20. Februar 2007

Überlegungen zur Freiheit (1): Rauchen in einer freien Gesellschaft

In dem Gebäude, in dem ich arbeite, ist im Lauf der Jahre immer mehr an Behindertengerechtigkeit verwirklicht worden. Die meisten Türen lassen sich jetzt automatisch, durch Drücken auf eine weit unten angebrachte Taste, öffnen. In den meisten Fahrstühlen gibt es ein horizontales Duplikat der Tastenreihe, weit unten und mit zusätzlicher Kennzeichnung der Etagen in Braille- Schrift. Hörsäle lassen sich im Rollstuhl erreichen, Schwellen wurden beseitigt usw.

Ich finde das ausgezeichnet. Jeder Mensch in unserer Gesellschaft soll soviel persönliche Freiheit haben, wie das nur möglich ist. Und dazu gehört eine Gestaltung des man- made enivronment, der vom Menschen hergestellten Umwelt, die diese Freiheit auch Behinderten ermöglicht, soweit das irgend geht.



Ein Recht auf diese Freiheit haben auch Raucher. Sie haben sich für eine bestimmte Form des Genusses entschieden, die - wie fast jeder Genuß - Risiken mit sich bringt. Aber es ist ihre freie Entscheidung. Ihr, wenn man so will, Lebensstil.

Auch ihnen gegenüber hat die Gesellschaft die Aufgabe, ihnen ein möglichst freies Leben zu ermöglichen. So wie anderen Minderheiten - Homosexuellen, Moslems, Nudisten, christlichen Fundamentalisten, Atheisten, Freunden des Gang- Bangs.

Wer immer, der sich für einen anderen Lebensstil entschieden hat als die Mehrheit: In einer freiheitlichen Gesellschaft muß er das Recht haben, diesen Lebensstil zu realisieren. Und er hat Anspruch darauf, daß die Gesellschaft ihm dabei keine Schwierigkeiten macht, daß sie im Gegenteil eventuell bestehende Schwierigkeiten beseitigt.

Wie die Schwellen, über die ein Rollstuhl nicht rollen kann.



Nun gibt es allerdings das Problem des Passivrauchens. Wer sich den Genuß des Rauchens gönnt, der kann damit die Gesundheit anderer beeinträchtigen.

Man muß dann abwägen: Ist die Freiheit des Rauchers das höhere Rechtsgut, oder die Gefährdung der anderen?

Eine schwierige Abwägung. Man kann da sehr unterschiedlicher Meinung sein, und letztlich geht es um nicht weiter begründbare Wertentscheidungen.

Zur Vereinfachung der Argumentation will ich aber im folgenden voraussetzen, daß die Gesundheit potentieller Passivraucher das uneingeschränkt höherwertige Rechtsgut ist. Daß also die Freiheit der Raucher ihrer absolute Grenze dort findet, wo andere in ihre Gesundheit beeinträchtigt werden. Ich will - for the sake of the argument - sogar voraussetzen, daß jede Art des Passivrauchens schädlich ist; obwohl mir das keineswegs nachgewiesen zu sein scheint.



Dies vorausgesetzt, erscheint mir offenkundig, was in einer freiheitlichen Gesellschaft erforderlich ist: Vorrichtungen zu schaffen, Regelungen zu erlassen, die Nichtraucher vor Beeinträchtigung schützen und die es zugleich den Rauchern ermöglichen, zu rauchen, wo immer sie wollen.

Sofern sie eben damit nicht die gesundheitlichen Belange von Nichtrauchern beeinträchtigen. So, wie Nudisten unter sich nackt sein dürfen, man es ihnen aber zu Recht untersagt, andere mit ihrer Nacktheit zu behelligen, die diese nicht sehen wollen. So wie Homosexuelle, wie Gang- Bang- Freunde ihren Lebensstil leben dürfen, wenn sie niemanden damit belästigen.



In den meisten Ländern der Welt gibt es ein klassisches, gelungenes Beispiel für diese Politik: Die Einrichtung von Raucher- und Nichtraucherabteilen in den Zügen der Eisenbahnen.

In manchen der älteren Züge, wie sie noch in den fünfziger Jahren fuhren, war das auf eine perfekte Weise realisiert. Jedes Abteil hatte seine eigene Tür nach außen. Wer in ein Nichtraucherabteil einstieg - vom Bahnsteig aus direkt dort einstieg -, der war also vor jeder Beeinträchtigung durch Raucher sicher. Er war hermetisch von den Raucherabteilen abgeschlossen.

Dann wurden die Wagen offener. Es gab immer mehr die D-Zug-Wagen, mit einem gemeinsamen Gang, der die Raucher- und die Nichtraucherabteile miteinander verband. Da konnte schon mal, via diesen Gang, Rauch vom einen Abteil ins andere gelangen. Oder Nichtraucher mußten - in den fünfziger, sechziger Jahren nicht selten - wegen Überfüllung im Gang stehen, wo sie dann der Rauch der dort auch stehenden Raucher ereilte.

Dann wurden die Großraumwagen eingeführt; ab den siebziger Jahren, wenn ich mich recht erinnere. Und dort waren der Raucher- und der Nichtraucherbereich überhaupt nicht mehr physisch getrennt; nur noch durch die Andeutung einer Glasscheibe. Da konnte man nun, wenn man im Nichtrauchberbreich gen Raucherbereich saß, kräftig passivrauchen.



Nun gibt es also in letzter Zeit ein verstärktes, wesentlich von der EU-Bürokratie angetriebenes Bemühen, Nichtraucher vor Passivrauchen zu schützen. Ich will das gar nicht kritisieren; ich argumentiere ja jetzt unter der oben formulierten Prämisse eines absoluten Vorrangs des Nichtraucherschutzes.

Also muß auch die Eisenbahn, muß die Deutsche Bahn etwas tun. Was, das liegt auf der Hand: Sie muß ihre Wagen so umbauen, daß die Raucher- und die Nichtraucherbereiche so gut getrennt sind, wie das in den Abteilwagen der fünfziger Jahre der Fall gewesen war.

Das wäre technisch gewiß nicht schwer. Die allereinfachste Möglichkeit bestünde darin, in jedem - beispielsweise - IC und ICE mindestens einen Wagen der ersten und einen der zweiten Klasse einzusetzen, die völlig den Rauchern vorbehalten sind. Man könnte zwischen sie und die anderen Wagen gewiß auch zusätzliche Vorrichtungen einbauen, die eine Ausbreitung von Rauch vom einen auf den anderen Wagen zuverlässig verhindern.

Gewiß, die Raucher müßten dann etwas weiter auf dem Bahnsteig laufen, um den oder die ihnen reservierten Wagen zu erreichen.

Aber das muß auch jetzt schon oft der Erste- Klasse- Reisende. Denn während zum Beispiel in der alten Pariser Métro die Erste Klasse selbstverständlich in der Mitte gewesen war, hat es sich die Deutsche Bahn ja einfallen lassen, ihren Erste- Klasse- Passagieren den Weg bis zum Anfang und/oder Ende des Zugs zuzumuten. Schließlich zahlen sie mehr, da können sie auch weiter laufen.



Nun, es ist seit vergangener Woche bekannt, daß die Deutsche Bundesregierung nicht daran denkt, das zu tun, was in einer freien Gesellschaft selbstverständlich sein müßte: Gesetzliche Regelungen anzustreben, die den Belangen der Raucher ebenso wie denjenigern der Nichtraucher gerecht werden. Sondern zum Schutz der Nichtraucher soll das Rauchen in Zügen ganz verboten werden.

Es gibt dafür nicht die Spur einer Rechtfertigung. So, wie man durch bauliche Maßnahmen den Belangen der Behinderten gerecht werden kann, so könnte man durch geringfügige technische Maßnahmen den Rauchern ermöglichen, weiter in den Zügen der Deutschen Bahn zu rauchen, ohne daß sie damit die Gesundheit der Nichtraucher gefährden.

Das deutsche Bundeskabinett - das sich in dieser Sache mal wieder so verhält, als sei auch die CDU bereits eine sozialistische Partei, wie die Partei ihrer Drogenbeauftragten - schert sich einen Dreck um die Belange der Raucher.

Sie werden, als eine Minderheit, nach Strich und Faden benachteiligt. Und kaum jemand scheint sich darüber zu empören.



Ja, aber, ist es denn nicht gut, wenn Raucher behindert werden? Weil Rauchen doch schädlich ist? Vermutlich wird manchem Leser dieser Gedanke durch den Kopf gegangen sein.

Er sollte sich dafür schämen, der betreffende gedachte Leser. Denn es kann doch nicht die Aufgabe des Staats sein, Menschen davor zu bewahren, sich - wenn sie es denn wollen, wenn sie ein Risiko einzugehen bereit sind - selbst zu schaden.

Wer das für eine Aufgabe des Staats hält, der hat den Boden des Grundgesetzes verlassen. Denn dessen erster und in gewisser Weise auch oberster Paragraph lautet: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Zur Würde des Menschen gehört seine Freiheit, sich zu entscheiden. Ohne daß ein anderer, schon gar ohne daß ein Bürokrat ihm da reinredet.



PS: Ja, kann man denn Raucher mit Behinderten vergleichen? Ja.