15. April 2008

Ein rauschender Sieg Berlusconis. Italien orientiert sich an Deutschland. Das sich freilich inzwischen an Italien zu orientieren scheint

Nun ist es in Italien doch ganz anders ausgegangen, als die Exit Polls hatten erwarten lassen: Kein Kopf- an- Kopf- Rennen, sondern eine absolute Mehrheit für Berlusconis Mitte- Rechts- Koalition in beiden Kammern.

Die aktuelle Entwicklung der Auszählung zeichne ich in Zettels kleinem Zimmer nach. Wer italienisch liest und sie verfolgen möchte, dem empfehle ich die ausgezeichnete Berichterstattung in La Repubblica.

Hier möchte ich den Blick nicht auf dieses zentrale Ergebnis richten, den Sieg der rechten Mitte, sondern auf zwei weitere Resultate, die langfristig vielleicht noch bedeutsamer sein werden: Den Erfolg der Lega Nord (beim gegenwärtigen Stand der Auszählung 9,4 Prozent landesweit, teilweise über 20 Prozent im Norden) und die vernichtende Niederlage der extremen Linken, die in keiner der beiden Kammern mehr vertreten sein wird.

Beides zusammengenommen - so wurde es den Abend über in RaiNews 24 diskutiert - könnte das Signal für eine Umgestaltung der italienischen Institutionen nach deutschem Vorbild sein.



Die Lega Nord ist eine liberal- konservative Regionalpartei Norditaliens, die für eine größere Autonomie dieses Landesteils eintritt. Sie wird in der Berichterstattung der deutschen Leitmedien oft ähnlich unfair dargestellt wie Berlusconi ("das Grinsen bleibt das alte" leitete die "Tagesschau" um 0.10 Uhr den Bericht über seinen Sieg ein); wie überhaupt die deutsche Berichterstattung über Italien ja überwiegend die Perspektive der italienischen Linken einnimmt.

Dazu gehört, daß der Lega Nord oft unterstellt wird, sie strebe die Loslösung des Nordens vom übrigen Italien an. Tatsächlich gab es solche Tendenzen; inzwischen ist das Ziel jedenfalls der Mehrheit der Lega Nord aber ein Föderalismus nach deutschem Vorbild. Man kann sie überhaupt am besten mit der deutschen CSU vergleichen; auch was ihren Charakter als Volkspartei ohne eine enge Ideologie angeht.

Auf die Stimmen dieser Partei wird die neue Regierung Berlusconi angewiesen sein. Und das könnte bedeuten - so wurde es jedenfalls gestern Abend diskutiert -, daß Italien innerhalb der bevorstehenden Reformen seiner Institutionen (wir würden sagen: einer Verfassungsreform) auch den Weg in Richtung Föderalismus einschlagen könnte.



Auch die zweite große Überraschung dieser Wahlen hat einen Bezug zu Deutschland; allerdings einen von ganz anderer Art: Während in Deutschland die Kommunisten so etwas wie ihren zweiten Frühling erleben, gehen sie in Italien offenbar einem ziemlich kalten Winter entgegen. Und das, obwohl auch sie sich Deutschland als Vorbild genommen hatten.

Nach dem Vorbild der deutschen "Die Linke" nämlich versuchen die italienischen Kommunisten eine sozusagen geschachtelte Volksfront- Politik. Innerhalb der inneren Schale haben sie, wie "Die Linke", unter kommunistischer Führung alles zusammengefaßt, was sich als linkssozialistisch versteht. Und auf der Ebene der äußeren Schale sollten diese Vereinten Kommunisten für einen Ministerpräsidenten Walter Veltroni ein unerläßlicher Partner in einer Volksfront sein. Eine Strategie, die wie ein Ei dem anderen derjenigen der deutschen Kommunisten gleicht.

Das Bündnis der inneren Schale trägt den schönen Namen Sinistra Arcobaleno ("Linke Regenbogen"). Es umfaßt vier Parteien: Die Kommunisten Bertinottis, die Rifondanzione Comunista (PRC) des Parteifreundes von Lothar Bisky in der "Europäischen Linken"; die zweite kommunistische Partei Comunisti Italiani (PdCI), die in Biskys europäischer Partei Beobachter- Status hat, die italienischen Grünen (FV) und eine linkssozialistische Partei namens SD.

Und wieviel Prozent Stimmen hat dieses Bündnis in Italien bekommen, dem Land, in dem die Kommunisten jahrzehntelang die zweitstärkste Partei waren? 3,1 Prozent nach der momentanen Hochrechnung!

"Il tracollo della Sinistra Arcobaleno" titelt die Repubblica, der Absturz von Sinistra Arcobaleno, und schreibt:
Delusione. Incredulità. Sconforto. Uno scenario tragico per la Sinistra Arcobaleno. Il cartello elettorale composto da Rifondazione, Comunisti italiani e Verdi, frana davanti all'evidenza dei numeri. Nella prossima legislatura a Palazzo Madama e a Montecitorio non ci sarà alcun rappresentante della sinistra. Un evento storico. E non certo nel senso buono della parola. Fausto Bertinotti, che annuncia la fine della sua stagione da dirigente, non usa giri di parole: "E' una sconfitta netta di proporzioni impreviste (...)".

Enttäuschung. Ungläubigkeit. Verzweiflung. Ein tragisches Bild für die Sinistra Arcobaleno. Das Wahlbündnis aus Rifondazione, Comunisti italiani und Grünen stürzt angesichts der Wahrheit der Zahlen ab. In der folgenden Legislaturperiode wird es im Palazzo Madama und im Montecitorio [den Sitzen der beiden Parlamente] keinen einzigen Repräsentanten der Linken mehr geben. Ein historisches Ereignis. Und gewiß nicht im positiven Sinn des Worts. Fausto Bertinotti, der von seiner Funktion an der Spitze zurücktrat, redete nicht darum herum: "Das ist eine klare Niederlage in einem nicht erwarteten Ausmaß (...)".


In der neuen italienischen Nationalversammlung werden Verhältnisse herrschen wie bei uns in der Adenauer- Republik: Eine breite bürgerliche Mehrheit regiert. Eine nichtkommunistische, demokratische Linke ist in der Opposition. Rechte wie linke Extremisten sind nicht im Parlament vertreten.

Beste Voraussetzungen für ein dauerhaftes, stabiles Parteiensystem, wenn es - was allgemein angenommen wird - zu der erwähnten "Reform der Institutionen" kommt, zu der auch ein Mehrheitswahlrecht gehören dürfte.

Nicht wahr, das ist seltsam? Während sich Italien aus der Situation befreit, die im parlamentarischen System unweigerlich mit der Existenz einer starken kommunistischen Partei einhergeht, leistet es sich Deutschland, die Kommunisten zur drittstärksten Kraft zu machen; steuert Deutschland damit just auf die Verhältnisse der Instabilität zu, die Italien zu überwinden im Begriff ist.

Was sind die Gründe für diese gegenläufigen Entwicklungen? Ich vermute, daß man gar nicht unbedingt tiefgründig nach historischen Ursachen suchen muß. Eine einfache Erklärung könnte ausreichen:

Uns ist es in Deutschland, was politische Stabilität angeht, jetzt mehr als ein halbes Jahrhundert lang so gut gegangen, daß wir ihren Wert gar nicht mehr zu schätzen wissen. Statt daß wir uns mit dem demokratischen Wechsel zwischen der linken Mitte und der rechten Mitte zufriedengeben, wie er alle erfolgreichen Demokratien kennzeichnet, wird nach "Impulsen" ausgerechnet von den Kommunisten verlangt.

Wir benehmen uns wie der sprichwörtliche Esel, dem es zu wohl ist und der darum aufs Eis tanzen geht. Während die Italiener dieses Eis lange genug kennen gelernt haben und oft genug eingebrochen sind, um von dieser Tanzerei die Nase voll zu haben.



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