30. November 2006

Zettels Meckerecke: Hilfssheriffs

Der "Mannesmann-Prozeß" ist zu Ende. Er ist so zu Ende gegangen, wie es gelegentlich im Western passiert: Bevor der Bösewicht zum Galgen geführt werden konnte, kommt jemand angeritten, sprengt die Tür zum Gefängnis, hievt den Bösen auf sein Pferd, und beide suchen das Weite.

Die Bewohner von Tombstone oder Carson City fühlen sich dann um ihr Schauspiel betrogen. Sie wollten den Bösen hängen sehen, und nun wurde ihnen dieses Vergnügen genommen. Also lassen sie sich als Hilfssheriffs vereidigen, schwingen sich zu Pferde und machen sich auf, Gerechtigkeit zu üben.



Eine solche handgreifliche Form der Bürgerbeteiligung ist im Fall Ackermann nun freilich nicht zu befürchten. Aber der Wunsch danach dürfte in mancher deutschen Brust kochen; und vor sozusagen virtuellen Hilfssheriffs wimmelt es nur so.

Statt sich unter einem Schuldspruch zu beugen, macht sich der Bösewicht Ackermann vom Acker, indem er in die Westentasche greift und einen lächerlichen Betrag von ein paar Millionen Euro löhnt. Und wir, die auf das Schauspiel seiner Verurteilung wartenden Bürger, haben das Nachsehen. "Schluß, aus, vorbei", wie der Stern titelt.



Wenn der Volkszorn kocht, dann brodeln die Äußerungen unserer Politiker mit. Spiegel Online konstatiert einen "allgemeinen Aufschrei" und nennt die Begründung der Entscheidung "hanebüchen". Dort wird Renate Künast zitiert: "Die Bürger müssten den Eindruck gewinnen, dass die Summe nur hoch genug sein müsse, damit Manager vor ihrer Strafe davon kommen könnten." Und der Vorsitzende der Landesgruppe der CSU im Bundestag, Ramsauer, fand, laut Spiegel-Online, diese Worte: "Wie eine solche Freikaufaktion auf das gesunde Rechtsempfinden der Menschen im Lande wirkt, so wirkt sie auch auf mich." Laut Tagesspiegel sagte des weiteren Oskar Lafontaine: "Es entsteht der Eindruck, wenn du viel Geld hast, kannst du dich von Strafen freikaufen."

Einige von denjenigen, die sich so geäußert haben - besonders prononciert der Grüne Fritz Kuhn gestern abend bei Frank Plaßberg - sind Juristen, andere nicht. Aber kaum einer scheint überhaupt an den juristischen Gesichtspunkten interessiert zu sein, die zur Einstellung des Verfahrens gegen die Zahlung von Geldauflagen geführt haben.

Soweit das bekannt wurde, wäre es ein Prozeß mit höchst ungewissem Ausgang geworden, der über lange Zeit hätte andauern können. Für Ackermann wäre (die Welt hat es vorgerechnet) gemäß den Paragraphen 40 und 54 des StGB maximal 3,6 Millionen Euro Geldstrafe herausgekommen - maximal, wohlgemerkt; im Fall eines Schuldspruchs. Jetzt zahlt er unwesentlich weniger, 3,2 Millionen.

Die Staatsanwaltschaft, die Verteidigung und das Gericht haben sich auf das verständigt, was bei dieser Sachlage vernünftig war und was der Paragraph 153a der Strafprozessordnung vorsieht: Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung von Geldauflagen.



Nun hört man - zuletzt habe ich es gestern in den "Tagesthemen" so vernommen - immer wieder die Argumentation, diese Möglichkeit der Einstellung sei für kleinere Delikte gedacht gewesen. Und oft im selben Atemzug wird behauptet, daß nur Millionäre sich auf diese Art "freikaufen" könnten. Ja, watt denn nu? sagt der Berliner in solch einem Fall.

Es wird irrational argumentiert, was das Zeug hält. Wenn irrational argumentiert wird, dann liegt der Verdacht nahe, daß es in den Tiefen der Volksseele rumort.

Andreas Platthaus hat in einem lesenswertigen Beitrag in der FAZ die psychologischen Gründe dafür analysiert, daß Ackermann zum Buhmann wurde; zum Bösewicht eben, wie er im Western auf seine Hinrichtung wartet. Nicht nur seine unverschämt hohen Bezüge, nicht nur sein Erfolg, seine Härte beim Rationalisieren - sondern jenes V-Zeichen sei es, das man ihm angekreidet habe:
Denn was Ackermann endgültig in die Rolle des Buhmanns der Nation brachte, war das Foto mit dem Victoryzeichen vor dem ersten Verhandlungstag. (...) Es ist (...) viel weniger der Neid auf Ackermanns jährliche Millioneneinkünfte (...); es ist das medial befeuerte Gefühl, daß dort einer ohne Rücksicht die Welt verändern wolle. Daß er sich von allem gelöst habe, was als Wert gemeinhin anerkannt wird.
So einen wollen wir hängen sehen.



Mag sein, daß viele Menschen nicht fähig sind, von ihrem Neid, von ihrer Ablehnung des Fremden, des Kühlen, des Globalisierers zu abstrahieren und den Fall sachlich zu sehen. Das ist halt das "gesunde Volksempfinden". Das dumpfe Bauchgefühl, das es uns allen gelegentlich schwer macht, unseren Verstand zu gebrauchen.

Aber sollten Politiker nicht eigentlich einem solchen Brodeln des "gesunden Volksempfindens" entgegentreten, statt ihm nach dem Mund zu reden? Brüsten viele sich nicht oft genug damit, den "Anfängen zu wehren", wenn es um dumpfen Nationalismus, um dumpfe Fremdenfeindlichkeit geht? Erheben sie sich nicht ständig über "die Stammtische"?

Ja, das tun sie. Jedenfalls meist. Offenbar nur dann nicht mehr, wenn es um dumpfen Neid auf die Reichen geht, auf die Erfolgreichen, die Globalisierer. Dann scheint auf einmal der Aufklärungsbedarf wie weggepustet zu sein. Dann schwadronieren Politiker, linke wie rechte, herum, als säßen sie im Bierdunst der Dorfkneipe.

Sie reiten, die Hilfssheriffs. Und kein Marshall ruft sie zur Räson.