8. April 2008

Lidl, Ver.di und der "Brent-Spar"- Effekt

Was Greenpeace vor dreizehn Jahren sein Shell war, das ist jetzt der Gewerkschaft Ver.di ihr Lidl: Ein Geschenk des Himmels.

Ein Unternehmen nämlich, gegen das sich mobilisieren läßt. Das sich offenkundig - oder sagen wir vorsichtig: anscheinend - so benimmt, daß jeder Anständige sich nur empören kann.

Ein Unternehmen, dessen Verhalten den Umweltschützern damals, heute den Gewerkschaftern, die sich pflichtgemäß empören, eine Publicity verschafft, wie sie das mit eigenen Kampagnen und mit Streiks nur selten hinbekommen. Vor allem, weil es - David gegen Goliath, die Sachwalter der Umwelt und des Kleinen Mannes gegen die bösen Multis und Handelsriesen - eine ganz und gar positive Publicity ist.

Da heißt es zugreifen. Inzwischen dehnt die Gewerkschaft Ver.di ihre Kampagne bereits auf Aldi aus; ganz so, wie damals nicht nur Shell, sondern gleich "die Öl-Multis" ins Visier der Umweltschützer gerieten.



Damals, 1995, traf es Shell in Gestalt der Affäre der "Brent Spar". Jetzt ist es Lidl passiert mit der Affäre der bespitzelten Mitarbeiter.

Damals war - wir erinnern uns - die "Brent Spar" unter der Verantwortung von Shell in die Nordsee versenkt worden. Man sprach von einer "Ölplattform"; es handelte sich aber eigentlich um einen schwimmenden Öltank, der ausgedient hatte.

Das wurde damals von Greenpeace angeprangert und löste eine ungeheure Empörung aus, weit mehr als jetzt die Lidl- Affäre. Daß man ein solches schrottreifes Ungetüm, gefüllt mit diversen Schadstoffen, einfach in die Nordsee versenkt - das schien vielen damals ungefähr so zu sein, als würde der Bürger seinen ausgedienten Golf oder Manta entsorgen, indem er ihn in den nächstbesten Teich befördert.

So erschien es damals, so erschien es auch mir. Denn die meisten glaubten, wie auch ich, was Greenpeace behauptete und mit einer "Besetzung" der "Brent Spar", um Proben zu entnehmen, spektakulär unterstrich. Zum Beispiel, daß 5500 Tonnen Schadstoffe mit der Brent Spar versenkt werden sollten.

Nur stimmte das nicht. Nur wäre eine Versenkung der "Brent Spar" ungefähr so sehr eine Gefahr für die Ökologie der Nordsee gewesen, wie die Windmühlen des edlen Ritters aus der Mancha Riesen waren, gegen die es tapfer zu kämpfen galt.

Anders aber als dem Don Quijote können wir es den Helden von Greenpeace nicht abnehmen, daß sie in schöner Naivität die Wirklichkeit verkannt hatten. Sie haben die Gelegenheit vielmehr als kühle Strategen ergriffen, so wie jetzt Ver.di die Bespitzelungs- Affäre nutzt, um eine Kampagne gegen Lidl und Aldi zu führen; zwei bekanntlich nicht eben gewerkschaftsfreundliche Unternehmen.



Sie finden, lieber Leser, dieser Vergleich sei aber doch ziemlich weit hergeholt? Warten Sie mit Ihrem Urteil bitte einen Augenblick, bis ich erklärt habe, wo ich die Parallele sehe.

Ich sehe sie nicht im Ausmaß des anscheinenden oder tatsächlichen Schadens oder in der Schwere der behaupteten oder geschehenen Verfehlung. Was nun "schlimmer" ist, die Nordsee mutwillig mit Schadstoffen zu belasten oder seine Mitarbeiter zu bespitzeln - wer will das sagen? Das ist offensichtlich inkommensurabel. Also, dort liegt nicht die Parallele, die mich interessiert.

Daß zweitens das, was passierte, jeweils von einer interessierten Organisation aufgegriffen und für ihre Propaganda ausgenutzt wurde und wird, liegt zwar als Parallele auf der Hand, ist aber auch einigermaßen trivial.

Natürlich warten solche Organisationen, die sich als Anwalt der Schwachen gegen die Starken sehen und vor allem so gesehen werden möchten, nur auf tatsächliche oder vermeintliche Verfehlungen der Starken. Und selbstverständlich holen sie, wenn sie so etwas gefunden zu haben vermeinen, propagandistisch heraus, was denn herauszuholen ist.

Bedenklicher ist schon, wie unsere deutschen Leitmedien dabei mitspielen. Aber nun ja, das sind eben unsere deutschen Leitmedien, von denen eine freundliche Berichterstattung gegenüber Wirtschaftsunternehmen zu erwarten blauäugig wäre. Gegen die Reichen und Mächtigen, das kommt immer gut.

Schon gar nicht ziele ich - das wär eine dritte mögliche Parallele - auf die Behauptung, die Lidl-Affäre werde sich ebenso als heiße Luft erweisen wie seinerzeit die "Brent Spar"- Affäre. Denn das weiß ich nicht.

Ob ein Unternehmen gegen seine Befugnisse verstößt, wenn es eine Überwachung seiner Mitarbeiter in der Art anordnet oder jedenfalls duldet, die Lidl vorgeworfen wird, das kann ich nicht beurteilen. Zumal ja nur einzelne Fälle bekannt geworden sind, von denen niemand weiß, ob sie Ausnahmen sind oder repräsentativ für die Praktiken bei Lidl.

Offenbar sind sich ja auch die Arbeitsrechtler über die juristische Beurteilung solcher Praktiken keineswegs einig. Man vergleiche, was die "Zeit" darüber zunächst in Ausgabe 13/2008 und eine Woche später in der Nummer 14/2008 geschrieben hat.



Also, hier liegt nicht die Parallele, die ich interessant finde. Sondern bemerkenswert - und auch des Nachdenkens wert - finde ich die Reaktion derer, die jeweils Gegenstand der Kampagne waren und sind.

Shell hat sich damals zunächst so verhalten, wie sich jeder, auch ein Unternehmen, üblicherweise gegenüber einem derartigen Angriff verhält: Man hat sich verteidigt. Aber sehr schnell zeigte sich, daß Shells Position nicht zu verteidigen war.

Das hatte - siehe oben - nichts mit dem Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen zu tun, sondern mit der Bereitschaft eines breiten Publikums, sie zu glauben.

Die deutsche Wikipedia schreibt zu den Folgen der Aktion von Greenpeace:
Die Besetzung fand ein großes Medienecho vor allem in den Niederlanden, Dänemark und Deutschland. Es gab Boykottaufrufe, die ein großes Echo in den Medien und der Bevölkerung fanden. Auch einige deutsche Behörden ließen ihre Autos nicht mehr bei Shell tanken. Daraufhin sanken die Umsätze der deutschen Shell-Tankstellen um bis zu 50%. In Hamburg wurde durch Extremisten ein Brandanschlag auf eine Shell- Tankstelle verübt.
Das wirkte. Laut internationaler Wikipedia kosteten die Boykotts Shell zwischen 60 Millionen und 100 Millionen britische Pfund.

Shell verzichtete, derart bedrängt, schließlich nicht nur darauf, sich zu rechtfertigen, sondern man gab überhaupt den Plan auf, die "Brent Spar" zu versenken. Was - wie eine Untersuchung unabhängiger Wissenschaftler später zeigte - durchaus umweltfreundlich gewesen wäre, aber nicht mehr durchsetzbar.

Stattdessen schwenkte Shell um 180 Grad und eröffnete seinerseits eine Kampagne "Wir werden uns ändern". Zum ersten Mal hatte sich in großem Maßstab die Macht derer erwiesen, die in der Lage sind, einem Unternehmen einen massiven Image- Schaden zuzufügen.

Und hier liegt die Parallele zur jetzigen Situation: Lidl hat, wie in den vergangenen Jahren viele Unternehmen in ähnlicher Lage, aus den damaligen Erfahrungen von Shell gelernt. Das Unternehmen zeigte sich "bestürzt" und entschuldigte sich.

Gestern nun landete Lidl einen Coup, dessen propagandistische Professionalität die Strategen von Ver.di neidisch gemacht haben dürfte. Anzeigen in den Tageszeitungen verkündeten:
INFORMATION - LIDL HANDELT!

Ehemaliger oberster Datenschutz- Beauftragter der Bundesrepublik Deutschland ist Berater von Lidl


Seit Anfang April 2008 berät und unterstützt uns Dr. Joachim Jacob in allen Fragen rund um den Datenschutz. Er wird sicherstellen, daß den datenrechtlichen Vorschriften in vollem Umfang entsprochen wird.
Das nennen ich gut gekontert. Bravo, Lidl!

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