30. April 2008

Zettels Meckerecke: Lügt Wallraff?

Ja, natürlich lügt Günter Wallraff. Die Art des Journalismus, die man mit seinem Namen verbindet, basiert auf der Lüge. Darauf, daß Wallraff, beispielsweise, einen Arbeitgeber über seine Identität belügt.

Als er mit dieser Methode auf dem Höhepunkt seines Erfolgs war, in den siebziger und frühen achtziger Jahren, mag das in die Zeit gepaßt haben. Es war eine Zeit, in der die selbstverständlichen Formen des Umgangs in Frage gestellt wurden; in der Viele nichts dabei fanden, zu "klauen", Raubdrucke von Büchern zu vertreiben, "Gewalt gegen Sachen" zu verüben.

In diese Zeit mag es gepaßt haben, daß ein Journalist bei der Ausübung seines Berufs log, daß sich die Balken bogen. Aber heutzutage?



Als ich heute Vormittag die neue "Zeit" in der Post sah, bin ich doch ein bißchen zurückgeprallt: Da blickte mich als Aufmacher Wallraff an, grimmig wie immer, und darüber stand, breit auf düsterem Schwarz: "Ausgebeutet".

Den zugehörigen Artikel findet man, über volle acht Seiten, im "Zeit-Magazin". "Niedriglöhner" in einer Fabrik war Wallraff, die "Brötchen für Lidl backt", so steht es im Vorspann. Natürlich unter falschem Namen.

Ich habe diesen Artikel nicht gelesen und werde das auch nicht tun. Denn eines scheint mir doch evident: Wenn jemand so professionell, so im Wortsinn professionell lügt wie Wallraff - warum sollte man auch nur eine Zeile von dem glauben, was er schreibt? Warum sollte der Mann denn beim Schreiben ehrlicher sein als beim Recherchieren?



Die Masche ist seit rund vierzig Jahren immer dieselbe. Das erste, was ich von Wallraff gelesen habe, war ein Artikel in "Pardon" in den sechziger Jahren. Darin berichete er, wie er Priester angerufen und ihnen vorgelogen hatte, er sei ein Napalm- Fabrikant und hätte Gewissensbisse. Was er denn tun solle?

Das war während des Vietnam-Kriegs. Als es dann gegen die "Springer- Presse" ging, schlich sich Walraff dort als "Hans Esser" ein. Dann war McDonald's an der Reihe. In den achtziger Jahren nämlich hatte McDonald's noch ungefähr denselben schlechten Ruf wie heute Lidl. Wallraff hatte immer ein Gespür dafür, woraus sich jeweils gerade am besten der Funke der Empörung schlagen läßt.

Also, wenn er das jetzt mit dieser Bäckerei macht, dann ist das ungefähr so aufregend, als wenn die Alten Herren der Deutschen Nationalmannschaft von 1972 gegen die vereinigten Theken- Mannschaften von Groß- Umstadt kicken, für einen guten Zweck. Das wäre noch nicht mal eine "Meckerecke" wert.

Was mich zum Meckern veranlaßt, ist nicht, daß Wallraff seine alte Soße zum soundsovielsten Mal aufwärmt, sondern wo er das tut; wo er das tun darf. Statt wie früher in der randständigen Presse wie dem Satireblatt "Pardon" oder dem Linksaußen- Magazin "Konkret" erscheinen seine "Reportagen" jetzt in der "Zeit". Als "ZEITmagazin-Reporter" firmiert er dort, dieser Musterfall eines unseriösen Journalisten in dem Blatt, das einmal als Vorbild seriösen Journalismus galt.

Ich glaube nicht, daß Gerd Bucerius, daß die Gräfin Dönhoff ihm bei dem Blatt einen besseren Job als, sagen wir, den eines Büroboten angeboten hätten.



Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.