4. September 2008

Marginalie: Der unaufhaltsame Abstieg der Partei des Demokratischen Sozialismus

Haben Sie ein Lineal zur Hand? Dann legen Sie es doch bitte einmal an die rote Kurve in dieser Grafik an, die von der WebSite "Sonntagsfrage Aktuell" angeboten wird. Die Grafik faßt die Ergebnisse aller Umfragen seit den letzten Bundestagswahlen 2005 zusammen. Die Kurve zeigt, wie Sie sich denken können, die Werte für die SPD.

Es ist eine Kurve mit einem bemerkenswert ausgeprägten linearen Trend. Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, jemals Daten dieser Art gesehen zu haben - über fast drei Jahre hinweg verliert eine Partei Wähler in immer demselben Tempo. Gewiß, es gibt Plateaus. Aber nach einem Plateau geht es nur umso schneller wieder abwärts.

Die Kurve setzt bei 34,3 Prozent ein (dem Ergebnis der Bundestagswahlen am 18. September 2005 für die SPD) und endet bei gegenwärtig 22,3 Prozent. Das ist der Wert, den der Newsletter von Sonntagsfrage Aktuell seinen Abonnenten gestern mitteilte, wie immer gemittelt aus den Umfragen der vergangenen Kalenderwoche.

Also ein Verlust von exakt 12 Prozentpunkten über einen Zeitraum von fast exakt 36 Monaten. Mit anderen Worten, die SPD hat alle drei Monate einen Prozentpunkt verloren, Monat für Monat, über drei Jahre.



Zugleich steigen die Umfragewerte der Partei, die gegenwärtig "Die Linke" heißt, kontinuierlich an. Der Anstieg begann später als der Abstieg der SPD; erst im Mai 2007. Aber er verläuft seither ebenfalls annähernd linear; um ungefähr einen Prozentpunkt in jeweils vier Monaten.

Wenn man linear extrapoliert, dann würden Sozialdemokraten und Kommunisten in einem Jahr bis eineinviertel Jahren gleichauf liegen. Also ungefähr zum Zeitpunkt der Bundestagswahlen, wenn die Legislaturperiode nicht vorzeitig endet.

Das wird vermutlich nicht eintreten; starke lineare Trends sind bei solchen Daten, wie gesagt, eher selten. Aber daß es mit der SPD weiter abwärts und mit "Die Linke" weiter aufwärts geht, ist gut möglich. Im Saarland liegen sie nach einer aktuellen Umfrage bereits gleichauf; mit einem kleinen Vorsprung sogar für die Kommunisten.

Wer das im Jahr 1990, nach der Wiedervereinigung, vorhergesagt hätte, den hätte man für einen Phantasten oder einen unverbesserlichen Kommunisten gehalten; vermutlich für beides.



Wenn man sich die Kurven aller Parteien ansieht, dann wird deutlich, daß der Abstieg der SPD aus zwei Phasen besteht: Anfangs verlor sie an die CDU/CSU, die zeitweise ihrerseits an die FDP verlor; die Werte der Kommunisten änderten sich kaum. Inzwischen verliert sie überwiegend an die Kommunisten.

Diese Kurven zeigen damit das ganze Dilemma der SPD.

Als Quittung dafür, daß der Kanzler Schröder ihr die Agenda 2010 aufgezwungen hatte wie der Fronherr seinen Fronsleuten die Fronarbeit, hatte die SPD bereits vor den Bundestagswahlen 2005 kräftig Wähler links verloren. Das war der Sockel von etwas unter zehn Prozent, mit dem die Kommunisten in die Legislaturperiode starteten.

Die SPD verharrte zunächst in Schreckstarre, versuchte den Kurs der Agenda 2010 durchzuhalten und erschien - nachgerade führerlos, wie sie seit dem Ende der Ära Schröder war - immer mehr als die Kopie der CDU. Damit verlor sie Wähler an diese. Man wählt immer lieber das Original als die Kopie.

Daraus zogen die Strategen der SPD die Konsequenz, die Partei müsse sich wieder links profilieren. Das passierte im Lauf des Jahres 2007 und kulminierte im Hamburger Parteitag im Oktober jenes Jahres. Damals wurde das "Hamburger Programm" verabschiedet, das die SPD erneut zur Partei des Demokratischen Sozialismus erklärte; und zwar, wie Kurt Beck dazu anmerkte, "ganz bewusst" und "nicht nur als geschichtliche Reminiszenz".



Eine Reminiszenz freilich war das an jene andere Partei, die den Namen "Partei des Demokratischen Sozialismus" ja gerade erst abgelegt und damit ihn sozusagen zur gefälligen Bedienung zur Verfügung gestellt hatte.

Wie die SPD glauben konnte, durch eine Bewegung nach links den Kommunisten die an diese verlorenen Wähler wieder abzujagen zu können, wird wohl ewig das Geheimnis der SPD- Führung bleiben.

Wenn eine Partei der Mitte sich radikalisiert, dann nützt das regelmäßig der radikalen Partei, auf die sie sich zubewegt; und es schadet komplementär ihr selbst. Denn sie verliert dann auf der einen Seite moderate Wähler und auf der anderen diejenigen, die sie mit diesem Manöver bei der Stange halten oder wiedergewinnen will; die aber doch auch lieber das Original wählen als die Kopie.

In dem Maß, in dem die gemäßigte Partei sich der radikalen Partei nähert, in dem Maß, in dem sie deren Inhalte und Forderungen übernimmt, macht sie diese hoffähig. Sie selbst wird durch ein solches Manöver nicht stärker, sondern noch schwächer. Sie erscheint als der Abklatsch der Radikalen; sie büßt ihr Image und ihr Ansehen ein.

Auf diesen Weg, und damit auf den Weg unter zwanzig Prozent, hat sich die SPD jetzt offenbar gemacht.

Die SPD-Linke hat vor wenigen Tagen dem Parteivorstand eine Petition vorgelegt, in der sie "in scharfem Ton mit zehn Jahren SPD-Regierungspolitik und der 'Agenda 2010'" abrechnet. Das freilich haben die Kommunisten von Anfang an getan. Wenn ein Teil der SPD ihnen jetzt Recht gibt, dann stärkt das logischerweise nicht die gescholtene SPD, sondern die Kommunisten.

Vielleicht wollen ja manche SPD-Linken just das. Je mehr die Kommunisten Blut aus der SPD saugen ("Fleisch vom Fleisch der SPD" wurden einst auch die Grünen genannt), umso mehr werden sie sozusagen zu deren Blutsbrüdern. Und am Ende wächst dann zusammen, was zusammengehört: Die Vereinigte Arbeiterpartei, die neue Sozialistische Einheitspartei. Ein neues Gotha steht dann ins Haus.



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