25. Februar 2007

Schurkenstaaten, amerikanische Raketen, russische Interessen

Was veranlaßt Putin und Iwanow, so massiv gegen das von den USA geplante Raketenabwehrsystem NMD (National Missile Defense) anzugehen, daß nun schon der deutsche Außenminister Wirkung zeigt und pflichtschuldig die USA kritisiert? Ist diese Raketenabwehr gegen Rußland gerichtet? Offensichtlich nicht.

Erstens, weil - so ist es heute in Welt-Online zu lesen - der Radar in Richtung Iran und Nordkorea ausgerichtet sein wird. Nun gut, das könnte man vermutlich gegebenenfalls leicht ändern.

Zweitens aber, weil gegen von russischem Boden auf Polen oder Tschechien abgefeuerte Mittelstreckenraketen die Vorwarnzeit zu kurz wäre. Und drittens, weil nur 10 Abfangraketen in Stellung gebracht werden sollen. Genug, um einer Bedrohung aus den Schurkenstaaten Iran und Nordkorea zu begegnen. Eine nachgerade lächerliche Abwehr gegen die hunderte von Mittelstreckenraketen, die Rußland im Arsenal hat.



Warum also die harsche Reaktion aus Moskau? Welche russischen Interessen sehen Putin und Iwanow gefährdet? Vor zwei Wochen habe ich auf einen Artikel des damaligen russischen Verteidigungs- Ministers Sergej Iwanow hingewiesen, der inzwischen zum stellvertretenden Premierminister aufgestiegen ist. In diesem Beitrag für die SZ brachte Iwanow das Thema der Raketenstationierung mit zwei anderen Themen in Verbindung - dem möglichen Beitritt der Ukraine und Georgiens zur Nato und der Behandlung des russischen Bevölkerungsanteils in den baltischen Staaten.

Was hat das mit einer angeblichen militärischen Bedrohung Rußlands durch die geplanten Abfangraketen zu tun? Natürlich nichts, solange man nur die Militärstrategie sieht.

Sehr viel aber, wenn man sich klarmacht, wozu die Stationierung von Waffensystemen auch dient. Ich habe darauf schon kurz in der Diskussion zu dem verlinkten Beitrag hingewiesen: Es gibt eine offensichtliche Parallele zum Nato- Doppelbeschluß und zur Stationierung amerikanischer Pershing in der Bundesrepublik Anfang der achtziger Jahre.

Helmut Schmidt hatte diesen Nato- Doppelbeschluß herbeigeführt (und mußte dann erleben, wie seine eigene Partei ihm in den Rücken fiel): Die Nato, so besagte der Beschluß, würde die Pershing in der Bundesrepublik installieren, es sei denn, die Sowjets verzichteten auf die Stationierung ihrer SS-20, die gegen die Bundesrepublik gerichtet waren.

Die Pershing waren natürlich keine Abfangraketen, sondern Boden- Boden- Raketen wie auch die SS-20. Dennoch waren sie in den Augen Helmut Schmidts, der immer sehr strategisch dachte, ein Mittel der Abwehr.

Denn wenn US-Atomraketen in der Bundesrepublik stationiert wären, dann würde jeder Angriff auf die Bundesrepublik automatisch ein Angriff auf die USA sein. Das war ein Thema der deutschen Außen- und Militärpolitik seit Adenauer gewesen: Die USA so in Deutschland zu binden, daß die Sowjets keinen Angriff auf Deutschland wagen konnten, weil er den großen Atomkrieg ausgelöst hätte.



Sehr ähnlich scheint mir auch heute die Situation der Länder Osteueropas zu sein, die sich aus der russischen Herrschaft befreien konnten. Sie wissen, daß Rußland - daß jedenfalls Putin, daß Sergej Iwanow, daß Experten wie Valentin Falin - dem verlorenen (aus ihrer Sicht von Gorbatschow leichtfertig verschleuderten) Sowjetreich nachtrauen, und daß sie den jetzigen Zustand nicht als unveränderlich ansehen.

Der einzige sicherere Schutz dieser Länder vor russischen Pressionen, vor russischen atomaren Erpressungen, besteht darin, daß ein Angriff auf sie ein Angriff auf die USA wäre und somit eine Vergeltung ("retaliation" - dieser Begriff aus dem Kalten Krieg wird wieder aktuell) auslösen würde.

Also wollen sie das Raketenabwehrsystem, die Tschechen, die Polen. Ihre Interessen treffen sich mit denen der USA, obwohl es den USA militärstrategisch um etwas ganz anderes geht.

Nämlich um den Schutz vor iranischen, vor nordkoreanischen Atomraketen. Und vor pakistanischen, von denen gerade wieder einmal eine getestet wurde.



Denn daß es dem US-Verbündeten Musharaf so gehen könnte wie einst dem US-Verbündeten Reza Pahlewi im Iran, das ist ja nicht ausgeschlossen. Ein von Taliban regiertes Pakistan, mit der Verfügungsgewalt über dessen atomares Arsenal - das ist ein Bedrohungsszenario, das im Hintergrund der gesamten militärstrategischen Planung der USA, der Nato stehen dürfte, auch wenn man das natürlich nicht an die Große Glocke hängt.

Toujours y penser, jamais en parler - immer daran denken, nie davon sprechen, sagte man in Frankreich nach der Niederlage von 1870/71.



Titelvignette: Agência Brasil. Frei unter Creative Commons Attribution 2.5 Brazil