9. September 2008

Marginalie: Dreimal SPD. Vom Genossen Trend über den Versuch, die Siebziger zu restaurieren, in den Verfall. Drei Stufen auch der Entsolidarisierung

Die ersten vier Vorsitzenden der SPD nach dem Zweiten Weltkrieg (Schumacher, Ollenhauer, Brandt und Vogel) amtierten zusammen ziemlich genau 45 Jahre; vom 11. Mai 1946 bis zum 29. Mai 1991.

Die nächsten vier (Engholm, Scharping, Lafontaine und Schröder) standen zusammen knapp 13 Jahre an der Spitze; Schröder trat am 21. März 2004 zurück.

Die letzten drei - Müntefering, Platzeck und Beck - brachten es auf eine Amtszeit von, zusammengerechnet, viereinhalb Jahren.

Drei Perioden. Drei Entwicklungsphasen der SPD: Die solide, erfolgreiche SPD der alten Bundesrepublik. Die hektische, von den 68ern nach links getriebene SPD zwischen dem Mauerfall und dem Ende von Rotgrün. Und als dritte Periode die einer zerfallenden, kraftlosen SPD, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben.



Die SPD der alten Bundesrepublik - die SPD von Schumacher bis Vogel - war eine Partei, in der (trotz des in diesem Punkt ganz untypischen Herbert Wehner) Solidarität etwas galt. Von den vier Vorsitzenden dieser Epoche trat nur einer (Willy Brandt) vor Ablauf seiner Amtszeit zurück.

Es war die Partei des "Genossen Trend", der sie von Wahl zu Wahl weiter nach vorn gebracht hatte; schließlich über die Große Koalition in die Sozialliberale Koalition mit der FDP der Freiburger Thesen. Helmut Schmidt verkörperte diese SPD, auch wenn er nie ihr Vorsitzender war.

In der nächsten Periode - der Zeit zwischen der Wiedervereinigung und dem Ende von Rotgrün - übernahmen die 68er die Parteispitze und führten dort ihr Verständnis vom Umgang unter Genossen ein: Jeder für sich und wir alle ohne Gott.

Engholm mußte zurücktreten, weil ihn die Solidarität der Genossen verließ, als er wegen der Barschel- Affäre in Kalamitäten kam. Scharping wurde abgewählt, als der Mannheimer Parteitag sich von einer demagogischen Rede Oskar Lafontaines hatte besoffen machen lassen. Lafontaine trat zurück, als er den Machtkampf gegen Schröder verloren hatte. Dieser trat seinerseits zurück, als die SPD-Linke ihm die Solidarität entzog.

Das war eine Periode, in der der Kampf um den SPD-Vorsitz geführt wurde wie Thai-Boxen; Tritte inclusive. Aber immerhin wurde gekämpft. Das Amt des Vorsitzenden war noch attraktiv. Es mußte erobert werden, und es versprach die Eroberung des Amtes des Bundeskanzlers.

Man wollte ja nicht nur regieren, sondern hatte ein "Projekt", das rotgrüne. Die während ihres Langen Marschs durch die Institutionen in die Jahre gekommenen Achtundsechziger wollten, immer noch einigermaßen in Saft und Kraft stehend, die Träume ihrer Jugend am Ende ihrer Karriere noch in die Tat umsetzen.



In der dritten Periode wurde das Amt des SPD-Vorsitzenden nicht mehr erobert, sondern angedient. Die Partei suchte, wenn sie wieder einmal ihres Vorsitzenden verlustig gegangen war, einen Genossen, der bereit war, dieses Amt auf sich zu nehmen.

Es ging nicht mehr darum, wer den Vogel abschießt, sondern wer die Suppe auslöffelt.

Als Schröder am Ende war, entschied er sich für die Flucht nach vorn, für den Husarenritt Richtung vorgezogene Neuwahlen. Die Führung des Trosses, der Partei also, überließ er dem treuen Franz Müntefering.

Als dieser nach einer erfolgreichen Intrige von Andrea Nahles die Brocken hinwarf - er war gerade einmal zwanzig Monate Vorsitzender gewesen -, brauchte man einen, der in dieser trüben Lage bereit war, sich die Last der Parteiführung aufzuladen. Man fand ihn in dem redlichen Matthias Platzeck.

Nachdem Platzeck die SPD- Führung ein wenig von innen kennengelernt hatte, befand er, daß dieses Amt für ihn zu schwer zu ertragen war. Um seine Gesundheit fürchtend, gab er es bereits nach fünf Monaten wieder ab.

Wieder suchte die SPD einen, der sich dieses Amt jetzt immer noch zutraute. Der biedere Kurt Beck (der sich gleichwohl später am Intrigieren versuchte) tat das. Er hatte als Ministerpräsident des schönen Weinlandes Rheinland- Pfalz den Gipfel seiner Kompetenz erreicht. Aber, getragen vom Peter- Prinzip, war er bereit, der oberste Sozialdemokrat zu werden; ja er liebäugelte anfangs gar mit dem Amt des Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland.

Immerhin fast zweieinhalb Jahre hielt er durch, vom April 2006 bis zum 7. September 2008; länger als seine beiden Vorgänger zusammen. Dann warf auch er das Handtuch.



In der ersten Periode war die SPD eine verantwortliche, eine staatstragende, eine also erfolgreiche Partei. Eine Partei, die sich durch Fleiß und Disziplin die Regierung verdiente und die mit Willy Brandt und Helmut Schmidt zwei der untadeligsten Bundeskanzler stellte.

In der zweiten Periode wollte die SPD den Staat nicht mehr tragen, sondern ihn umkrempeln; und die Protagonisten dieses Stücks trieben es wie die Gestalten der Shakespeare'schen Königsdramen. Aus dem Umkrempeln wurde nur Krempel; der Versuch einer Restauration der siebziger Jahre mußte in einer Welt scheitern, in der nicht ein ergrünter Demokratischer Sozialismus auf der Tagesordnung steht, sondern die Anpassung an die sich globalisierende Welt.

In der dritten Periode ist die SPD jetzt nicht nur kraftlos, sondern - schlimmer - ziellos. Sie hatte es in den achtziger Jahren versäumt, eine moderne, die Globalisierung bejahende Partei der linken Mitte zu werden; auch wenn Gerhard Schröder 1998 mit der Mogelpackung "Neue Mitte" Wahlkampf gemacht hatte. Sie hatte das Pech, nach den Wahlen 2005 nicht in die Opposition versetzt zu werden; dies hätte ihr vielleicht eine Regenerierung ermöglicht.

Jetzt trudelt sie dahin, ohne Ziel, ohne Strategie; allenfalls taktierend. Paktiert sie mit den Kommunisten, dann laufen ihr die Wähler der Mitte davon. Orientiert sie sich zur Mitte, dann verliert sie so viele Wähler an die Kommunisten, daß an ein Regieren ohne diese überhaupt nicht zu denken ist.

Sie hat es nicht anders verdient, diese Partei, die Solidarität auf ihren Fahnen stehen hat und in der es seit Jahrzehnten so unsolidarisch zugeht wie in keiner anderen Partei.



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