Was ist die Hauptdimension, auf der sich politische Parteien unterscheiden? Natürlich die Dimension "Links-Rechts". So ist es im allgemeinen Bewußtsein verankert; so zeigt es sich in den Parteiensystemen:
In Skandinavien gibt es die Sozialdemokraten und Linksparteien auf der einen, die sogenannten "bürgerlichen Parteien" auf der anderen Seite. In Großbritannien die linke Labour Party und die rechten Tories. In Holland die CDA und die VVD auf der einen und die PvdA und die PS auf der anderen Seite. In GB dazwischen die Liberal Democrats, in Holland dazwischen die religiösen und liberalen Parteien. In Frankreich "La Droite", also die UMP und ihre Verbündeten, und ihr gegenüber die Sozialisten und ihre Verbündeten; dazu die linken Extremisten, hauptsächlich diverse trotzkistische Strömungen, und die Rechtextremen, also die Parteien von Le Pen und von Bruno Mégret. In Italien das Linksbündnis Prodis, das gerade gegen das Rechtsbündnis Berlusconis obsiegt hat. In den USA die - für amerikanische Verhältnisse - linken Demokraten und die rechten Republikaner. Und so fort.
"Links" und "rechts", das sind, so liest man es, Bezeichnungen, die aus der Sitzordnung in irgendeinem französischen Parlament des neunzehnten Jahrhunderts stammen.
Natürlich sind die Bezeichnungen beliebig, und natürlich ist dieser historische Ursprung beliebig. Aber daß wir es hier mit der Grunddimension des Politischen zu tun haben, das scheint als ausgemacht zu gelten. Jedenfalls im allgemeinen Bewußtsein.
Die Politologen sehen das vermutlich anders. Selbst eine populär-politologische WebSite wie der Political Compass arbeitet mit zwei Dimensionen: Ökonomisch links-rechts und autoritär-liberal (englisch "libertarian"; weil in den USA die "liberals" die Linken sind).
Im liberalen Liberty.li-Forum gibt es einen aktuellen Thread, der sich mit der Frage befaßt, wie aktuell eigentlich diese Links-Rechts-Dimension noch ist. Es gibt dort viele interessante Beiträge; aber der zentrale Punkt scheint mir ungeklärt zu sein, ja er wurde in dieser Diskussion kaum angesprochen: Ist in unseren heutigen modernen, kapitalistischen Gesellschaften, in unseren demokratischen Rechtsstaaten, überhaupt noch die Links-Rechts-Dimension die grundlegende Dimension, auf der politische Anschauungen variieren?
In der Internet-Ausgabe der Leipziger Volkszeitung wird heute über ein Interview berichtet, das die gedruckte Ausgabe in voller Länge bringt. Es geht um eine gemeinsame Stellungnahme von Politikern aus drei Parteien. Auszug:
Die drei Politiker, die dieses Interview gegeben haben - Philipp Mißfelder, Daniel Bahr und Matthias Berninger - sind Vertreter der sogenannten "jungen Generation". Insofern könnte man ihren Vorstoß als so etwas wie ein Gegenstück zur Bewegung der "Grauen Panther" sehen; sozusagen die "Pantherkids". Aber mir scheint, daß er doch - darüber hinaus - symptomatisch ist für eine sich abzeichnende Änderung im politischen Koordinatenkreuz: Die traditionell dominierende Links-Rechts-Dimension veliert an Bedeutung.
"Rechts" und "links", wie immer man es definieren mag (was schwierig genug ist; Sebastian Haffner hat einmal darauf hingewiesen) ist eine Unterscheidung aus dem neunzehnten Jahrhundert. "Rechts" waren die Konservativen. "Links" waren zunächst - noch zum Beispiel im Paulskirchen-Parlament 1848 - die Liberalen.
Mit dem Aufstieg des Bürgertums wurde ein Teil der Liberalen wohlhabend, großbürgerlich und damit "rechts", und links entstand eine neue, immer stärker werdende politische Kraft - die Sozialdemokratie, später dazu der Kommunismus. Im britischen parlamentarischen System hat sich das darin niedergeschlagen, daß an die Stelle des Gegenübers von Whigs und Tories dasjenige von Tories und Labour trat. Die Liberalen hatten zwar noch eine kleine eigene Partei, fanden sich aber größtenteils in einer der beiden großen Parteien wieder.
Auch auf dem Kontinent waren die Liberalen hinfort in "linke" und "rechte" gespalten. Im Kaiserreich und in der Weimarer Republik waren sie auch durch verschiedene Parteien repräsentiert; erst mit der Gründung der Bundesrepublik wurden sie in einer gemeinsamen Partei, der FDP, wiedervereinigt. Anderswo - in Frankreich zum Beispiel - gibt es bis heute Liberale, die sich zum linken Lager rechnen (die ehemaligen "Radicaux de Gauche") und andere, die im allgemeinen Verständnis der Rechten zugehören (die Anhänger von François Bayrou zum Beispiel; früher die Républicains Indépendants von Giscard d'Éstaing).
Das Koordinatensystem des "Political Compass" besteht aus der Dimension links-rechts und zweitens, wie gesagt, der Dimension autoritär-liberal. Die erstere hatte ihre Grundlage in der Klassengesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts. Ob nicht die heutige Gesellschaft sich viel eher so strukturiert, daß die andere, die autoritär-liberale (oder besser: etatistisch-liberale) zu politischen Grunddimension geworden ist oder jedenfalls im Begriff ist, das zu werden?
Dafür spricht, daß die meisten heutigen politischen Auseinandersetzungen sich nicht mehr dem Schema "links-rechts" fügen.
In der Außenpolitik liegt das auf der Hand. Schröder harmonierte im Irak-Konflikt bestens mit dem Rechten Chirac und mit Putin, von dem man nicht weiß, ob er links oder rechts ist. Ob man im Nahost-Konflikt auf der Seite Israels oder drejenigen der Araber steht, ist nicht eine Frage von Links oder Rechts. Ob man für oder gegen die europäische Verfassung ist, ebensowenig. In Frankreich bestand die Front des "Non" aus Kommunisten, Sozialisten, Konservativen und Rechtsextremisten.
Innenpolitisch ist es nicht anders.
Traditionell war die Linke immer gegen Steuererhöhungen. Heute haben Linke und Rechte in Deutschland gerade gemeinsam eine Erhöhung der alle Bürger treffenden Mehrwertsteuer beschlossen; gegen die Liberalen.
In der Gesundheitspolitik sind Linke wie Rechte für einen Ausbau des staatlichen Gesundheitssystems. Die Liberalen und zum Teil die Grünen sind für eine stärkere individuelle Vorsorge.
In der Rechtspolitik treten Linke wie Rechte für mehr gesetzliche Restriktionen, für Regulierung, für staatliche Steuerung ein. Die Reaktion auf den Mordfall von Emsdetten ist ein aktuelles Beispiel. Die Liberalen sind für den Schutz der Bürgerfreiheiten gegen diese Versuche, die Staatsmacht immer weiter auszudehnen.
Wäre es folglich nicht an der Zeit, an die Stelle der politischen Grunddimension "Links-Rechts" die Grunddimension "Liberal-Etatistisch" zu setzen? Als eine Nebendimension mag Rechts-Links ja weiterbestehen. Aber sie ist nicht mehr die Grunddimension; so, wie heute nicht mehr Bergbau und Stahlindustrie die Leistung unserer Volkswirtschaft bestimmen.
Ein Vorschlag für den Anfang: Die Sitzordnung im Parlament, diese zumindest, könnte doch, sagen wir ab der nächsten Legislaturperiode, an den heutigen tatsächlichen politischen Verschiedenheiten orientiert werden. Also auf der einen Seite - ob links oder rechts, ist egal; es hängt ja auch davon ab, ob man die Perspektive des Präsidenten oder die des Abgeordneten einnimmt - , auf der einen Seite also die Kommunisten der PDS und, sollten sie in den Bundestag kommen, die Neonazis der NPD. Dann, schön nebeneinander, so wie sie heute regieren, die Sozial- und Christdemokraten. Und dann die Liberalen - die der FDP und, vermutlich in wachsender Zahl, die liberalen Grünen.
Welche letzteren inzwischen mit Altlinken wie Stroebele und Trittin ungefähr so viel gemeinsam haben dürften wie die "Radikalsozialisten" in Frankreich, lupenreine Liberale, mit dem Sozialismus, der ihnen im neunzehnten Jahrhundert den Namen gab.
In Skandinavien gibt es die Sozialdemokraten und Linksparteien auf der einen, die sogenannten "bürgerlichen Parteien" auf der anderen Seite. In Großbritannien die linke Labour Party und die rechten Tories. In Holland die CDA und die VVD auf der einen und die PvdA und die PS auf der anderen Seite. In GB dazwischen die Liberal Democrats, in Holland dazwischen die religiösen und liberalen Parteien. In Frankreich "La Droite", also die UMP und ihre Verbündeten, und ihr gegenüber die Sozialisten und ihre Verbündeten; dazu die linken Extremisten, hauptsächlich diverse trotzkistische Strömungen, und die Rechtextremen, also die Parteien von Le Pen und von Bruno Mégret. In Italien das Linksbündnis Prodis, das gerade gegen das Rechtsbündnis Berlusconis obsiegt hat. In den USA die - für amerikanische Verhältnisse - linken Demokraten und die rechten Republikaner. Und so fort.
"Links" und "rechts", das sind, so liest man es, Bezeichnungen, die aus der Sitzordnung in irgendeinem französischen Parlament des neunzehnten Jahrhunderts stammen.
Natürlich sind die Bezeichnungen beliebig, und natürlich ist dieser historische Ursprung beliebig. Aber daß wir es hier mit der Grunddimension des Politischen zu tun haben, das scheint als ausgemacht zu gelten. Jedenfalls im allgemeinen Bewußtsein.
Die Politologen sehen das vermutlich anders. Selbst eine populär-politologische WebSite wie der Political Compass arbeitet mit zwei Dimensionen: Ökonomisch links-rechts und autoritär-liberal (englisch "libertarian"; weil in den USA die "liberals" die Linken sind).
Im liberalen Liberty.li-Forum gibt es einen aktuellen Thread, der sich mit der Frage befaßt, wie aktuell eigentlich diese Links-Rechts-Dimension noch ist. Es gibt dort viele interessante Beiträge; aber der zentrale Punkt scheint mir ungeklärt zu sein, ja er wurde in dieser Diskussion kaum angesprochen: Ist in unseren heutigen modernen, kapitalistischen Gesellschaften, in unseren demokratischen Rechtsstaaten, überhaupt noch die Links-Rechts-Dimension die grundlegende Dimension, auf der politische Anschauungen variieren?
In der Internet-Ausgabe der Leipziger Volkszeitung wird heute über ein Interview berichtet, das die gedruckte Ausgabe in voller Länge bringt. Es geht um eine gemeinsame Stellungnahme von Politikern aus drei Parteien. Auszug:
Politiker von CDU, FDP und Grünen haben in einem gemeinsamen Appell die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert, durch konkrete politische Vorbereitungen schon jetzt die Voraussetzungen für eine Jamaika-Koalition nach der nächsten Bundestagswahl zu schaffen. (...) Die Basis für eine solche Koalition könnten das Prinzip der Nachhaltigkeit, das der sozialen Grundsicherung und Schritte zu mehr Eigenverantwortlichkeit sein.Weiter heißt es, die Zeit für eine Schwarz-gelb-grüne Koalition sei 2005 noch nicht reif gewesen, und als Gemeinsamkeiten dieser drei Partner werden "Generationengerechtigkeit, eine moderne Umweltpolitik und in erster Linie die Reform der sozialen Sicherungssysteme" genannt.
Die drei Politiker, die dieses Interview gegeben haben - Philipp Mißfelder, Daniel Bahr und Matthias Berninger - sind Vertreter der sogenannten "jungen Generation". Insofern könnte man ihren Vorstoß als so etwas wie ein Gegenstück zur Bewegung der "Grauen Panther" sehen; sozusagen die "Pantherkids". Aber mir scheint, daß er doch - darüber hinaus - symptomatisch ist für eine sich abzeichnende Änderung im politischen Koordinatenkreuz: Die traditionell dominierende Links-Rechts-Dimension veliert an Bedeutung.
"Rechts" und "links", wie immer man es definieren mag (was schwierig genug ist; Sebastian Haffner hat einmal darauf hingewiesen) ist eine Unterscheidung aus dem neunzehnten Jahrhundert. "Rechts" waren die Konservativen. "Links" waren zunächst - noch zum Beispiel im Paulskirchen-Parlament 1848 - die Liberalen.
Mit dem Aufstieg des Bürgertums wurde ein Teil der Liberalen wohlhabend, großbürgerlich und damit "rechts", und links entstand eine neue, immer stärker werdende politische Kraft - die Sozialdemokratie, später dazu der Kommunismus. Im britischen parlamentarischen System hat sich das darin niedergeschlagen, daß an die Stelle des Gegenübers von Whigs und Tories dasjenige von Tories und Labour trat. Die Liberalen hatten zwar noch eine kleine eigene Partei, fanden sich aber größtenteils in einer der beiden großen Parteien wieder.
Auch auf dem Kontinent waren die Liberalen hinfort in "linke" und "rechte" gespalten. Im Kaiserreich und in der Weimarer Republik waren sie auch durch verschiedene Parteien repräsentiert; erst mit der Gründung der Bundesrepublik wurden sie in einer gemeinsamen Partei, der FDP, wiedervereinigt. Anderswo - in Frankreich zum Beispiel - gibt es bis heute Liberale, die sich zum linken Lager rechnen (die ehemaligen "Radicaux de Gauche") und andere, die im allgemeinen Verständnis der Rechten zugehören (die Anhänger von François Bayrou zum Beispiel; früher die Républicains Indépendants von Giscard d'Éstaing).
Das Koordinatensystem des "Political Compass" besteht aus der Dimension links-rechts und zweitens, wie gesagt, der Dimension autoritär-liberal. Die erstere hatte ihre Grundlage in der Klassengesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts. Ob nicht die heutige Gesellschaft sich viel eher so strukturiert, daß die andere, die autoritär-liberale (oder besser: etatistisch-liberale) zu politischen Grunddimension geworden ist oder jedenfalls im Begriff ist, das zu werden?
Dafür spricht, daß die meisten heutigen politischen Auseinandersetzungen sich nicht mehr dem Schema "links-rechts" fügen.
In der Außenpolitik liegt das auf der Hand. Schröder harmonierte im Irak-Konflikt bestens mit dem Rechten Chirac und mit Putin, von dem man nicht weiß, ob er links oder rechts ist. Ob man im Nahost-Konflikt auf der Seite Israels oder drejenigen der Araber steht, ist nicht eine Frage von Links oder Rechts. Ob man für oder gegen die europäische Verfassung ist, ebensowenig. In Frankreich bestand die Front des "Non" aus Kommunisten, Sozialisten, Konservativen und Rechtsextremisten.
Innenpolitisch ist es nicht anders.
Traditionell war die Linke immer gegen Steuererhöhungen. Heute haben Linke und Rechte in Deutschland gerade gemeinsam eine Erhöhung der alle Bürger treffenden Mehrwertsteuer beschlossen; gegen die Liberalen.
In der Gesundheitspolitik sind Linke wie Rechte für einen Ausbau des staatlichen Gesundheitssystems. Die Liberalen und zum Teil die Grünen sind für eine stärkere individuelle Vorsorge.
In der Rechtspolitik treten Linke wie Rechte für mehr gesetzliche Restriktionen, für Regulierung, für staatliche Steuerung ein. Die Reaktion auf den Mordfall von Emsdetten ist ein aktuelles Beispiel. Die Liberalen sind für den Schutz der Bürgerfreiheiten gegen diese Versuche, die Staatsmacht immer weiter auszudehnen.
Wäre es folglich nicht an der Zeit, an die Stelle der politischen Grunddimension "Links-Rechts" die Grunddimension "Liberal-Etatistisch" zu setzen? Als eine Nebendimension mag Rechts-Links ja weiterbestehen. Aber sie ist nicht mehr die Grunddimension; so, wie heute nicht mehr Bergbau und Stahlindustrie die Leistung unserer Volkswirtschaft bestimmen.
Ein Vorschlag für den Anfang: Die Sitzordnung im Parlament, diese zumindest, könnte doch, sagen wir ab der nächsten Legislaturperiode, an den heutigen tatsächlichen politischen Verschiedenheiten orientiert werden. Also auf der einen Seite - ob links oder rechts, ist egal; es hängt ja auch davon ab, ob man die Perspektive des Präsidenten oder die des Abgeordneten einnimmt - , auf der einen Seite also die Kommunisten der PDS und, sollten sie in den Bundestag kommen, die Neonazis der NPD. Dann, schön nebeneinander, so wie sie heute regieren, die Sozial- und Christdemokraten. Und dann die Liberalen - die der FDP und, vermutlich in wachsender Zahl, die liberalen Grünen.
Welche letzteren inzwischen mit Altlinken wie Stroebele und Trittin ungefähr so viel gemeinsam haben dürften wie die "Radikalsozialisten" in Frankreich, lupenreine Liberale, mit dem Sozialismus, der ihnen im neunzehnten Jahrhundert den Namen gab.