15. Februar 2007

Ein Diktator für den Irak? Nebst Anmerkungen zu politischen Grundfragen

Vor ein paar Tagen gab es in der BBC eine jener Diskussionssendungen, wie man sie in dieser Mischung aus Schärfe und Fairness wohl nur in dem Land findet, in dem Discussion Clubs zu jeder Uni gehören. Und je besser die Uni, umso unbarmherziger wird argumentiert. Meist auch umso fairer, wenngleich auch schon einmal ein Schürhaken die Diskussion bereichern kann, wenn allzu viele Genies beteiligt sind. Und wenn es schon etwas mehr ist als ein Discussion Club.

In der betreffenden Sendung wurde die These diskutiert, daß der Irak einen Dikator brauche. Spannend war die Diskussion eigentlich nicht, denn die Argumente, die pros and cons, lagen auf der Hand:

Pro: Gegen brutale, mit allen Mitteln kämpfende Terrroristen kann man nicht allein mit den Mitteln eines demokratischen Rechtsstaats gewinnen. Counterinsurgency ist immer, wenn sie erfolgreich sein soll, ein schmutziges Geschäft. Im Irak kann diese Härte, diesen erbarmungslosen Kampf gegen die Erbarmungslosen, nur ein Diktator hinbekommen.

Pro: Der Irak hat, wie die ganze arabische Welt, keine demokratische Tradition. Die meisten dort wollen im Grunde den Kalifen, den Sultan, den Scheich - jedenfalls denjenigen, der sagt, wo es langgeht.

Con: Wozu den Irak von Saddam befreien, wenn man ihn nun einem anderen Diktator ausliefert?

Das war's im Grunde, das Argument contra Diktator.

Ein nun allerdings sehr starkes Argument.



Spricht nicht doch oft vieles für den Starken Mann? Für das autoritäre System? Diese Frage, diese oft in Frageform gekleidete Behauptung, finde ich in letzter Zeit immer häufiger.

Und wieder mal ist wie so oft: Linke und Rechtsextreme sind einer Meinung. So argumentieren sie, so reden sie dahin, so reden sie daher:
  • Castro? Ja gewiß, in Cuba werden die Menschenrechte nicht unbedingt beachtet. Aber wenn man es im Vergleich mit anderen Staaten Lateinamerikas sieht ... wenig Analphabeten ... so viele Mediziner, daß die sogar exportiert werden können ... Das ist doch alles positiv. (Anmerkung: Nur Autobahnen hat er bisher nicht gebaut, der Máximo Leader, heute meist bescheiden El Comandante genannt. Was freilich beides "der Führer" heißt). Nun ja. Führer ist ja nichts Schlechtes, oder? Sogar eine Fußballmannschaft braucht einen Spielführer, nicht wahr?

  • Rußland? Zugegeben, "lupenreiner Demokrat" war vielleicht ein wenig übertrieben. Aber vor Putins Präsidentschaft herrschte doch, nicht wahr, in Rußland ein ziemliches Chaos. Da regierten doch diese Juden, die Plutokraten. Nein, "Plutokraten" hießen sie ja bei den Nazis. Also: diese jüdischen Oligarchen, das ist das Wort. Mit ihren undurchsichtigen Verbindungen zu Israel, zur "Ostküste" der USA, Sie wissen schon. Und Putin, das ist, nicht wahr, ein Patriot, ein wirklicher Russe. Der wehrt sich gegen die Herrschaft dieses internationalen Kapitals.

  • China? Ja, da werden die Menschenrechte freilich auch nicht beachtet. Aber wer würde denn wünschen, daß dieses Riesenreich im Chaos versinkt?

  • Venezuela? Ja, sicher, Chávez bereitet ein Ermächtigungsgesetz vor. Aber wie sonst soll er sich denn gegen die übermächtigen USA behaupten? Und war das denn bisher in Venezuela eine Demokratie? Nur weil es freie Wahlen gab? Ja, herrschten denn da nicht die Reichen, die Kollaborateure der USA?


  • Und so fort. Bei keinem dieser Argumente kann man auf Anhieb erkennen, ob es ein linkes oder ein rechtsextremes ist.




    Für eine Diktatur, für die systematische Mißachtung der Menschenrechte, gibt es aber keine Argumente. Genauer: Es gibt sie nicht, solange und insofern man den demokratischen Rechtsstaat bejaht. Das, was ich aufgezählt habe, und alles, was sonst an Argumenten dieser Art vorgetragen wird - das sind ja allenfalls Argumente gegen das Recht, gegen die Freiheit, gegen die Demokratie.

    Und da geht es nun freilich um, sagen wir, Axiome. Mit jemandem, der gegen Recht, Freiheit, Demokratie ist, mag ich nicht diskutieren. Das wäre ungefähr genauso sinnvoll, wie wenn sich die Gazelle mit dem Löwen auf eine Diskussion darüber einlassen würde, ob man vegetarisch leben sollte. Vielleicht hätte sie ja die besseren Argumente. Aber wahrscheinlich nicht das bessere Ende für sich.




    Daß Rechtsextreme solche Auffassungen vertreten, das darf man füglich von ihnen erwarten. Warum aber auch Linke? Mir scheint das diverse, sagen wir, hochempfindliche Punkte der Linken zu berühren:
  • Das ambivalente Verhältnis zur Freiheit. Linke sind immer mit Verve für die Freiheit eingetreten, wenn sie von rechten Diktatoren bedroht war. Kaum je sind Linke mit derselben Deutlichkeit aufgetreten, wenn die Freiheit von Links bedroht wurde. Castro ist sozusagen das vorletzte, Chávez im Augenblick das aktuellste Beispiel für diese Ambivalenz. Stalin, Mao, Pol Pot sind frühere und noch schlimmere Beispiele. Die Linke tritt in ihrer großen Mehrheit im Grunde nicht für die Freiheit ein, sondern nur für die Freiheit, linke Politik zu machen. Übrigens tat das auch Rosa Luxemburg, die Vielzitierte, vielfach Falschzitierte.

  • The white man's burden. In Diskussionen mit linken Freunden und Bekannten höre ich immer wieder diese Überlegung: Wo nehmen wir Weißen, wir Europäer, eigentlich das Recht her, anderen unser Verständnis von Demokratie aufzuzwingen, mindestens aufzudrängen? Sie haben eben andere Traditionen, andere Werte. Wie dürfen uns doch nicht als Lehrmeister der Welt aufspielen.

  • Und dann das, sagen wir, linke Super- Extra- Total- Argument: Hä, was ist denn das für eine Freiheit, die bei uns herrscht? Die Freiheit von 200 Reichen, ihre Meinung zu verbreiten? Die Freiheit der Konzerne, ihre Produkte zu vermarkten? Die Freiheit von Arbeit, von sozialer Gerechtigkeit?

  • Da kann ich dann nicht mehr mitdiskutieren. Wer nicht verstanden hat, daß Menschen nicht glücklich leben können, wenn sie nicht frei sind, der mag das halt glauben. Ich glaube es nicht. Und ich glaube es dem Betreffenden, ehrlich gesagt, auch nicht, daß er es ehrlich glaubt.




    Ein Problem gibt es freilich schon. Aus meiner Sicht ist es nicht das Problem, ob Freiheit oder Unterdrückung vorzuziehen sei. Sondern das Problem ist es, wie man die Freiheit so organisiert, daß sie auch funktioniert.

    Alle diese Argumente gegen Freiheit und Recht - das sind ja im Grunde nur Argumente gegen gescheiterte Freiheit, gegen mißglückte Rechtsstaatlichkeit.

    Der Demokratische Rechtsstaat ist freilich nicht leicht hinzukriegen. Er kann sehr schnell scheitern, er ist immer gefährdet. Also muß man sehr viele Überlegungen daran wenden, wie man ihn so organisiert, daß er der menschlichen Einfalt, dem Egoismus von uns Menschen, unserem Machtstreben usw. Rechnung trägt.



    Mit anderen Worten: Eine demokratische Verfassung, die funktioniert, muß so konstruiert werden wie eine komplexe Maschine. Das ist in der Geschichte bisher ein einziges Mal gelungen: Bei der Konstruktion der amerikanischen Verfassung. Sie war angewandte politische Theorie. Sie war ein nachgerade unglaublicher Erfolg - eine Verfassung, vor mehr als 200 Jahren erdacht, die immer noch fast völlig so ist, wie sie damals war. Gegen die niemals jemand revoltieren wollte, die niemals die Zustimmung der Mehrheit des Volks verloren hat.

    Es geht also. Es ging unter den extrem schwierigen Bedingungen der amerikanischen Kolonien, die sich ihre Unabhängigkeit erkämpft hatten. Unter den Bedingungen einer bunt zusammengewürfelten Gesellschaft, die keine eigene Tradition hatte, die sich ständig durch neue Einwanderungswellen veränderte.

    Es kann ebenso unter ähnlich schwierigen Bedingungen gehen, in Asien, in Afrika, in Lateinamerika.

    Es gibt keine Entschuldigung dafür, den demokratischen Rechtsstaat abzuschreiben, egal wo. Und es gibt erst recht keine Entschuldigung dafür, Verfassungen zu beschließen, die irgendwelche Wolkenkuckucksheime zu realisieren versuchen.

    Statt auf den Erfahrungen der US-Verfassung aufzubauen.