16. Januar 2009

Zitat des Tages: Innenminister Schäuble "braucht keine Belehrung". Wie gefährlich sind eigentlich die Häftlinge, die aus Guantánamo entlassen werden?

Frau Merkel und ich brauchen da von manchen Beteiligten gar keine Belehrung.

Innenminister Wolfgang Schäuble laut "Spiegel- Online" gestern auf dem Treffen der EU-Innenminister in Prag zu der Frage, ob Deutschland aus Guantánamo entlassene Häftlinge aufnehmen soll.

Schäuble bezog sich offensichtlich auf die von seinem Kollegen Steinmeier in einem Offenen Brief an den künftigen US-Präsidenten Obama angedeutete Bereitschaft, Gefangene aus Guantánamo in Deutschland aufzunehmen. Ende Dezember war gemeldet worden, daß im Auswärtigen Amt an Plänen zur Aufnahme von Häftlingen aus Guantánamo gearbeitet werde.

Kommentar: "Keine Belehrung" braucht Schäuble von seinem Kollegen Steinmeier, denn, so "Spiegel- Online": "Schäuble erklärte dazu, zuständig seien eindeutig 'die Innenminister von Bund und Ländern'".

In der Tat - Steinmeiers Vorstoß ist schon sehr eigenartig. Zum einen, weil er damit im Kompetenzbereich eines Kollegen wildert. Zum anderen, weil er noch dazu seinen Vorstoß mit diesem offenbar nicht abgestimmt hatte - sonst würde sich ja Schäuble jetzt nicht so ostentativ von Steinmeiers Plänen distanzieren.

Und drittens, weil nicht zu sehen ist, welches Interesse Deutschland daran haben kann, sich ehemalige Insassen des Lagers Guantánamo ins Land zu holen. Denn damit holt man sich freiwillig potentielle Terroristen ins Land.



Um wen geht es überhaupt? In der "Zeit" hat Heinrich Wefing am 31. Dezember ein nachgerade idyllisches Bild von diesen Gefangenen gezeichnet:
Gestrandete des "Kriegs gegen den Terror" sind sie, Männer, deren einziges Verbrechen es wohl gewesen ist, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Nichts liegt gegen sie vor, kein Komplott gegen Amerika haben sie geplant, kein Selbstmordattentat, wie selbst die Regierung Bush einräumt, und doch sitzen sie zum Teil seit Jahren in Guantánamo fest, wenn auch unter gelockerten Bedingungen. Ihnen Asyl in Deutschland zu gewähren, ganz so wie anderen politisch Verfolgten auch, wäre ein Signal an Washington. Und ein Akt der Menschlichkeit.
Schön wäre es, wenn die Entscheidung so einfach wäre, wie Wefing es sich vorstellt.

Was es tatsächlich mit den noch in Guantánamo Einsitzenden auf sich hat, darüber habe ich im November auf der Grundlage eines sachkundigen Artikels in der Washington Post berichtet:

Es sind erstens Personen, denen der Prozeß gemacht werden soll, weil gegen sie hinreichend eindeutige Beweise vorliegen.

Es sind zweitens enemy combattants, also feindliche Kämpfer, denen kein Verbrechen nachgewiesen werden kann. Diese zerfallen wiederum in die Gruppe derer, die die US- Behörden für immer noch so gefährlich halten, daß sie sie weiter festhalten möchten; sowie rund sechzig Personen, die sie bereit sind in ihre Heimtländer abzuschieben, weil sie sie für nicht mehr gefährlich halten.

Um diese letztere Gruppe geht es, jetzt noch ungefähr 60 Männer.

Sind das "Gestrandete", die nur das Pech hatten, "zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein"? Nichts spricht dafür. Sie wurden bei Kampfhandlungen oder unter anderen Umständen gefangen genommen, die darauf hindeuten, daß sie feindliche Kämpfer sind.

Die USA haben sie bisher so festgehalten, wie man auch in regulären Kriegen gefangen genommene feindliche Kämpfer festhält: Damit sie nicht weiterkämpfen können. Kriegsgefangenen muß man nicht Mann für Mann nachweisen, daß sie kriminelle Handlungen begangen haben.



Gibt es die Möglichkeit, zu prognostizieren, wie sich die 60 Gefangenen verhalten werden, wenn sie erst einmal freigelassen sind? Niemand weiß es. Aber es gibt die Möglichkeit zu so etwas wie einer Hochrechnung.

Die meisten derer, die bisher freigelassen wurden - von denen die US-Behörden also annahmen, sie seien nicht mehr gefährlich -, sind in der Tat nicht wieder als Terroristen bekannt geworden. Die Dunkelziffer kennt man, wie es Dunkelziffern an sich haben, nicht. Aber ungefähr sieben Prozent wurden überführt, erneut als Terroristen aktiv geworden zu sein. Ein Überblick findet man in der Wikipedia. Aktuelle Beispiele nennt eine Zusammenstellung (Fact Sheet) der Defense Intelligence Agency.

Einige Beispiele daraus:
  • Ibrahim Shafir Sen wurde im November 2003 in die Türkei entlassen. Im Januar 2008 wurde er im türkischen Ort Van festgenommen und angeklagt, Führer einer lokalen Zelle der El Kaida zu sein.

  • Ibrahim Bin Shakaran und Mohammed Bin Ahmad Mizouz wurden im Juli 2004 nach Marokko entlassen. Im September 2007 wurden sie aufgrund der Anklage, Kämpfer für die Gruppe von Abu- Musab al- Zarkawi, der Organisation der Kaida im Irak, angeworben zu haben, zu zwei bzw. zehn Jahren Haft verurteilt.

  • Abdullah Mahsud war im März 2004 nach Afghanistan entlassen worden. Im Oktober 2004 übernahm er u.a. die Verantwortung für einen Bombenanschlag auf ein Hotel. Als ihn pakistanische Truppen im Juli 2007 festnehmen wollten, beging er Selbstmord.

  • Mohammed Ismail erklärte nach seiner Freilassung im Januar 2004, er werde zu seinen Angehörigen zurückkehren und Arbeit suchen. Im Mai 2004 wurde er gefangen genommen, als er an an einem Angriff auf US- Truppen in Afghanistan teilnahm. Er trug einen Brief bei sich, der ihn als Mitglied der Taliban auswies.

  • Maulvi Abdul Ghaffar wurde Ende 2002 aus Guantánamo entlassen. Er wurde danach der regionale Kommandeur der Taliban in den afghanischen Provinzen Uruzgan und Helmand. Im September 2004 wurde er bei einem Angriff auf US- Truppen getötet.
  • Und so fort. Wohlgemerkt: Alle diese Leute wurden entlassen, weil die US- Behörden hinreichend sicher waren, daß sie nicht wieder in den Terrorismus zurückkehren würden. Sie gehörten also zu jener dritten Gruppe von jetzt noch 60 Gefangenen, von denen unser Außenminister Steinmeier gern einige aufnehmen möchte.

    Deutschland kann Glück haben, und wir bekommen nur solche Entlassene, die aussteigen wollen. Vielleicht auch solche, die tatsächlich, wie der "Zeit"- Autor Wefing es sich vorstellt, nur "zur falschen Zeit am falschen Ort" waren.

    Wenn wir allerdings Pech haben, dann holen wir uns ein paar Terroristen ins Land.

    Und da man niemandem ansieht, ob er zur einen oder zur anderen Gruppe gehört, wird dem Innenminister Schäuble, falls sein Kollege Steinmeier sich mit seinem Plan durchsetzt, nichts anderes übrig bleiben, als die Aufgenommenen von unseren Sicherheitsorganen überwachen zu lassen.

    Absurd, finden Sie nicht? Aber vielleicht haben wir ja Glück, und der eine oder andere reist gleich ins Ausbildungslager in Pakistan oder Afghanistan weiter.



    Für Kommentare bitte hier klicken.