dreck voll; von rechts. Dann wendet der Fahrer, fährt auf der anderen Seite an dem Mann vorbei und spritzt ihm auch noch von links den Modder an Jacke und Hose.

So sind die Vorsitzenden Gerhard Schröder und Kurt Beck mit den Wählern der SPD umgegangen. Kein politischer Gegner hätte es fertiggebracht, diese Partei so gründlich zu ruinieren - sie zugunsten ihrer traditioneller Gegner, der Kommunisten, zu ruinieren -, wie diese beiden Vorsitzenden, die ihre Wähler wie den letzten Dreck behandelt haben.

Die beiden Vorsitzenden haben das durch Trickserei und Unehrlichkeit geschafft. Sie haben es dadurch geschafft, daß sie - wissentlich oder unwissentlich - den Rezepten eines machiavellistischen Politologen gefolgt sind, der rät: "Ein Stratege und großer Politiker muß - ja, er muß - zuweilen Potemkinsche Dörfer errichten, ohne Skrupel von links nach rechts und zurück rochieren".

Das haben sie befolgt, die beiden Vorsitzenden einer Partei, die einmal für Anstand und Ehrlichkeit gestanden hat wie kaum eine andere; von Friedrich Ebert und Otto Wels über Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer bis zu Willy Brandt und Helmut Schmidt. Ohne Skrupel ist Gerhard Schröder nach rechts "rochiert", und jetzt hat Kurt Beck versucht, nach links zu "rochieren".



Rückblicke auf die Regierung Schröder betonen oft, bei aller Kritik müsse man Gerhard Schröder doch die Agenda 2010 zugute halten. Dieser sei schließlich der jetzige Aufschwung Deutschlands zu verdanken.

Daran ist richtig, daß Deutschland heute weiter wirtschaftlich im Niedergang wäre und auf eine gesellschaftliche Desintegration zusteuerte, wenn die rotgrüne Regierung bis zu ihrem etatmäßigen Ende im Herbst 2006 die Politik fortgesetzt hätte, die sie seit 1998 verfolgt hatte. Eine Politik, die Deutschland, als Schröder im März 2003 das Ruder herumwarf, von der Wirtschafts- Lokomotive der EU zu einem Wachstumsblockierer gemacht hatte, der von dem unter Dampf stehenden EU-Zug mitgeschleift wurde wie die Ziege von der Schwäb'schen Eisenbahne.

Als es nicht mehr anders ging, verkündete Gerhard Schröder vor fast fünf Jahren, am 14. März 2003, ein Programm, das sich las, als sei es von der CDU verfaßt:
Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem einzelnen abfordern müssen (...)

Der Eingangssteuersatz wird ... gegenüber 1998 von 25,9 auf 15 Prozent und der Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent sinken. (...)

Niemandem ... wird künftig gestattet sein, sich zulasten der Gemeinschaft zurückzulehnen. (...)

Mittelständische Unternehmen klagen über hohe Lohnnebenkosten und über bürokratische Vorschriften. Deshalb werden wir kleine Betriebekünftig deutlich besser stellen.
Und so fort. Was man seit der Regierungsübernahme 1998 als "neoliberal" verteufelt, was man als "unanständig" zurückgewiesen hatte, das wurde mit einem Schlag zum Regierungsprogramm.



Das meiste war richtig und vernünftig, was Schröder mit dieser Regierungserklärung in die Wege leitete. Aber wie war diese Wende in der Politik der SPD um 180 Grad zustandekommen? Hatte man sie in den Parteigliederungen zuvor diskutiert, hatte ein Parteitag sie beschlossen? Hatte man den Wählern ihre Notwendigkeit zu vermitteln versucht?

In keiner Weise. Nur ein halbes Jahr zuvor, im Sommer und Herbst 2002, hatte Gerhard Schröder noch einen Wahlkampf geführt, in dem mit keinem Wort von einer derartigen Neuorientierung seiner Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik die Rede gewesen war.

Seiner Partei und dem Koalitionspartner rang er die Zustimmung zu den selbstherrlich beschlossenen Reformen auf Sonderparteitagen im Juni 2003 ab; der breiteren Bevölkerung wurde im November jenes Jahres eine Broschüre (pdf) angeboten, die in der Art eines Katechismus dieses Programm erkärte.

So, als sei man schon im Sozialismus, wurde das Volk im Nachhinein über das informiert, was seine Regierung zuvor zu seinem Besten beschlossen hatte.

Das war der Stil Gerhard Schröders; eines Mannes, zu dessen taktischen Spezialitäten es immer gehört hatte, andere vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Tony Blair hatte die Diskussion über eine Modernisierung in der Labour Party vor den Wahlen 1997 geführt und im Programm zu diesen Wahlen die Grundzüge von "New Labour" den Wählern zur Entscheidung vorgelegt. Ähnlich ist jetzt, nach der Niederlage von Ségolè Royal im letzten Jahr, bei den französischen Sozialisten eine Modernisierungs- Diskussion im Gang.

Gerhard Schröder aber zwang die Modernisierung seiner Partei auf, er zwang sie seinen Wählern auf. Die Folge war eine tiefe Vertrauenskrise, waren massenhafte Austritte aus der SPD und war die Entstehung der WASG, die dann die Westausdehnung der PDS ermöglichte.



Das Auto war vorbeigefahren und hatte kräftig Dreck auf den Wähler geschleudert. Gerhard Schröder verschwand aus der deutschen Politik. Die SPD sank unter dreißig Prozent, und die Kommunisten stiegen im Bundesdurchschnitt über zehn Prozent.

Hat man aus dieser Entwicklung gelernt? Hat die Führung der SPD erkannt, daß es schlechte Politik ist, nach dem Rezept des Theoretikers des Lügens "die nächsten Züge nicht anzukündigen, sie gar zur Abstimmung zu stellen"; daß es entgegen den Ratschlägen dieses Machiavellisten nicht erfolgreich ist, "Fallgruben zu legen" und "hinter Hecken zu lauern"?

Hat man gelernt, daß eine solche Politik zwar einen taktischen Erfolg bringen kann, aber das Vertrauen in die betreffende Partei, in die so agierenden Politiker ruiniert?

Nichts hat man gelernt aus dem Desaster des Gerhard Schröder.

Wieder stellt sich die Frage nach einer Wende der SPD. Diesmal nicht nach vorn, als eine Öffnung zur Globalisierung, als ein Akzeptieren des Neoliberalismus, wie in den Jahren um die Jahrtausendwende. Sondern diesmal geht es darum, ob die SPD ihrer fast ein Jahrhundert alten Linie treu bleibt, nicht mit Kommunisten zu paktieren, oder ob sie diese Tradition über Bord wirft.

Nicht wahr, man sollte meinen, wenn es eine Frage gibt, die eine breite, offene Diskussion in dieser Partei verdient, ja erfordert, dann ist es die nach einer solchen fundamentalen strategischen Wende der Partei.

Und was macht der Nachfolger Schröders? Beck versucht es genau wie dieser, nur ungleich ungeschickter. Kurt Beck hat, bevor er sich mit Grippe ins Bett legte, den Versuch gemacht, hintenherum, tricksend, unehrlich diese Grundsatz- Entscheidung seiner Partei zu präjudizieren.

Frau Ypsilanti solle, so steht es im aktuellen "Spiegel" (10/08) auf Seite 28 zu lesen, sich zur geheimen Wahl stellen, "und wer weiß schon, von wem man da gewählt wird". Der dümmste aller Bauernfänger- Tricks sollte die SPD auf den Weg der Zusammenarbeit mit den Kommunisten bringen. Ich hatte es geahnt, am Tag nach der Wahl. Flankiert wurde diese dummdreiste Trickserei durch verbale Eiertänze, die Beck und Leute wie Andrea Nahles vermutlich für diplomatische Formulierungen halten.

Freilich war die Entscheidung, mit den Kommunisten zusammenzugehen, nicht auf Kurt Becks Mist gewachsen. Andrea Ypsilanti hatte sie getroffen und sie - auch das ist im aktuellen "Spiegel" zu lesen, auf Seite 27 - bereits am 11. Februar mit Kurt Beck besprochen.



Das Auto ist zurückgefahren und hat den Wähler noch einmal mit Modder bespritzt, diesmal von der anderen Seite.

Schröder hatte putschartig einen Rechtsruck der SPD durchgesetzt. Beck wollte die Partei ebenso putschartig auf Volksfront- Kurs bringen; jedenfalls hat er diesen Plan der trickreichen Andrea Ypsilanti offenbar gebilligt.

Damals, 2003 war der Sturm der Entrüstung bei den Linken in der SPD groß; um die 100.000 Mitglieder verließen damals die Partei. Jetzt könnte der SPD der rechte Flügel abhanden kommen; könnten diejenigen sich verabschieden, die, wie die mutige Dagmar Metzger, die Trickserei nicht mitmachen wollen.

Steinbrück und Steinmeier sind vorläufig in die Parteidisziplin genommen worden. Aber wie sie und wie Frau Metzger dürften viele denken, die nicht nur kein Volksfront- Bündnis wollen, sondern die auch angeekelt sind von dieser Trickserei und Täuscherei.

Wie schrieb der Theoretiker der politischen Lüge? "Man muß nur aufpassen, daß dies alles zugleich als 'glaubwürdig' erscheint".

Glaubwürdig war das nicht, was Beck und Ypsilanti da zu tricksen versucht haben. Nur "glaubwürdig", in Anführungszeichen.

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27. Februar 2008

Zitat des Tages: Kurt Beck - der deutsche Barack Obama?

Der deutsche Barack Obama heißt in gewisser Weise Kurt Beck. (...) Denn wenn nichts Unvorhergesehenes mehr passiert, ist Beck der Kandidat, mit dem die deutsche Sozialdemokratie in die Feldschlacht zieht. Ohne TV-Duell. Ohne Bürgergespräch. Ohne Gegenkandidat. Ohne wirkliche Wahl. (...) Kurt Beck nominiert Kurt Beck, das ist die deutsche Wirklichkeit.

Gabor Steingart, Leiter des Washingtoner Büros des gedruckten "Spiegel", in einem lesenswerten Artikel. Man spürt aus Steingarts Text etwas heraus, was man bei deutschen Amerika- Korrespondenten oft findet: Sie reisen USA-kritsch dorthin und sind früher oder später von den USA fasziniert; auch und gerade von ihrem in Deutschland vielgescholtenen politischen System.

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24. Februar 2008

Zitat des Tages: Was Kurt Beck großartig findet

Ich finde, das ist ein großartiges Ergebnis.

Kurt Beck heute Abend über das Abschneiden der SPD in den Hamburger Bürgerschaftswahlen; laut gegenwärtiger ARD- Hochrechnung 34,2 Prozent, laut ZDF- Hochrechnung 33,8 Prozent.

Hier findet man die Wahlergebnisse der SPD bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen seit 1946:

1946: 43,1; 1949: 42,3; 1953: 45,2; 1957: 53,9; 1961: 57,4; 1966: 59,0; 1970: 55,3; 1974: 45,0; 1978: 51,5; 1982 (Juni): 42,1; 1982 (Dez): 51,3; 1986: 41,7; 1987: 45,0; 1991: 48,0; 1993: 40,4; 1997: 36,2; 2001: 36,5; 2004: 30,5; 2008: ca 34,0.

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27. Oktober 2007

Zettels Meckerecke: Die Partei des Demokratischen Sozialismus findet wieder zu sich selbst

Die SPD, die laut Entwurf des "Hamburger Programms" in der "stolze[n] Tradition des demokratischen Sozialismus" steht, hat heute zu sich selbst zurückgefunden.

Sie hatte sich unter der Knute des "Basta"- Kanzlers geduckt und zähneknirschend Reformen "mitgetragen", die sie innerlich zutiefst ablehnte. Anschließend mußte sie sich der Koalitionsdisziplin beugen und erneut ihr Wesen verleugnen. Sie lag am Boden wie ein gut erzogener Hund, der "abgelegt" ist und der auf das kleinste Zeichen seines Herrchens oder Frauchens wartet, daß er aufspringen und losjagen darf.

Dieses Zeichen hat Kurt Beck mit seinem Vorstoß gegen eine Bestimmung der Agenda 2010 gegeben. Die SPD sprang nicht nur auf und jagte los, sondern sie tanzt seither wie toll herum, endlich aus der unnatürlichen Position befreit, in die sie erst Schröder und dann der Koalitionsvertrag gezwungen hatte.

Das ist jetzt vorbei. Becks Vorstoß war - um die Metapher zu wechseln - wie ein Leck in einem Staudamm, das sich schnell weitet und diesen schließlich zum Einsturz bringt. Wie Christoph Keese in Welt-Online schreibt:
Die Verlängerung des Arbeitslosengelds I ist keine "Weiterentwicklung" der Agenda 2010, sondern ein Schlag mit dem Vorhammer dagegen. Die Agenda wird zertrümmert. Ist der erste Schlag einmal getan, werden weitere folgen. Rente mit 67, Verlängerung der Probezeiten, Umlegen von Lohnnebenkosten auf die Arbeitnehmer – lang ist die Liste der "Zumutungen", die Beck den Leuten ersparen will. (...) Der Parteitag debattierte über die Agenda- Zertrümmerung nicht einmal mehr, er stimmte ihr ohne Aussprache mit tosendem Beifall zu.



Wer Parteitage der SPD in den siebziger bis neunziger Jahren erlebt hat, der hatte heute ein Déja-Vu- Erlebnis. Damals gab es ein sicheres Mittel für jeden Redner, den Beifall der Delegierten einzuheimsen: Er brauchte nur an die traditionellen Werte der Sozialdemokratie zu appellieren; er brauchte nur von sozialer Ungerechtigkeit, von Solidarität, von der Notwendigkeit staatlicher Fürsorge zu sprechen, er mußte nur vor den Gefahren eines "ungezügelten Kapitalismus" warnen, um den Beifall auf seiner Seite zu haben. Oskar Lafontaine hat das auf dem Mannheimer Parteitag 1995 so meisterhaft zelebriert, daß anschließend der unglückliche Rudolf Scharping stracks gestürzt und Oskar auf den Schild gehoben wurde.

So war es auch heute in Hamburg. Jede etatistische Äußerung wurde bejubelt; ob jemand sich gegen jede Privatisierung der Bahn aussprach, ob es um die kommununalen Versorgungsbetriebe ging oder um den gesetzlichen Mindestlohn. Man beschloß nicht nur - selbstverständlich - die von Beck gewünschte Änderung beim Arbeitslosengelt I; das verstand sich. Sondern es wurde auch gleich die Einführung von Tempo 130 beschlossen, das Kindergeld bis zum 27. Lebensjahr. Es wurde - Friede den Hütten, Krieg den Palästen! - beschlossen, Steuervergünstigungen für Dienstwagen abzuschaffen. Der Einrichtung eines US- Raketenschilds in Europa wurde eine "Absage erteilt".

Mit diesem Parteitag hat die SPD sich innerlich von der Großen Koalition verabschiedet und Kurs auf die Volksfront genommen. Die Mehrheit dieser von der SPD-Basis gewählten Delegierten wird kein Problem damit haben, zusammen mit den Kommunisten zu regieren. Daß diese SPD, wie sie sich heute im Hamburger CCH darstellte, sich andererseits zu einer Koalition mit der FDP durchringen könnte, ist schwer vorstellbar.



Ein Linksruck der SPD? Nein. Frank Steinmeier und selbst Peer Steinbrück, die beiden "Stones", bekamen jeder mehr Delegierten- Stimmen als die Linke Andrea Nahles. Die Weiterbeteiligung der Bundeswehr an der "Operation Enduring Freedom" in Afghanistan wurde mit großer Mehrheit beschlossen, wenn auch mit der Ermahnung, doch bitte keine Zivilisten zu behelligen. Franz Müntefering, nicht gerade ein Linker, wurde geradezu frenetisch gefeiert.

Sie ist nicht nach links gerückt. Sie hat sich nur wieder zur Kenntlichkeit verändert, die Partei des Demokratischen Sozialismus.

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24. Oktober 2007

Zettels Meckerecke: Das doppelte Kurtchen

Kurt Beck ist ungefähr so sehr ein Linker in der SPD, wie Dieter Bohlen ein sexfeindlicher Asket ist.

Während seine Altersgenossen in den Siebziger Jahren als Jusos den Sozialismus einführen wollten, machte Beck als Personalrat praktische Politik. Sein Idol war nicht Karl Marx, sondern der "gute Mensch von Kirn", Wilhelm Dröscher. Seine Wahlerfolge in Rheinland-Pfalz errang er später nicht mit linken Parolen, sondern dank einer soliden Mittelstandspolitik zusammen mit der FDP.

Das ist Kurt Beck, wie wir ihn bisher kannten. Kurtchen I, sozusagen. Denn wie Ziethen aus dem Busch ist in den letzten Wochen ein neuer Beck in die Schlagzeilen gestürmt: Kurtchen II, der SPD-Linke. "Offensiv vertritt die Parteispitze vor dem Bundesparteitag den neuen Linkskurs von Kurt Beck" lesen wir gegenwärtig in Spiegel-Online.

Den Linkskurs von Kurt Beck. Was ist in den Mann gefahren? Hat da einer sein Damaskus erlebt? Oder steckte in Kurt I, dem SPD-Rechten, wie er im Pateibuch steht, schon immer ein verkappter Linker? So wie in Oskar Lafontaine, dessen Kontakte zu den Roten in seiner Zeit als OB sich ja auf diejenigen beschränkt hatten, die in dem betreffenden Lichtmilieu ihr Zuhause haben, und der nun Kommunisten wie Marie- George Buffet und Fidel Castro an sein politisches Herz drückt, so als sei er nie etwas anderes gewesen als ein Kommunist?

Ach nein, da wurde kein Saulus zum Paulus, und da outete sich auch kein bisher versteckter Linker. Da hat nur einer die politische Realität zur Kenntnis genommen.



Kurt, I wie II, möchte gern Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden. Er hat wohl inzwischen gemerkt, daß dorthin nur ein einziger Weg führt: Der über eine Volksfront- Koalition mit den Grünen und den Kommunisten.

Will Beck nicht mit den Kommunisten regieren, dann wird man eben Wowereit dafür nehmen, der ja schon so laut mit den Hufen scharrt, daß der ganze Stall wackelt.

Beck muß, wenn er 2009 Kanzler werden will, drei Ziele erreichen: Erstens die Partei davon überzeugen, daß er der richtige Kandidat für die Volksfront ist. Zweitens die Wähler der SPD mobilisieren, damit die Volksfront die Schwarzgelben überflügelt. Drittens innerhalb der Volksfront die SPD möglichst stark und die Kommunisten möglichst schwach machen.

Die Verwandlung von Kurtchen I in Kurtchen II dient offensichtlich allen drei Zielen. Die wieder entdeckte Klassenkampf- Rhetorik mobilisiert SPD- Wähler. Sie kann den Kommunisten Wähler abspenstig machen (laut dem verlinkten Artikel in SPON hat Lafontaine diese Gefahr sofort erkannt). Und wenn das alles halbwegs funktioniert, dann können Steinmeier und Wowereit ihre Kanzler- Ambitionen vorläufig vergessen.



Nur der jetzigen Koalition tut die Verwandlung von Kurt I in Kurt II logischerweise nicht gut. Franz Müntefering, der in seiner Partei ziemlich abgemeldet, in dieser Regierung aber immerhin Vizekanzler ist, sorgt sich erkennbar mehr um die Stabilität dieser Regierung als darum, wer nach 2009 regieren wird. Also steht er loyal zum Koalitionsvertrag.

Kurt Beck hingegen hat gar keine Wahl, als die Politik zu machen, für die er sich jetzt entschieden hat.

Die SPD hat immer die Neigung gehabt, ihre Kanzlerkandidaten nach Tagesform auszusuchen - Willy Brand, weil er als Berliner OB populär war; Björn Engholm, weil er durch die Barschel- Affäre große Sympathien genoß; Johannes Rau, weil er damals gerade triumphal Wahlen gewonnen hatte; Schröder nach seinem Wahlsieg in Niedersachsen. Beck selbst wurde SPD- Vorsitzender, weil er in einer Zeit, in der es der SPD schlecht ging, in Rheinland- Pfalz einen glänzenden Wahlsieg eingefahren hatte.

Die SPD wird also denjenigen zum Kanzlerkandidaten wählen, von dem sie denkt, daß er die meisten Stimmen bringt. Das kann Kurtchen I nicht. Kurtchen II könnte es; jedenfalls dürfte man das in der SPD denken.

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3. Juli 2007

Marginalie: Foto des Tages

Kurt Beck sucht sich als Außenpolitiker zu profilieren.

Und "Welt-Online" hat dazu ein Foto gefunden, das die Bedeutung dieses Bemühens so schön illustriert, wie man das nur illustrieren kann.

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11. April 2007

Marginalie: Kurt Beck und der Blitz der Erleuchtung

Kaum war im Frühsommer letzten Jahres die Idee eines Gesundheitsfonds aufgetaucht, da hatten auch schon 87 Prozent der Deutschen eine Meinung dazu. 69 Prozent waren überzeugt, daß ein solcher Fonds ungerecht sei; 18 Prozent beurteilten ihn als gerecht.

Noch nicht einmal Experten wußten im Juni 2006, wie sich die Einrichtung eines solchen Fonds auswirken würde. Aber fast neun von zehn Deutschen wußten das nicht nur, sondern hatten auch schon eine Meinung dazu.

Offenbar war ihnen ein Erleuchtung zuteil geworden, den Befragten. Jenen rund tausend Menschen, die repräsentativ waren für uns, die Deutschen. Jenen Wissenden.



Wissenden? Hm, hm. Heute wird von einer Umfrage berichtet, wonach 65 Prozent der Befragten nicht wußten, daß Kurt Beck Vorsitzender der SPD ist.

Nun gut. Anderes hat er auch nicht verdient, könnte man sagen.

Aber von denen, denen nicht bekannt ist, daß Beck SPD-Chef ist, haben doch viele eine Meinung über die Qualität seiner Arbeit als SPD-Chef. 39 Prozent der Befragten nämlich bewerten seine Arbeit als "gut". 33 Prozent finden sie "weniger gut" oder "schlecht". 28 Prozent äußerten keine Meinung zu Kurt Beck.

Wir rechnen: 39 Prozent plus 33 Prozent, das sind 72 Prozent. 35 Prozent der Befragten wußen, daß Beck SPD-Chef ist.

Unterstellen wir einmal, daß alle, die wußten, daß Beck SPD-Chef ist, sich auch zutrauten, seine Arbeit zu beurteilen. Wir ziehen also diese 35 Prozent von den 72 Prozent ab, die seine Arbeit zu beurteilen wußten.

Dann bleiben 72 minus 35, also 37 Prozent der Befragten, die sinngemäß dies zu Protokoll gaben: Daß Kurt Beck SPD-Chef ist, ist mir unbekannt. Aber ich kann beurteilen, wie gut er seine Arbeit als SPD-Chef macht.



Ein wenig seltsam, nicht wahr? Dabei ist die Auflösung doch ganz einfach: Der Geist weht, wo er will. Mal zuckt der Blitz der Erleuchtung, mal bleibt der Horizont des Wissens schwarz.

Und am ehesten zuckt er, der Blitz, wenn gar nicht nach Wissen gefragt wird, sondern nach einer Meinung.

Was "Genfood" ist, dürften die wenigsten Deutschen wissen. Aber daß sie es schlecht finden, dessen sind sich - vermute ich - viele davon sicher.

21. März 2007

Zettels Meckerecke: Beck-Messereien

Kurt Beck strahlt nicht unbedingt geistige Beweglichkeit aus. Aber da kann man ja irren. Zumal bei einem Pfälzer. Kohl hat viele seiner Erfolge dadurch errungen, daß seine Gegner ihn unterschätzt haben, den gemütlichen, Saumägen verzehrenden Pfälzer.

Kohl war in gewisser Weise ein Wolf im Schafspelz. Hinter dem schlichten Provinzler verbarg sich ein großer Staatsmann, ein gewiefter Taktiker obendrein.

Nur gibt es ja auch das Schaf im Schafspelz. Ich glaube immer mehr, daß Kurt Beck so einer ist.

Er ist so, wie er aussieht. Er denkt so, wie er spricht.



Vor knapp zwei Wochen hat er gesagt, bei der Energieerzeugung schade Braunkohle dem Klima weniger als die Atomkraft.

Nanu? Was hatte er denn da für Zahlen?

Gar keine. Er hat sich das offenbar einfach so einfallen lassen. "'Die Darstellung von Herrn Beck entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage', sagt Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, dem Tagesspiegel".

Und nun hat er also vor einem "neuen Rüstungswettlauf" gewarnt, der Kurt Beck. Weil die USA in Polen und Tschechien ein Abwehrsystem gegen die Raketen des Iran installieren wollen.

Die Darstellung, so könnte man in Abwandlung der Formulierung von Claudia Kemfert kommentieren, entbehrt jeder militärstrategischen Grundlage. Eine Linksammlung zu einigen Kommentaren hat Boche in B.L.O.G. zusammenstestellt.

Inzwischen hat auch der außenpolitische Experte der SPD, Hans-Ulrich Klose, Beck deutlich widersprochen:
... er halte den Widerstand von SPD-Chef Kurt Beck dagegen für sachlich unbegründet. Es gebe vielmehr gute Gründe für das Projekt.
Noch deutlicher wurde gestern Klaus Naumann, ehemaliger Vorsitzender des Militärausschusses der Nato:
Und was mich noch mehr erstaunt, ist im Grunde genommen die nahezu unglaubliche Unkenntnis, mit der deutsche Politiker nun vor einem Rüstungswettlauf warnen. Das ist schlicht Unsinn, was da gesagt wird.


"Entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage". "Nahezu unglaubliche Unkenntnis": Ob der nette, sympathische, gemütliche Kurt Beck nicht doch als Ministerpräsident des schönen Weinlands Rheinland-Pfalz den Gipfel seiner Kompetenz erklommen hatte?

19. März 2007

"Der SPD-Vorsitzende Beck bekräftigte seine kategorische Ablehnung des US-Systems" ...

... so leitet die Netzeitung den Absatz einer Meldung ein, die sich mit dem befaßt, was Kurt Beck geäußert hat.

Wie wahr! Wie unfreiwillig wahr freilich; denn natürlich ist mit "System" derjenige Teil des US- Raketenabwehrsystems gemeint, der in Polen und Tschechien errichtet werden soll.



Zu diesem also hat sich Kurt Beck geäußert. Weil ich wissen wollte, was er nun wirklich gemeint hat, habe ich mir die Meldung auf der WebSite der SPD angesehen. Dort heißt es:
Keine neuen Raketen in Europa

Vor einem neuen Rüstungswettlauf hat der SPD-Vorsitzende Kurt Beck gewarnt. "Wir brauchen keine neuen Raketen in Europa", betonte er mit Blick auf das geplante US-Raketenprogramm.

Im Interview mit der Bild-Zeitung (Montagsausgabe) sprach sich der SPD-Vorsitzende gegen die Stationierung neuer Raketen in Europa aus, die nach dem Willen der Vereinigten Staaten Teil ihres Raketenprogramms sein sollen. "Die SPD will keinen neuen Rüstungswettlauf zwischen den USA und Russland auf europäischem Boden", unterstrich Beck und mahnte eine gemeinsame und geschlossene Positionierung Europas hierzu an.


Rüstungswettlauf? Die Fakten zu den 10 - in Worten: zehn - Raketen, die die USA in Osteuropa zum Schutz gegen iranische und nordkoreanische Rakten aufzustellen beabsichtigen, habe ich vor ein paar Wochen hier zusammengestellt:

Als Abwehrwaffe gegen die Hunderte von russischen Mittelstreckenraketen wären sie ein Witz. Sie können gegen diese auch gar nicht eingesetzt werden, weil die Vorwarnzeit zu kurz wäre. Sie sind also eindeutig nicht gegen Rußland gerichtet. Sie bedrohen Rußland nicht, selbst wenn sie in der Weise technisch modifizierbar sind, wie das Torsten Krauel in der Welt beschreibt.

Diese geplanten Abwehrraketen bieten also für Rußland nicht den geringsten Anlaß, ein "Wettrüsten" zu starten. Das weiß vielleicht nicht Kurt Beck, aber die Wehrexperten der SPD wissen es natürlich.

Diese Raketen stören Rußland - so habe ich es in dem verlinkten Beitrag zu zeigen versucht - aus einem ganz anderen Grund:

Wenn in Polen und in Tschechien ein amerikanisches System zur Abwehr von Raketen installiert ist, dann sind diese beiden Länder nicht mehr durch Rußland militärisch erpreßbar. Sie sind gewissermaßen sakrosankt; denn jeder Angriff auf sie wäre ein Angriff auf die USA.

So sieht es auch die polnische Regierung. Torsten Krauel schreibt:
Obwohl die amerikanische Technik womöglich tatsächlich nur einen kleinen Teil der russischen Raketen mit erfassen kann, gibt es auch eine politische Wirkung des neuen Projekts, die Russland missfällt. Der polnische Premierminister, Jaroslaw Kaczynski, hatte sie am 20. Februar angesprochen. „Wir reden hier über den Status Polens und über russische Hoffnungen, Polen möge wieder unter die russische Einflusssphäre kommen“, sagte Premier Kaczynski. "Aber nach der Stationierung einer Abwehrbasis wären die Chancen, einen solchen ungebührlichen Einfluss zu nehmen, auf Jahrzehnte verbaut."


So ist es. Rußland wird durch dieses "System" schon tangiert; nämlich in seinen Ambitionen, das sowjetische Kolonialreich in Osteuropa wiederherzustellen.

Nicht wahr, das sollte eine freiheitliche Partei wie die SPD eigentlich begrüßen?

Aber freilich, da ist Becks "kategorische Ablehnung des US-Systems." There's the rub.

Die SPD steht unter dem doppelten Druck, sich gegen das Abwandern von Wählern zur PDS zu wehren und sich in der Koalition zu profilieren.

Und da ist das Friedensthema immer ein gefundenes Fressen. Viele Wähler werden sich nicht mit den militärstrategischen Details befassen. Sie sehen nur, daß die USA wieder neue Raketen in Europa stationieren wollen.

Da sind sie gegen, weil sie ja für den Frieden sind und gegen Wettrüsten, die Deutschen. Und weil sie gegen den amerikanischen Imperialismus sind, die Deutschen.

Nein, natürlich nicht "die Deutschen". Aber erschreckend viele.

Also kann man bei ihnen punkten, wenn man den Mund gegen Raketen aufreißt, wenn man den Mund gegen die USA aufreißt.

Mit einer "kategorischen Ablehnung des US-Systems", mit der bekanntlich Gerhard Schröder die Bundestagswahlen 2002 gewonnen hat.

Antiamerikanismus, das ist ja inzwischen in Deutschland sozusagen das, was der Antikommunismus zur Zeit Adenauers gewesen war.