6. Februar 2007

Was wird aus Wladimir Putin?

Was haben Friedrich Merz und Wladimir Putin gemeinsam? Beide stehen vor dem Ende ihrer politischen Karriere.

Merz hat angekündigt, daß er nicht noch einmal für den Bundestag kandidieren wird. Also scheidet er spätestens im Herbst 2009 aus dem Parlament aus; es sei denn, daß er sein Mandat schon früher niederlegt.

Putin kann gemäß der Russischen Verfassung nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren. Die Präsidentschaftswahlen sind in gut einem Jahr, im Frühjahr 2008. Daß Putin danach in einem minderen politischen Amt - als Ministerpräsident, als Minister, gar als einfacher Abgeordneter - weitermacht, ist sehr unwahrscheinlich. Kein amerikanischer, kein französischer oder russischer Staatspräsident hat das je getan.

Also wird er, wie sein Männerfreund Schröder, die Politik verlassen. Vielleicht wird er einen Job, sagen wir, im VW- Konzern annehmen. Mit seinen Deutsch- Kenntnissen ist er dafür sicher besser geeignet, als Ende 2005 Gerhard Schröder geeignet gewesen war, Angestellter eines russischen Staatskonzerns zu werden.

Alles klar also? Nein.



Vor ein paar Tagen hat Putin eine Pressekonferenz abgehalten. Sie wurde hier wenig beachtet, obwohl mehr als tausend Journalisten teilnahmen. Einen ausführlichen Bericht brachte gestern der Eurasian Daily Monitor, ein auf den früheren kommunistischen Machtbereich spezialisierter Nachrichtendienst der Jamestown Foundation.

Natürlich wurde Putin nach seinem Nachfolger gefragt. Er sagte, man solle darum nicht so viel Aufsehens machen ("cut the commotion around the event"), denn wer in ein hohes Staatsamt gehöre, der habe es schon inne ("everyone who should be is already working as high state officials"). Es werde keinen "Nachfolger" geben, sondern eine Reihe von Kandidaten.

Putin wolle sich jeden Einfluß offenhalten, meint dazu der Eurasian Daily Monitor.

Und schließt den Artikel mit einer interessanten Überlegung:"Putin may fancy a graceful exit from the Kremlin gates, but if a split decision would necessitate a continuation of his "reign," he would have to accept the verdict. No reporter dared to ask the question about a third term -- but it is still open." Putin liebäugle vielleicht mit einem eleganten Abschied aus dem Kreml, aber falls ein unklarer Wahlausgang die Fortsetzung seiner "Regentschaft" verlangen würde, dann müsse er halt diese Entscheidung akzeptieren.

Kein Reporter habe es gewagt, nach einer dritten Amtszeit zu fragen - aber diese Frage bleibe offen.



Besehen wir die Situation einmal unbefangen.

Da ist jemand Staatspräsident geworden, der sich als Nachfolger der Zaren sieht, als eine Mischung aus Iwan dem Schrecklichen und Peter dem Großen.

Er hat in sieben Jahren eine nahezu absolute Macht erlangt. Das Parlament wird von seinen bedingungslosen Parteigängern beherrscht. Er hat die Selbstregierung der Länder der Russischen Föderation weitgehend abgeschafft, indem er die Ernennung der Gouverneure an sich gerissen hat. Sein einziger ernsthafter Konkurrent, der Gouverneur Alexander Lebed, starb eines mysteriösen Todes bei einem Helikopter- Absturz.

Putin hat Schritte eingeleitet mit dem offensichtlichen Ziel, auch die Opposition vollkommen unter seine Kontrolle zu bringen. Er hat die Justiz so weit in seine Gewalt gebracht, daß sie den Finanzier der einzigen verbliebenen ernsthaften Opposition, Chodorkowski, ins sibirische Arbeitslager schickte. Jetzt soll Chodorkowski erneut der Prozeß gemacht werden mit dem Ziel, ihn weitere Jahrzehnte einzukerkern.

Hand aufs Herz: Wo in der Weltgeschichte hat es das je gegeben, daß jemand, der so eindeutig eine autokratische Herrschaft anstrebt und der auf dem Weg dorthin fast am Ziel ist, die Macht freiwillig abgibt, nur weil ein Artikel der Verfassung das verlangt?

Vielleicht tut er's ja und geht zum VW-Konzern oder aufs Altenteil. Ich halte das für ungefähr so wahrscheinlich, wie daß Paris Hilton der Heilsarmee beitritt und künftig singend für die Armen sammelt.



Mitte 2005 wurde in der internationalen Presse ausführlich diskutiert, wie denn Putin sich über diesen Artikel 81 der Russischen Verfassung hinwegsetzen könnte.

Im August 2005 nannte der Telegraph eine Möglichkeit, die Putin besonders attraktiv erscheinen dürfte: Eine Wiedervereinigung Rußlands mit Weißrußland - mit logischerweise einer neuen Verfassung, unter der Putin erneut zum Staatspräsidenten gewählt werden könnte. Lukatschenko könnte sich, so hieß es, dafür erwärmen, um sein Regime dauerhaft zu sichern.

Der amerikanische Politologe David Marples hat kürzlich darauf hingewiesen, daß eine erneute Union von Rußland und Weißrußland bevorstehen könnte - weil dies für Rußland eine ganze Reihe von Vorteilen hätte, und weil es Lukatschenko zum Vizepräsidenten einer solchen Union machen könnte. Referenden dazu sind in Vorbereitung.

Die GUS - wer kennt überhaupt noch den Namen dieser "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten"? - ist tot; sie könnte in Form eines neuen Staats aus Rußland und Weißrußland in anderer Form wieder auferstehen. Mit Putin als Präsidenten, wer sonst?



Falls das nicht klappen sollte, hätte Putin eine Reihe weiterer Optionen. Zwei davon hat der Guardian beschrieben: Die Verfassung könnte erstens so geändert werden, daß die faktische Macht auf den Premierminister übergeht; für dieses Amt könnte Putin dann kandidieren. Oder es könnte festgelegt werden, daß der bisherige Staatspräsident sich dann ein drittes Mal zur Wahl stellen kann, wenn der Versuch, einen Nachfolger zu wählen, wegen zu geringer Wahlbeteiligung gescheitert ist.

Ähnliche Überlegungen berichtete Mitte letzten Jahres Radio Free Europe / Radio Liberty. Danach könnte Putin einige Monate vor Ablauf seiner Amtszeit zurücktreten und das Amt einem Nachfolger übergeben. Wenn er sich dann im Frühjahr 2008 erneut bewerben würde, könnte man das juristisch so deuten, daß es keine dritte Amtszeit in Folge wäre.

Oder Putin könnte eine Auszeit von vier Jahren nehmen, in dieser Zeit eine Marionette regieren lassen und dann zurückkehren. Was freilich riskant ist, denn manche Marionette hat schon angefangen, sich selbst zu bewegen.



Wie auch immer: Mich würde es sehr wundern, wenn im Frühjahr 2008 die Russische Föderation ihren Präsidenten Putin auf Dauer verlieren würde. Trotz Putins wiederholten Versicherungen, er wolle keine dritte Amtszeit. Oder vielmehr just wegen dieser Beteuerungen.

Die oppositionellen russischen MosNews vergleichen das mit der Verve, mit der, so zitiert es Marc Anton in seiner berühmten Rede bei Shakespeare, Cäsar dreimal die Königskrone zurückwies.

Daran anknüpfend, schreibt Deliya Melyanova:
But how much are such refusals worth? Do they really mean what they say? It seems to me they only bring the third term closer. If Vladimir Putin is so dutiful and anxious – surely that implies that he is the very person to continue to bear the "President’s burden", the only man Russians can trust. (...) The Russian media embrace him as a celebrity and a symbol, but with a substratum of respect and even veneration. Exactly because he refuses it, he is the man to be trusted with any amount of power.

Aber wieviel sind solche Zurückweisungen wert? Bedeuten sie wirklich das, was gesagt wird? Mir scheint, sie bringen eine dritte Amtszeit nur näher. Wenn Wladimir Putin so pflichtbewußt und bemüht ist - dann bedeutet das doch gewiß, daß genau er der Richtige ist, weiter die "Bürde des Präsidentenamts" zu tragen, der einzige, dem die Russen trauen können. (...) Die russischen Medien nehmen ihn als eine Autorität an, als ein Symbol, gegründet auf Hochachtung, ja Verehrung. Genau deshalb, weil er das ablehnt, ist er der Mann, dem man jeden Machtumfang anvertrauen kann.



Eine meiner ersten Erfahrungen in politischer Taktik habe ich als Schüler gemacht. Wir Klassensprecher versammelten uns, um einen Schulsprecher zu wählen. Mehrere wurden vorgeschlagen, die die meisten aus anderen Klassen nicht kannten.

Alle hielten kleine Bewerbungsreden, in denen sie sich anpriesen. Einer, ein schlaksiger Jüngling, stellte sich hin und sagte: Eigentlich wolle er das nicht. Er hätte sich zwar immer für andere eingesetzt, aber das könne er doch viel besser auf andere Weise. Andere seien auch viel wortgewandter als er. Also nein, lieber wäre ihm eigentlich, wenn man ihn nicht wählen würde.

Wenn die anderen ihn aber wirklich als Schulsprecher wollten - nun, dann kenne er seine Pflicht und würde sich ihr nicht entziehen.

Natürlich wurde der gewählt. Auch von mir. Erst danach habe ich mir klargemacht, auf was und wen ich da reingefallen war.