14. November 2006

Wie wird man US-Präsident? Oder: Warum Hillary und Barack gute Chancen haben

Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika kann man - konnte man jedenfalls im vergangenen halben Jahrhundert - auf eine von zwei Arten werden: Entweder als Erbe, oder als Fahnenträger einer, sagen wir, Mini-Revolution.

Die Erben - das sind die ebenso soliden wie langweiligen Präsidenten, die als Nachfolger ins Amt kamen. Truman, der Vizepräsident Roosevelts gewesen war und Präsident wurde, als dieser 1945 starb. Lyndon B. Johnson, der Kennedys Vize gewesen war und der nach dessen Ermordung Präsident wurde. Gerald Ford, der von Präsident Nixon zum Vizepräsidenten ernannt worden war, nachdem der gewählte Vize Spiro Agnew hatte zurücktreten müssen, und der dann unversehens Präsident wurde, als Nixon selbst zurücktrat, um der Amtsenthebung zuvorzukommen.

Und zu den Erben gehört schließlich auch Bush senior, der Ronald Reagan als Vizepräsident zur Seite gestanden hatte und den man - freilich nur einmal - zum Präsidenten wählte, weil man eine Fortsetzung der guten, für die USA so ersprießlichen Reagan-Jahre wollte.

Interessanter, und auch viel bezeichnender für die amerikanische Mentalität, sind aber diejenigen Präsidenten, die nicht als Erbe ins Amt kamen, sondern in their own right, aus eigener Kraft und Rechtfertigung. Und sie sind - jedenfalls in der Zeit, die ich jetzt betrachte - fast alle so etwas wie Mini-Revolutionäre gewesen.



In den USA herrscht eine nachgerade unglaubliche politische Stabilität. In den mehr als zwei Jahrhunderten ihres Bestehen haben sie nicht nur keine einzige Revolution erlebt, sondern noch nicht einmal eine radikale Verfassungsänderung, wie sie beispielsweise Frankreich seit der Grande Révolution alle paar Jahrzehnte heimzusuchen pflegen.

Nichts davon in den USA. Aber das heißt nicht, daß die Amerikaner nicht auch gelegentlich - vielleicht sogar häufiger als die Franzosen - den radikalen Wechsel wollen, den Schnitt, das Neue.

Nur realisieren sie das nicht, indem sie revoluzzen, sondern indem sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Und dabei freilich jemanden wählen, der verspricht, es ganz anders zu machen. Neu zu beginnen, mit einem New Deal, also die Karten neu zu verteilen. Zu einer New Frontier aufzubrechen, zu einer neuen Grenze.



Roosevelt war so ein Neubeginner, der im Wahlkampf 1932 versprach, die USA aus der Misere der Großen Depression herauszuholen und der in seiner Amtseinführungsrede den berühmten Satz sprach: "The only thing we have to fear is fear itself." Nur die Furcht selbst sei es, was Amerika zu fürchten habe.

Nach Truman, Roosevelts Vize (kein unbedeutender Präsident; aber eben ein Erbe) gab es wieder diesen Neubeginn: 1952 wählten die Amerikaner nicht Adlai Stevenson, der in vielerlei Hinsicht ein zweiter Roosevelt gewesen wäre, sondern dessen Antipoden, den konservativen General Eisenhower. Nach 18 Jahren demokratischer Regierung wieder einen Republikaner.

Eine Mini-Revolution also, ein turnabout; aber noch viel mehr war das die Wahl Kennedys 1960: Dem alten Haudegen folgte der junge Prinz, der den Weg zur neuen Grenze versprach. Dem einen Archetypus der andere.

Und so war es auch danach: "Tricky Dicky" Nixon wurde (nach dem Zwischenspiel mit dem unfreiwilligen Präsidenten Ford) durch den sanften, frommen und immer lächelnden Bill Carter abgelöst: Zurück zur Tugend.

Er war nicht sehr erfolgreich; er war in gewisser Weise ein Symbol des amerikanischen Niedergangs nach dem schmählichen Rückzug aus Vietnam. Also ein neuer turnabout: Auf den milden Linken Carter folgt der knorrige Rechte Reagan, der den Amerikanern wieder Mut machte, der sie sozusagen wieder zu ihrer historischen Größe zurückführte.

Jeder auf seine Art ein Hoffnungsträger, ein Neubeginner - eben ein Mini-Revolutionär. Eine Wahlmonarchie hat man die USA oft genannt. Wenn das stimmt, dann neigen die Amerikaner dazu, den strahlenden Helden als ihren Monarchen zu wählen; denjenigen, der das ganz Andere, das ganz Neue verspricht.



Mir scheint, ein solcher turnabout steht jetzt wieder ins Haus.

Auch George W. Bush war als der Mini-Revolutionär gewählt worden, der mit einem geradelinigen, wertorientierten Programm die Unsäglichkeiten von Bill ("I-never-had-sex-with-this-woman") Clinton vergessen machen sollte. Er hat jetzt selbst das Etikett des Lügners angehängt bekommen. (Nach meiner Überzeugung zu Unrecht, but that's another story). Wieder läuft eine Ehrlichkeits-Kampagne. Und wieder wartet Amerika auf eine Heldenfigur.

Hillary Clinton könnte das sein. Barack Obama könnte das vielleicht noch besser sein. Beide wären solche Mini-Revolutionäre, wie die Amerikaner sie gern wählen. Mit dem Alleinstellungsmerkmal, eine Frau oder ein Farbiger zu sein. Als Vertreter von als benachteiligt geltenden Gruppen also; nach dem Präsidenten, der das konservative, das WASP-Amerika, das Amerika der Red States zwischen den Küsten verkörperte.



Ob das gut sein wird für die USA, weiß ich nicht. Ich glaube es eher nicht. Aber: Glücklich das Land, in dem man, novarum rerum cupidus, zu einer neuen Heldenfigur wechselt, statt gleich die ganze Verfassung umzustürzen!