27. Januar 2009

Ketzereien zum Irak (33): Über die Demokratie im Irak. Nebst einem Rückblick auf den Irak-Krieg und die Berichterstattung über ihn

Vielleicht wäre es eine Frage für meine Serie "Mal wieder ein kleines Quiz" gewesen: In welchem Land finden Ende dieser Wochen Provinzwahlen statt, für die das Wahlgesetz eine Frauenquote vorsieht? Richtig, im Irak.

Es sind freie Wahlen; so frei, wie es sie im Nahen Osten in keinem Staat außer in Israel und allenfalls im Libanon gibt.

Das Wahlsystem ist eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht: Der Wähler kann sich für eine Liste oder für Kandidaten entscheiden. Die Reihenfolge, in der die Kandidaten auf einer Liste zum Zug kommen, hängt davon ab, wieviele Stimmen sie individuell bekommen haben.

Bezeichnend für die Selbstverständlichkeit, mit der die Iraker inzwischen von ihren demokratischen Freiheiten Gebrauch machen, aber auch für die Schwierigkeiten, sich in Demokratie einzuüben, ist die Diskussion über die Frauenquote.

Sie ist in der Verfassung mit 25 Prozent aller Sitze festgelegt. Aber wie das umsetzen?

Das Wahlgesetz für die jetzigen Wahlen bestimmt, daß "am Ende von jeweils drei gewählten Kandidaten eine Frau sein muß".

Die Logik dieses Verfahrens ist klar: Zunächst kommen auf der Liste einer Partei die Kandidaten mit den meisten Stimmen zum Zug, in der Reihenfolge ihrer Stimmen. Spätestens nach drei gewählten Männern ist aber nicht die Person mit der vierthöchsten Stimmenzahl an der Reihe, sondern die Frau mit der höchsten Zahl von allen kandidierenden Frauen; auch wenn diese niedriger ist als die eines Mannes mit der vierthöchsten Zahl von Stimmen. Und so fort.

Ein eigentlich logisches Verfahren, um die Quote zu erfüllen. Aber es gab sofort eine Diskussion: "Am Ende von jeweils drei gewählten Kandidaten" - heißt das nicht, daß bereits jede dritte Position von einer Frau besetzt werden muß?

Die Sache kam vor die Wahlkommission - und sie entschied sich tatsächlich für diese Interpretation! Also zwei Männer, eine Frau, zwei Männer eine Frau und so fort.

Das würde nun eigentlich dazu führen, daß am Ende nicht 25, sondern 33 Prozent der Gewählten Frauen sind.

Aber auch wieder nicht; denn es gab einen zweiten Einwand: Wenn eine kleine Partei in einer Provinz nur drei oder weniger Sitze erhält, dann käme dort gar keine Frau zum Zug, wenn erst jede vierte gewählte Person eine Frau ist. Offenbar, um diesen Nachteil auszugleichen, entschied sich die Wahlkommission für ihre eigenwillige Interpretation von "am Ende".

Jetzt wird also bereits mindestens eine Frau gewählt sein, wenn eine Partei in einer Provinz wenigstens drei Sitze erhält. Bei sehr kleinen Parteien kann das immer noch zu einer Unterschreitung der Quote von einem Viertel Frauen führen. Bei größeren Parteien bewirkt diese Regelung andererseits, daß statt eines Viertels sogar bis zu einem Drittel der Gewählten Frauen sind.



Ich habe das so ausführlich geschildert, um deutlich zu machen, wie bemüht man im Irak ist, die Demokratie zu erlernen und alle Interessen zu berücksichtigen.

Das ist in diesem Land mit den verschiedenen Religionen und Konfessionen und den vielen Ethnien schwer; aber man ist inzwischen offenbar mit großer Mehrheit entschlossen, diesen demokratischen Weg zu gehen.

Freilich mit immer noch vielen Hindernissen. Zum einen konnte man sich nicht über die Behandlung von Minderheiten in der Provinz Kirkuk einigen, in der Araber, Kurden und Turkmenen leben. Quoten für alle drei Gruppen wurden vorgeschlagen und wieder verworfen. Jetzt sind die Wahlen dort und in den drei kurdischen Provinzen auf einen späteren Termin verschoben.

Zum anderen hat sich zwar seit der Schlacht um Basra im Frühjahr 2008 die Sicherheitslage nach den sunnitischen nun auch in den schiitischen Provinzen dramatisch verbessert; aber sie ist doch noch weit davon entfernt, normal zu sein.

Am Wahltag gelten deshalb im ganzen Land besondere Sicherheitsmaßnahmen: Die Flughäfen bleiben geschlossen. In den Städten dürfen keine Kfz fahren. Der die Provinzgrenzen überschreitende Verkehr wird mit Ausnahme von Fußgängern und Fahrzeugen mit einer Sonderberechtigung eingestellt. Jedes Wahllokal wird von Sicherheitskräften geschützt, die in zwei Ringen (außen Militär, innen Polizei) um es herum postiert sind.

Generalmajor Ayden Khaled, stellvertretender Innenminister, ist überzeugt, daß mit diesen Maßnahmen die Wahlen erfolgreich geschützt werden können:
There is no station that is not secured. There are enough forces. Actually, there is an excess in numbers. We have enough forces to protect the candidates, the voters, polling stations.

Es gibt kein Wahllokal, das nicht gesichert wird. Es gibt dafür genug Kräfte. Tatsächlich haben wir mehr, als wir brauchen. Wir haben genug Kräfte, um die Kandidaten, die Wähler, die Wahllokale zu schützen.
US-Truppen werden bereitstehen, um notfalls auszuhelfen. Aber im Prinzip obliegt der Schutz der Wahllokale in allen Provinzen den irakischen Sicherheitskräften. Etwas, das man sich im Frühjahr 2007 schwer hätte vorstellen können.



Vor fünf Jahren, Ende Januar 2003, stand die Invasion des Irak unmittelbar bevor. Hat sie ihr Ziel erreicht?

Sieht man die heutige Lage, dann kann man wohl sagen: Ja, weitgehend. Der Irak ist jetzt auf dem Weg, den Präsident Bush sich vorgestellt hatte. Die Gefahr eines Bürgerkriegs besteht nicht mehr; vorausgesetzt, daß Präsident Obama sich verantwortlich verhält und auf den Abzug aller US- Truppen binnen 16 Monaten verzichtet, den er im Wahlkampf versprochen hatte.

Andererseits hatte kaum jemand Anfang 2003 erwartet, daß es so schwer werden würde, die jetzige Lage zu erreichen; daß es so ungeheure Opfer kosten würde.

Ob man diese Opfer hätte vermeiden können; ob dieser Krieg überhaupt ein Fehler gewesen war - darüber werden noch Generationen von Historikern streiten. Auf eine sachliche Art werden sie das freilich erst können, wenn sich die Emotionen, die Beschuldigungen und die politische Propaganda gelegt haben, die diese fünf Jahre begleitet haben.

Vor allem in Europa, ganz besonders in Deutschland, fehlte der Berichterstattung über diesen Krieg weitgehend die Sachlichkeit.

In der Serie, zu der dieser Beitrag gehört, habe ich deshalb versucht, dieser Einseitigkeit entgegenzuwirken. Mit anderen Informationen; mit anderen Perspektiven. Mit vor allem den Beurteilungen von Berichterstattern vor Ort - Michael Totten, Bill Ardolino und Michael Yon -, auf deren Informationen ich mich für die Serie immer wieder gestützt habe; wie auch auf den irakischen Blog "Iraq the Model".

Ich denke, ich kann behaupten, daß derjenige, der diese Serie verfolgt hat, über die tatsächliche Lage im Irak besser informiert war als der durchschnittliche Konsument der deutschen Leitmedien.

Die erste Folge erschien im Dezember 2006. Darin habe ich eine Analyse aus "Iraq the Model" referiert: Daß der Erfolg der Demokratie im Irak davon abhängen werde, daß die gemäßigten Sunniten ebenso wie die gemäßigten Schiiten sich von den jeweiligen Extremisten lossagen. Anders gesagt - daß die Gemeinsamkeit der Demokraten die Oberhand gewinnt gegenüber der Solidarität auch mit Extremisten innerhalb der jeweiligen Konfession.

Das war, wie in der Rückschau zu sehen ist, eine ungemein hellsichtige Beurteilung. Genau dieser Prozeß hat in den beiden Jahren danach stattgefunden; mühsam und mit Rückschlägen, auch blutig. Aber letztlich mit Erfolg.



Dies ist jetzt die vorletzte Folge dieser Serie.

"Ketzereien zum Irak" sind überflüssig geworden, denn inzwischen kann auch die schlimmste antiamerikanische Propaganda nicht mehr leugnen, daß der Irak auf dem Weg zur Demokratie ist. Nicht zu einem perfekten demokratischen Rechtsstaat, wie wir ihn in Europa und den USA kennen. Aber doch zu einer für den Nahen Osten vorbildlichen Demokratie.

In der nächsten, abschließenden Folge werde ich noch einmal zurückblicken; bis zur Vorgeschichte des Kriegs. Es wird um die Frage gehen, wie es eigentlich zu diesem Krieg kommen konnte: Warum hat Saddam Hussein das Ausweglose seiner Lage nicht erkannt und das Angebot angenommen, ins Asyl auszureisen? Warum hat er diesen aussichtslosen Kampf geführt, und zwar bis zum Schluß?



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