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18. Dezember 2008

Zitat des Tages: "Verheerend für unseren Rechtsstaat". Hahn will die hessische Verfassung ändern. Liegt Schwarzgelb in Hessen wirklich weit vorn?

Es ist verheerend für unseren Rechtsstaat, wenn die Linken ihre Forderungen nach Verstaatlichung damit begründen können, dass ein entsprechender Artikel in der hessischen Verfassung steht. Wir laufen auch Gefahr, dass sich Rechte darauf berufen, dass die Todesstrafe in der Verfassung steht. Eine Grundsanierung der hessischen Verfassung zählt zu den wichtigsten Aufgaben, die wir in der nächsten Legislaturperiode zu erledigen haben.

Der hessische FDP- Vorsitzenden Jörg- Uwe Hahn heute in der "Frankfurter Rundschau" im Interview mit Pitt von Bebenburg.

Kommentar: Hahn bezieht sich auf die Artikel 21 und 39 der Hessischen Verfassung:
Artikel 21. Ist jemand einer strafbaren Handlung für schuldig befunden worden, so können ihm auf Grund der Strafgesetze durch richterliches Urteil die Freiheit und die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen oder beschränkt werden. Bei besonders schweren Verbrechen kann er zum Tode verurteilt werden.

Artikel 39. Jeder Mißbrauch der wirtschaftlichen Freiheit - insbesondere zu monopolistischer Machtzusammenballung und zu politischer Macht - ist untersagt.

Vermögen, das die Gefahr solchen Mißbrauchs wirtschaftlicher Freiheiten in sich birgt, ist auf Grund gesetzlicher Bestimmungen in Gemeineigentum zu überführen. Soweit die Überführung in Gemeineigentum wirtschaftlich nicht zweckmäßig ist, muß dieses Vermögen auf Grund gesetzlicher Bestimmungen unter Staatsaufsicht gestellt oder durch vom Staate bestellte Organe verwaltet werden.

Ob diese Voraussetzungen vorliegen, entscheidet das Gesetz.

Die Entschädigung für das in Gemeineigentum überführte Vermögen wird durch das Gesetz nach sozialen Gesichtspunkten geregelt. Bei festgestelltem Mißbrauch wirtschaftlicher Macht ist in der Regel die Entschädigung zu versagen.
Zwei alte Zöpfe also, die schon lange hätten abgeschnitten werden müssen. Es ist mutig, daß die FDP diese Aufgabe in der nächsten Legislaturperiode angehen will. Sie würde sich damit um das Land Hessen verdient machen.

Die Debatte über den Paragraphen 39 dürfte freilich den Kommunisten und den SPD-Linken eine ausgezeichnete Plattform für ihre Propaganda bieten.

Zumal dann, wenn auch die anderen Paragraphen einbezogen werden, die ebenfalls den Geist des Sozialismus atmen, wie er 1946 nun einmal wehte: Den Paragraphen 38 ("... hat das Gesetz die Maßnahmen anzuordnen, die erforderlich sind, um die Erzeugung, Herstellung und Verteilung sinnvoll zu lenken") und den Paragraphen 41 (zu verstaatlichen sind "... der Bergbau (Kohlen, Kali, Erze), die Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, die Betriebe der Energiewirtschaft und das an Schienen oder Oberleitungen gebundene Verkehrswesen").

Das Verfahren der Verfassungsänderung regelt Artikel 123:
Artikel 123. Bestimmungen der Verfassung können im Wege der Gesetzgebung geändert werden, jedoch nur in der Form, daß eine Änderung des Verfassungstextes oder ein Zusatzartikel zur Verfassung beschlossen wird.

Eine Verfassungsänderung kommt dadurch zustande, daß der Landtag sie mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder beschließt und das Volk mit der Mehrheit der Abstimmenden zustimmt.
Da könnte - falls die FDP sich mit der Forderung einer Verfassungsänderung durchsetzt - eine spannende Diskussion in der Öffentlichkeit bevorstehen.



Würde sie dafür aber überhaupt zusammen mit der CDU eine Mehrheit haben? Die demoskopischen Daten sehen gegenwärtig danach aus. Gestern ist eine neue Umfrage von Forsa für den "Stern" veröffentlicht worden, die Schwarzgelb (CDU 42 Prozent, FDP 13 Prozent) eine deutliche Mehrheit gegenüber der Volksfront (SPD 23 Prozent, Grüne 12 Prozent, Linke 6 Prozent) vorhersagt. 55 zu 41 Prozent - das klingt beruhigend.

Aber von denen, die sich jetzt so entscheiden würden, sagen 46 Prozent, daß sie ihre Wahl vielleicht noch einmal überdenken werden.

Die SPD ist in einer Lage, in der es für sie eigentlich nur besser werden kann - mit einem Spitzenkandidaten, der an Bekanntheit gewinnen wird; mit Stammwählern, die jetzt böse auf ihre Partei sind, die sie aber im letzten Augenblick vielleicht doch wählen werden.

Und auf der anderen Seie ist Roland Koch immer gut dafür, irgend etwas "brutalstmöglich" zu formulieren und damit den Medien die Munition zu liefern, auf die sie nur warten.

Auch zu dieser Wahl gibt es wieder einen Prognosemarkt, auf dem Aktien der Parteien wie an einer Börse gehandelt werden. (Früher hieß das einmal "Wahlstreet" und war meist sehr genau in der Prognose des Wahlergebnisses).

Dort liegen derzeit die drei kleineren Parteien nah bei dem Umfrageergebnis von Forsa (FDP: 11,87; Grüne: 12,05; Linke: 6,67). Bei den beiden Großen gibt es aber deutliche Abweichungen von den Forsa- Werten: Im Kurswert liegt derzeit die CDU bei nur 38,00 Punkten, die SPD aber bei 27,03 Punkten.

Das würde als Wahlergebnis nur 49,87 Prozent für Schwarzgelb bedeuten und 45,57 Prozent für die Volksfront - also fast schon ein Kopf- an- Kopf- Rennen.



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28. September 2008

Marginalie: Rechtsruck in Österreich

Erste Hochrechnung:

ÖVP 25,1 - SPÖ 28,6 - Grüne 10,5 - FPÖ 17,9 - BZÖ 11,9 - Liberales Forum 1,9.

Die beiden Parteien der bisherigen Koalition, Sozialdemokraten und ÖVP (Schwesterpartei der CDU in Europa) haben danach zusammen 15,9 Prozent verloren.

Die beiden Rechtsaußen- Parteien FPÖ und BZÖ haben mit zusammen 29,8 Prozent mehr Stimmen als die ÖVP oder die SPÖ; und sie haben zusammen 14,6 Prozent gewonnen, ihr Stimmenergebnis also fast verdoppelt.

So sagt es die erste Hochrechnung von ORF, die aber schon auf 40 Prozent ausgezählter Stimmen basiert.

Düstere Zeiten für Österreich.



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15. April 2008

Ein rauschender Sieg Berlusconis. Italien orientiert sich an Deutschland. Das sich freilich inzwischen an Italien zu orientieren scheint

Nun ist es in Italien doch ganz anders ausgegangen, als die Exit Polls hatten erwarten lassen: Kein Kopf- an- Kopf- Rennen, sondern eine absolute Mehrheit für Berlusconis Mitte- Rechts- Koalition in beiden Kammern.

Die aktuelle Entwicklung der Auszählung zeichne ich in Zettels kleinem Zimmer nach. Wer italienisch liest und sie verfolgen möchte, dem empfehle ich die ausgezeichnete Berichterstattung in La Repubblica.

Hier möchte ich den Blick nicht auf dieses zentrale Ergebnis richten, den Sieg der rechten Mitte, sondern auf zwei weitere Resultate, die langfristig vielleicht noch bedeutsamer sein werden: Den Erfolg der Lega Nord (beim gegenwärtigen Stand der Auszählung 9,4 Prozent landesweit, teilweise über 20 Prozent im Norden) und die vernichtende Niederlage der extremen Linken, die in keiner der beiden Kammern mehr vertreten sein wird.

Beides zusammengenommen - so wurde es den Abend über in RaiNews 24 diskutiert - könnte das Signal für eine Umgestaltung der italienischen Institutionen nach deutschem Vorbild sein.



Die Lega Nord ist eine liberal- konservative Regionalpartei Norditaliens, die für eine größere Autonomie dieses Landesteils eintritt. Sie wird in der Berichterstattung der deutschen Leitmedien oft ähnlich unfair dargestellt wie Berlusconi ("das Grinsen bleibt das alte" leitete die "Tagesschau" um 0.10 Uhr den Bericht über seinen Sieg ein); wie überhaupt die deutsche Berichterstattung über Italien ja überwiegend die Perspektive der italienischen Linken einnimmt.

Dazu gehört, daß der Lega Nord oft unterstellt wird, sie strebe die Loslösung des Nordens vom übrigen Italien an. Tatsächlich gab es solche Tendenzen; inzwischen ist das Ziel jedenfalls der Mehrheit der Lega Nord aber ein Föderalismus nach deutschem Vorbild. Man kann sie überhaupt am besten mit der deutschen CSU vergleichen; auch was ihren Charakter als Volkspartei ohne eine enge Ideologie angeht.

Auf die Stimmen dieser Partei wird die neue Regierung Berlusconi angewiesen sein. Und das könnte bedeuten - so wurde es jedenfalls gestern Abend diskutiert -, daß Italien innerhalb der bevorstehenden Reformen seiner Institutionen (wir würden sagen: einer Verfassungsreform) auch den Weg in Richtung Föderalismus einschlagen könnte.



Auch die zweite große Überraschung dieser Wahlen hat einen Bezug zu Deutschland; allerdings einen von ganz anderer Art: Während in Deutschland die Kommunisten so etwas wie ihren zweiten Frühling erleben, gehen sie in Italien offenbar einem ziemlich kalten Winter entgegen. Und das, obwohl auch sie sich Deutschland als Vorbild genommen hatten.

Nach dem Vorbild der deutschen "Die Linke" nämlich versuchen die italienischen Kommunisten eine sozusagen geschachtelte Volksfront- Politik. Innerhalb der inneren Schale haben sie, wie "Die Linke", unter kommunistischer Führung alles zusammengefaßt, was sich als linkssozialistisch versteht. Und auf der Ebene der äußeren Schale sollten diese Vereinten Kommunisten für einen Ministerpräsidenten Walter Veltroni ein unerläßlicher Partner in einer Volksfront sein. Eine Strategie, die wie ein Ei dem anderen derjenigen der deutschen Kommunisten gleicht.

Das Bündnis der inneren Schale trägt den schönen Namen Sinistra Arcobaleno ("Linke Regenbogen"). Es umfaßt vier Parteien: Die Kommunisten Bertinottis, die Rifondanzione Comunista (PRC) des Parteifreundes von Lothar Bisky in der "Europäischen Linken"; die zweite kommunistische Partei Comunisti Italiani (PdCI), die in Biskys europäischer Partei Beobachter- Status hat, die italienischen Grünen (FV) und eine linkssozialistische Partei namens SD.

Und wieviel Prozent Stimmen hat dieses Bündnis in Italien bekommen, dem Land, in dem die Kommunisten jahrzehntelang die zweitstärkste Partei waren? 3,1 Prozent nach der momentanen Hochrechnung!

"Il tracollo della Sinistra Arcobaleno" titelt die Repubblica, der Absturz von Sinistra Arcobaleno, und schreibt:
Delusione. Incredulità. Sconforto. Uno scenario tragico per la Sinistra Arcobaleno. Il cartello elettorale composto da Rifondazione, Comunisti italiani e Verdi, frana davanti all'evidenza dei numeri. Nella prossima legislatura a Palazzo Madama e a Montecitorio non ci sarà alcun rappresentante della sinistra. Un evento storico. E non certo nel senso buono della parola. Fausto Bertinotti, che annuncia la fine della sua stagione da dirigente, non usa giri di parole: "E' una sconfitta netta di proporzioni impreviste (...)".

Enttäuschung. Ungläubigkeit. Verzweiflung. Ein tragisches Bild für die Sinistra Arcobaleno. Das Wahlbündnis aus Rifondazione, Comunisti italiani und Grünen stürzt angesichts der Wahrheit der Zahlen ab. In der folgenden Legislaturperiode wird es im Palazzo Madama und im Montecitorio [den Sitzen der beiden Parlamente] keinen einzigen Repräsentanten der Linken mehr geben. Ein historisches Ereignis. Und gewiß nicht im positiven Sinn des Worts. Fausto Bertinotti, der von seiner Funktion an der Spitze zurücktrat, redete nicht darum herum: "Das ist eine klare Niederlage in einem nicht erwarteten Ausmaß (...)".


In der neuen italienischen Nationalversammlung werden Verhältnisse herrschen wie bei uns in der Adenauer- Republik: Eine breite bürgerliche Mehrheit regiert. Eine nichtkommunistische, demokratische Linke ist in der Opposition. Rechte wie linke Extremisten sind nicht im Parlament vertreten.

Beste Voraussetzungen für ein dauerhaftes, stabiles Parteiensystem, wenn es - was allgemein angenommen wird - zu der erwähnten "Reform der Institutionen" kommt, zu der auch ein Mehrheitswahlrecht gehören dürfte.

Nicht wahr, das ist seltsam? Während sich Italien aus der Situation befreit, die im parlamentarischen System unweigerlich mit der Existenz einer starken kommunistischen Partei einhergeht, leistet es sich Deutschland, die Kommunisten zur drittstärksten Kraft zu machen; steuert Deutschland damit just auf die Verhältnisse der Instabilität zu, die Italien zu überwinden im Begriff ist.

Was sind die Gründe für diese gegenläufigen Entwicklungen? Ich vermute, daß man gar nicht unbedingt tiefgründig nach historischen Ursachen suchen muß. Eine einfache Erklärung könnte ausreichen:

Uns ist es in Deutschland, was politische Stabilität angeht, jetzt mehr als ein halbes Jahrhundert lang so gut gegangen, daß wir ihren Wert gar nicht mehr zu schätzen wissen. Statt daß wir uns mit dem demokratischen Wechsel zwischen der linken Mitte und der rechten Mitte zufriedengeben, wie er alle erfolgreichen Demokratien kennzeichnet, wird nach "Impulsen" ausgerechnet von den Kommunisten verlangt.

Wir benehmen uns wie der sprichwörtliche Esel, dem es zu wohl ist und der darum aufs Eis tanzen geht. Während die Italiener dieses Eis lange genug kennen gelernt haben und oft genug eingebrochen sind, um von dieser Tanzerei die Nase voll zu haben.



Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

14. April 2008

Italien: Kein rauschender Sieg Berlusconis

Seit zehn Minuten werden die ersten Ergebnisse der Exit Polls gemeldet. Danach liegt die Rechte Mitte mit 39 bis 46 Prozent vielleicht ein bißchen vor der Linken Mitte, der 36,5 Prozent bis 42,5 Prozent gegeben werden. Entscheidend werden aber wieder einmal die kleinen Parteien sein, teils ganz links, teils ganz rechts, die zusammen zwischen 16 und 20 Prozent bekommen.

Das sind die Daten für die Kammer. Auch im Senat scheinen die beiden Lager gleichauf zu liegen.

Laut diesem Exit Poll, wie er von RAINews gemeldet wird.

Ergänzung um 17 Uhr: Ein Sieg Berlusconis ist jetzt wahrscheinlicher geworden. Aktuelle Daten finde man in Zettels kleinem Zimmer.

9. April 2008

Zitat des Tages: Silvio Berlusconi und die Frauen

Die Linke hat nicht einmal Sinn für die Frauen. Unsere Kandidatinnen sind nicht nur schön, sondern haben auch Super- Abschlüsse. Daß unsere Frauen schöner sind, darüber kann ich mir ein Urteil erlauben, denn wenn ich ins Parlament blicke, dann gibt es nichts Vergleichbares.

Silvio Berlusconi, der auch versprochen hat, vier Frauen in sein neues Kabinett aufzunehmen, laut einer Meldung des Nouvel Observateur.

Kommentar: Würde ein deutscher Wahlkämpfer eine solche Äußerung tun, dann wäre damit ("frauenfeindlich!") die Wahl für ihn vermutlich verloren. Berlusconi wird diese Bemerkung wahrscheinlich nicht schaden.

Im italienischen TV kann man Abend für Abend bunte und turbulente Spielshows sehen; ganz anders als unsere im Vergleich dazu todlangweiligen und bierernsten Quizshows und Musiksendungen. Fast immer treten viele, sehr viele hübsche junge Frauen auf, in den diversesten Funktionen. Dem Moderator, oder auch sonst einem Beteiligten, kommt dann oft und gerne ein "Bellissima!" über die Lippen, und die Schöne lächelt lieb.

Nein, daß das "frauenfeindlich" sein könnte, darauf kommen wohl nicht viele Italiener.



Am Sonntag wird in Italien gewählt. Berlusconi ist aus meiner Sicht wahrlich nicht der ideale Kandidat. Aber angesichts dessen, was die abgetretene Volksfront- Regierung von Prodi zustandegebracht hat, kann man ihm nur einen Sieg wünschen.

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9. März 2008

Marginalie: Warum (unter anderem) heute die Linke in Frankreich und in Spanien (wahrscheinlich) siegen wird

Heute finden in Frankreich Kommunalwahlen statt, und in Spanien wird ein neues Parlament gewählt.

Es ist wahrscheinlich, daß in beiden Ländern die Linke siegt, möglicherweise sogar spektakulär.

Bei der Bewertung der Wahlergebnisse sollte man zwei Fakten im Auge haben:
  • In Frankreich wollen laut einer aktuellen Umfrage des Instituts Ifop (3. bis 5. März) 21 Prozent der Befragten mit ihrer Stimmabgabe "Sarkozy einen Denkzettel erteilen" (sanctionner Sarkozy). Das Ergebnis wird also weniger das Kräfteverhältnis zwischen Links und Rechts widerspiegeln als die Unzufriedenheit mit einem von den Franzosen zunehmend verachteten Präsidenten, dessen Popularität sich "en chute libre" befindet, im freien Fall.

  • In Spanien stehen die Wahlen, wie vor vier Jahren, unter dem Zeichen eines Attentats. Gewiß eines Attentats von einer ganz anderen Größenordnung als damals der Anschlag auf die U-Bahn in Madrid; aber wieder eines, das den Sozialisten bei den Wahlen zugutekommen wird.

    Die Tochter Sandra des ermordeten sozialistischen Politikers Isaías Carrasco erklärte: "Quiero agradecer el apoyo de los socialistas. Mi padre murió por defender la libertad, la democracia y las ideas socialistas. (...) Yo, mi madre, todos iremos a votar. Los que quieran solidarizarse con nuestro dolor, que acudan masivamente a votar el domingo". Sie danke für den Beistand der Sozialisten. Ihr Vater sei für die Verteidigung der Freiheit, der Demokratie, der sozialistischen Ideen gestorben. Sie, ihre Mutter, sie alle würden wählen gehen. Alle, die sich mit ihrem Schmerz solidarisieren wollten, sollten am Sonntag in Massen zur Wahl kommen.
  • Gestern habe ich übrigens eine Wiederholung der zweiten TV-Debatte zwischen Zapatero und seinem Herausforderer Mariano Rajoy gesehen. Es war eine Debatte von einer Schärfe, wie sie in den USA undenkbar wäre und wie sie auch in Deutschland kaum je zwischen zwei Kandidaten vorgekommen ist - mit ständigen Beschuldigungen, der andere würde lügen, mit ganzen Bergen von Zahlen, die sie als Grafiken präpariert hatten und mehr oder weniger geschickt in die Kamera hielten.

    Rajoy wirkte nervös und unkonzentriert, Zapatero kühler und beherrschter; seine Angriffe waren nicht weniger persönlich verletztend, aber eleganter als die von Rajoy. Stierkämpfer gegen Boxer.

    Wenn ich in Spanien zu wählen hätte, würde ich keinem der beiden Caballeros, die sich gar nicht als solche aufführten, meine Stimme geben.

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    26. Februar 2008

    Marginalie: Woher kommen die Stimmen für die Kommunisten in Hamburg?

    In Hamburg hat "Die Linke" beachtliche 6,4 Prozent geholt. Davon ist viel die Rede. Etwas anderes ist mindestens ebenso bemerkenswert, wird aber kaum kommentiert: Die extreme Rechte ist so gut wie verschwunden.

    In einem Bundesland, in dem die Schill- Partei 2001 satte 19,4 Prozent erreichte und 2004 immerhin noch 3,6 Prozent, mehr als die FDP; in dem bei den beiden Wahlen zuvor die REPs plus die DVU zusammen 7,4 Prozent (1993) und 6,8 Prozent (1997) bekommen hatten - in diesem Stadtstaat war die extreme Rechte bei diesen Wahlen wie vom Erdboden verschluckt. Die REPs und die NPD traten gar nicht erst an. Die DVU brachte es auf ganze 0,8 Prozent.

    Wo sind sie geblieben, die rechtsextremen Wähler in Hamburg? Dreimal dürfen Sie raten. Oder Sie verzichten auf's Raten und lesen in der FAZ, was dazu die "Forschungsgruppe Wahlen" herausgefunden hat:
    Am Sonntag jedenfalls fielen bei der Linkspartei die Stimmen vormaliger Nichtwähler und – als größte Gruppe – vormaliger Wähler von Splittergruppen von Schill über Regenbogen bis NPD stärker ins Gewicht als alle Stimmen vormaliger SPD-, GAL- und CDU-Wähler zusammen.
    Wir haben uns den Wähler der Partei "Die Linke" nicht als einen klassenbewußten Arbeiter vorzustellen, der seinen Marx und Lenin gelesen hat. Wir haben ihn uns vorzustellen als einen aus dem Subproletariat, aus der rechtsextremen Szene, aus dem Lager der immer Unzufriedenen.

    Diese Leute wählen keine der "etablierten Parteien", der "Altparteien", oder wie immer das genannt wird. Sie wählen diejenigen, die "dagegen" sind - gegen das "System", gegen die Demokratie, gegen die Globalisierung, gegen die freiheitliche Ordnung dieser Gesellschaft.

    Rühren die Kommunisten so die Trommel, wie das jetzt "Die Linke" getan hat, dann kassieren sie viele dieser Stimmen. Gibt es keine linke Protestpartei oder ist diese unauffällig, dann wählte man halt NPD, DVU, REPs. Oder die Schill- Partei, die freilich auf ihrem Höhepunkt auch viele bürgerliche Wähler angesprochen hat.



    War es in Hessen anders?

    Sind wenigstens dort diejenigen, die den Kommunisten den Einzug in den Landtag geschenkt haben, klassenbewußte Proletarier? Sind es ehemalige linke Sozialdemokraten, die ihrer Partei den Rücken gekehrt haben? Nein. Die Zahlen der "Forschungsgruppe Wahlen zeigen, daß
    die Hamburger Linkspartei nicht nur den Inhalten und der Herkunft der Mandatsträger, sondern auch der Wählerstruktur nach keine andere ist als die, die der SPD-Vorsitzende Beck als Mehrheitsbeschafferin für die hessische SPD-Spitzenkandidatin Ypsilanti im Auge hat.
    Auch das ist ein Aspekt des Bestrebens der hessischen SPD, sich mit Hilfe der Kommunisten an die Regierung wählen zu lassen: Sie würde den Machtwechsel dann zwar auf der Ebene der Funktionäre und Mandatsträger den Kommunisten verdanken, bei den Wählern aber einer unappetitlichen rotbraunen Melange.



    Kurz: Wer extrem links oder extrem rechts wählt, der wählt nicht in erster Linie links oder rechts, sondern er wählt Extremisten.

    Das zeigt auch das Beispiel Frankreich. Dort wurde die einst große Kommunistische Partei nicht etwa von den Sozialisten beerbt, sondern hauptsächlich von dem rechtsextremen Front National von Le Pen.

    Dieser ist heute, bei den Wählern, die größte Arbeiterpartei Frankreichs. Im November 2006 hat das französische Institut IFOP die Wählerschaft dieses Front National unter die Lupe genommen. In Frankreich sind 32 Prozent der Bevölkerung Fabrikarbeiter oder kleine Angestellte (ouvriers, employés). Unter den Wählern Le Pens machen sie aber fast die Hälfte aus (47 Prozent).



    Auf den ersten Blick scheinen diesen Analysen dem Umstand zu widersprechen, daß bei Wahlen in den Neuen Ländern immer wieder Rechtsextreme gut abschneiden, obwohl dort die Kommunisten stark sind.

    Warum wählen Mecklenburger Rechtsextremisten, anders als die Hamburger, selten die Kommunisten? Vermutlich - das erscheint mir jedenfalls als plausible Erklärung -, weil die SED sich zu Zeiten ihrer Herrschaft ungefähr so als Protestpartei präsentierte, wie der Kardinal Meißner ein linker Libertärer ist.

    Wer im Osten die Kommunisten wählt, der will nicht Aufruhr, sondern die Friedhofsruhe der DDR. Wer hingegen Aufruhr und Umsturz will, oder wer auch nur seine allgemeine Protesthaltung zum Ausdruck bringen möchte, der wählt dort nicht die Kommunisten, sondern eine der rechtsextremen Parteien.

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    25. Januar 2008

    Hessenwahl: Eine ungewisse, eine wichtige Entscheidung

    Die Wahl in Hessen verspricht ungewöhnlich spannend zu werden. Erstens wegen der Bedeutung des Wahlausgangs. Zweitens wegen seiner Unsicherheit.



    Diese Unsicherheit hat eine Reihe von Ursachen. Allgemeinere Faktoren, die aber bei dieser Wahl zusammentreffen:
  • Schon seit einiger Zeit beobachten die Demoskopen eine wachsende Zahl von "Verweigerern", also von Personen, die ein Interview ablehnen. Sie fallen bei den meisten Instituten für die ermittelten Rohdaten (die "gemessenen Werte") einfach unter den Tisch. An sich wäre es richtig, wenn die Institute auch den Prozentsatz der Verweigerer publizieren würden; aber das machen sie im Allgemeinen nicht.

    In die gewichteten Daten ("Projektion") gehen die Verweigerer insofern ein, als man Erfahrungswerte hat, wie hoch deren Prozentsatz bei den Anhängern der einzelnen Parteien ist. Er ist zum Beispiel bei Rechtsextremen besonders hoch. Das wird bei der Gewichtung berücksichtigt. Wenn sich aber der Anteil der Verweigerer ändert, dann fehlen gute Erfahrungswerte, und die Gewichtung wird unsicherer.

  • Die Wahlentscheidung wird diesmal in Hessen ungewöhnlich stark von aktuellen Schwankungen in der Stimmung der Wähler bestimmt.

    Roland Kochs Thema "Jugendkriminalität" kam zuerst gut an, bis er die Eselei beging, es auf Kinder auszudehnen und damit eine Abwehrreaktion auszulösen. Die Frage einer möglichen Zusammenarbeit der SPD mit den Kommunisten spielte lange kaum eine Rolle und wurde erst in den letzten Tagen zu einem Wahlkampfthema. Der persönliche Vorsprung Kochs vor Ypsilanti schmolz dahin wie Schnee in der Frühlingssonne und verkehrte sich schließlich ins Gegenteil.

    An welcher Stelle das Pendel in dieser Hin- und Herbewegung am 27. Januar gerade angekommen sein wird, ist kaum zu prognostizieren. Es kann noch eine Veränderung in letzter Minute geben, ähnlich derjenigen, die kürzlich bei den Vorwahlen von New Hampshire Hillary Clinton nach vorn gebracht hat.

  • Der dritte Unsicherheitsfaktor ist die Wahlbeteiligung. Bei einer geringen Wahlbeteiligung ist das Ergebnis besser zu prognostizieren, denn dann gehen nur die politisch Interessierten zur Wahl, die weniger zum Verweigern tendieren und die ihre Wahlentscheidung auch weniger von Stimmungen abhängig machen.

    Wenn aber - wie jetzt nach einem hitzigen Wahlkampf - mit einer hohen Wahlbeteiligung zu rechnen ist, dann wird das Ergebnis auch von denen mitbestimmt, die französische Wahlforscher le marais nennen, den Sumpf. Menschen, die heute vielleicht selbst noch nicht wissen, wo sie am Sonntag ihr Kreuz machen werden.



  • Die Bedeutung des Wahlausgangs hat ebenfalls verschiedene Aspekte:
  • Erstens ist Hessen seit langem ein zwischen SPD und CDU umkämpftes Bundesland. Es war einmal, unter Georg August Zinn, Albert Osswald und Holger Börner, das "rote Musterländle", so sicher in der Hand der SPD wie Bayern in der Hand der CSU. Es wurde dann, unter den Parteivorsitzenden Alfred Dregger und Walter Wallmann, der es auch zum Ministerpräsidenten brachte, die Hochburg einer besonders konservativen CDU, wie auch jetzt wieder unter Koch. Dazwischen war Hessen, mit Hans Eichel als Ministerpräsidenten, wieder von der SPD regiert worden.

    Immer, wenn Hessen zur anderen Seite hin kippte, hatte das eine bundesdeutsche Signalwirkung. So würde es auch diesmal sein, wenn Ypsilanti siegen sollte.

  • Hinzu kommt zweitens, daß das Kippen diesmal nicht einfach der Wechsel von einer CDU- Regierung zu einer von der SPD geführten wäre. Sondern zugleich würde es möglicherweise in Westdeutschland die erste Regierung geben, an der die Kommunisten, in welcher Form auch immer, beteiligt wären.

    Frau Ypsilanti hat inzwischen so laut gesagt, sie werde nicht mit der Linkspartei "zusammenarbeiten", daß eine Koalition mit ihr oder ein formaler Duldungsvertrag wohl nicht, jedenfalls nicht gleich nach den Wahlen, in Frage käme. Aber da ist ja noch das Kleingedruckte.

    Der Wahlkampfleiter der Kommunisten, Bodo Ramelow, hat sich heute im "Morgenmagazin" der ARD im Interview mit Werner Sonne auf eine nachgerade lächerliche Weise gewunden, als er sagen sollte, ob denn seine Partei zu einer Koalition oder zur Duldung bereit sei. Was er aber ziemlich klar andeutete, das war die Bereitschaft, Frau Ypsilanti zu wählen.

    Und das würde dieser ja reichen. Sie kann mit dem Wahlgeheimnis argumentieren; sie kann sagen, daß sie sich ja nicht dagegen wehren kann, wenn jemand sie wählen will. Und einmal gewählt, kann niemand ihr eine stillschweigende Zusammenarbeit mit den Kommunisten verwehren.

    Sollte es dazu kommen - und es wird wohl dazu kommen, wenn Schwarzgelb keine Mehrheit erreicht, denn alle anderen Koalitionen wären abenteuerlich -, dann hätte Hessen wieder eine Vorreiterrolle für den Bund, ähnlich wie Mitte der achtziger Jahre.

    Damals hatte im Wahlkampf 1984 Holger Börner die Grünen heftig attackiert, jede Zusammenarbeit mit ihnen vehement ausgeschlossen und ihnen Prügel mit der "Dachlatte" angedroht. Als die SPD keine Mehrheit erreichte, ließ er sich von den Grünen zum Ministerpräsidenten mitwählen, ohne zunächst formal mit ihnen zu koalieren. 1985 war es dann soweit. Mitten in der laufenden Legislatur- Periode wurden aus den Duldern Mitregierende, und Joschka Fischer leistete in Turnschuhen seinen Amtseid als Minister.
  • Diesen Ablauf von vor gut zwanzig Jahren wird man jetzt wohl in Hessen eifrig studieren; besonders eifrig in den Vorständen der SPD und der Kommunisten.

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    22. Januar 2008

    Eilmeldung: Kommunisten können in Cuba weiterregieren

    Noch läßt das amtliche Endergebnis auf sich warten, aber alles deutet auf einen überwältigenden Wahlsieg der Kommunisten in Cuba hin.

    Wie die New York Times unter Berufung auf nicht genannte Quellen in der Regierung ("cuban officials") meldete, errang die Regierung nahezu hundert Prozent der Stimmen. Für die Opposition wurde keine einzige Stimme gemeldet. 4,7 Prozent der Stimmzettel waren leer oder ungültig. Die Wahlbeteiligung lag nach einer Meldung der cubanischen Nachrichten- Agentur Prensa Latina bei 96 Prozent.

    Überraschenderweise scheint die Opposition den Kommunisten noch nicht zu ihrem Sieg gratuliert zu haben; jedenfalls konnte ich keine derartige Meldung finden. Meine persönliche Vermutung ist, daß die Führung der Opposition möglicherweise aufgrund von Kommunikations- Problemen ihre Gratulation noch nicht an die Medien geben konnte.

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    14. Januar 2008

    Marginalie: Wie die SPD auf Roland Kochs Strategie hereinfällt

    Wenn man sich die Umfragen der letzten Wochen zu den Landtagswahlen in Hessen ansieht, dann springt zweierlei ins Auge: Die Werte sind erstaunlich stabil. Und trotzdem steht die Wahl auf der Kippe.

    Die Werte sind erstaunlich stabil, was die Stärke der beiden bisherigen politischen Lager angeht. Hier die Ergebnisse seit dem 7.12. 07 in chronologischer Folge; jeweils CDU + FDP gegen SPD + Grüne: 47/41, 50/39, 49/41, 50/40, 49/44, 48/43.

    Diese Werte sind von verschiedenen Instituten erhoben worden; einen Trend in ihnen zu suchen wäre deshalb problematisch. Sie zeigen aber durchgängig einen Vorsprung von Schwarzgelb vor Rotgrün. Das ist die Stabilität der Lage vor den Wahlen.

    Die Instabilität kommt dadurch zustande, daß die Kommunisten um die 5 Prozent pendeln; ihre Werte für die 5 Wochen betragen 6, 5, 6, 5, 4, 5 Prozent.

    Schaffen es die Kommunisten in den Landtag, dann hat Schwarzgelb sehr wahrscheinlich keine Mehrheit. Erhalten sie weniger als 5 Prozent, dann ist eine Mehrheit für Schwarzgelb so gut wie sicher.



    Die einfache Konsequenz daraus für den Wahlkampf von Roland Koch lautet: Er muß so geführt werden, daß er die Kommunisten schwächt.

    Wie macht man das? Indem man erstens einen polarisierenden Wahlkampf führt. Polarisierung nützt immer den großen Parteien.

    Man macht es zweitens dadurch, daß man für die Polarisierung ein Thema wählt, bei dem die SPD und die Kommunisten so gut wie identische Positionen haben. Die Kommunisten müssen sich gegen die SPD profilieren, weil sie fast nur von ihr Wähler zu sich herüberziehen können. Ins selbe Horn zu stoßen wie die SPD ist keine Profilierung.

    Mit "Gewalt ausländischer Jugendlicher" hat Koch das für diese Situation ideale Thema gefunden. Gewiß, er zieht wilde Attacken der SPD und auch schon einmal Stirnrunzeln in der eigenen Partei auf sich. Aber er schafft die Polarisierung, die er braucht.

    Und er hat zugleich, wie hier beschrieben, ein Thema, das die eigenen Wähler mobilisiert, das zugleich aber auch Wechselwähler gewinnen kann.



    Das Erstaunliche ist, daß die SPD auf diese Strategie eingeht, ja auf sie hereinfällt. Sie tut Roland Koch den Gefallen, auf ihn einzudreschen, als sei er der Leibhaftige. Sie trägt damit zur Polarisierung bei, und sie macht Roland Koch noch zusätzlich die Freude, dessen Thema in den Mittelpunkt des Wahlkampfs zu rücken.

    Was ist eigentlich aus der Unterschriftenaktion der SPD zum Mindestlohn geworden?

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    3. Januar 2008

    Zitat des Tages: Das Kleingedruckte der Andrea Ypsilanti

    Bei meinem Nein zu Rot-Rot bleibt es auch nach dem Wahlabend. Garantiert.

    Andrea Ypsilanti in einem Interview mit der "Welt". Kommentar: Ja, wer rechnet denn damit, daß die SPD zusammen mit den Kommunisten eine Regierungsmehrheit haben wird? Was Ypsilanti nicht gesagt hat, ist: Ob sie erstens auch eine Koalition SPD- Grüne - Linke kategorisch ausschließt. Und ob sie zweitens eine von den Kommunisten tolerierte rotgrüne Regierung kategorisch ausschließt. Leider hat Peter Dausend, der das Interview führte, sie nach diesen beiden Optionen auch nicht gefragt.

    Mir scheint, es ist hier mal wieder wie bei vielen Garantien: Auf das Kleingedruckte kommt es an.

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    19. Juni 2007

    Randbemerkung: Wieder die Steuern - Deutschland 2005, Frankreich 2007

    Wie sich die Abläufe gleichen:

    2005 schien in Deutschland der Wahlsieg von Schwarzgelb so gut wie sicher zu sein. Und dann brachten die Sozialdemokraten, brachte vor allem Schröder es fertig, die Steuerpläne des "Professors aus Heidelberg" Paul Kirchhof als unsozial hinzustellen. Die "Nachtschwester, die genauso viele Steuern zahlen muß wie der Klinik- Chef" erwies sich als die Waffe in letzter Minute, mit der die SPD den Sieg von Schwarzgelb verhindern konnte.

    Kirchhofs Modell wäre zwar aufgrund der hohen Freibeträge, aufgrund des Wegfalls fast aller Steuervergünstigungen, alles andere als unsozial gewesen - aber das konnte die CDU- Wahlkampf- Leitung nicht vermitteln.



    In Frankreich hat vorgestern die Rechte nicht nur gesiegt, sondern eine komfortable absolute Mehrheit gewonnen. Aber der Sieg war bei weitem nicht so groß, wie allgemein erwartet; und einer ihrer besten Männer, Alain Juppé, ist gar durchgefallen und wird der neuen Regierung nicht mehr angehören.

    Und wieder sind es die Steuern, die in letzter Minute die Stimmung gedreht haben. Diesmal waren es allerdings nicht die Sozialisten, sondern es war ein Mitglied der Regierung, das das fertigbrachte: Der bisherige Wirtschaftsminister Borloo.

    Er ließ sich in einer Diskussion mit dem Sozialisten Fabius dazu verleiten, zu sagen, daß die Regierung eine Erhöhung der Mehrwertsteuer "erwäge". Zugleich sollten direkte Steuern gesenkt werden, um die Lohnkosten zu vermindern (ein Problem in Frankreich, genau wie in Deutschland).

    Eine vernünftige, jedenfalls bedenkenswerte Möglichkeit also, diese "TVA sociale".

    Aber wie 2005 in Deutschland haben auch jetzt wieder die Wähler wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen reagiert.

    Borloo wird seine Ungeschicktheit, so schreibt es heute die französische Presse, wohl sein Ministerium kosten. Vielleicht wird er der neue Umweltminister.

    6. Februar 2007

    Was wird aus Wladimir Putin?

    Was haben Friedrich Merz und Wladimir Putin gemeinsam? Beide stehen vor dem Ende ihrer politischen Karriere.

    Merz hat angekündigt, daß er nicht noch einmal für den Bundestag kandidieren wird. Also scheidet er spätestens im Herbst 2009 aus dem Parlament aus; es sei denn, daß er sein Mandat schon früher niederlegt.

    Putin kann gemäß der Russischen Verfassung nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren. Die Präsidentschaftswahlen sind in gut einem Jahr, im Frühjahr 2008. Daß Putin danach in einem minderen politischen Amt - als Ministerpräsident, als Minister, gar als einfacher Abgeordneter - weitermacht, ist sehr unwahrscheinlich. Kein amerikanischer, kein französischer oder russischer Staatspräsident hat das je getan.

    Also wird er, wie sein Männerfreund Schröder, die Politik verlassen. Vielleicht wird er einen Job, sagen wir, im VW- Konzern annehmen. Mit seinen Deutsch- Kenntnissen ist er dafür sicher besser geeignet, als Ende 2005 Gerhard Schröder geeignet gewesen war, Angestellter eines russischen Staatskonzerns zu werden.

    Alles klar also? Nein.



    Vor ein paar Tagen hat Putin eine Pressekonferenz abgehalten. Sie wurde hier wenig beachtet, obwohl mehr als tausend Journalisten teilnahmen. Einen ausführlichen Bericht brachte gestern der Eurasian Daily Monitor, ein auf den früheren kommunistischen Machtbereich spezialisierter Nachrichtendienst der Jamestown Foundation.

    Natürlich wurde Putin nach seinem Nachfolger gefragt. Er sagte, man solle darum nicht so viel Aufsehens machen ("cut the commotion around the event"), denn wer in ein hohes Staatsamt gehöre, der habe es schon inne ("everyone who should be is already working as high state officials"). Es werde keinen "Nachfolger" geben, sondern eine Reihe von Kandidaten.

    Putin wolle sich jeden Einfluß offenhalten, meint dazu der Eurasian Daily Monitor.

    Und schließt den Artikel mit einer interessanten Überlegung:"Putin may fancy a graceful exit from the Kremlin gates, but if a split decision would necessitate a continuation of his "reign," he would have to accept the verdict. No reporter dared to ask the question about a third term -- but it is still open." Putin liebäugle vielleicht mit einem eleganten Abschied aus dem Kreml, aber falls ein unklarer Wahlausgang die Fortsetzung seiner "Regentschaft" verlangen würde, dann müsse er halt diese Entscheidung akzeptieren.

    Kein Reporter habe es gewagt, nach einer dritten Amtszeit zu fragen - aber diese Frage bleibe offen.



    Besehen wir die Situation einmal unbefangen.

    Da ist jemand Staatspräsident geworden, der sich als Nachfolger der Zaren sieht, als eine Mischung aus Iwan dem Schrecklichen und Peter dem Großen.

    Er hat in sieben Jahren eine nahezu absolute Macht erlangt. Das Parlament wird von seinen bedingungslosen Parteigängern beherrscht. Er hat die Selbstregierung der Länder der Russischen Föderation weitgehend abgeschafft, indem er die Ernennung der Gouverneure an sich gerissen hat. Sein einziger ernsthafter Konkurrent, der Gouverneur Alexander Lebed, starb eines mysteriösen Todes bei einem Helikopter- Absturz.

    Putin hat Schritte eingeleitet mit dem offensichtlichen Ziel, auch die Opposition vollkommen unter seine Kontrolle zu bringen. Er hat die Justiz so weit in seine Gewalt gebracht, daß sie den Finanzier der einzigen verbliebenen ernsthaften Opposition, Chodorkowski, ins sibirische Arbeitslager schickte. Jetzt soll Chodorkowski erneut der Prozeß gemacht werden mit dem Ziel, ihn weitere Jahrzehnte einzukerkern.

    Hand aufs Herz: Wo in der Weltgeschichte hat es das je gegeben, daß jemand, der so eindeutig eine autokratische Herrschaft anstrebt und der auf dem Weg dorthin fast am Ziel ist, die Macht freiwillig abgibt, nur weil ein Artikel der Verfassung das verlangt?

    Vielleicht tut er's ja und geht zum VW-Konzern oder aufs Altenteil. Ich halte das für ungefähr so wahrscheinlich, wie daß Paris Hilton der Heilsarmee beitritt und künftig singend für die Armen sammelt.



    Mitte 2005 wurde in der internationalen Presse ausführlich diskutiert, wie denn Putin sich über diesen Artikel 81 der Russischen Verfassung hinwegsetzen könnte.

    Im August 2005 nannte der Telegraph eine Möglichkeit, die Putin besonders attraktiv erscheinen dürfte: Eine Wiedervereinigung Rußlands mit Weißrußland - mit logischerweise einer neuen Verfassung, unter der Putin erneut zum Staatspräsidenten gewählt werden könnte. Lukatschenko könnte sich, so hieß es, dafür erwärmen, um sein Regime dauerhaft zu sichern.

    Der amerikanische Politologe David Marples hat kürzlich darauf hingewiesen, daß eine erneute Union von Rußland und Weißrußland bevorstehen könnte - weil dies für Rußland eine ganze Reihe von Vorteilen hätte, und weil es Lukatschenko zum Vizepräsidenten einer solchen Union machen könnte. Referenden dazu sind in Vorbereitung.

    Die GUS - wer kennt überhaupt noch den Namen dieser "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten"? - ist tot; sie könnte in Form eines neuen Staats aus Rußland und Weißrußland in anderer Form wieder auferstehen. Mit Putin als Präsidenten, wer sonst?



    Falls das nicht klappen sollte, hätte Putin eine Reihe weiterer Optionen. Zwei davon hat der Guardian beschrieben: Die Verfassung könnte erstens so geändert werden, daß die faktische Macht auf den Premierminister übergeht; für dieses Amt könnte Putin dann kandidieren. Oder es könnte festgelegt werden, daß der bisherige Staatspräsident sich dann ein drittes Mal zur Wahl stellen kann, wenn der Versuch, einen Nachfolger zu wählen, wegen zu geringer Wahlbeteiligung gescheitert ist.

    Ähnliche Überlegungen berichtete Mitte letzten Jahres Radio Free Europe / Radio Liberty. Danach könnte Putin einige Monate vor Ablauf seiner Amtszeit zurücktreten und das Amt einem Nachfolger übergeben. Wenn er sich dann im Frühjahr 2008 erneut bewerben würde, könnte man das juristisch so deuten, daß es keine dritte Amtszeit in Folge wäre.

    Oder Putin könnte eine Auszeit von vier Jahren nehmen, in dieser Zeit eine Marionette regieren lassen und dann zurückkehren. Was freilich riskant ist, denn manche Marionette hat schon angefangen, sich selbst zu bewegen.



    Wie auch immer: Mich würde es sehr wundern, wenn im Frühjahr 2008 die Russische Föderation ihren Präsidenten Putin auf Dauer verlieren würde. Trotz Putins wiederholten Versicherungen, er wolle keine dritte Amtszeit. Oder vielmehr just wegen dieser Beteuerungen.

    Die oppositionellen russischen MosNews vergleichen das mit der Verve, mit der, so zitiert es Marc Anton in seiner berühmten Rede bei Shakespeare, Cäsar dreimal die Königskrone zurückwies.

    Daran anknüpfend, schreibt Deliya Melyanova:
    But how much are such refusals worth? Do they really mean what they say? It seems to me they only bring the third term closer. If Vladimir Putin is so dutiful and anxious – surely that implies that he is the very person to continue to bear the "President’s burden", the only man Russians can trust. (...) The Russian media embrace him as a celebrity and a symbol, but with a substratum of respect and even veneration. Exactly because he refuses it, he is the man to be trusted with any amount of power.

    Aber wieviel sind solche Zurückweisungen wert? Bedeuten sie wirklich das, was gesagt wird? Mir scheint, sie bringen eine dritte Amtszeit nur näher. Wenn Wladimir Putin so pflichtbewußt und bemüht ist - dann bedeutet das doch gewiß, daß genau er der Richtige ist, weiter die "Bürde des Präsidentenamts" zu tragen, der einzige, dem die Russen trauen können. (...) Die russischen Medien nehmen ihn als eine Autorität an, als ein Symbol, gegründet auf Hochachtung, ja Verehrung. Genau deshalb, weil er das ablehnt, ist er der Mann, dem man jeden Machtumfang anvertrauen kann.



    Eine meiner ersten Erfahrungen in politischer Taktik habe ich als Schüler gemacht. Wir Klassensprecher versammelten uns, um einen Schulsprecher zu wählen. Mehrere wurden vorgeschlagen, die die meisten aus anderen Klassen nicht kannten.

    Alle hielten kleine Bewerbungsreden, in denen sie sich anpriesen. Einer, ein schlaksiger Jüngling, stellte sich hin und sagte: Eigentlich wolle er das nicht. Er hätte sich zwar immer für andere eingesetzt, aber das könne er doch viel besser auf andere Weise. Andere seien auch viel wortgewandter als er. Also nein, lieber wäre ihm eigentlich, wenn man ihn nicht wählen würde.

    Wenn die anderen ihn aber wirklich als Schulsprecher wollten - nun, dann kenne er seine Pflicht und würde sich ihr nicht entziehen.

    Natürlich wurde der gewählt. Auch von mir. Erst danach habe ich mir klargemacht, auf was und wen ich da reingefallen war.

    19. Januar 2007

    Marginalie: Erhard Eppler und die Volksfront

    Erhard Eppler wird achtzig, und er hat aus diesem Anlaß Spiegel- Online ein Interview gegeben. Es geht, wie so oft bei Eppler, um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; er sieht die großen Linien.

    Zur Zukunft fragt ihn der Interviewer, Carsten Volkery vom Berliner Spiegel -Online- Büro: "Nach der Bundestagswahl war viel die Rede von einer strukturellen linken Mehrheit im Land. Wann kommt Rot- rot- grün?" Epplers Antwort ist lesenswert:
    Irgendwann muss aus der strukturellen linken Mehrheit auch eine linke Regierung erwachsen. Die Differenzen zwischen SPD und Linkspartei sind nicht so tief wie früher die zwischen SPD und KPD. Leute wie Lothar Bisky und Gregor Gysi hätte man nach der Wende für die SPD gewinnen können, wenn man sich bemüht hätte. Das sozialliberale Modell, das gerade wieder durch die Medien geistert, sehe ich jedenfalls überhaupt nicht.
    So deutlich hat es meines Wissens noch kein prominenter SPD- Politiker gesagt.



    Eppler habe ich immer als einen klugen Mann bewundert, der eine Umdrehung weiter denkt als die meisten anderen Politiker. Ein Intellektueller, den es in die Politik verschlagen hat.

    Er hat begriffen, daß es nach den Bundestagswahlen 2009 entweder eine schwarzgelbe Regierung oder eine Volksfront geben wird. Nach den gegenwärtigen Umfragen - die seit langem in diesem Punkt stabil sind - hätte die von Eppler ins Auge gefaßte Volksfront eine Mehrheit.



    Bis zur heißen Phase des Wahlkampfs sind es noch ungefähr zweieinhalb Jahre. Es wird also langsam Zeit, die Weichen zu stellen. Die Äußerung Epplers dürfte in diesem Zusammenhang wohlüberlegt sein.

    Wie auch der taktische Schwenk der PDS in Sachen Ehrenbürgerschaft für Biermann. Die PDS wird einen Schmusekurs mit der SPD fahren. Dort gibt es ja auch manche, die sich anders als Eppler nicht hätten vorstellen können, den letzten Vorsitzenden der SED stracks in die SPD aufzunehmen.

    Diese den Kommunisten weniger wohlgesonnenen SPD- Leute gilt es, wenn die Operation Volksfront 2009 gelingen soll, zwar nicht zu überzeugen, aber zu neutralisieren. Also wird die PDS noch handzahmer sein als ohnehin; wie immer, wenn Kommunisten in eine Regierung drängten.

    Schwerer dürften es die Volksfront- Strategen mit den Grünen haben. Oswald Metzger, Matthias Berninger und Christine Scheel kann ich mir nicht recht in einer Koalition mit Sarah Wagenknecht und Gregor Gysi vorstellen.

    Nur, wird die "Basis" der Grünen denn solche Grünliberale als Kandidaten aufstellen? Metzger hat da ja so seine Erfahrungen. Und Berninger hat sich gerade aus der Politik verabschiedet.

    Auch ein Mann, der eine Umdrehung weiter denkt als die meisten, scheint mir.

    Rückblick: Putins zweites Bein

    Auf die, sagen wir, Bereinigung der Parteienlandschaft im Vorfeld der Duma- Wahlen in Rußland habe ich vor zwei Wochen aufmerksam gemacht. Rund die Hälfte der bisherigen Parteien wird gar nicht mehr zur Wahl zugelassen; und Putin ist offenbar dabei, als Opposition zu seiner eigenen Partei "Geeintes Rußland" die Partei "Gerechtes Rußland" zu etablieren.

    Sozusagen His Majesty's Opposition, nur daß das "His" eine etwas andere Bedeutung haben dürfte als in der britischen Demokratie.

    Zu diesem Thema gibt es jetzt in B.L.O.G. einen interessanten Beitrag von Karsten zu lesen, der neue Informationen bringt und mit der Frage schließt, "wie der Spruch mit dem 'lupenreinen Demokraten' bloß zustande gekommen sein mag".

    Die Antwort gibt vielleicht eine kürzliche Veranstaltung im Berliner Hotel Adlon. Gestaltet von der "Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik" anläßlich des Wechsels im G8-Vorsitz von Rußland zu Deutschland. Ihr Höhepunkt war eine "symbolische Schlüsselübergabe".

    Seltsamerweise nicht an die Kanzlerin, den Außenminister oder sonst jemanden, der nun für diesen Vorsitz zuständig geworden ist. Sondern an einen Frühstücksdirektor des russischen Staatskonzerns Gazprom: Gerhard Schröder, früher einmal auch Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Der sich, wie es sich gehört, mit einer Rede bedankte.

    Die Netzeitung schreibt dazu:
    Putin geht für Schröder den Weg "der Stabilität und Verlässlichkeit" und das sei eine "historische Leistung". Kritik an Innen- und Außenpolitik des Kremls werden vom Altkanzler als "anti-russische Reflexe" abgetan. Auch in anderen Ländern würden Journalisten umgebracht – was die Opfer in Russland nicht entschuldige – aber man müsse die Verhältnismäßigkeit wahren, beschreibt Schröder sein Russland. Das Land habe erfolgreich begonnen "eine Rechtsstaatlichkeit" aufzubauen.

    Begonnen, eine Rechtsstaatlichkeit aufzubauen. So sieht das Schröder. Eigentlich hat man ja eher den Eindruck, daß das Gorbatschow vor rund zwanzig Jahren begonnen hat, eine Rechtsstaatlichkeit aufzubauen. Daß Jelzin es voranzutreiben versuchte, und daß Putin zielstrebig dabei ist, diese Rechtsstaatlichkeit wieder zu beseitigen.

    Der zweite Teil des lesenwerten Artikels der Netzeitung handelt von Michael Chodorkowski. Dessen Verurteilung ja bekanntlich ein leuchtendes Beispiel für die Rechtsstaatlichkeit ist, die Putin aufzubauen begonnen hat.

    14. November 2006

    Wie wird man US-Präsident? Oder: Warum Hillary und Barack gute Chancen haben

    Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika kann man - konnte man jedenfalls im vergangenen halben Jahrhundert - auf eine von zwei Arten werden: Entweder als Erbe, oder als Fahnenträger einer, sagen wir, Mini-Revolution.

    Die Erben - das sind die ebenso soliden wie langweiligen Präsidenten, die als Nachfolger ins Amt kamen. Truman, der Vizepräsident Roosevelts gewesen war und Präsident wurde, als dieser 1945 starb. Lyndon B. Johnson, der Kennedys Vize gewesen war und der nach dessen Ermordung Präsident wurde. Gerald Ford, der von Präsident Nixon zum Vizepräsidenten ernannt worden war, nachdem der gewählte Vize Spiro Agnew hatte zurücktreten müssen, und der dann unversehens Präsident wurde, als Nixon selbst zurücktrat, um der Amtsenthebung zuvorzukommen.

    Und zu den Erben gehört schließlich auch Bush senior, der Ronald Reagan als Vizepräsident zur Seite gestanden hatte und den man - freilich nur einmal - zum Präsidenten wählte, weil man eine Fortsetzung der guten, für die USA so ersprießlichen Reagan-Jahre wollte.

    Interessanter, und auch viel bezeichnender für die amerikanische Mentalität, sind aber diejenigen Präsidenten, die nicht als Erbe ins Amt kamen, sondern in their own right, aus eigener Kraft und Rechtfertigung. Und sie sind - jedenfalls in der Zeit, die ich jetzt betrachte - fast alle so etwas wie Mini-Revolutionäre gewesen.



    In den USA herrscht eine nachgerade unglaubliche politische Stabilität. In den mehr als zwei Jahrhunderten ihres Bestehen haben sie nicht nur keine einzige Revolution erlebt, sondern noch nicht einmal eine radikale Verfassungsänderung, wie sie beispielsweise Frankreich seit der Grande Révolution alle paar Jahrzehnte heimzusuchen pflegen.

    Nichts davon in den USA. Aber das heißt nicht, daß die Amerikaner nicht auch gelegentlich - vielleicht sogar häufiger als die Franzosen - den radikalen Wechsel wollen, den Schnitt, das Neue.

    Nur realisieren sie das nicht, indem sie revoluzzen, sondern indem sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Und dabei freilich jemanden wählen, der verspricht, es ganz anders zu machen. Neu zu beginnen, mit einem New Deal, also die Karten neu zu verteilen. Zu einer New Frontier aufzubrechen, zu einer neuen Grenze.



    Roosevelt war so ein Neubeginner, der im Wahlkampf 1932 versprach, die USA aus der Misere der Großen Depression herauszuholen und der in seiner Amtseinführungsrede den berühmten Satz sprach: "The only thing we have to fear is fear itself." Nur die Furcht selbst sei es, was Amerika zu fürchten habe.

    Nach Truman, Roosevelts Vize (kein unbedeutender Präsident; aber eben ein Erbe) gab es wieder diesen Neubeginn: 1952 wählten die Amerikaner nicht Adlai Stevenson, der in vielerlei Hinsicht ein zweiter Roosevelt gewesen wäre, sondern dessen Antipoden, den konservativen General Eisenhower. Nach 18 Jahren demokratischer Regierung wieder einen Republikaner.

    Eine Mini-Revolution also, ein turnabout; aber noch viel mehr war das die Wahl Kennedys 1960: Dem alten Haudegen folgte der junge Prinz, der den Weg zur neuen Grenze versprach. Dem einen Archetypus der andere.

    Und so war es auch danach: "Tricky Dicky" Nixon wurde (nach dem Zwischenspiel mit dem unfreiwilligen Präsidenten Ford) durch den sanften, frommen und immer lächelnden Bill Carter abgelöst: Zurück zur Tugend.

    Er war nicht sehr erfolgreich; er war in gewisser Weise ein Symbol des amerikanischen Niedergangs nach dem schmählichen Rückzug aus Vietnam. Also ein neuer turnabout: Auf den milden Linken Carter folgt der knorrige Rechte Reagan, der den Amerikanern wieder Mut machte, der sie sozusagen wieder zu ihrer historischen Größe zurückführte.

    Jeder auf seine Art ein Hoffnungsträger, ein Neubeginner - eben ein Mini-Revolutionär. Eine Wahlmonarchie hat man die USA oft genannt. Wenn das stimmt, dann neigen die Amerikaner dazu, den strahlenden Helden als ihren Monarchen zu wählen; denjenigen, der das ganz Andere, das ganz Neue verspricht.



    Mir scheint, ein solcher turnabout steht jetzt wieder ins Haus.

    Auch George W. Bush war als der Mini-Revolutionär gewählt worden, der mit einem geradelinigen, wertorientierten Programm die Unsäglichkeiten von Bill ("I-never-had-sex-with-this-woman") Clinton vergessen machen sollte. Er hat jetzt selbst das Etikett des Lügners angehängt bekommen. (Nach meiner Überzeugung zu Unrecht, but that's another story). Wieder läuft eine Ehrlichkeits-Kampagne. Und wieder wartet Amerika auf eine Heldenfigur.

    Hillary Clinton könnte das sein. Barack Obama könnte das vielleicht noch besser sein. Beide wären solche Mini-Revolutionäre, wie die Amerikaner sie gern wählen. Mit dem Alleinstellungsmerkmal, eine Frau oder ein Farbiger zu sein. Als Vertreter von als benachteiligt geltenden Gruppen also; nach dem Präsidenten, der das konservative, das WASP-Amerika, das Amerika der Red States zwischen den Küsten verkörperte.



    Ob das gut sein wird für die USA, weiß ich nicht. Ich glaube es eher nicht. Aber: Glücklich das Land, in dem man, novarum rerum cupidus, zu einer neuen Heldenfigur wechselt, statt gleich die ganze Verfassung umzustürzen!