26. Mai 2008

Zettels Meckerecke: Vorwärts in die fünfziger Jahre, aber bitte ohne Aufsehen! Über den Zustand der SPD. Nebst einem Blick auf Frankreichs Sozialisten

Wo steht die SPD eigentlich programmatisch?

Nicht wahr, diese Frage kommt Ihnen seltsam vor. Denn eine programmatische Diskussion findet in der SPD schon seit langem nicht mehr statt.

1998 hatte man kein Programm, sondern ein "rotgrünes Projekt". 2003 hatte man kein Programm, sondern es fand ein Putsch statt, der dieses Projekt beendete und durch eine "Agenda 2010" ersetzte.

Die SPD hatte damit den Schwenk von einer katastrophal realitätsfernen Politik, die Deutschland innerhalb von fünf Jahren in den Niedergang geführt hatte, hin zu einer halbwegs modernen, in gewissen Zügen sogar liberalen Politik vollzogen, deren Erfolge heute bei den Arbeitslosenzahlen und den Steuereinnahmen zu besichtigen sind.

Die SPD? Nein, nicht nur ein kleines Dorf leistete Widerstand, sondern fast die ganze SPD. Nur allzu verständlich, denn sie hatte den Schritt zu einer modernen Politik ja nicht aus Einsicht getan, wie seinerzeit beim Godesberger Programm. Oder wie die Labour Party, als Tony Blair nach langen Diskussionen in der Partei "New Labour" durchsetzte.

Sie hatte ihn im Grunde überhaupt nicht getan, den Schritt zu einer modernen linken Partei. Sondern der damalige Kanzler hatte, Macher, der er ist, die SPD so kräftig gestoßen, daß sie nach vorn stolpern mußte. Halb schob er sie, fast fiel sie hin.

Das konnte nichts werden und ist ja auch für die SPD nichts geworden. Nur für die Kommunisten ist es etwas geworden, die davon profitieren, wie die SPD dahinstolpert.



Also vielleicht dann jetzt, da die SPD sich in den Umfragen den zwanzig Prozent nähert, eine programmatische Klärung dessen, was sie eigentlich will? Ob sie die Agenda 2010 auch innerlich akzeptieren und eine moderne, sich dem Neoliberalismus öffnende Partei werden oder ob sie gemeinsam mit den Kommunisten und den Grünen den Weg in die Volksfront, also hin zu einer klassischen sozialistischen Politik gehen will?

I wo. Auch jetzt wird nicht offen debattiert, was diese Partei eigentlich will.

Sondern mit einer Unredlichkeit, die kaum noch zu überbieten ist, werden einerseits mit der Kandidatur von Gesine Schwan die Weichen für die Volksfront gestellt, während man andererseits weiter beteuert, im Bund nicht mit den Kommunisten kooperieren zu wollen: "Eine rot- rot- grüne Koalition im Bund kommt nicht in Frage", sagte Beck laut heutigem "Tagesspiegel" in Leipzig. (Wie Kurt Beck ein solches Versprechen interpretiert, das kann man hier nachlesen).

Es wird also weitergestolpert. Oder, um die Metapher zu wechseln: Die SPD bietet weiter die Fassade einer Partei, die dem Kurs der Agenda 2010 folgt; einem Kurs, ohne den ja die Große Koalition gar nicht möglich gewesen wäre. Aber hinter dieser Fassade ist das Haus schon komplett entkernt.

Hinter der bröckelnden Fassade arbeiten fleißige Seilschaften unter Anleitung von Andrea Nahles an der neuen SPD, also der SPD der fünfziger Jahre. Einer SPD, die - wie damals in der Adenauer- Zeit - bei den Wählerstimmen im "Dreißig- Prozent- Turm" stecken wird; ja für die dreißig Prozent schon ein Traumziel sind. Die das aber im Grunde nicht zu stören braucht, weil viele ihrer Ziele ja von den Koalitionspartnern "Die Linke" und "Die Grünen" mitvertreten werden.

Und gemeinsam ist man stark. Im heutigen "Spiegel" kann man es wieder einmal nachschlagen, auf Seite 36: Wie in den meisten vergangenen Monaten liegt die Volksfront mit genau 50 Prozent vor Schwarzgelb (47 Prozent).

Grund also für Linke, in welcher der drei Parteien sie nun ihre momentane Heimat haben, sich auf die nächsten Bundestagswahlen zu freuen. Die Agenda 2010, die Öffnung der SPD für moderne neoliberale Ideen, der ganze Schmus von der "Neuen Mitte" ist geräuschlos beseitigt. Ohne Diskussion in der Partei, ohne Beschluß eines Parteitags. Einfach so. So, wie in Kaderparteien die Weichen gestellt werden; in der SPD war das ja einmal anders gewesen.



Welch ein Unterschied zu Frankreich!

Auch die dortigen Sozialisten stehen vor der Entscheidung, ob sie weiter Seit' an Seit' mit den Kommunisten die Systemfrage stellen oder ob sie für eine moderne sozialliberale Politik à la "New Labour" optieren.

Aber anders als in der SPD, die so tut, als gebe es diese Alternative nicht oder als könne man sie durch Kungelei in Gremien entscheiden, ist in der französischen PS seit Monaten eine offene Debatte im Gang.

Am vergangenen Wochenende hat diese Debatte neue Nahrung durch ein Buch erhalten. Es heißt "De l'Audace!", und da diesr Titel ein Ausrufezeichen trägt, lautet die richtige Übersetzung nicht "Vom Mut", sondern "Nur Mut!". Der Verfasser ist Bernard Delanoe, der Bürgermeister von Paris, der im Gespräch mit Laurent Joffrin gesagt hat, "que la gauche que je défends est par essence libérale", daß die Linke, für die er eintrete, ihrem Wesen nach liberal sei.

Delanoe ist ein aussichtsreicher Kandidat für den Posten des Generalsekretärs seiner Partei, der im Herbst dieses Jahres neu zu besetzen ist. Eine aussichtsreiche Kandidatin ist Ségolène Royale, eine orthodoxe Sozialistin, die auf das Erscheinen von Delanoes Buch sofort reagiert hat: "Libéralisme est le mot de nos adversaires", Liberalismus ist das Wort unserer Gegner.

Die spannende, diese die ganze Partei aufwühlende Diskussion in der PS wird wohl bis zum Herbst weitergehen, und dann wird man sehr wahrscheinlich entweder Delanoe oder Royal wählen und damit eine Richtungsentscheidung treffen.

Offen, nach eingehender Diskussion. Und nicht heimlich, verdruckst und unredlich, wie es die SPD macht.



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