6. Januar 2009

Zettels Meckerecke: Kniesehnenreflexdiplomatie. Anmerkung zu Sarkozy, Steinmeier und Co. Oder sind's doch nicht die Reflexe? Nebst etwas zu Obama

Gut, "Kniesehnenreflexdiplomatie" ist kein besonders schönes deutsches Wort. Es ist aber die korrekte Übersetzung des kürzeren und lesbareren englischen Ausdrucks "knee jerk diplomacy". Und dieser wiederum scheint mir eine gute Bezeichnung für das zu sein, was beispielsweise Nicolas Sarkozy mit seinem gestrigen Besuch in Israel vorerxerziert hat.

Ich habe diesen Ausdruck "knee jerk diplomacy" gestern in einem lesenswerten Kommentar von Michael Rubin im Middle East Forum gefunden. Rubin meint damit "demanding a truce regardless of the cause of the fighting" - einen Waffenstillstand ohne Rücksicht auf die Ursache der Kämpfe zu verlangen. So, wie es nicht nur Sarkozy tut, sondern beispielsweise auch der deutsche Außenminister (nicht aber seine Kanzlerin).

Das geschieht anscheinend reflexhaft; so wie der Unterschenkel (wenn neurologisch alles in Ordnung ist) nach oben schnellt, wenn der Doktor auf die Patellarsehne klopft.

An sich ist das ein sinnvoller Reflex, der über die sogenannte Alpha- Gamma- Kopplung dafür sorgt, daß die Muskulatur sich mechanischer Beanspruchung anpaßt, indem sie ihren Tonus erhöht. Wenn aber der Arzt mit dem Hämmerchen auf die bekannte Stelle klopft, dann wird dieser Reflex dysfunktional ausgelöst. "Eine dumme Antwort des Organismus auf eine dumme Frage", wie ich es einmal einen Physiologen habe formulieren hören.

Reflexe sind nun einmal (vergleichsweise) dumm. Das ist der Preis dafür, daß sie schnell sind, also ohne Nachdenken und Entscheiden funktionieren.



Diplomaten freilich, Staatsmänner wie Sarkozy und (naja) Steinmeier sollten eigentlich nachdenken, bevor sie handeln. Sie sollten nicht reflektorisch reagieren.

Krieg ist etwas Entsetzliches. Menschen sterben, Menschen werden verstümmelt. Es ist unsere natürliche Reaktion, unser emotionaler Reflex, zu sagen: Hört sofort auf mit dieser Barbarei! Stoppt den Wahnsinn! Daß wir diesen Reflex haben, diese Reaktion eines spontanen Mitleidens, gehört zum Kern unserer Menschlichkeit.

Von verantwortlichen Staatsmännern kann man aber verlangen, daß sie nicht einem emotionalen Reflex folgen, sondern daß sie nachdenken und abwägen, bevor sie handeln.

Würden wir unsere Verantwortlichen danach wählen, wie gut bei ihnen emotionale Reflexe funktionieren und wie sehr sie ihr Handeln von diesen bestimmen lassen, dann könnten wir gleich Claudia Roth zur Kanzlerin machen.

Nun sind weder der zwar hektische, aber rational agierende Sarkozy noch der schwergängige Westfale Steinmeier dafür bekannt, daß sie übermäßig dazu neigen, emotionalen Wallungen zu folgen. Wenn sie - und viele andere, von Ban Ki-moon bis zu Gordon Brown - auf den Gaza- Krieg reflexhaft mit der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand reagieren, dann liegt der Verdacht nahe, daß der Reflex so ganz spontan doch nicht ist.



Würde Israel diesen Forderungen folgen, dann müßte es mit dem Klammerbeutel gepudert sein. Es hätte dann nichts erreicht, stünde als besiegt da, wäre schlimmer daran als vor Beginn des Gaza- Kriegs. Natürlich wissen das auch Sarkozy und Steinmeier. Was also wollen sie mit ihren "Appellen"?

Erstens für sich selbst politisch punkten. Sich innenpolitisch als Friedensfreunde profilieren; Steinmeier will immerhin Kanzler werden. Er würde gewiß gern in die Fußstapfen eines anderen "Friedenskanzlers" treten.

Zweitens einen außenpolitischen Führungsanspruch ihres Landes demonstrieren. Das dürfte ein maßgebliches Motiv Sarkozys sein. Frankreich hat den EU-Vorsitz abgegeben; aber Sarkozy agiert weiter, als sei er immer noch der oberste aller EU-Europäer. Ad majorem Galliae gloriam.

Drittens möchte man sich bei den Arabern lieb Kind machen.

Eindeutig auf der Seite Israels stehen Politiker mit einer klaren freiheitlichen Überzeugung, wie Angela Merkel und George W. Bush. Diejenigen, deren Flexibilität weniger durch Überzeugungen erschwert wird, überlegen natürlich, welche Vorteile sie und ihr Land davon haben, schön neutral zu bleiben.

"Zu einseitig" sei die Erklärung der Kanzlerin ausgefallen, rügte laut dem aktuellen gedruckten "Spiegel" (2/2009, S. 93) Martin Schulz, Vorsitzender der Europäischen Sozialisten im Europäischen Parlament, die Erklärung der Kanzlerin. "... so schränke sie den Spielraum deutscher Außenpolitik ein".

Tja, so ist das nun einmal mit Überzeugungen. Sie schränken den eigenen Spielraum ein.



Heute sind es noch genau zwei Wochen, bis Barack Obama seinen Amtseid als der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika leistet. Während er fast täglich melden läßt, was er in der Wirtschaftspolitik zu tun gedenkt, hat er sich zum Nahen Osten bisher auffällig zurückgehalten, mit Hinweis darauf, es könne zu einer Zeit nur einen Präsidenten geben, und der heiße George W. Bush.

Ab dem 20. Januar heißt er Barack Obama. Ich ahne, wie er sich verhalten wird, verrate es aber nicht.

Na gut, ich deute es an, indem ich diesen Artikel vom 28. Juni 2008 verlinke.



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