28. September 2008

Zitat des Tages: "Politik der Öffnung". Die SPD und Cuba. Nebst einer Bemerkung über den jungen Frank Walter Steinmeier

Außenminister Frank-Walter Steinmeiers Treffen mit seinem kubanischen Amtskollegen Felipe Pérez Roque ist im Kanzleramt auf Kritik gestoßen. (...) Deutschland solle sich "national nicht vordrängeln". Steinmeier zeigte sich von der Ermahnung des Kanzleramts überrascht und traf Pérez Roque trotzdem. In seinem 15-minütigen Gespräch vorigen Freitag vertrat er eine entschieden andere Position als das Kanzleramt. Steinmeier erkannte eine "Politik der Öffnung" in der Karibik- Diktatur, auch wenn "vieles nach wie vor unbefriedigend" sei.

Aus einer Vorabmeldung zum "Spiegel" 40/2008 der kommenden Woche.

Kommentar: Wenn über außenpolitische Differenzen zwischen dem Kanzleramt und dem Auswärtigen Amt berichtet wird, dann geht es meist um kommunistische oder ex- kommunistische Länder - Rußland, China, jetzt Cuba.

Die Kanzlerin tendiert zu einer nüchternen Beurteilung dieser Länder. Beim Kanzlerkandidaten hat man den Eindruck, daß er ihnen gegenüber ein Wohlwollen zeigt, auf das westlich orientierte Diktaturen oder autoritär regierte Staaten - es gibt sie ja kaum noch - schwerlich hätten zählen können.

Was Cuba angeht, ist Steinmeier nicht der einzige amtierende SPD- Minister, der diesem Land - immerhin eine der schlimmsten Dikaturen der Gegenwart - eine, sagen wir, freundlich- milde Nachsicht entgegenbringt. Am 23. Mai 2000 war in "Spiegel- Online" zu lesen:
Der Höhepunkt der Kuba-Reise von Heidemarie Wieczorek-Zeul fand am Ende statt. Die deutsche Entwicklungshilfeministerin traf Fidel Castro. (...)

Vier Stunden sprach die "rote Heidi" mit dem kubanischen Staatschef. Als Geschenk für Kanzler Schröder gab Castro der Ministerin eine Kiste Zigarren mit. Für den "Máximo Líder" hatte Wieczorek-Zeul ein Kistchen Rotwein aus dem Rheingau mitgebracht ("Assmansshäuser Höllenberg"). (...)

Ausdrücklich habe sich Castro für die deutsch- kubanische Zusammenarbeit in einem ersten, auf Umweltschutz ausgerichteten Entwicklungsprojekt bedankt, berichtete die Ministerin. Sein Dank habe auch dem Anstoß für ein neues bilaterales Verhältnis gegolten. (...)

Vor Wieczorek-Zeul hatte noch nie ein Kabinettsmitglied der Bundesregierung Kuba besucht. Castro hatte sich aber unter anderen bereits mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer getroffen.
Das kommunistische Cuba wußte die Freundlichkeiten der deutschen Regierung durchaus richtig einzuordnen. Am 23. August 2000 meldete Radio Havanna:
The German Minister of Economic Cooperation and Development, Wieczorek- Zeul, traveled to Cuba two months ago (...) [She] has repeatedly stated that, contrary to the position adopted by former German administrations, her government's policy toward Cuba is of cooperation rather than confrontation.

Die deutsche Ministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Wieczorek- Zeul, reiste vor zwei Monaten nach Cuba (...) [Sie] hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß entgegen der Position, die frühere deutsche Regierungen eingenommen hatten, die Politik ihrer Regierung gegenüber Cuba eine solche der Zusammenarbeit und nicht der Konfrontation ist.
Und die Verletzungen der Menschenrechte durch die Castro- Dikatur? Darüber berichtete am 23. Juli 2003 Ulrike Putz in "Spiegel- Online":
Im März noch hatte der dänische Entwicklungskommissar Poul Nielson bei der Fete zur Eröffnung der ersten EU- Interessenvertretung in Havanna laut von einer "neuen Ära" der Beziehungen zwischen Europa und Kuba geträumt. (...)

Doch dann kam - während die Weltöffentlichkeit auf den Irak schaute - eine neue Inhaftierungswelle im alten Stil, bei der missliebige Schriftsteller, Journalisten und Wissenschaftler im Morgengrauen von zu Hause abgeholt wurden. Seitdem sitzen die meisten von ihnen in Isolationshaft, werden spärlich ernährt und teilen sich ihre feuchten Zellen mit Ratten und Kakerlaken. Drei Männer, die per Boot von Kuba fliehen wollten und dazu eine Fähre gekapert hatten, wurden Anfang April zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tag hingerichtet. (...)

Soll sich Europa im Gegenzug der harten Linie der USA anschließen ...? Die zuständige Ministerin Heidemarie Wieczorek- Zeul (SPD) lehnte solche Sanktionen im Zuge der Diskussion um die Verhaftungen im April als kontraproduktiv ab. Menschliche Kontakte und Meinungsaustausch müssten gefördert werden, wolle man die Lage für die Kubaner verbessern.
So ist das mit den Menschenrechten bei Linken vom Zuschnitt der Heidemarie Wieczorek- Zeul.

Ging es früher um Chile oder Südafrika, dann standen sie in vorderster Front derer, die Sanktionen forderten. Geht es heute um Guantánamo oder CIA-Aktivitäten in Europa, dann lassen sie sich bei der Verteidigung der Menschenrechte von niemandem übertreffen.

Gegenüber der Castro- Dikatur hingegen empfehlen sie "menschliche Kontakte und Meinungsausstausch".



Nun ist Heidemarie Wieczorek- Zeul eine Linke in der SPD. Daß sie Sympathien für Castro hat, ist insofern vielleicht nicht verwunderlich. Aber Steinmeier?

Wo steht Steinmeier politisch? Ein Rechter in der SPD, ein Mann der Mitte? Woher wissen wir das eigentlich? Seit Fritz von Holstein, der "grauen Eminenz", ist kaum jemand, der im Zentrum der Macht agiert, so wenig mit seinen politischen Ansichten an die Öffentlichkeit getreten wie Steinmeier. Jahrzehnte war er der Mann im Hintergrund; erst in der Niedersächsischen Staatskanzlei, dann im Bundeskanzleramt. Dann auch als Außenminister nicht im politischen Flügelkampf engagiert. Nun unversehens Kanzlerkandidat.

Man muß da schon ein wenig recherchieren, um herauszufinden, wo im Spektrum der SPD Steinmeier eigentlich zu lokalisieren ist. Das hat kürzlich in der FAZ ein Autor getan, der dazu Kompetentes beizutragen weiß: Günter Platzdasch; Schulkamerad Steinmeiers, dann mit ihm zugleich Jurastudent.

Platzdasch enthüllt, daß Steinmeier als Rechtsferendar in Frankfurt Redakteur der Zeitschrift "Demokratie und Recht" (DuR) war (wie übrigens damals auch Brigitte Zypries, auch sie später mit der Schröder- Seilschaft von Hannover nach Berlin gekommen). Diese Zeitschrift erschien im DKP- nahen Pahl- Rugenstein- Verlag, zu dessen Finanzierung der Jurist Platzdasch die schöne Formulierung findet, daß "der Konkurs des Pahl- Rugenstein- Verlags ("Rubelschein" spotteten Insider), in dem DuR erschienen war, infolge der DDR-Implosion längst gezeigt [hat], wer Sponsor gewesen war".

Zur Redaktion dieser ultralinken Zeitschrift also gehörte Steinmeier im Jahr 1983, als Platzdasch ihn als Rechtsferendar in Frankfurt traf. Allerdings folgte er dort nicht der DKP- Linie. Platzdasch: "An den Ost- Genossen und ihren bundesdeutschen Fellow Travellers scheiterte die Steinmeier- Redaktion mit dem Versuch einer tabufreien "Diskussion über die Möglichkeiten einer ,linken' Verfassungsinterpretation" (Rundbrief der DuR-Redaktion 1976 an Herausgeber und Mitarbeiter)".

Steinmeier war damals schon in der SPD und gewiß kein Mann der DKP. Aber daß er überhaupt diese Zeitschrift redigierte, zeigt doch, wie weit am linken Rand der SPD er damals stand. Er war einer derer, die mit Genossen von der DKP zusammenarbeiteten.

Damals, 1983. Und danach? Platzdasch:
Während der Wiedervereinigung erschien 1990 ein Sonderdruck der "Blätter für deutsche und internationale Politik", einst das Flaggschiff jenes Pahl- Rugenstein- Verlags ... verfasst von Steinmeier zusammen mit den Ridder- Schülern Achim Bertuleit und Dirk Herkströter. (...)

Gegen die herrschende Meinung war Steinmeier der Ansicht, Deutschland sei 1945 untergegangen; er plädierte gegen den 'Beitritt' der DDR, für eine Nationalversammlung und neue Verfassung: "Für die These vom Untergang der BRD im Falle einer (Wieder-) Vereinigung". Es sei nicht zu erwarten, dass der Sowjetunion "die DDR rückblickend ein Provisorium war, nicht aber die BRD". (...)

Zustimmend zitiert wird Ridders Polemik gegen Willy Brandt: "Was nicht zusammengehört, kann auch nicht zusammenwachsen." Steinmeier: "Es führt keine demokratische Brücke von der Verfassung der BRD zur Verfassung des neuen Deutschland." Zu bedauern wäre, bekäme die DDR "nicht einmal die Chance, ihre Geschichte, ihre Besonderheit, ihre Utopien, vielleicht ihre Identität in den Einigungsprozeß einzubringen".



Ein SPD-Rechter, dieser Frank Walter Steinmeier? Ein Mann der Mitte? Zumindest 1990 war er das augenscheinlich nicht. Vielleicht hat er sich später zur Mitte hin entwickelt; das weiß man bei diesem verschlossenen Mann, bei dieser grauen Eminenz halt nicht.

Aber auch wenn das so sein sollte (seine Mitwirkung an dem Versuch, 2003 eine gegen die USA gerichtete Achse Moskau- Berlin- Paris zu schmieden, spricht nicht unbedingt dafür) - Jugenderfahrungen bleiben. Fidel Castro gehörte zu den Heldenfiguren jener Linken, in der Wieczorek- Zeul ebenso wie Steinmeier in den siebziger und achtziger Jahren ihre politische Heimat hatten. So etwas prägt.



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