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22. September 2009

Zitat des Jahres: "... am 27. September um 18.01 Uhr"

Süddeutsche Zeitung: Wenn Westerwelle eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP ausschließt...

Steinmeier: ...höre ich nicht auf, Wahlkampf zu machen. Ich weiß aus Erfahrung, dass auch die FDP frühestens am 27. September um 18.01 Uhr eine Bewertung des Wahlergebnisses vornehmen kann und wird.


Der Kanzlerkandidat der SPD im Interview mit Nico Fried und Wolfgang Krach von der "Süddeutschen Zeitung".


Kommentar: Vielleicht ist es ein wenig voreilig, schon Ende September das Zitat des Jahres zu küren. Ich glaube aber nicht, daß das, was Frank- Walter Steinmeier da ... tja, wie soll man sagen? ... hat fallen lassen, was er rausgelassen, was er preisgegeben hat -, daß das im letzten Quartal des Jahres noch übertroffen werden wird.

"Auch die FDP", sagt er. Auch sie werde erst am Wahlabend eine "Bewertung des Wahlergebnisses" vornehmen. Und zwar - das geht aus dem Kontext hervor - in Bezug darauf, ob sie eine bestimmte Koalition ausschließt.

Das verräterische "auch" besagt: So, wie beispielsweise auch die SPD. Die zwar versichert, sie werde im Bund nicht mit der Partei "Die Linke" zusammenarbeiten. Aber "auch" sie wird - so sagt es dem Kandidaten Steinmeier seine Erfahrung - die Situation nach Schließung der Wahllokale neu bewerten.

Interpretiere ich zu viel an unfreiwilliger Ehrlichkeit in Steinmeiers Aussage hinein?

Ich glaube nicht. Denn zum Thema einer Zusammenarbeit mit der Partei "Die Linke" sagt Steinmeier, der als Chef der deutschen Diplomatie seine Worte zu wägen weiß, in dem Interview diesen einen Satz: "Ich habe klar gesagt, was ich nicht will, nämlich eine Koalition mit der Linken".

Was er nicht will. Man tut vieles, was man nicht gewollt hat. Daß er für eine solche Koalition definitiv nicht als Kanzler zur Verfügung steht, hat Steinmeier nicht gesagt. Daß seine Partei sie eingehen könnte, hat er erst recht nicht ausgeschlossen.



Warum also Zitat nicht nur des Tages, sondern gleich des Jahres?

Weil es eine Rarität ist, daß ein Spitzenmann einer Partei es so deutlich macht - wenn auch unfreiwillig -, welche Distanz zwischen dem liegt, was seine Partei öffentlich verkündet, und den Entscheidungen, die zu treffen sie in Wahrheit willens ist.

Weil Steinmeiers Lapsus blitzartig den Zustand einer SPD beleuchtet, die sich noch antikommunistisch geriert, und die doch innerlich längst bei der Zusammenarbeit mit den Kommunisten angekommen ist.



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26. August 2009

Zitat des Tages: "Paradies der Arbeiter mit volkseigenen Sonnenblümchen drauf". Hubert Maessen zu den Aussichten für Volksfront- Regierungen

Also Rot-Rot kommt, wenn’s geht. Das ist sicher, das muss der Wähler an den Wahlsonntagen jetzt wissen und bedenken. Zwar ist Rot-Rot nicht die SED, und die Bundesrepublik ist nicht die DDR, aber wären wir wirklich davor sicher, dass die das nicht Hand in Hand wieder schaffen mit einem Paradies der Arbeiter, Bauern und Opelarbeiter, mit Hartz-4-Armut für alle, bei Bedarf hübsch grün gestrichen und mit volkseigenen Sonnenblümchen drauf?

Hubert Maessen heute unter der Überschrift "Rot-Rot hat Grünes Licht" in der Sendung "Zur Sache" des WDR 4.

Kommentar: Hubert Maessen befaßt sich in diesem Beitrag mit Steinmeiers Ankündigung, die SPD werde nach den Wahlen am kommenden Sonntag gegebenenfalls auch mit der Partei "Die Linke" zusammenarbeiten. Steinmeier gegenüber der "Rheinischen Post" vom 24. August: "Die SPD muss den Anspruch haben, Regierungen zu führen".

Maessen meint, die SPD werde auch im Bund mit der "Linken" zusammenarbeiten, falls das Wahlergebnis das ermöglichen sollte:
Wenn der Wähler am Sonntag so wählt, dann werden Rosarot und Dunkelrot in Thüringen und im Saarland zusammengehen. Und sie werden das dann auch im Bund machen, wenn sie die Grünen ins Boot kriegen sollten. Die blödsinnige Ausrede, im Bund ginge das nicht wegen der linken Außenpolitik und Europaunfähigkeit, die muss Steinmeier nun auch noch lassen. Im Bundesrat, in der Ländervertretung wird diese Außen- und Europapolitik auch gemacht, und da ist die Linkspartei schon längst dabei.
Recht hat er, der Redakteur Hubert Maessen. Zumal die Kommunisten, um einen Zipfel Macht zu erhaschen, über alle ihre überhaupt irgendwohin fallenden Schatten springen und notfalls der SPD garantieren werden, daß sie in Sachen Afghanistan und Europa keinen Mucks tun.

Steinmeier hat es bisher vermieden, zu erklären, daß die SPD im Bund unter keinen Umständen mit den Kommunisten zusammenarbeiten wird. Aus dem Interview mit der "Rheinischen Post":
Rheinische Post: In einer Woche könnten in Thüringen und dem Saarland rot-rote Regierungen an die Mehrheit kommen. Fürchten Sie eine neue Links-Diskussion?

Steinmeier: Dazu ist alles gesagt. Die Landesverbände entscheiden in eigener Verantwortung. Es wird CDU/CSU nicht gelingen, Ergebnisse von Landtagswahlen als nationale Schicksalsfragen hochzustilisieren.
Keine Festlegung also gegen die Volksfront auch im Bundestag.



Bemerkenswert an dem Kommentar von Hubert Maessen sind nicht nur die klaren Worte, die er findet. Es ist vor allem der Umstand, daß er diese klaren Worte im WDR auch sprechen durfte.

Maessen gehört zu den wenigen politischen Redakteuren des WDR, die noch nicht auf rotgrüner Linie sind.

Er hat seine Nische in WDR 4, einem Programm, über das der Rest des WDR die Nase rümpfen dürfte: Rund um die Uhr Schlager, Operettenmelodien, gar Volksmusik. Eingestreut ganz wenige Wortbeiträge, wie eben die Sendung "Zur Sache", 3:30 Minuten lang zur Mittagszeit.

Da darf ein Alibi-Liberaler wie Maessen offen seine Meinung sagen. In den politischen Programmen des WDR - WDR 2 und vor allem WDR 5 - wäre ein solcher Kommentar undenkbar.



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16. August 2009

Wahlen '09 (10): Wie werden sie's machen? Im Sitzen? Im Stehen? In vier Wochen duellieren sich Merkel und Steinmeier im TV

Auf den ersten Blick scheint es eine lächerliche Äußerlichkeit zu sein: Laut einer Vorabmeldung zum "Spiegel" der kommenden Woche wurde zwischen CDU und SPD darüber gestritten, ob die beiden Kandidaten während des TV-Duells am 13. September, also heute in vier Wochen, stehen oder sitzen werden. Aber die Frage hat es in sich.

Erstens ist da der Aspekt, den die Union laut der "Spiegel"- Meldung ins Feld geführt hat: Daß es für alle Beteiligten zu anstrengend sei, neunzig Minuten zu stehen. Sie war also - aus diesem Grund, sagt sie - für ein Duell im Sitzen, die Wahlkampfleitung der CDU.

In Wahrheit, so mutmaßt der "Spiegel", gab es aber ein ganz anderes Motiv:
Merkel kommt im Fernsehen sitzend besser rüber, finden ihre Berater. (...) Hinter einem Pult wirke Merkel immer etwas verloren, meint ein Wahlkampfberater. Bei Steinmeier sei es genau andersherum. Er wirke im Stehen souveräner, auf einem Stuhl dagegen eher behäbig
Vielleicht ist es so. Mir kommt ein stehender Steinmeier allerdings genauso behäbig vor wie ein sitzender. Bei der Kanzlerin mag an der Analyse aus dem Konrad- Adenauer- Haus aber etwas Wahres sein.

Zum einen wegen Merkels Körpergröße und ihrer Körperhaltung. Mit ihren 164 Zentimetern wirkt sie hinter einem Rednerpult nicht eben stattlich. Hinzu kommt, daß sie beim Stehen dazu tendiert, die Schultern hochzuziehen; den Kopf ein wenig in die Schultern sinken zu lassen. So richtig dynamisch kommt sie so in der Tat nicht rüber.

Zum anderen bedeutet Stehen eine allgemeine Steigerung des Muskeltonus, im Vergleich zum Sitzen. Das wirkt sich leicht auch auf die Stimme aus, die dann hell und angespannt klingt. Bequem im Sessel sitzend spricht die Kanzlerin meist mit einer wärmeren, sympathischeren Stimme.

Verständlich also, daß die CDU-Strategen gern ein Sitzduell gehabt hätten. Sie konnten sich aber laut "Spiegel" nicht durchsetzen; am 13. September werden alle stehen.



Wichtiger als solche Image- Überlegungen der Wahlkampf- Teams scheint mir allerdings zu sein, wie sich Sitzen oder Stehen auf den Charakter einer solchen Debatte auswirkt. Und das ist erheblich. Ich will es an zwei Beispielen erläutern.

Beim TV-Duell zwischen Nicolas Sarkozy und Ségolène Royal am 2. Mai 2007 saßen die Kontrahenten einander gegenüber. Sie können das auf diesem Foto sehen; links Royal, rechts Sarkozy, in der Mitte die beiden Moderatoren Patrick Poivre d'Arvor und Arlette Chabot. Die beiden Kontrahenten finden sich Auge in Auge. Sozusagen zum Greifen nah. Also auch zum Angreifen nah.

Und angegriffen wurde; von beiden. Es war eine spannende, eine auch informative Debatte. Überwiegend gab es den direkten Abtausch zwischen den beiden Kandidaten; die Moderatoren griffen nur selten ein. Ich habe seinerzeit in diesem Artikel darüber berichtet und bin, als ich ihn jetzt wieder gelesen habe, ein wenig in Schwärmen geraten über diese Art der TV-Debatte, die so viel über beide Kandidaten verraten hat.

Und nun sehen Sie sich bitte einmal das Bild 12 dieser Bildstrecke in "Focus" an. Es zeigt das TV-Duelle zwischen Merkel und Schröder am 4. September 2005. Beide stehen hinter meterweit voneinander entfernten Pulten; nicht einander, sondern dem Publikum und den Kameras zugewandt. Vor allem Schröder blickte, wenn er antwortete, fast stets in die Kamera und nicht zu seiner Kontrahentin hin.

Die Folge: Es war über weite Strecken gar kein Duell, sondern die abwechselnde Beantwortung von Fragen. Nur gelegentlich kam überhaupt so etwas wie ein Austausch zwischen den beiden auf. Und dieser wurde dann auch noch meist durch die erbarmungslose Zeitvorgabe kupiert.

Bei Sarkozy vs. Royal hatte dagegen jeder eine Gesamtzeit zur Verfügung. Wie sie diese Zeit auf die zwei Stunden verteilten, war den Kandidaten überlassen. Wer wollte, hätte zwanzig Minuten am Stück reden können; das wäre dann eben von der Gesamtzeit abgegangen.



Hätten die veranstaltenden Sender sich also dazu bringen lassen, Angela Merkel und Frank- Walter Steinmeier so an einem Tisch einander gegenüberzusetzen, wie Sarkozy und Royal saßen, dann wäre immerhin die situative Voraussetzung für einen lebendigen, einen die Zuschauer informierenden Austausch gegeben gewesen.

Ob die Kandidaten das genutzt hätten, um es auch tatsächlich spannend zu machen, ist allerdings eine andere Frage. Aus einem Ostwestfalen und einer Mecklenburgerin wird man nicht das an dialektischen Funken schlagen können, was eine Französin und ein Franzose mühelos zu versprühen vermögen.

Aber so, wie es jetzt geplant ist, dürfte dieses "Duell" wohl eher die traurige Krönung eines Wahlkampfs der Langeweile werden.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Lizenz freigegeben. Ausschnitt.

14. August 2009

Wahlen '09 (9): Yes, we gähn. Vier Gründe, warum dieser Wahlkampf solch ein öder Langweiler ist

Er ist es erstens, weil die beiden Protagonisten Langweiler sind. Angela Merkel ist eine ungemein tüchtige Kanzlerin; aber gegen ihre zurückhaltend- rationale Art, kühl bis ins Herz hinan, war Kurt- Georg Kiesinger ein mitreißender Populist. Frank- Walter Steinmeier läßt bei jedem Auftritt erkennen, wie gern er wieder die Graue Eminenz im Hintergrund wäre, statt den visionären Volkstribunen mimen zu müssen.

Zweitens sind die beiden hauptsächlichen Gegner zugleich Partner. Wenn man gemeinsam Verantwortung in der Regierung trägt und Entscheidungen treffen muß, fällt es schwer, einander mit jener Verve zu attackieren, die erst einen spannenden Wahlkampf hervorbringt.

Drittens wären die Deutschen vermutlich auch dann nicht im Wahlkampf- Fieber, wenn ein Franz- Josef Strauß gegen einen Oskar Lafontaine anträte.

Wir waren seit vergangenem Jahr mit der Gefahr der schlimmsten Wirtschaftskrise seit der Währungsreform konfrontiert, und wir sind jetzt heilfroh, daß wir wahrscheinlich mit einem blauen Auge davongekommen sind.

Die Regierung hat sich in dieser Krise in den Augen der meisten Bürger bedächtig und verantwortungsbewußt benommen. Jetzt geht es darum, das Beste aus der Lage zu machen und für den Aufschwung bereit zu sein. Das ist nicht die Zeit für die große ideologische Konfrontation, wie sie beispielsweise im vergangenen Jahr den US-Wahlkampf beflügelt hat.

Und zwischen wem auch sollte sie stattfinden, diese Konfrontation? Womit wir beim wichtigsten Grund für diesen Wahlkampf im Land des Gähnens sind.



Dieser vierte Grund ist, daß die politischen Fronten ganz und gar unklar verlaufen.

Von Adenauer bis Schröder gab es in nahezu jedem Wahlkampf zwei Lager, zwischen denen der Wähler entscheiden mußte und durfte. Adenauers bürgerliches Lager oder die SPD? Die sozialliberale Koalition oder die CDU/CSU? Kohls bürgerliche Regierung oder Rotgrün? Schröders Rotgrün oder das schwarzgelbe Lager von Stoiber und drei Jahre später von Merkel?

Selbst nach der ersten Großen Koalition, bei den Wahlen 1969, war es klar, daß niemand eine Fortsetzung dieser Koalition wollte und daß Willy Brandt mit Scheel und Genscher regieren würde, wenn es dazu eine Mehrheit geben sollte. Auch damals also eine Richtungsentscheidung.

Aber diesmal? Keine klaren Fronten, also keine Konfrontation. Kein wirklicher Wettlauf um den Sieg; also keine Spannung.

Die Union sagt, daß sie gern mit der FDP regieren würde. "Ganz gern" sollte es vielleicht besser heißen. Denn sie äußert es eher wie einen beiläufigen Wunsch. Sie verkündet es nicht so laut, nicht so überzeugt und nicht so überzeugend, daß vor dem geistigen Auge des Wählers das Bild eines angestrebten Neuanfangs, eines Richtungswechsels entstehen würde. Keine Phantasie, wie man an der Börse sagt. Ein Bündnis für eine Neugestaltung Deutschlands sieht anders aus.

In "Spiegel- Online" haben Veit Medick und Christian Teevs gestern sogar vermutet, daß zumindest die CSU von einer schwarzgelben Koalition wohl nur "unter bestimmten Voraussetzungen" träume, nämlich einer gedeckelten FDP; und daß selbst "die Kanzlerin eine schwarz- gelbe Mehrheit mitnichten so herbeisehnt, wie das in den vergangenen Monaten offiziell den Anschein hatte".

Dasselbe auf der Seite der Freien Demokraten.

Auf dem Hannoveraner Parteitag im Mai hatte Guido Westerwelle in einer seiner besten Reden zwar das Bild eines Richtungswahlkampfs entworfen, in dem es darum gehe, "die Werte, die Deutschland groß gemacht haben, zu verteidigen" und dafür zu sorgen, "dass die geistige Achse nicht weiter nach links verschoben wird".

Aber den Worten folgten keine Taten; die FDP hat sich bis heute nicht darauf festgelegt, mit wem sie nach den Wahlen koalieren wird und mit wem unter keinen Umständen. Gegen einen möglichen zukünftigen Koalitionspartner kann man natürlich keinen Richtungswahlkampf führen.

Und die SPD, die Grünen? Auch die Grünen machen neuerdings koalitionspolitische Lockerungsübungen. Die SPD sagt, sie würde gern ampeln, also zusammen mit just jener FDP regieren, der sie die schlimmsten neoliberalen Verirrungen vorwirft. Wo soll da der Wähler eine Richtung sehen?

Vor allem aber sagen die Sozialdemokraten nicht, was sie tun werden, falls Schwarzgelb keine Mehrheit erringt, die FDP aber partout nicht mitampeln will. Eine definitive und bindende Zusage, dann nicht mit den Kommunisten zu kooperieren, hat die SPD als Partei bisher nicht gegeben.

Das hat sie offenbar aus dem hessischen Debakel gelernt, die SPD: Nicht, daß man eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten ausschließen und sich dann daran halten soll; was sie vielleicht hätte lernen sollen. Sondern daß es am besten ist, nichts zu versprechen. Dann kann man auch kein Versprechen brechen.

Und so stehen sie da in diesem Wahlkampf, die Parteien, und sagen nicht, was sie eigentlich wollen. Ja gewiß, das Vertrauen der Wähler wollen sie; möglichst viel davon. Und dann in diejenige Regierung gehen, in der sie "am meisten von ihren Inhalten durchsetzen" können. Das wollen sie, sagen sie.

Mit anderen Worten: Der Wähler soll die Katze im Sack kaufen. Er soll einer Partei seine Stimme geben, ohne zu wissen, was diese damit anfangen wird. Begeisterung weckt das nicht. Ein Engagement der Bürger wie vergangenes Jahr in den USA ist bei solchen Aussichten undenkbar.

Nur eine Partei macht eine Ausnahme: Die Kommunisten. Wer die Partei wählt, die im Augenblick "Die Linke" heißt, der weiß mit absoluter Sicherheit, daß sie jeden Zipfel Macht ergreifen wird, den man ihr offeriert; den ihr nach Lage der Dinge nur die SPD und die Grünen anbieten können.

Sei es tolerierend, sei es vielleicht gar regierend: Auf die "Durchsetzung ihrer Inhalte" werden sie gern verzichten, die Kommunisten. Wenn sie nur einen kleinen Schritt in Richtung "Änderung des Kräfteverhältnisses" tun dürfen, wie das in klassischem KP-Deutsch heißt.



Symptomatisch für diesen Wahlkampf ist es, daß Busen und Pos die Öffentlichkeit augenscheinlich mehr erregen als Pros und Contras. Kaum hat sich die Aufregung über Veras und Angelas Busen gelegt, da gibt es schon den nächsten Plakat- Skandal.

Vielleicht war es mehr für die Kommunal- als für die Bundestagswahl gedacht, dieses Plakat der Grünen, das einen nackten Hintern zeigt. Aber das, was viele Wähler vermutlich von diesem Wahlkampf denken, visualisiert es sehr schön.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Lizenz freigegeben. Ausschnitt.

11. August 2009

Wahlen '09 (8): Kann Steinmeier noch gewinnen? Der Faktor Merkel

Es geht Frank- Walter Steinmeier im Augenblick wie einem jener gebeutelten Protagonisten antiker Tragödien, denen mißgünstige Götter vereiteln, was immer sie zu erreichen suchen. Er kann sich anstrengen, wie er will - immer ist da offenbar jemand im Olymp, der gegen ihn eine Intrige spinnt, der zu seinen Ungunsten in das Rad des Geschicks greift.

Der Vorwahlkampf hatte sich im Frühjahr noch gut angelassen. Die SPD begann energisch und professionell; ich habe das in den Folgen eins und zwei dieser Serie beschrieben. Die Umfragewerte gingen von Anfang März bis Ende Mai langsam, aber stetig nach oben. Extrapolierte man damals diesen Trend und den leichten Abwärtstrend der Union, dann hätten sich bis zum 27. September die beiden Kurven durchaus treffen, sich mindestens stark annähern können.

Damals hatten, so scheint es, im Olymp diejenigen Götter das Sagen, die ihre schützende Hand über den Kandidaten Steinmeier und seine SPD hielten. Dann aber begann eine Serie von Kalamitäten, die bis heute anhält.

Erst ging Anfang Juni die Europawahl völlig überraschend verloren. Sie sollte eigentlich den Übergang zur nächsten Phase des Wahlkampfs markieren, in der die SPD, durch ein gutes Ergebnis gestärkt, ihrem Kandidaten zu Glanz und Popularität verhelfen wollte.

Die Chancen für einen Erfolg schienen exzellent zu sein, denn vier Jahre zuvor hatte die SPD, damals mitten in der Debatte über die Agenda 2010, mehr als neun Prozentpunkte verloren und war bei einem Tiefstwert von 21,5 Prozent angekommen. Da konnte es, so dachte man wohl im Willy- Brandt- Haus, diesmal nur besser werden; ein gutes Signal also für den Wahlkampf.

Aber es wurde ein größeres Desaster als 2004; das Ergebnis der SPD sackte noch weiter auf 20,8 Prozent und damit auf ein erneutes historisches Tief.



Das war in der Tat ein Signal; nur nicht das erhoffte. Seither gehen die Umfragedaten der SPD kontinuierlich nach unten, und bei der Frage nach dem gewünschten Kanzler wird der Abstand Steinmeiers zu Merkel immer größer.

Man kann wirklich nicht sagen, daß die SPD nicht alles tun würde, um diesen Trend zu wenden. Aber es ist wie verhext - eben wie von mißgünstigen Göttern gelenkt - : Jeder neue Anlauf wird durch Negativ- Schlagzeilen verhagelt.

Da war die sorgsam vorbereitete Inszenierung des Medien- Ereignisses "Präsentation des Kompetenzteams". Vor malerischer Seekulisse, auf die sich das Team vor den Kameras sozusagen mit wehenden Rockschößen zubewegte, Dynamik signalisierend. Aber die Deutschen interessierten sich nicht für junge SPD- Talente, sondern für die alte SPD- Tante, die durch ihr Ungeschick beim Krisenmanagement aus einer harmlosen Anlegenheit eine "Dienstwagen- Affäre" hatte hervorwachsen lassen.

Als Nächstes sah das Drehbuch von Kajo Wasserhövel und Genossen die Vorstellung des "Deutschlandplans" vor. Nach dem Vorbild des Wahlkampfs von Barack Obama sollte bewußt ein sehr hohes, ein anspruchsvolles Ziel verkündet werden, nämlich nicht weniger als die Vollbeschäftigung. Das würde, so imaginierten es wohl die Strategen, zumindest für Gesprächsstoff sorgen. Es würde ein wichtiges Thema besetzen; die SPD als ideenreich und dynamisch erscheinen lassen. Kurz, es sollte die Phantasie beflügeln und damit den Wahlkampf der SPD in Schwung bringen.

Aber da hatten diese Strategen nicht mit der deutschen Mentalität gerechnet, die auf solche "Visionen" so reagiert wie seinerzeit Helmut Schmidt: Ein Fall für den Psychiater. Die überwältigende Mehrheit (je nach Umfrage zwischen 73 und 83 Prozent) hält Steinmeiers "Vision" für nicht realisierbar. Statt wie ein zweiter Obama steht er nun eher da wie ein aus Heinrich Hoffmanns Buch in die Wirklichkeit gehüpfter Hans- guck- in- die- Luft.

Das Debakel wurde perfekt dadurch, daß aufgrund von Vorabmeldungen dieser Punkt des Deutschlandplans schon kritisiert worden war, bevor die SPD den Plan überhaupt präsentiert hatte. Es war wie bei einem Vorstellungsgespräch, zu dem der Bewerber im Grunde gar nicht mehr erscheinen braucht, weil seine Bewerbungsunterlagen bereits einen miserablen Eindruck hinterlassen haben.

So wiederholte sich also der Reinfall mit dem "Kompetenzteam": Die Vorstellung des Schattenkabinetts vor dem Templiner See in Potsdam war buchstäblich ins Wasser gefallen; diejenige des "Deutschlandplans" löste sich in visionäre Schwaden auf.

Der dritte Punkt nach "Kompetenzteam" und "Deutschlandplan" sollte ein Reise des Kandidaten sein; dorthin, wo Aufbruch und Innovation herrscht. Schröders "Neue Mitte" von 1998 reloaded also. Steinmeier, unser Mann der Zukunft.

Was diesmal den Medienerfolg zunichte machte, beschreibt Markus Feldenkirchen im aktuellen gedruckten "Spiegel" (S. 29):
Wo immer Steinmeier aus dem Bus kletterte, stellten ihm die Reporter dieselbe Frage: "Was sagen Sie zu den 20 Prozent"? Niemand wollte etwas über seine Konzepte wissen oder warum er überhaupt da war.
Zwanzig Prozent, das ist der aktuelle Umfragewert für die SPD bei Forsa.

Feldenkirchen kritisiert, daß der Fokus der Medien sich nicht auf Inhalte richte. Aber was kann man an Innovationskraft von einer Partei erwarten, die sich auf dem Weg von der einstigen Volkspartei zu einer der kleineren Parteien befindet, demnächst vielleicht "auf Augenhöhe" mit den Grünen und der FDP? Ist es nicht vernünftig, daß die Deutschen einem Kandidaten, der so wenig Fortüne hat, nicht abnehmen, daß er Deutschland in eine glanzvolle, innovative Zukunft führen kann?



Ist also die Wahl schon gelaufen? Haben die Götter ihr Verdikt gefällt? Nein. Denn noch gar nicht ins Spiel gekommen ist der Faktor Merkel.

Angela Merkel ist eine schlechte Wahlkämpferin; ich habe darüber hier und hier geschrieben. In ihrer kühl- rationalen Art vermag sie nicht zu begeistern und zu motivieren; jeden Anflug von Emotionalität muß sie sich bei öffentlichen Auftritten mühsam abringen.

Darüber hinaus fehlt ihr das - wie man heute sagt - "Bauchgefühl", zu erkennen wie das Volk emotional reagiert. Den "Professor aus Heidelberg" 2005 in ihr Team aufzunehmen, war unter dem Blickpunkt einer künftigen Regierung eine vernünftige Entscheidung; im Hinblick auf die Reaktion der Wähler war es ein Desaster. Der Bauchmensch Schröder hat damals diesen Schwachpunkt sofort erkannt und gnadenlos ausgenützt.

Bisher hat Merkel in diesem Wahljahr ihrer Schwäche als Wahlkämpferin Rechnung getragen, indem sie einfach keinen Wahlkampf gemacht hat. Das funktioniert im Augenblick noch; sie steht in den Augen der Wähler fast schon über den Parteien. Aber irgendwann wird auch sie in die Bütt steigen müssen. Ihr gewissermaßen präsidiales Image wird dann schnell von demjenigen der Parteipolitikerin überlagert werden. Ihre Schwäche beim connecting to people, beim Herstellen eines emotionalen Kontakts mit den Leuten, wird dann offenbar werden.

Und wenn Steinmeier Glück hat, wenn er ganz großes Glück und also einen mächtigen Befürworter im Götterhimmel hat, dann macht Angela Merkel so wie 2005 einen kapitalen Fehler. Das könnte seine Chance sein; vielleicht die letzte.



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5. August 2009

Wahlen '09 (7): Steinmeiers Visionen. Warum sie im Wahlkampf nicht funktionieren werden

Sie ist ein geflügeltes Wort geworden, Kanzler Helmut Schmidts lakonische Bemerkung "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen". Gehört Frank-Walter Steinmeier also auf die Couch? Eine "Vision vom Jobwunder" attestierte ihm jedenfalls gestern die "Tagesschau". Steinmeier selbst wird mit der Aussage zitiert, für den Weg aus der Krise bedürfe es einer "visionären Politik".

Er hat's mit den Visionen, der Steinmeier. Im April dieses Jahres pries er Barack Obama, weil dieser als sein Ziel eine "Welt ohne Atomwaffen" verkündet hatte: "Das ist Vision und Realismus zugleich".

Steinmeier versucht in seiner Not (letzter Umfragewert für die SPD: 20 Prozent) jetzt augenscheinlich, den erfolgreichen Wahlkampf Barack Obamas zu kopieren.

Dieser war ja sozusagen umschwirrt gewesen von Visionen. Weniger von der Vision einer Welt ohne Atomwaffen - obwohl auch das vorkam, beispielsweise in Obamas Rede in Berlin - als von der Vision eines Amerika, in dem es keine Gegensätze der Rassen, der Religionen, der Weltanschauungen mehr gibt und in dem ein naiver Glauben an die eigene Omnipotenz - "Yes, we can!" - alle Träume wahr machen sollte.

"Kindlich" (childish; was man hier auch mit kindisch übersetzen kann) hat damals Dennis Prager diese Vision einer Volksgemeinschaft genannt, in der alle Gegensätze sich im Wohlgefallen kollektiver Allmachtsphantasien auflösen.

Immerhin, es hat bei Obama funktioniert; ausgezeichnet sogar. Warum soll also nicht auch Steinmeiers Kopie funktionieren?



Erstens, weil Steinmeier kein Obama ist. Zweitens, weil die Deutschen für Visionen weit weniger anfällig sind als die Amerikaner.

Der amerikanische Nationalcharakter ist bestimmt durch ein eigenartiges, in gewisser Weise faszinierendes Nebeneinander eines Down- to- Earth- Pragmatismus und der Bereitschaft, Visionen nicht nur ernstzunehmen, sondern sie auch zur Richtschnur eigenen Handelns zu machen.

Die Väter der amerikanischen Verfassung hatten die Vision einer freien und gerechten Gesellschaft, wie sie die Aufklärung entworfen hatte. Einwanderer kamen ins Land, bestimmt durch die Vision, es vom Tellerwäscher zum Millionär zu bringen. Die Vision von der "Neuen Grenze" leitete den historischen Prozeß, der durch immer weitere Ausdehnung nach Westen aus den dreizehn Gründerstaaten an der Ostküste die heutigen USA machte.

John F. Kennedy hat das aufgegriffen, als er in der Rede, in der er 1960 die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten annahm, von der "New Frontier" sprach - "the frontier of unfulfilled hopes and dreams"; die Grenze der noch nicht erfüllten Hoffnungen und Träume, über die er die USA hinausführen wolle.

Visionen waren ein Thema vieler amerikanischer Präsidenten gewesen; Woodrow Wilsons Vision einer friedlichen Welt, Franklin D. Roosevelts Vision eines New Deal, einer neuen Verteilung der Karten, die jedem Amerikaner seine Chance geben sollte. Lyndon B. Johnsons Vision einer "Great Society"; einer nicht nur großen, sondern vor allem großartigen Gesellschaft. Und jetzt eben Obamas Vision einer Volksgemeinschaft, die alle Gegensätze aufhebt.

Wenn das in den USA so schön funktioniert, warum nicht auch in Deutschland? Weil wir Deutschen überhaupt keinen Sinn für derartige Visionen haben.

Wenn wir einmal in der Politik emotional waren, dann nicht aus "unfulfilled hopes and dreams" heraus, sondern getragen von nationalem Überschwang. Was in den Freiheitskriegen noch halbwegs gut ausging. Was in Gestalt wilhelminischer Ansprüche auf einen "Platz an der Sonne" schon gar nicht mehr gut ausging. Und was in der nationalsozialistischen Travestie in eine nationale Katastrophe führte.

Nach solchen Phasen nationaler Besoffenheit folgte in der deutschen Geschichte meist eine Zeit größter Nüchternheit - das Biedermeier im frühen 19. Jahrhundert, die Zeit der pragmatischen Bonner Republik, dann der Berliner Republik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und bis heute.

Eine "skeptische Generation" war 1945 aus dem Krieg zurückgekommen. Skepsis und Nüchernheit sind bis heute Grundzüge der deutschen Befindlichkeit geblieben. Jeder weiß, daß Steinmeier ein Wolkenkuckucksheim verspricht, wenn er angekündigt, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Geht's nicht 'ne Nummer kleiner? denkt da der normale Deutsche, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Wirklichkeit steht.



Und dann Steinmeier! Ihn als Wahlkämpfer dem begnadeten Demagogen Barack Obama nacheifern zu sehen, ist ungefähr so erheiternd, wie wenn Sigmar Gabriel eine Karriere als Model für männliche Bademode versuchen würde.

Ausgerechnet dieser dröge, graue Mensch, dem seine Coachs jetzt mühsam wenigstens das Lächeln beigebracht haben, soll uns Deutsche für Visionen begeistern. Eine krassere Fehlbesetzung kann man sich kaum vorstellen.

Ach, jehn Se mir doch wech, sagt in einem solchen Fall der Berliner.



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2. August 2009

Wahlen '09 (6): Steinmeiers Geistertruppe, Westerwelles Wankelmut, Merkels Schwachstellen

Acht Männer und zehn Frauen umfaßt das Schattenkabinett ("Kompetenzteam"), das Frank- Walter Steinmeier am Donnerstag der gar nicht sehr staunenden Welt präsentiert hat.

Rechnen wir ein wenig: Die SPD liegt in den Umfragen im Augenblick bei 23 bis 24 Prozent. Sie wird nach menschlichem Ermessen nach dem 27. September, wenn überhaupt, nicht allein regieren können, und auch nicht im Bündnis mit den Grünen. Wenn Steinmeier Kanzler werden will, dann wird er einen dritten Partner finden müssen; entweder die Liberalen oder die Kommunisten.

Zusammen werden diese beiden Partnerparteien mindestens ebenso viele Sitze im Kabinett erhalten wie die SPD. Gegenwärtig gibt es vierzehn Ressorts. Bleibt es dabei, dann stehen der SPD also maximal sieben zu.

Elf von jenen achtzehn, die sich jetzt Hoffnung darauf machen, Herr oder Frau Minister zu werden oder zu bleiben, werden also leer ausgehen.

Wollte ein Kanzler Steinmeier alle achtzehn Schattenleute ins Licht eines Ministeriums holen, dann müßte er schon sein Kabinett auf um die 35 Ressorts aufstocken. Das wird er wohl nicht tun können.

Also ist das, was er uns am Donnerstag vorgeführt hat, wenig mehr als eine Geistertruppe. Eine Riege der Hoffnungslosen. Leute, die wie von einer Laterna Magica kurz vor unsere Augen projiziert werden und dann wieder im Dunkel verschwinden. Gespenstisch. Passend freilich damit zu Steinmeiers geisterhaftem Versprechen, Deutschland in die Vollbeschäftigung zu führen.



Ach, wie war es doch vordem für Westerwelle so bequem.

Im ersten Quartal 2009 schien wahr zu werden, was der Herr des Guidomobils sich einst auf die Schuhsohlen hatte pinseln lassen. Am 5. März maß Infratest Dimap für die FDP 17 Prozent; bei Forsa lagen die Liberalen in drei aufeinanderfolgenden Umfragen (11., 18. und 25. Februar) gar bei 18 Prozent. Ähnlich oder nur wenig niedriger waren die Werte der anderen Institute.

Waren da plötzlich massenhaft deutsche Wähler zum Liberalismus bekehrt worden? Ach nein. Nur wurde damals in der CDU und in CDU- geführten Ressorts die Möglichkeit diskutiert, die Hypo Real Estate notfalls zu verstaatlichen. Viele CDU-Wähler sahen ihre Partei zu weit nach links gerückt und wechselten zur FDP. Anderes - etwa Ursula von der Leyens Vorstoß gegen die Freiheit des Internet - sorgte dafür, daß diese Stimmung eine gewisse Beständigkeit gewann.

Aber eben nur eine gewisse, wie sich inzwischen gezeigt hat. Denn längst ist der Höhenflug der FDP vorbei. Sie nähert sich wieder dem Wert leicht oberhalb von zehn Prozent, um den herum alle drei kleinen Parteien während der meisten Zeit der zu Ende gehenden Legislaturperiode pendelten. Nur die Kommunisten sind inzwischen deutlich abgerutscht.

Gegenwärtig liegt die FDP bei Forsa, Infratest Dimap und Allensbach nur noch einen Prozentpunkt vor den Grünen; lediglich Emnid und die Forschungsgruppe Wahlen geben ihr noch einen Vorsprung von drei oder vier Prozent.

Die FDP ist eben immer dann stark, wenn sie sich gegenüber der Union mit einem "ja, aber" profilieren kann. Das war schon in der ausgehenden Adenauer- Zeit so, als bei den Bundestagswahlen 1961 die Partei Erich Mendes mit dem Versprechen "Mit der CDU, aber ohne Adenauer" ihr in jenen Jahrzehnten mit Abstand bestes Ergebnis einfuhr.

Auch jetzt hätte die FDP mit einer analogen Wahlaussage vermutlich viele der Wähler, die ihr Anfang des Jahres zugewachsen waren, an sich binden können.

Guido Westerwelle hat in seiner ausgezeichneten Rede auf dem Dortmunder Parteitag die Gründe für eine solche Wahlaussage genannt: Die Notwendigkeit eines Bündnisses mit der Union ("Es geht darum, die Werte, die Deutschland groß gemacht haben, zu verteidigen. (...) Wir müssen dafür sorgen, dass die geistige Achse nicht weiter nach links verschoben wird"); zugleich aber auch die Notwendigkeit, in diesem Bündnis ein starkes liberales Korrektiv zu haben.

Auf dieser Grundlage hätte die FDP einen exzellenten, einen sehr wahrscheinlich erfolgreichen Wahlkampf führen können. Aber Guido Westerwelle entschied sich anders. Was er noch wenige Tage vor dem Parteitag angekündigt hatte - eine klare Absage an die Ampel -, das kam auf einmal in seiner Rede auf dem Parteitag nicht mehr vor. Westerwelle beugte sich denen in seiner Partei, die just diese Möglichkeit einer Ampel offenhalten wollten.

Jetzt rächt sich dieser Wankelmut. Warum sollte ein CDU- Wähler, dem die CDU zu weit nach links gerückt ist, die FDP wählen, wenn er damit rechnen muß, daß er mit seinem Kreuz auf dem Stimmzettel am Ende einen Kanzler Steinmeier gewählt hat? Dann doch lieber zähneknirschend CDU.

Auch ich stelle für meine Wahlentscheidung diese Überlegung an. Würde am nächsten Sonntag gewählt, dann bekäme diese nach links schielende FDP meine Stimme nicht.

Die FDP will eine Woche vor den Wahlen einen Bundesparteitag abhalten, auf dem sie sich vielleicht auf eine Koalition mit der Union festlegen wird. Nur haben sich dann die meisten Wähler ihrerseits schon festgelegt.

Viele werden sich nicht für eine Partei entscheiden, die monatelang herumeiert, bis sie sich vielleicht auf den letzten Metern doch noch zu einer eindeutigen Aussage durchringt. Welches ist, wird man sich fragen, die Halbwertzeit einer solchen im letzten Augenblick halbherzig getroffenen Festlegung? Warum nicht früher? Man kann es keinem Wähler verdenken, wenn er da skeptisch ist.



Im Augenblick scheint alles zugunsten der Union zu laufen. So sehr, daß sie - glaubt man dem, was Sebastian Fischer in "Spiegel- Online" schreibt - sich entschieden hat, erst einmal gar nichts zu tun und zuzusehen, wie die SPD sich abzappelt. Erst im September soll es mit dem Wahlkampf richtig losgehen.

Indessen liegt der Vorsprung von Schwarzgelb nach wie vor bei nur wenigen Prozentpunkten. Sowohl 2002 als auch 2005 stand das bürgerliche Lager Ende Juli besser da. Die Union wird also kämpfen müssen.

Dabei hat sie zwei Schwachstellen: Erstens verfügt sie zwar jetzt über einen präsentablen, ja einen beliebten Wirtschaftsminister; aber in der Finanzpolitik hat sie der Kompetenz von Peer Steinbrück nichts und niemanden entgegenzusetzen. Ausgerechnet auf diesem Feld, auf dem der SPD traditionell wenig zugetraut wird ("Die Genossen können nicht mit Geld umgehen"), läuft ihr derzeit die SPD den Rang ab.

Zweitens hat die Linksentwicklung der CDU ja nicht nur Liberale, sondern auch viele Konservative dieser Partei entfremdet. Während die FDP bereitsteht, die Liberalen aufzufangen, bleiben die Konservativen heimatlos; es sei denn, daß sie zu einer extremen Partei abdriften, wofür es aber zum Glück kaum Anzeichen gibt.

Die Antwort auf beide Probleme hat einen Namen: Friedrich Merz. Wäre er dazu zu bewegen, in die aktive Politik zurückzukehren, dann hätte die Union zugleich einen ausgezeichneten Finanzpolitiker und jemanden, der auch Konservative anspricht.

Ja, gewiß, das Verhältnis zwischen Merkel und Merz gilt als zerrüttet. Aber sowohl Merkel als auch Merz sind ja Profis genug, darüber hinwegzusehen. Sie sollten sich zusammenfinden können, wenn ein starkes gemeinsames Interesse das verlangt. Man muß einander ja nicht lieben.

Sehr wahrscheinlich wird es das aber nicht geben; vielleicht hat Merz in seiner Lebensplanung inzwischen auch längst die Weichen definitiv weg von der Politik gestellt. Zum Bundestag kandidiert er jedenfalls nicht mehr.

Aber ein wenig sinnieren wird man ja dürfen. Wäre Friedrich Merz wieder an Bord, dann könnte die Kanzlerin nicht nur getrost auf ein "Kompetenzteam" verzichten. Dann wäre, anders als jetzt, der Sieg von Schwarzgelb wirklich zum Greifen nah.



Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Lizenz freigegeben. Ausschnitt.

15. Juni 2009

Zitat des Tages: Ein "Mann der Mitte"? Steinmeier und seine linke SPD

Zähneknirschend nimmt man heute zur Kenntnis, dass der Kanzlerkandidat ein Mann der Mitte ist und der Rest der Partei mit Ausnahme von Peer Steinbrück links von ihm. Sie dulden den Kandidaten, weil er die Formel der Linken wie bei Opel bis an die Grenzen der Selbstverleugnung runterbetet.

Ulf Poschardt in "Welt- Online" zu dem Kanzlerkandidaten Frank- Walter Steinmeier.

Kommentar: Ob Steinmeier ein "Mann der Mitte" ist, weiß ich nicht. Ich bezweifle, daß es irgendwer weiß, Steinmeier selbst möglicherweise eingeschlossen. Als ich einmal nachgesehen habe, wo denn der junge Steinmeier politisch stand, war das Ergebnis überraschend.

Was die SPD angeht, kann man da schon sicherer sein. Sie steht wenn vielleicht auch nicht links von Steinmeier, von dem man nicht weiß, wo er steht, so doch jedenfalls heute so weit links wie nicht mehr seit der Verabschiedung des Godesberger Programms im Jahr 1959.

Mit dieser Partei nun also, mit einem Wahlprogramm, das so klingt, als hätten Andrea Nahles und Franziska Drohsel es in Koproduktion verfaßt, möchte der Kandidat Steinmeier laut "Financial Times Deutschland" die SPD gern für "junge Unternehmensgründer, Programmierer oder Architekten" attraktiv machen; ja sogar Schröders Slogan von der "Neuen Mitte" wird wieder aus der Mottenkiste zutage gefördert.

Die SPD ist, so wie sie sich seit 2005 entwickelt hat, zu einer Vor- Godesberg- Partei regrediert. Ihre natürlichen Partner sind folglich die Kommunisten und die Grünen; die Partner einer Volksfront.

Aber an dem Tag, an dem Franz Müntefering und Steinmeier gemeinsam das Duo Kurt Beck / Andrea Nahles entmachteten, wurde diese Perspektive von der, in SPD-Sprache, "Agenda" dieses Wahljahrs gestrichen.

Also weiß man nun nicht, ob man Männlein oder Weiblein ist. Innerlich ist die SPD längst bei der Volksfront angekommen. Aber taktisch ist es geboten, das zu kaschieren.

Man heuchelt Mitte und ist doch links.



Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an Popeye.

9. Juni 2009

Zitat des Tages: "Ein lustiger Wahlkampf". Wäre da nicht Frank-Walter Steinmeier

Das wird noch ein lustiger, ganz aktiver Wahlkampf. Da können Sie sicher sein.

Franz Müntefering, zitiert von Veit Medick in "Spiegel- Online".

Kommentar: Ein lustiger, ein ganz aktiver Wahlkampf hatte es für die SPD werden sollen. Und es fing ja auch so gut an. Den März über war die SPD weit aktiver als die Union, was sich auch in den Umfragewerten niederzuschlagen begann. Am 31. März maß zum Beispiel Emnid einen Vorsprung von nur noch 6 Prozentpunkten für die Union (33 Prozent gegenüber 27 für die SPD). Ich habe damals die Professionalität des SPD-Wahlkampfs gelobt und das noch einmal Mitte April bekräftigt.

Warum hat dieser Schwung nicht getragen? Es gab sicher verschiedene Gründe, aber der vermutlich wichtigste heißt Frank- Walter Steinmeier. Am 30. März stand hier im Anschluß an eine Erinnerung an den erfolgreichen Wahlkampf Obamas zu lesen:
Die Strategen der SPD folgen exakt diesem Rat der Wissenschaftler, sich zunächst um das Image zu kümmern. Und zwar hier das der Kanzlerin, das systematisch demontiert werden soll. Ist man erst einmal so weit, daß die Kanzlerin als jemand wahrgenommen wird, der - so Müntefering im aktuellen "Focus" - nicht führt, sich nicht festlegt, es nicht "schafft", dann kann sogar der graue und dröge Steinmeier dagegen als ein Macher aufgebaut werden. Das wird die nächste Phase sein.
Und diese Phase ist gründlich danebengegangen.

Die Demontage der Kanzlerin hätte gelingen können, wenn man es geschafft hätte, Steinmeier als eine glaubhafte Alternative aufzubauen; als jemanden, der so entscheidungsstark ist, wie man die Kanzlerin als führungsschwach darstellen wollte.

Aber Steinmeier hat da nicht mitgespielt; wollte und konnte nicht mitspielen. Das Erscheinungsbild der SPD wird nicht durch ihn geprägt, sondern durch den Großen Vorsitzenden Franz Müntefering. Noch nicht einmal gestern zu den Europawahlen war es der zuvor doch so eifrig plakatierte Steinmeier, der sich hinstellte und die Verantwortung übernahm. Es war Franz Müntefering.

Steinmeier wurde im September 2008 Kanzlerkandidat, weil Kurt Beck es nun wirklich nicht werden konnte und kein anderer da war. Diese graue Eminenz par excellence, dieser ideale Zweite Mann eignet sich zum Kanzler ungefähr so gut wie Reiner Calmund zum Stürmer in der Fußball- Nationalmannschaft. Das spüren die Wähler. Und da hilft auch kein noch so perfekt organisierter Wahlkampf.



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11. April 2009

Zitat des Tages: "Ein großer Erfolg der Ostermarschierer". Anmerkungen zum dreifachen Steinmeier

Die europäische Bewegung, die vor 50 Jahren mit der Kampagne für nukleare Abrüstung begann, kann nach langen politischen Auseinandersetzungen einen großen Erfolg verbuchen.

Frank-Walter Steinmeier in einer Erklärung zu den diesjährigen Ostermärschen.

Kommentar: Dieses Satz Frank-Walter Steimeiers ist aus drei Gründen interessant.

Erstens als ein Satz des Ministers Steinmeier. Der "große Erfolg", den Steinmeier den Ostermarschierern attribuiert, besteht nämlich nach seiner Ansicht in der "jüngste(n) Erklärung der Präsidenten Barack Obama und Dmitrij Medwedjew, die Atomwaffenarsenale massiv zu reduzieren". Und daraus wiederum leitet er ab, daß die USA ihre Atomwaffen aus Deutschland abziehen sollten. Die "Süddeutsche Zeitung":
Im Magazin Spiegel forderte Steinmeier den Abzug der letzten in Deutschland lagernden US-Atomwaffen und geht damit auf Gegenkurs zu Kanzlerin Merkel. "Diese Waffen sind heute militärisch obsolet", sagte der SPD-Politiker. Er werde sich dafür einsetzen, dass die verbliebenen Sprengköpfe abgezogen würden.
Hier ist das Bemerkenswerte, daß sich der Minister Steinmeier (wieder einmal) über die Kabinettsdisziplin und die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin hinwegsetzt. Ohne einen entsprechenden Kabinettsbeschluß prescht er in einer so wichtigen Frage vor; so als sei er der Oppositionsführer und nicht der Vizekanzler dieser Regierung.

In keinem ordentlich regierten Staat gibt es so etwas. Aber von Steinmeier sind wir es inzwischen gewohnt. Seine Eigenmächtigkeit ging ja schon so weit, daß er dem noch nicht einmal im Amt befindlichen Barack Obama einen anbiedernden "Offenen Brief" schrieb, statt in Abstimmung mit der Kanzlerin die üblichen diplomatischen Kanäle zur Kontaktaufnahme zu nutzen.

Bemerkenswert ist der Satz zweitens als ein Satz des Linken Steinmeier. Dieser graue Mann, der die Karten immer so eng an die Brust drückt, daß er sie selbst kaum sehen kann, gilt seltsamerweise als ein Mann der Mitte, ja manchmal als SPD-Rechter. Nichts deutet aber darauf hin, daß er das ist.

Bevor er die Laufbahn der Grauen Eminenz einschlug, hat er sich politisch sehr eindeutig positioniert, und zwar ganz linksaußen in der SPD; dort, wo auch die Zusammenarbeit mit Kommunisten nicht tabuisiert ist. Als er kürzlich Mitglieder der Partei "Die Linke", die nicht auf der orthodoxen Parteilinie sind, als "Sektierer" bezeichnete, da bediente sich Steinmeier noch einmal der Diktion, die er damals gelernt haben dürfte.

Die Bewegung "Kampf dem Atomtod", die Bewegung der jetzt von Steinmeier gerühmten Ostermarschierer also, wurde teils von diesem DKP-nahen (anfangs noch KPD-nahen) Flügel der SPD getragen, teils von der KPD bzw. DKP selbst sowie von sogenannten "undogmatischen Linken". An solche Leute ist Steinmeiers jetzige Erklärung offensichtlich adressiert.

Und damit sind wir bei dem Wahlkämpfer Steinmeier. Die Führung der SPD hat es traditionell vermieden, sich mit den Ostermarschierern zu solidarisieren. Wenn Steinmeier es jetzt ostentativ tut, dann schlägt der Wahlkämpfer Steinmeier damit zwei Fliegen mit einer Klappe:
  • Zum einen biedert er sich bei Linken an. Den Kommunisten soll das Wasser abgegraben werden, indem Steinmeier sich in die linke Tradition stellt, die die Partei "Die Linke" für sich reklamiert.

  • Indem Steinmeier diese Tradition mit der jetzigen Politik des Präsidenten Obama verknüpft, schlägt er zugleich das Thema an, das außenpolitisch den Wahlkampf der SPD bestimmen dürfte: Wir, die SPD, sind im Tritt mit der neuen US-Regierung. Wir wollen das, was auch Obama will. Die Kanzlerin hingegen wird man mit Bush in Verbindung bringen; sie als nicht mehr auf der Höhe der Zeit befindlich darstellen.
  • Der erwähnte "Offene Brief" Steinmeiers hat das bereits Anfang des Jahres angekündigt: Steinmeier will sich im Wahlkampf als derjenige präsentieren, der den besseren Draht zu den USA des Präsidenten Obama hat. Etwas von Obamas Glanz soll auf ihn fallen.



    Nicht schlecht ausgedacht. Bestens ausgedacht als flankierende Maßnahme zu dem Konzept für einen innenpolitischen Wahlkampf, auf das die SPD-Spitze sich am vergangenen Dienstag laut "Spiegel- Online" verständigt hat.

    Und die Union? Die Kanzlerin ist mit dem Regieren beschäftigt. Die CDU-Zentrale scheint noch damit befaßt zu sein, herauszufinden, wann denn die nächsten Bundestagswahlen stattfinden.



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    20. März 2009

    Kurioses, kurz kommentiert: "Konspirative Personalfindung". Wie die Regierung Obama partnerschaftlich mit den Europäern zusammenarbeitet

    In Brüssel herrschte Verblüffung. "Amerika behandelt das als rein amerikanische Angelegenheit, also haben sie von der Stavridis- Entscheidung auch nichts durchblicken lassen", sagen Nato- Mitarbeiter. "Die konspirative Personalfindung erinnert fast an eine Papstwahl", sagt Stefani Weiss, Nato- Expertin der Bertelsmann- Stiftung in Brüssel, SPIEGEL ONLINE.

    Gregor Peter Schmitz in "Spiegel- Online" über die Entscheidung Washingtons, den Admiral James Stavridis zum neuen Oberbefehlshaber der Nato zu machen.

    Kommentar: Was ist daran kurios? Kurios ist, daß viele Europäer von ausgerechet diesem Präsidenten Obama einen neuen, partnerschaftlichen Stil des Umgangs erwartet hatten.

    Erinnern Sie sich noch an den peinlich- anbiedernden "Offenen Brief", den der Kanzlerkandidat Steinmeier am 12. Januar an den damals kurz vor seiner Amtseinführung stehenden "sehr geehrten Barack Obama" geschrieben hat? In dem zum Beispiel dies zu lesen stand:
    Ich bin jetzt 53 Jahre alt, und noch nie in meiner aktiven Erinnerung hat die Einführung eines amerikanischen Präsidenten so viel Hoffnung und Zuversicht ausgelöst. Nicht nur bei uns in Deutschland, sondern in der ganzen Welt. Die Erwartungen an Sie gehen fast über das menschliche Maß hinaus. (...)

    Sie wollen partnerschaftlich handeln und Neues wagen. Deshalb sehen wir im Beginn Ihrer Präsidentschaft vor allem Chancen. Gerade jetzt. Auch für uns.
    Gerade mal neun Wochen ist es her, daß Steinmeier diesen Schmus schrieb. Irgendwie schon ganz weit weg, finden Sie nicht?



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    18. Februar 2009

    Kurioses, kurz kommentiert: Kanzler Westerwelle? Nebst Zettels Wahlaussage

    Die SPD hat dieses Jahr die besten Chancen, sich weiter an der Regierung zu beteiligen, wenn sie die Flucht in die Offensive antritt und der FDP die Kanzlerschaft anbietet. Westerwelle wird Merkel dann schneller einen Korb geben, als andere bis 18 zählen können. Steinmeier kann Vizekanzler bleiben. Und Klaus Wowereit kann sich warmlaufen für 2013.

    Michael Schlieben heute in "Zeit- Online" in einem als "Glosse" rubrizierten Artikel.

    Kommentar: Mit "Glossen" ist das so eine Sache. Anders als bei einer Satire kann es sein, daß der Autor ernst meint, was er schreibt. Anders als bei einem richtigen Artikel legt er sich aber nicht fest, ob er es denn ernst meint. Kein unpassendes Format für einen Autor, der sich mit den Fakten schon einmal schwertut.

    Wie dem auch sei - natürlich wird Guido Westerwelle, einst im Mai (dem des Jahres 2002) schon einmal "Kanzlerkandidat", so wenig Kanzler werden wie Peter Sodann Bundespräsident.

    Derlei Kurioses wie damals diese Kanidatur hat er hinter sich gelassen, zusammen mit dem Guidomobil und den bemalten Schuhsohlen. Guido Westerwelle ist jetzt seriös geworden; so seriös, daß er nicht mit der Wimper zuckte, als Frank (vormals Frank- Walter) Steinmeier ihn bei der kürzlichen Buchvorstellung an jene Zeit der Allotria erinnerte. Nun ja, man war doch auch einmal jung.

    Also Spaß beiseite. Hinter der von Schlieben an die Wand gepinselten Kuriosität steckt ein ernsthaftes Problem; vielleicht das ernsthafteste der kommenden Wahlen: Was wird, wenn Schwarzgelb die Mehrheit verfehlt?

    Die SPD-Linke wird dann, Steinmeier hin, Müntefering her, die Volksfront versuchen. Sie wird sie versuchen, weil die "Basis" sie ebenso fordern wird, wie sie nach den Wahlen 1998 nach Rotgrün gerufen hat. So laut und so schnell, daß schon in der Wahlnacht die Option einer Großen Koalition, über die Schröder mit Rühe und Schäuble gesprochen hatte, vom Tisch war.

    Ob freilich die SPD-Linke stark genug und ihre Spitze entschlossen genug ist, die Volksfront durchzusetzen, ist eine andere Frage. Wowereit hat Zeit; erst recht kann Andrea Nahles gut bis 2013 warten; warum nicht auch bis 2017. Vielleicht wird also die SPD lange schwanken, wird sie Avancen nach dieser und jener Seite machen, wird sie "Schnittmengen ausloten", wie man das in einer seltsam schiefen Metapher gern nennt.



    Und was dann? Dann wird sie heranschleichen an die FDP, die Versuchung. Darf man Deutschland der Volksfront überlassen? Muß nicht vielmehr die FDP sich für das Gemeinwesen opfern, über ihren Schatten springen, nolens volens in eine Koalition mit Rot und Grün gehen? In Gottes Namen, um Schlimmeres zu verhüten?

    Nein, sie muß nicht. Denn wenn es nicht zu Schwarzgelb reichen sollte, dann wird es zur Fortsetzung der Großen Koalition reichen. Zu einer Koalition, in der CDU und SPD nicht mehr zwei gleichstarke Partner sein würden, sondern in der - falls sich in der Stimmung der Wähler bis zum September nicht noch Dramatisches vollzieht - die CDU der eindeutig stärker Partner wäre.

    Die Große Koalition wäre dann die Alternative zur Volksfront. Es wäre die SPD, die gefordert wäre, um des Gemeinwohls willen in eine Koalition zu gehen, die sich nicht gewollt hat. Und nicht die FDP.

    Viel wird davon abhängen, ob die FDP sich entschließen kann, eine eindeutige Wahlaussage zu machen: Daß sie nur unter Führung der CDU in eine Regierung eintreten wird. Bevorzugt natürlich als deren einziger Partner. Falls das Ergebnis das nicht erlauben sollte, dann unter Einbeziehung der Grünen.

    Wenn die FDP sich so festlegt, dann hat sie am 27. September meine Stimme. Wenn sie in diesem Punkt wackelt, dann werde ich sie nicht wählen. Denn eine Große Koalition unter einer gestärkten Kanzlerin Merkel ist mir entschieden lieber als eine "Ampel" unter dem Kanzler Steinmeier, in der zwei linke Parteien die Richtung vorgeben und in der die FDP allenfalls im Bremserhäuschen hocken würde.



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    14. Februar 2009

    Kurioses, kurz kommentiert: Steinmeiers Unschuldige

    Nur unter strengen Auflagen will die Bundesregierung Guantanamo- Häftlinge nach Deutschland lassen. Außenminister Frank- Walter Steinmeier (SPD) und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sind sich einig, dass in jedem Fall einzeln geprüft werden soll, ob der Betreffende eine Gefahr für die deutsche Gesellschaft darstellt.

    Aus einer Vorabmeldung zum "Spiegel" 8/2009.

    Kommentar: Seltsam. Wie kann denn jemand eine Gefahr für die deutsche Gesellschaft sein, den selbst die Amerikaner - laut Steinmeier - "für unschuldig halten"?

    Oder sollte Steinmeier sich inzwischen sachkundig gemacht und herausgefunden haben, daß in Guantánamo keine "Unschuldigen" sitzen, sondern Dschihadisten?



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    5. Februar 2009

    Sind es Unschuldige, die Steinmeier aus Guantánamo aufnehmen will? Über die Karriere des Abu-Sayyaf al-Shihri

    Vor ein paar Tagen hat Frank- Walter Steinmeier noch einmal klargestellt, welche Häftlinge aus Guantánamo er gern in Deutschland aufnehmen möchte: Solche, "die die Amerikaner heute für unschuldig halten und die aus humanitären Gründen nirgendwo anders hin können". Ein bemerkenswerter, ein seltsamer Satz.

    Zum einen: Welcher freigelassene Häftling sollte denn "nirgendwo anders hin können" als ausgerechnet nach Deutschland? Wieso kann er beispielsweise nicht in die USA entlassen werden, auf deren (gepachtetem) Terrain er sich ja gegenwärtig befindet?

    Und wenn die USA den Betreffenden nicht wollen - warum kann er dann nicht, sagen wir, in Schweden, dem Iran oder der Südafrikanischen Republik Asyl beantragen? Daß irgendwer "nirgendwo anders hin" kann als allein nach Deutschland, ist eine wahrhaft seltsame Behauptung. Es sei denn, es handelte sich um einen deutschen Staatsbürger. Bei ihm aber würde sich ein Aufnahme- Angebot erübrigen; er darf selbstverständlich in sein Land zurückkehren.

    Zweitens spricht Steinmeier von Häftlingen, "die die Amerikaner heute für unschuldig halten".

    Solche Häftlinge gibt es in Guantánamo nicht. Jedenfalls nicht nach dem, was bisher bekannt ist. Vielleicht hat ja die Außenministerin Clinton ihrem Kollegen bei seinem Antrittsbesuch neue Informationen übergeben.

    Nach bisherigem amerikanischen Verständnis sind die in Guantánamo Inhaftierten enemy combatants, feindliche Kämpfer. Sie wurden innerhalb von Kampfhandlungen gefangen genommen; allerdings nicht als Soldaten, sondern als - wie immer man das nennen mag - Freischärler, Partisanen, irreguläre Kämpfer, Guerrilleros, Insurgenten. Im deutsch- französischen Krieg von 1870/71 nannte man sie Franctireurs; das Phänomen ist ja nicht neu.



    Diese Leute als "unschuldig" zu bezeichnen, geht an der Sache vorbei. Sie werden, wie jeder Kriegsgefangene, festgesetzt, damit sie den Kampf nicht fortführen können. Niemand kam bisher auf den Gedanken, jedem einzelnen Kriegsgefangenen müsse ein Tötungsdelikt oder eine sonstige Tat nachgewiesen werden, damit er in einem Lager gefangen gehalten werden darf.

    Um solche enemy combatants also geht es jetzt; nicht um brave Familienväter, die auf der Suche nach einem verirrten Schaf unglücklich übers Schlachtfeld liefen. Sie umfassen in der Tat verschiedene Gruppen; aber nicht "Schuldige" und "Unschuldige"; sondern die Einteilung erfolgt nach anderen Kriterien.

    Welchen, darüber hat im vergangenen November Benjamin Wittes, ein auf dieses Thema spezialisierter Wissenschaftler, in der Washington Post einen informativen Artikel geschrieben; ich habe damals darüber berichtet:
  • Gefangene, die für ein Strafverfahren in Frage kommen, weil man hinreichende Beweise hat, daß sie persönlich an einem Delikt beteiligt waren. Sie werden auch unter der Regierung Obama in Haft bleiben; nur wird man sie nach der Schließung von Guantánamo woanders hin verlegen, bis ihnen der Prozeß gemacht ist. Es sei denn, die Regierung sorgt für eine Änderung der jetzigen Rechtslage.

    Die zweite und dritte Gruppe umfaßt Kämpfer, denen man nicht nachweisen kann, daß sie persönlich, sagen wir, eine Bombe gelegt haben.

  • Diejenigen in der zweiten Gruppe werden als immer noch so gefährlich eingestuft, daß die USA - unter der bisherigen Regierung - es nicht verantworten wollten, sie freizulassen.

  • Und dann gibt es die dritte Gruppe, um die es jetzt geht: Enemy combatants, von denen man - zum Beispiel, weil sie sich glaubhaft vom Dschihad abgewandt haben - annimmt, daß sie nicht wieder in den Kampf zurückkehren werden.
  • Die Unterscheidung zwischen den Gruppen zwei und drei ist zwangsläufig schwierig; es ist eine Frage der Sozialprognose. Wie bei einem auf Bewährung entlassenen Strafgefangenen kann diese sich als falsch erweisen.

    So war und ist es auch hier. Alle Gefangenen, die von den USA bisher freigelassen wurden, waren der dritten Gruppe zugerechnet worden. Aber etliche - ich habe vor drei Wochen auf sechs solche Fälle hingewiesen - kehrten nachweislich in den Dschihad zurück.

    Wie viele darüber hinaus, das ist natürlich unbekannt; erfassen kann man nur diejenigen, die erneut gefangen genommen wurden oder deren Identität auf einem anderen Weg mehr oder weniger zufällig ermittelt werden konnte. Die US- Behörden gehen davon aus, daß Dutzende der Freigelassenen wieder im Dschihad sind; für rund 60 gilt das als bewiesen oder wahrscheinlich.



    Bei denjenigen, deren Fälle ich in dem Artikel beschrieben hatte, handelte es sich um Kämpfer aus den unteren oder mittleren Rängen. Der höchstrangige war Maulvi Abdul Ghaffar, der nach seiner Entlassung nach Afghanistan zurückkehrte und dort zum Provinz- Kommandeur der Taliban aufstieg.

    Jetzt aber ist ein Fall eines anderen Kalibers bekannt geworden: Derjenige von Abu- Sayyaf al-Shihri (eigentlich Ali al-Shihri; Abu- Sayyaf ist sein Kampfname).

    Seine Biographie, wie man sie in der International Herald Tribune und bei msnbc nachlesen kann, ist instruktiv und beklemmend:

    Der jetzt fünfunddreißigjährige Shihri stammt aus der saudi- arabischen Hauptstadt Riyad, wo seine Familie einen Möbelhandel betreibt. Zwei Wochen nach dem Attentat vom 11. September reiste er über Bahrain und Pakistan nach Afghanistan. Wie er später im Verhör in Guantánamo sagte, wollte er dort humanitäre Arbeit (relief work) leisten. Tatsächlich wurde er, wie aus den Dokumenten hervorgeht, in einem Terror- Camp nördlich von Kabul in Stadtguerrilla (urban warfare tactics) ausgebildet.

    Die Dokumente besagen auch, daß er von Afghanistan in den Iran reiste, um von dort Kämpfer nach Afghanistan zu schleusen. Er selbst behauptete, er sei dorthin gefahren, um Stoffe für das Geschäft seiner Eltern einzukaufen.

    Shihri wurde während des Afghanistan- Kriegs bei einem Luftangriff verletzt und bei dem Versuch, daraufhin aus Afghanistan nach Pakistan zu fliehen, an der Grenze festgenommen. Nachdem er eineinhalb Monate in einem Krankenhaus verbracht hatte, wurde er nach Guantánamo verbracht, wo er bis zum November 2007 inhaftiert war.

    Er wurde freigelassen, nachdem er beteuert hatte, daß er nach der Freilassung in den Schoß seiner Familie nach Riyad zurückkehren und im dortigen Geschäft arbeiten wolle. In der Tat nahm er nach der Rückkehr nach Saudi- Arabien an einem Wiedereingliederungs- Programm für ehemalige Terroristen teil.

    Er durchlief brav dieses Programm. Danach - vor ungefähr zehn Monaten - verschwand er.

    Jetzt ist er wieder aufgetaucht, und zwar im Jemen. Die dortige Kaida hat ein Video ins Netz gestellt, in dem sie unter anderem mitteilt, daß er der neue stellvertretende Kommandeur der Kaida- Organisation im Jemen ist. In dem Video läßt er sich so vernehmen:
    By Allah, imprisonment only increased our persistence in our principles for which we went out, did jihad for, and were imprisoned for.

    Bei Allah, die Gefangenschaft hat unsere Treue zu unseren Prinzipien nur verstärkt, für die wir aufbrachen, für die wir den Dschihad führten und für die wir eingesperrt wurden.



    Auf den Fall Abu-Sayyaf al-Shihri bin ich durch einen kürzlichen Artikel von Fred Burton and Scott Stewart bei Stratfor aufmerksam geworden.

    Dort findet man, wie meist bei Stratfor, aufschlußreiche Hintergrund- Informationen. Drei Punkte erscheinen mir besonders interessant:
  • Es gehört zum Ausbildungs- Programm von Dschihadisten, daß sie auf die Gefangenschaft vorbereitet werden. Sie lernen, physisch und psychisch zu widerstehen und werden instruiert, daß das Erleiden der Gefangenschaft Teil ihres Kampfes sei. Daß ein Gefangener scheinbar reuig ist, in Wahrheit aber nur darauf wartet, wieder in den Dschihad zurückzukehren, ist also normal. Er rechnet damit, "umerzogen" zu werden und sieht das als Teil dessen an, worauf man ihn vorbereitet hat.

  • Die zentrale Botschaft des jetzigen Videos ist, daß eine gemeinsame Kaida- Kommando für die gesamte arabische Halbinsel geschaffen wurde; geleitet von dem Jemeniten Nasir al-Wuhayshi und mit Shihri als seinem Stellvertreter aus Saudi- Arabien. Die bisherige eigenständige Kaida- Organisation von Saudi- Arabien wird aufgelöst. Die Autoren von Stratfor sehen darin eine Aufwertung des Kaida- Ablegers im Jemen, nachdem es den saudischen Behörden gelungen ist, die Kaida in Saudi- Arabien weitgehend auszuschalten. Nasir al-Wuhayshi hat unter Bin Laden in Afghanistan gekämpft und es bis zu dessen Stellvertreter gebracht. Er wird als ein ungewöhnlich fähiger Mann eingeschätzt.

  • Im Hintergrund des Videos ist eine Flagge der Islamischen Republik Irak zu sehen. Zwischen den Kaida- Organisationen des Irak und des Jemen bestehen enge Verbindungen. Ein Teil der jemenitischen Dschihadisten hat zeitweilig im Irak gekämpft, ist jetzt in den Jemen zurückgekehrt und hat mit den im Irak erworbenen Erfahrungen die dortige Organisation gestärkt.



  • Um zum Außenminister Steinmeier zurückzukehren: Abu- Sayyaf al-Shihri, der frischgebackene Stellvertreter al-Wuhayshis, gehörte bei seiner Freilassung in diejenige Gruppe von Guantánamo- Häftlingen, die laut Steinmeier "unschuldig" sind.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: NSF. Als Werk der US-Regierung in der Public Domain.

    2. Februar 2009

    Zitat des Tages: Frank-Walter Steinmeier und die Kommunisten. "Praktische Politik" vs "Sektierer"

    In Ostdeutschland schütteln viele Mitglieder der Linkspartei doch über die Sektierer aus dem Westen selbst den Kopf. Das sind Leute, die auf der Frustwelle surfen, aber keine Konzepte haben, wenn es ernst wird wie in diesem Jahr. Das sind ganz andere Leute als ein Bürgermeister, der im Osten seit 20 Jahren als Mitglied der Linkspartei praktische Politik macht.

    Frank-Walter Steinmeier im Interview mit Peter Heimann und Karin Schlottmann von der "Sächsischen Zeitung"

    Kommentar: Seit zwanzig Jahren? Ob sich Steinmeier da nicht vertan hat? Ob die Betreffenden nicht schon ein, zwei Jahrzehnte länger "praktische Politik" machen?

    Aber Spaß beiseite. Es ist interessant, daß Steinmeier die alten Leninisten aus der SED offenbar mehr schätzt als die "Sektierer", die im Westen in der Partei "Die Linke" anzutreffen sind. Überwiegend Leute also, die von einem demokratischen Sozialismus träumen; oft Trotzkisten. Die Leninisten nennen sie "Sektierer"; der Begriff war in den Ländern des real existierenden Sozialismus ebenso gang und gäbe wie in den kommunistisch- leninistischen Parteien des Westens.

    Ich denke, man tut Frank-Walter Steinmeier nicht Unrecht, wenn man in dieser Präferenz, dieser Übernahme eines Begriffs der Leninisten, eine gewisse biographische Kontinuität erkennt.

    Seltsamerweise wird Steinmeier von vielen als Mann der SPD- Mitte, wenn nicht als rechter Sozialdemokrat angesehen. Belege dafür gibt es kaum; denn gesellschaftspolitisch ist Steinmeier ja ein unbeschriebenes Blatt (wie er in fast jeder Hinsicht ein unbeschriebenes Blatt ist).

    Außenpolitisch allerdings hat er sich beispielsweise durch eine ungewöhnlich freundliche Haltung gegenüber dem kommunistischen Cuba hervorgetan, die im Kanzleramt offenbar gar nicht gern gesehen wurde.

    Als ich im vergangenen September eine Meldung über diese Kontroverse zwischen Steinmeier und dem Kanzleramt in Bezug auf die Cuba- Politik kommentieren wollte, habe ich ein wenig recherchiert, ob man nicht doch etwas über die politische Position von Frank- Walter Steinmeier herausfinden kann.

    Gestoßen bin ich dabei auf ein wenig bekanntes biographisches Detail: Steinmeier war als Rechtsreferendar Redakteur der Zeitschrift "Demokratie und Recht", die im DKP- nahen Pahl- Rugenstein- Verlag (wegen seiner Finanzierung auch "Rubelschein- Verlag" genannt) erschien. Noch 1990 hat er mit zwei Koautoren in den ebenfalls dort verlegten "Blättern für deutsche und internationale Politik" publiziert.

    Auch damals hat der Jurist Steinmeier zusammen mit Genossen von der DKP "praktische Politik" gemacht. Möglich, daß er es sich damals angewöhnt hat, von Linksextremen, die nicht auf orthodox- kommunistischer Linie sind, als "Sektierern" zu sprechen.



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    16. Januar 2009

    Zitat des Tages: Innenminister Schäuble "braucht keine Belehrung". Wie gefährlich sind eigentlich die Häftlinge, die aus Guantánamo entlassen werden?

    Frau Merkel und ich brauchen da von manchen Beteiligten gar keine Belehrung.

    Innenminister Wolfgang Schäuble laut "Spiegel- Online" gestern auf dem Treffen der EU-Innenminister in Prag zu der Frage, ob Deutschland aus Guantánamo entlassene Häftlinge aufnehmen soll.

    Schäuble bezog sich offensichtlich auf die von seinem Kollegen Steinmeier in einem Offenen Brief an den künftigen US-Präsidenten Obama angedeutete Bereitschaft, Gefangene aus Guantánamo in Deutschland aufzunehmen. Ende Dezember war gemeldet worden, daß im Auswärtigen Amt an Plänen zur Aufnahme von Häftlingen aus Guantánamo gearbeitet werde.

    Kommentar: "Keine Belehrung" braucht Schäuble von seinem Kollegen Steinmeier, denn, so "Spiegel- Online": "Schäuble erklärte dazu, zuständig seien eindeutig 'die Innenminister von Bund und Ländern'".

    In der Tat - Steinmeiers Vorstoß ist schon sehr eigenartig. Zum einen, weil er damit im Kompetenzbereich eines Kollegen wildert. Zum anderen, weil er noch dazu seinen Vorstoß mit diesem offenbar nicht abgestimmt hatte - sonst würde sich ja Schäuble jetzt nicht so ostentativ von Steinmeiers Plänen distanzieren.

    Und drittens, weil nicht zu sehen ist, welches Interesse Deutschland daran haben kann, sich ehemalige Insassen des Lagers Guantánamo ins Land zu holen. Denn damit holt man sich freiwillig potentielle Terroristen ins Land.



    Um wen geht es überhaupt? In der "Zeit" hat Heinrich Wefing am 31. Dezember ein nachgerade idyllisches Bild von diesen Gefangenen gezeichnet:
    Gestrandete des "Kriegs gegen den Terror" sind sie, Männer, deren einziges Verbrechen es wohl gewesen ist, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Nichts liegt gegen sie vor, kein Komplott gegen Amerika haben sie geplant, kein Selbstmordattentat, wie selbst die Regierung Bush einräumt, und doch sitzen sie zum Teil seit Jahren in Guantánamo fest, wenn auch unter gelockerten Bedingungen. Ihnen Asyl in Deutschland zu gewähren, ganz so wie anderen politisch Verfolgten auch, wäre ein Signal an Washington. Und ein Akt der Menschlichkeit.
    Schön wäre es, wenn die Entscheidung so einfach wäre, wie Wefing es sich vorstellt.

    Was es tatsächlich mit den noch in Guantánamo Einsitzenden auf sich hat, darüber habe ich im November auf der Grundlage eines sachkundigen Artikels in der Washington Post berichtet:

    Es sind erstens Personen, denen der Prozeß gemacht werden soll, weil gegen sie hinreichend eindeutige Beweise vorliegen.

    Es sind zweitens enemy combattants, also feindliche Kämpfer, denen kein Verbrechen nachgewiesen werden kann. Diese zerfallen wiederum in die Gruppe derer, die die US- Behörden für immer noch so gefährlich halten, daß sie sie weiter festhalten möchten; sowie rund sechzig Personen, die sie bereit sind in ihre Heimtländer abzuschieben, weil sie sie für nicht mehr gefährlich halten.

    Um diese letztere Gruppe geht es, jetzt noch ungefähr 60 Männer.

    Sind das "Gestrandete", die nur das Pech hatten, "zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein"? Nichts spricht dafür. Sie wurden bei Kampfhandlungen oder unter anderen Umständen gefangen genommen, die darauf hindeuten, daß sie feindliche Kämpfer sind.

    Die USA haben sie bisher so festgehalten, wie man auch in regulären Kriegen gefangen genommene feindliche Kämpfer festhält: Damit sie nicht weiterkämpfen können. Kriegsgefangenen muß man nicht Mann für Mann nachweisen, daß sie kriminelle Handlungen begangen haben.



    Gibt es die Möglichkeit, zu prognostizieren, wie sich die 60 Gefangenen verhalten werden, wenn sie erst einmal freigelassen sind? Niemand weiß es. Aber es gibt die Möglichkeit zu so etwas wie einer Hochrechnung.

    Die meisten derer, die bisher freigelassen wurden - von denen die US-Behörden also annahmen, sie seien nicht mehr gefährlich -, sind in der Tat nicht wieder als Terroristen bekannt geworden. Die Dunkelziffer kennt man, wie es Dunkelziffern an sich haben, nicht. Aber ungefähr sieben Prozent wurden überführt, erneut als Terroristen aktiv geworden zu sein. Ein Überblick findet man in der Wikipedia. Aktuelle Beispiele nennt eine Zusammenstellung (Fact Sheet) der Defense Intelligence Agency.

    Einige Beispiele daraus:
  • Ibrahim Shafir Sen wurde im November 2003 in die Türkei entlassen. Im Januar 2008 wurde er im türkischen Ort Van festgenommen und angeklagt, Führer einer lokalen Zelle der El Kaida zu sein.

  • Ibrahim Bin Shakaran und Mohammed Bin Ahmad Mizouz wurden im Juli 2004 nach Marokko entlassen. Im September 2007 wurden sie aufgrund der Anklage, Kämpfer für die Gruppe von Abu- Musab al- Zarkawi, der Organisation der Kaida im Irak, angeworben zu haben, zu zwei bzw. zehn Jahren Haft verurteilt.

  • Abdullah Mahsud war im März 2004 nach Afghanistan entlassen worden. Im Oktober 2004 übernahm er u.a. die Verantwortung für einen Bombenanschlag auf ein Hotel. Als ihn pakistanische Truppen im Juli 2007 festnehmen wollten, beging er Selbstmord.

  • Mohammed Ismail erklärte nach seiner Freilassung im Januar 2004, er werde zu seinen Angehörigen zurückkehren und Arbeit suchen. Im Mai 2004 wurde er gefangen genommen, als er an an einem Angriff auf US- Truppen in Afghanistan teilnahm. Er trug einen Brief bei sich, der ihn als Mitglied der Taliban auswies.

  • Maulvi Abdul Ghaffar wurde Ende 2002 aus Guantánamo entlassen. Er wurde danach der regionale Kommandeur der Taliban in den afghanischen Provinzen Uruzgan und Helmand. Im September 2004 wurde er bei einem Angriff auf US- Truppen getötet.
  • Und so fort. Wohlgemerkt: Alle diese Leute wurden entlassen, weil die US- Behörden hinreichend sicher waren, daß sie nicht wieder in den Terrorismus zurückkehren würden. Sie gehörten also zu jener dritten Gruppe von jetzt noch 60 Gefangenen, von denen unser Außenminister Steinmeier gern einige aufnehmen möchte.

    Deutschland kann Glück haben, und wir bekommen nur solche Entlassene, die aussteigen wollen. Vielleicht auch solche, die tatsächlich, wie der "Zeit"- Autor Wefing es sich vorstellt, nur "zur falschen Zeit am falschen Ort" waren.

    Wenn wir allerdings Pech haben, dann holen wir uns ein paar Terroristen ins Land.

    Und da man niemandem ansieht, ob er zur einen oder zur anderen Gruppe gehört, wird dem Innenminister Schäuble, falls sein Kollege Steinmeier sich mit seinem Plan durchsetzt, nichts anderes übrig bleiben, als die Aufgenommenen von unseren Sicherheitsorganen überwachen zu lassen.

    Absurd, finden Sie nicht? Aber vielleicht haben wir ja Glück, und der eine oder andere reist gleich ins Ausbildungslager in Pakistan oder Afghanistan weiter.



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    6. Januar 2009

    Zettels Meckerecke: Kniesehnenreflexdiplomatie. Anmerkung zu Sarkozy, Steinmeier und Co. Oder sind's doch nicht die Reflexe? Nebst etwas zu Obama

    Gut, "Kniesehnenreflexdiplomatie" ist kein besonders schönes deutsches Wort. Es ist aber die korrekte Übersetzung des kürzeren und lesbareren englischen Ausdrucks "knee jerk diplomacy". Und dieser wiederum scheint mir eine gute Bezeichnung für das zu sein, was beispielsweise Nicolas Sarkozy mit seinem gestrigen Besuch in Israel vorerxerziert hat.

    Ich habe diesen Ausdruck "knee jerk diplomacy" gestern in einem lesenswerten Kommentar von Michael Rubin im Middle East Forum gefunden. Rubin meint damit "demanding a truce regardless of the cause of the fighting" - einen Waffenstillstand ohne Rücksicht auf die Ursache der Kämpfe zu verlangen. So, wie es nicht nur Sarkozy tut, sondern beispielsweise auch der deutsche Außenminister (nicht aber seine Kanzlerin).

    Das geschieht anscheinend reflexhaft; so wie der Unterschenkel (wenn neurologisch alles in Ordnung ist) nach oben schnellt, wenn der Doktor auf die Patellarsehne klopft.

    An sich ist das ein sinnvoller Reflex, der über die sogenannte Alpha- Gamma- Kopplung dafür sorgt, daß die Muskulatur sich mechanischer Beanspruchung anpaßt, indem sie ihren Tonus erhöht. Wenn aber der Arzt mit dem Hämmerchen auf die bekannte Stelle klopft, dann wird dieser Reflex dysfunktional ausgelöst. "Eine dumme Antwort des Organismus auf eine dumme Frage", wie ich es einmal einen Physiologen habe formulieren hören.

    Reflexe sind nun einmal (vergleichsweise) dumm. Das ist der Preis dafür, daß sie schnell sind, also ohne Nachdenken und Entscheiden funktionieren.



    Diplomaten freilich, Staatsmänner wie Sarkozy und (naja) Steinmeier sollten eigentlich nachdenken, bevor sie handeln. Sie sollten nicht reflektorisch reagieren.

    Krieg ist etwas Entsetzliches. Menschen sterben, Menschen werden verstümmelt. Es ist unsere natürliche Reaktion, unser emotionaler Reflex, zu sagen: Hört sofort auf mit dieser Barbarei! Stoppt den Wahnsinn! Daß wir diesen Reflex haben, diese Reaktion eines spontanen Mitleidens, gehört zum Kern unserer Menschlichkeit.

    Von verantwortlichen Staatsmännern kann man aber verlangen, daß sie nicht einem emotionalen Reflex folgen, sondern daß sie nachdenken und abwägen, bevor sie handeln.

    Würden wir unsere Verantwortlichen danach wählen, wie gut bei ihnen emotionale Reflexe funktionieren und wie sehr sie ihr Handeln von diesen bestimmen lassen, dann könnten wir gleich Claudia Roth zur Kanzlerin machen.

    Nun sind weder der zwar hektische, aber rational agierende Sarkozy noch der schwergängige Westfale Steinmeier dafür bekannt, daß sie übermäßig dazu neigen, emotionalen Wallungen zu folgen. Wenn sie - und viele andere, von Ban Ki-moon bis zu Gordon Brown - auf den Gaza- Krieg reflexhaft mit der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand reagieren, dann liegt der Verdacht nahe, daß der Reflex so ganz spontan doch nicht ist.



    Würde Israel diesen Forderungen folgen, dann müßte es mit dem Klammerbeutel gepudert sein. Es hätte dann nichts erreicht, stünde als besiegt da, wäre schlimmer daran als vor Beginn des Gaza- Kriegs. Natürlich wissen das auch Sarkozy und Steinmeier. Was also wollen sie mit ihren "Appellen"?

    Erstens für sich selbst politisch punkten. Sich innenpolitisch als Friedensfreunde profilieren; Steinmeier will immerhin Kanzler werden. Er würde gewiß gern in die Fußstapfen eines anderen "Friedenskanzlers" treten.

    Zweitens einen außenpolitischen Führungsanspruch ihres Landes demonstrieren. Das dürfte ein maßgebliches Motiv Sarkozys sein. Frankreich hat den EU-Vorsitz abgegeben; aber Sarkozy agiert weiter, als sei er immer noch der oberste aller EU-Europäer. Ad majorem Galliae gloriam.

    Drittens möchte man sich bei den Arabern lieb Kind machen.

    Eindeutig auf der Seite Israels stehen Politiker mit einer klaren freiheitlichen Überzeugung, wie Angela Merkel und George W. Bush. Diejenigen, deren Flexibilität weniger durch Überzeugungen erschwert wird, überlegen natürlich, welche Vorteile sie und ihr Land davon haben, schön neutral zu bleiben.

    "Zu einseitig" sei die Erklärung der Kanzlerin ausgefallen, rügte laut dem aktuellen gedruckten "Spiegel" (2/2009, S. 93) Martin Schulz, Vorsitzender der Europäischen Sozialisten im Europäischen Parlament, die Erklärung der Kanzlerin. "... so schränke sie den Spielraum deutscher Außenpolitik ein".

    Tja, so ist das nun einmal mit Überzeugungen. Sie schränken den eigenen Spielraum ein.



    Heute sind es noch genau zwei Wochen, bis Barack Obama seinen Amtseid als der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika leistet. Während er fast täglich melden läßt, was er in der Wirtschaftspolitik zu tun gedenkt, hat er sich zum Nahen Osten bisher auffällig zurückgehalten, mit Hinweis darauf, es könne zu einer Zeit nur einen Präsidenten geben, und der heiße George W. Bush.

    Ab dem 20. Januar heißt er Barack Obama. Ich ahne, wie er sich verhalten wird, verrate es aber nicht.

    Na gut, ich deute es an, indem ich diesen Artikel vom 28. Juni 2008 verlinke.



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    4. Januar 2009

    Zitate des Tages: Minister Steinmeiers Beschwichtigungspolitik

    Steinmeier ruft Israel und Hamas zu Waffenruhe auf

    BERLIN: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat Israel und die radikal- islamische Hamas zu einer Waffenruhe im Gazastreifen aufgefordert. Die andauernden Kämpfe gefährdeten die bisherigen Fortschritte im Nahost- Friedensprozess, sagte Steinmeier in einem Telefonat mit seiner israelischen Kollegin Zipi Livni. (...) Der SPD-Politiker appellierte deshalb an Livni, die derzeitigen arabischen Bemühungen um einen Waffenstillstand konstruktiv aufzunehmen. Von der Hamas verlangte er, den Beschuss israelischen Territoriums mit Raketen sofort einzustellen.


    Aus einer Meldung der "Deutschen Welle" vom 1. Januar 2009


    Zur Flankierung einer Waffenstillstandsvereinbarung und Unterstützung eines politischen Prozesses sei auch die Entsendung von Beobachtern unter VN-Dach unter der Voraussetzung denkbar, dass alle Parteien zustimmen und verbindlich auf jegliche Gewaltanwendung verzichten.

    Aus einer Pressemitteilung des Auswärtigen Amts vom gestrigen Samstag.


    Friedensinitiativen und so genannte Friedensideen oder internationale Konferenzen widersprechen dem Grundsatz der Islamischen Widerstandsbewegung. Die Konferenzen sind nichts anderes als ein Mittel, um Ungläubige als Schlichter in den islamischen Ländern zu bestimmen ... Für das Palästina- Problem gibt es keine andere Lösung als den Jihad. Friedensinitiativen sind reine Zeitverschwendung, eine sinnlose Bemühung.

    Artikel 13 der Charta der HAMAS



    Kommentar: Ob Außenminister Steinmeier schon einmal einen Blick in die Charta der HAMAS geworfen hat? Sein Verhalten läßt er vermuten, daß er sein Bild von dieser Organisation aus der Zeitung hat. Sagen wir, aus der "Süddeutschen Zeitung", in der Thorsten Schmitz nach Beginn der israelischen Militäraktion schrieb:
    Anstatt die Hamas zu bombardieren, dadurch Hass zu säen und Terrorangriffe zu provozieren, müsste Israel die radikal- islamische Gruppe ... umgarnen (...) Die Hamas muss in den politischen Prozess integriert werden und Regierungsaufgaben übernehmen.
    Mir scheint, es ist dringend an der Zeit, den Begriff Appeasement, zu deutsch "Beschwichtigungspolitik", wieder in das aktuelle politische Vokabular aufzunehmen.



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    28. September 2008

    Zitat des Tages: "Politik der Öffnung". Die SPD und Cuba. Nebst einer Bemerkung über den jungen Frank Walter Steinmeier

    Außenminister Frank-Walter Steinmeiers Treffen mit seinem kubanischen Amtskollegen Felipe Pérez Roque ist im Kanzleramt auf Kritik gestoßen. (...) Deutschland solle sich "national nicht vordrängeln". Steinmeier zeigte sich von der Ermahnung des Kanzleramts überrascht und traf Pérez Roque trotzdem. In seinem 15-minütigen Gespräch vorigen Freitag vertrat er eine entschieden andere Position als das Kanzleramt. Steinmeier erkannte eine "Politik der Öffnung" in der Karibik- Diktatur, auch wenn "vieles nach wie vor unbefriedigend" sei.

    Aus einer Vorabmeldung zum "Spiegel" 40/2008 der kommenden Woche.

    Kommentar: Wenn über außenpolitische Differenzen zwischen dem Kanzleramt und dem Auswärtigen Amt berichtet wird, dann geht es meist um kommunistische oder ex- kommunistische Länder - Rußland, China, jetzt Cuba.

    Die Kanzlerin tendiert zu einer nüchternen Beurteilung dieser Länder. Beim Kanzlerkandidaten hat man den Eindruck, daß er ihnen gegenüber ein Wohlwollen zeigt, auf das westlich orientierte Diktaturen oder autoritär regierte Staaten - es gibt sie ja kaum noch - schwerlich hätten zählen können.

    Was Cuba angeht, ist Steinmeier nicht der einzige amtierende SPD- Minister, der diesem Land - immerhin eine der schlimmsten Dikaturen der Gegenwart - eine, sagen wir, freundlich- milde Nachsicht entgegenbringt. Am 23. Mai 2000 war in "Spiegel- Online" zu lesen:
    Der Höhepunkt der Kuba-Reise von Heidemarie Wieczorek-Zeul fand am Ende statt. Die deutsche Entwicklungshilfeministerin traf Fidel Castro. (...)

    Vier Stunden sprach die "rote Heidi" mit dem kubanischen Staatschef. Als Geschenk für Kanzler Schröder gab Castro der Ministerin eine Kiste Zigarren mit. Für den "Máximo Líder" hatte Wieczorek-Zeul ein Kistchen Rotwein aus dem Rheingau mitgebracht ("Assmansshäuser Höllenberg"). (...)

    Ausdrücklich habe sich Castro für die deutsch- kubanische Zusammenarbeit in einem ersten, auf Umweltschutz ausgerichteten Entwicklungsprojekt bedankt, berichtete die Ministerin. Sein Dank habe auch dem Anstoß für ein neues bilaterales Verhältnis gegolten. (...)

    Vor Wieczorek-Zeul hatte noch nie ein Kabinettsmitglied der Bundesregierung Kuba besucht. Castro hatte sich aber unter anderen bereits mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer getroffen.
    Das kommunistische Cuba wußte die Freundlichkeiten der deutschen Regierung durchaus richtig einzuordnen. Am 23. August 2000 meldete Radio Havanna:
    The German Minister of Economic Cooperation and Development, Wieczorek- Zeul, traveled to Cuba two months ago (...) [She] has repeatedly stated that, contrary to the position adopted by former German administrations, her government's policy toward Cuba is of cooperation rather than confrontation.

    Die deutsche Ministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Wieczorek- Zeul, reiste vor zwei Monaten nach Cuba (...) [Sie] hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß entgegen der Position, die frühere deutsche Regierungen eingenommen hatten, die Politik ihrer Regierung gegenüber Cuba eine solche der Zusammenarbeit und nicht der Konfrontation ist.
    Und die Verletzungen der Menschenrechte durch die Castro- Dikatur? Darüber berichtete am 23. Juli 2003 Ulrike Putz in "Spiegel- Online":
    Im März noch hatte der dänische Entwicklungskommissar Poul Nielson bei der Fete zur Eröffnung der ersten EU- Interessenvertretung in Havanna laut von einer "neuen Ära" der Beziehungen zwischen Europa und Kuba geträumt. (...)

    Doch dann kam - während die Weltöffentlichkeit auf den Irak schaute - eine neue Inhaftierungswelle im alten Stil, bei der missliebige Schriftsteller, Journalisten und Wissenschaftler im Morgengrauen von zu Hause abgeholt wurden. Seitdem sitzen die meisten von ihnen in Isolationshaft, werden spärlich ernährt und teilen sich ihre feuchten Zellen mit Ratten und Kakerlaken. Drei Männer, die per Boot von Kuba fliehen wollten und dazu eine Fähre gekapert hatten, wurden Anfang April zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tag hingerichtet. (...)

    Soll sich Europa im Gegenzug der harten Linie der USA anschließen ...? Die zuständige Ministerin Heidemarie Wieczorek- Zeul (SPD) lehnte solche Sanktionen im Zuge der Diskussion um die Verhaftungen im April als kontraproduktiv ab. Menschliche Kontakte und Meinungsaustausch müssten gefördert werden, wolle man die Lage für die Kubaner verbessern.
    So ist das mit den Menschenrechten bei Linken vom Zuschnitt der Heidemarie Wieczorek- Zeul.

    Ging es früher um Chile oder Südafrika, dann standen sie in vorderster Front derer, die Sanktionen forderten. Geht es heute um Guantánamo oder CIA-Aktivitäten in Europa, dann lassen sie sich bei der Verteidigung der Menschenrechte von niemandem übertreffen.

    Gegenüber der Castro- Dikatur hingegen empfehlen sie "menschliche Kontakte und Meinungsausstausch".



    Nun ist Heidemarie Wieczorek- Zeul eine Linke in der SPD. Daß sie Sympathien für Castro hat, ist insofern vielleicht nicht verwunderlich. Aber Steinmeier?

    Wo steht Steinmeier politisch? Ein Rechter in der SPD, ein Mann der Mitte? Woher wissen wir das eigentlich? Seit Fritz von Holstein, der "grauen Eminenz", ist kaum jemand, der im Zentrum der Macht agiert, so wenig mit seinen politischen Ansichten an die Öffentlichkeit getreten wie Steinmeier. Jahrzehnte war er der Mann im Hintergrund; erst in der Niedersächsischen Staatskanzlei, dann im Bundeskanzleramt. Dann auch als Außenminister nicht im politischen Flügelkampf engagiert. Nun unversehens Kanzlerkandidat.

    Man muß da schon ein wenig recherchieren, um herauszufinden, wo im Spektrum der SPD Steinmeier eigentlich zu lokalisieren ist. Das hat kürzlich in der FAZ ein Autor getan, der dazu Kompetentes beizutragen weiß: Günter Platzdasch; Schulkamerad Steinmeiers, dann mit ihm zugleich Jurastudent.

    Platzdasch enthüllt, daß Steinmeier als Rechtsferendar in Frankfurt Redakteur der Zeitschrift "Demokratie und Recht" (DuR) war (wie übrigens damals auch Brigitte Zypries, auch sie später mit der Schröder- Seilschaft von Hannover nach Berlin gekommen). Diese Zeitschrift erschien im DKP- nahen Pahl- Rugenstein- Verlag, zu dessen Finanzierung der Jurist Platzdasch die schöne Formulierung findet, daß "der Konkurs des Pahl- Rugenstein- Verlags ("Rubelschein" spotteten Insider), in dem DuR erschienen war, infolge der DDR-Implosion längst gezeigt [hat], wer Sponsor gewesen war".

    Zur Redaktion dieser ultralinken Zeitschrift also gehörte Steinmeier im Jahr 1983, als Platzdasch ihn als Rechtsferendar in Frankfurt traf. Allerdings folgte er dort nicht der DKP- Linie. Platzdasch: "An den Ost- Genossen und ihren bundesdeutschen Fellow Travellers scheiterte die Steinmeier- Redaktion mit dem Versuch einer tabufreien "Diskussion über die Möglichkeiten einer ,linken' Verfassungsinterpretation" (Rundbrief der DuR-Redaktion 1976 an Herausgeber und Mitarbeiter)".

    Steinmeier war damals schon in der SPD und gewiß kein Mann der DKP. Aber daß er überhaupt diese Zeitschrift redigierte, zeigt doch, wie weit am linken Rand der SPD er damals stand. Er war einer derer, die mit Genossen von der DKP zusammenarbeiteten.

    Damals, 1983. Und danach? Platzdasch:
    Während der Wiedervereinigung erschien 1990 ein Sonderdruck der "Blätter für deutsche und internationale Politik", einst das Flaggschiff jenes Pahl- Rugenstein- Verlags ... verfasst von Steinmeier zusammen mit den Ridder- Schülern Achim Bertuleit und Dirk Herkströter. (...)

    Gegen die herrschende Meinung war Steinmeier der Ansicht, Deutschland sei 1945 untergegangen; er plädierte gegen den 'Beitritt' der DDR, für eine Nationalversammlung und neue Verfassung: "Für die These vom Untergang der BRD im Falle einer (Wieder-) Vereinigung". Es sei nicht zu erwarten, dass der Sowjetunion "die DDR rückblickend ein Provisorium war, nicht aber die BRD". (...)

    Zustimmend zitiert wird Ridders Polemik gegen Willy Brandt: "Was nicht zusammengehört, kann auch nicht zusammenwachsen." Steinmeier: "Es führt keine demokratische Brücke von der Verfassung der BRD zur Verfassung des neuen Deutschland." Zu bedauern wäre, bekäme die DDR "nicht einmal die Chance, ihre Geschichte, ihre Besonderheit, ihre Utopien, vielleicht ihre Identität in den Einigungsprozeß einzubringen".



    Ein SPD-Rechter, dieser Frank Walter Steinmeier? Ein Mann der Mitte? Zumindest 1990 war er das augenscheinlich nicht. Vielleicht hat er sich später zur Mitte hin entwickelt; das weiß man bei diesem verschlossenen Mann, bei dieser grauen Eminenz halt nicht.

    Aber auch wenn das so sein sollte (seine Mitwirkung an dem Versuch, 2003 eine gegen die USA gerichtete Achse Moskau- Berlin- Paris zu schmieden, spricht nicht unbedingt dafür) - Jugenderfahrungen bleiben. Fidel Castro gehörte zu den Heldenfiguren jener Linken, in der Wieczorek- Zeul ebenso wie Steinmeier in den siebziger und achtziger Jahren ihre politische Heimat hatten. So etwas prägt.



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