17. Februar 2007

Über das Vergleichen von Äpfeln mit Birnen. Und etwas über zwei herausragende Deutsche

"Das kann man nicht vergleichen" ist ein Argument, das ich immer wieder höre und lese. Ich wundere mich darüber. Sie kommt mir oft geradezu abwegig vor, diese Behauptung: "Das kann man nicht vergleichen".

Was gäbe es denn schon, das man nicht vergleichen könnte?

Ein tertium comparationis existiert fast immer - also eine Dimension, ein gemeinsames Merkmal, vor dem als Hintergrund (als "Folie") man Unterschiede sichtbar machen kann. Man kann Mörder mit rechtschaffenen Menschen vergleichen, George W. Bush mit Adolf Hitler, einen Sonnenuntergang mit einem Alfa Romeo.

Oder, sagen wir, die Schrift von Aristoteles über die Seele mit den Pappeln, die vor einigen Tagen vor unserem Haus gefällt wurden.

Es ist mal leicht, mal schwer, solche Vergleiche anzustellen. Es ist manchmal vielleicht eine intellektuelle Herausforderung. Aber gehen tut's eigentlich immer. Aristoteles zum Beispiel hat seinen Begriff der Psyché, der Seele, keineswegs allein auf den Menschen bezogen, sondern auch die belebte Natur eingeschlossen. Für ihn war es durchaus so etwas wie ein Töten, wenn man einen Baum fällt.

Naja, das ist mir jetzt so eingefallen. Etwas weit hergeholt, das räume ich ein. Distante Vergleiche verlangen es halt, weit herzuholen. Aber das, was ich damit illustrieren will, liegt, scheint mir, auf der Hand:

Vergleichen ist ein sozusagen unschuldiges Unterfangen; allenfalls eines, das an die Kreativität, an laterales Denken appelliert. Die Behauptung "Das kann man nicht vergleichen" ist fast immer falsch. Man kann.

Und das läßt sich beweisen, indem man eben den betreffenden Vergleich anstellt.



Nun sagen, nun schreiben das allerdings oft intelligente und seriöse Leute, daß man Dies und Jenes nicht vergleichen könne.

Wieso vertreten sie eine so offensichtlich falsche Behauptung? Ich vermute, weil sie gar nicht "vergleichen" meinen, sondern "gleichsetzen"; und weil sie nicht vom Können reden, sondern vom Dürfen.

Sie sagen, man "könne" nicht "vergleichen". Sie meinen aber, man "dürfe" nicht "gleichsetzen".



Nun, dürfen tut man schon, in einer freien Gesellschaft, auch das Gleichsetzen darf man.

Nur kann man sich damit natürlich blamieren. Wer Äpfel für Birnen hält, der ist ein Dummkopf. Wer - um nun zum Politischen zu kommen - den Holocaust mit dem Gulag gleichsetzt, der ist ein schon fast unglaublicher Dummkopf. Denn es liegt doch auf der Hand, daß es dazwischen zahlreiche, fast könnte man sagen: zahllose gravierende Unterschiede gibt.

Aber natürlich auch Gemeinsamkeiten. Um es nochmal zu sagen: Unterschiede lassen sich überhaupt nur auf der Folie von Gemeinsamkeit bestimmen. Wo es kein tertium comparationis gibt, da gibt es auch keine comparatio. Kein Unterschied ohne Gemeinsamkeit.




Für diese - zugegebenermaßen etwas abstrakten - Überlegungen habe ich zwei konkrete Anlässe.

Erstens: Als ich kürzlich auf die Menschenrechtsverletzungen im Gefängnis von Guantánamo hingewiesen habe, allerdings in dem cubanischen Combinado de Guantánamo und nicht im amerikanischen Guantánamo Bay, da haben einige Kommentatoren das Bedenken geäußert, ich würde damit die US- Menschenrechtsverletzungen verharmlosen. Man dürfe da nicht vergleichen, so klang es.



Zweitens - und jetzt bitte ich den geneigten Leser in der Tat um die Bereitschaft, nicht nur Äpfel mit Birnen, sondern gefällte Pappeln mit den Schriften des Aristoteles zu vergleichen - : Der unmittelbare Anlaß für diesen Beitrag war ein Gedanke, der mir heute durch den Kopf ging:

Wie schön, daß es in Deutschland wieder eine intellektuelle Elite gibt; genauer: Eine, die endlich wieder anerkannt wird. Wie schön, daß die Hochbegabten, die Ausnahme- Intelligenten, diejenigen mit einem IQ jenseits der 135 oder 140, endlich wieder Bewunderung finden, statt daß die Egalitären sich über sie hermachen, sie heruntermachen, sie vielleicht fertigmachen.

So wurde dem großen Marcel Reich-Ranicki die verdiente Anerkennung zuteil, die Ehrendoktorwürde der Humboldt- Universität verliehen zu bekommen. In der FAZ hat dazu Frank Schirrmacher einen sehr schönen Kommentar geschrieben.

Marcel Reich-Ranicki wurde diese Ehrendoktorwürde verliehen - einem dieser großen jüdischen Intellektuellen, die das deutsche Geistesleben so ungeheuer bereichert haben. Zuerst, im Achtzehnten Jahrhundert, im liberalen, rechtsstaatlichen Preußen und Hamburg, wo Salomon Maimon, der Freund des ebenfalls sehr großen Karl Philipp Moritz, unbehelligt von Antisemiten wirken konnte, und Moses Mendelssohn.

Mit diesen Großen begann es. Das deutsche Geistesleben des Neunzehnten, des Zwanzigsten Jahrhunderts ist ohne den Beitrag jüdischer Professoren, Journalisten, Autoren überhaupt nicht zu denken. Wie Frank Schirrmacher sehr treffend schreibt:
Marcel Reich- Ranicki ist die letzte Erscheinungsform jener literarisch- kosmopolitischen Intelligenz, die die Weimarer Republik prägte. Er lässt uns ahnen, was hätte sein können, wenn sie geblieben wären und nicht ermordet oder in Tod und Exil getrieben worden wären: Menschen wie Walter Benjamin und Joseph Roth, Schönberg und Einstein, Wassermann und Kerr.


Und nun also die Birnen zu den Äpfeln: Der aktuelle, der unmittelbare Anlaß für diesen Beitrag ist - Günter Jauchs "Wer wird Millionär?". Ja.

Da war am Montag ein junger Mensch aufgetreten, ein gewisser Felix Rautenberg, 19. Gestern, am Freitag, noch mal.

Ein junger Mensch, wie man sie im Umfeld der Pariser Grandes Écoles vielfach antrifft, wie man sie in Oxford und Cambridge, am MIT und in Harvard, am israelischen Technion oft findet: Blitzgescheit, dabei unprätentiös. Eine Mischung aus Selbstsicherheit und einem leichten Anflug von Arroganz, wie das eben die Hochbegabung mit sich bringt.

Einer, der jede Frage rational analysierte, seine Chancen kühl abwog, der mit Harry- Potter- Miene sich klüger benahm als die meisten Älteren.

Als es gestern um 500 000 Euro ging, bei der Frage, welcher Verein der Fußball- Bundesliga die meisten Niederlagen kassiert hatte, da erkannte er sofort, welche Parameter da zu bedenken sind:

Wieviele Spielzeiten lang war der Verein in der Bundesliga? Wo stand er jeweils im Durchschnitt? Wenn er sehr schlecht war, dann wird er zwar viele Niederlagen eingesteckt haben, aber auch oft abgestiegen sein. Die meisten Niederlagen wird derjenige Verein gehabt haben, der zwar immer wieder in der Ersten Liga blieb, aber oft nur knapp.

Am Ende dieser Erwägungen erkannte Felix Rautenberg kühl, daß sich das Problem nicht durch rationale Analyse hinreichend sicher lösen ließ. Also hörte er auf, der Felix Rautenberg.



Menschen wie ihn braucht unser Land. Menschen wie Marcel Reich-Ranicki. Und vor allem brauchen wir endlich ein gesellschaftliches Klima, in dem auf die Außerordentlichen, die Herausragenden, nicht sofort Neid und Häme einprasseln.

Wir brauchen also Eliteschulen, Eliteuniversitäten. Wir brauchen endlich wieder eine gesellschaftliche Oberschicht, die sich ihrer Exzellenz, aber auch damit ihrer Verantwortung bewußt ist.

Es muß endlich aufhören damit, daß in Deutschland - was ja gut und richtig ist - die Schwachen gefördert, aber die Intelligenten, die Leistungsfähigen, die Reich- Ranickis und Rautenbergs scheel angesehen, oft benachteiligt werden.

Reich-Ranicki hat das ja nicht nur zur Nazi-Zeit erlebt. Auch noch in und von der Redaktion der liberalen Zeit wurde er so behandelt, wie das einem so außerordentlichen Geist nicht zugekommen wäre. Er hat sich über diese Jahre oft bitter geäußert.

Nun erlebt er noch die verdienten Ehrungen. Und wer weiß, vielleicht hat er ja den jungen Felix Rautenberg im TV gesehen und sich an dessen Intelligenz erfreut.