In den vergangenen Jahrzehnten gab es im Nahen Osten drei Staaten, mit denen Israel gute, jedenfalls zufriedenstellende Beziehungen hatte: die Türkei, Ägypten und Jordanien. Davon ist jetzt noch Jordanien geblieben.
Weder in Kairo noch in Istanbul befindet sich im Augenblick der israelische Botschafter an seinem Dienstsitz. Der eine wurde von einem Mob vertrieben, gegen den ihn die ägyptische Polizei nicht schützen konnte oder wollte; der andere wurde am 2. September aus der Türkei ausgewiesen.
Die Ursachen für diese drastische Verschlechterung der Beziehungen Israels zu den beiden Staaten sind sehr verschieden. Bei Ägypten resultieren sie aus der gegenwärtigen Schwäche dieses Landes, bei der Türkei aus dessen wachsender Stärke.
Ägypten befindet sich in einer Situation, von der niemand weiß, ob sie postrevolutionär oder nicht vielmehr prärevolutionär ist. Noch hat das Militär die Macht behalten, die es auch zur Zeit Mubaraks ausübte. Es wird sie sehr wahrscheinlich mit den Moslembrüdern mindestens teilen müssen, vielleicht auch mit den Salafiten; sie schlimmstenfalls an sie abtreten.
Die naive Erwartung, daß nach dem Sturz des "Tyrannen" Mubarak der weltläufige Mohamed ElBaradei an der Spitze demokratischer Kräfte die politische Verantwortung in Ägypten übernehmen werde, wird sich nicht erfüllen (siehe Die Machtsituation in Ägypten; ZR vom 31. 1. 2011, sowie "Ägyptens fundamentalistischer Sommer". Die Salafiten gewinnen Zulauf; ZR vom 17. 7. 2011). Ägypten wird damit nicht mehr der Partner Israels sein, der es unter Hosni Mubarak gewesen war; des einstigen Kriegshelden gegen Israel, der eine pragmatische, am beiderseitigen Interesse orientierte Politik gegenüber dem jüdischen Staat betrieb.
In der gegenwärtigen instabilen Situation ist es vor allem die Schwäche der Militärregierung SCAF (Supreme Council of the Armed Forces), die Vorfälle wie die Terrorattacken gegen Israel am 18. August und die Erstürmung der israelischen Botschaft in Kairo am 9. September ermöglicht. Wenn erst einmal die Moslembrüder an der Macht mindestens beteiligt sind, wenn die Salafiten ein Machtfaktor in Ägypten sein werden, dann wird Distanz zu Israel die offizielle Politik Ägyptens werden.
So, wie es bereits diejenige der Türkei ist. In der Außenpolitik der Türkei hat sich ein Wandel vollzogen, der seit Jahren erkennbar war, der aber offenbar erst jetzt allmählich ins allgemeine Bewußtsein dringt: Unter der Führung von Recep Tayyip Erdoğan wird gegenwärtig aus dem Nato-Staat und EU-Aspiranten, der sich nach Westen hin orientierte, eine Macht im Nahen Osten, die ihre Politik immer mehr in der Nachfolge des Osmanischen Reichs sieht.
Als Anfang 2009 Erdoğan in Davos einen Eklat gegen den israelischen Staatspräsidenten Peres inszenierte, hielten das viele noch für einen Ausrutscher. George Friedman erkannte in Stratfor aber schon damals die Wende in der türkischen Außenpolitik, die sich in dieser Inszenierung ausdrückte (siehe "Es ist unvermeidlich, daß die Macht der Türkei wächst". Erdogans Ausbruch in Davos. Dessen Hintergrund, analysiert von Stratfor-Chef George Friedman; ZR vom 3. 2. 2009).
Seither hat diese neue Machtpolitik Erdoğans immer deutlichere Züge angenommen; begleitet von weiteren symbolischen Akten wie zum Beispiel dem Atomdeal mit dem Iran (siehe Ahmadinedschad, das Weltkind in der Mitten. Krauthammer über Obamas Schwäche und ihre Folgen; ZR vom 21. 5. 2010) und seiner theatralischen Reise nach Kuweit Anfang dieses Jahres (siehe "Diese Region hat das Potential, die Welt zu gestalten". Erdoğan über die imperialen Pläne der Türkei; ZR vom 13. 1. 2011).
Unter den säkularen Regierungen vor der Zeit Erdoğans, die stets auch die Stimmung im westlich orientierten Militär zu berücksichtigen gehabt hatten, blickte die Türkei nach Norden und Westen. Die Mitgliedschaft in der EU sollte das Land modernisieren. Jetzt steht es mitten in dem Prozeß einer industriellen und wirtschaftlichen Modernisierung; ohne eine Mitgliedschaft in der EU.
Zugleich hat Erdoğan das Militär entmachtet. Zugleich ist seine Partei dabei, den säkularen Staat, den Mustafa Kemal Pascha geschaffen hatte, in eine zwar vorerst nicht islamistische, aber doch immer mehr auch vom Islam geprägte Gesellschaft zu verwandeln.
Statt ein Land an der Peripherie Europas, das in der EU allenfalls geduldet gewesen wäre, wird die neue Türkei, die seit dem Machtantritt Erdoğans im Jahr 2002 entsteht, eine der vier großen Mächte im Nahen Osten sein; neben dem Iran, Ägypten und Saudi-Arabien. Von ihrem wirtschaftlichen und militärischen Potential her hat sie alle Voraussetzungen dafür, unter diesen Vier der Hegemon zu sein. So, wie Putin im Begriff ist, das Sowjetreich in Form von Einflußzonen wieder herzustellen, versucht Erdoğan das mit dem Osmanischen Reich.
Wie wird sich das auf das Verhältnis zu Israel auswirken? Bei Stratfor hat kürzlich George Friedman darauf aufmerksam gemacht (Video nur Abonnenten zugänglich), daß die enge Partnerschaft zwischen Israel und der Türkei aus der Zeit des Kalten Kriegs stammt, als beide von der UdSSR bedroht gewesen waren. Heute besteht dieses gemeinsame Interesse nicht mehr. Israel hat jetzt seine Sicherheitsinteressen, die Türkei ihre eigenen Interessen als eine aufstrebende Macht.
Darüber hinaus hat sich die gegenseitige Wahrnehmung verändert. Israel sieht die Türkei nicht mehr als einen säkularen, sondern als einen sich zunehmend islamisierenden Staat; die Türkei wirft Israel vor, in Bezug auf eine Zweistaatenlösung zu unflexibel zu sein. Das sind Entwicklungen, die es aus der Sicht Friedmans faktisch ausschließen, daß es noch einmal zu der alten Partnerschaft kommen wird.
Hinzu kommt die Politik der USA. Unter Obama hat sich das Verhältnis zu Israel abgekühlt. Zugleich hat Obama vom Tag seines Amtsantritts an den Abzug aus dem Irak betrieben und steht jetzt vor dem Problem, was man dem daraus folgenden wachsenden Einfluß des Iran machtpolitisch entgegensetzen kann. Damit wird zwangsläufig die Türkei ein wichtiger, von den USA umworbener Partner; so sehr sie sich ihrerseits auch dem Iran und Syrien angenähert hat.
Was kann Israel in dieser Lage tun? Wohl nicht mehr, als abwarten und auf jede Eventualität vorbereitet sein, so gut es geht.
Niemand weiß derzeit, wie sich die ägyptische Revolution entwickeln wird und ob das auf den Ausgleich mit Israel bedachte Militär wenigstens einen Teil der Macht für sich wird bewahren können. Es ist nicht absehbar, wie der Bürgerkrieg in Israels Nachbarland Syrien ausgehen wird. Der sich abzeichnende Machtkampf zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran ist noch in der Phase des Vorgeplänkels; wie beispielsweise kürzlich auf dem Schauplatz Bahrain (siehe "Bahrain ist wichtiger als Libyen"; ZR vom 8. 3. 2011).
Ebenso ist offen, wie lange der Burgfrieden zwischen Hamas und Fatah hält und ob es nicht demnächst zum Showdown zwischen ihnen kommt. Gegen den Fatah-Plan, demnächst einen Palästinenserstaat auszurufen, hat sich die Hamas bereits gewandt, weil er nur die Westbank und den Gazastreifen, nicht aber "das übrige Palästina" (also das Territorium Israels) umfassen solle.
Der Nahe Osten war seit dem Zweiten Weltkrieg nicht so instabil wie heute. Israel betreibt die einzig vernünftige Politik: Sich gewissermaßen ducken; sich wenn möglich aus allen diesen Konfrontationen heraushalten und abwarten, wohin sie führen werden.
Weder in Kairo noch in Istanbul befindet sich im Augenblick der israelische Botschafter an seinem Dienstsitz. Der eine wurde von einem Mob vertrieben, gegen den ihn die ägyptische Polizei nicht schützen konnte oder wollte; der andere wurde am 2. September aus der Türkei ausgewiesen.
Die Ursachen für diese drastische Verschlechterung der Beziehungen Israels zu den beiden Staaten sind sehr verschieden. Bei Ägypten resultieren sie aus der gegenwärtigen Schwäche dieses Landes, bei der Türkei aus dessen wachsender Stärke.
Ägypten befindet sich in einer Situation, von der niemand weiß, ob sie postrevolutionär oder nicht vielmehr prärevolutionär ist. Noch hat das Militär die Macht behalten, die es auch zur Zeit Mubaraks ausübte. Es wird sie sehr wahrscheinlich mit den Moslembrüdern mindestens teilen müssen, vielleicht auch mit den Salafiten; sie schlimmstenfalls an sie abtreten.
Die naive Erwartung, daß nach dem Sturz des "Tyrannen" Mubarak der weltläufige Mohamed ElBaradei an der Spitze demokratischer Kräfte die politische Verantwortung in Ägypten übernehmen werde, wird sich nicht erfüllen (siehe Die Machtsituation in Ägypten; ZR vom 31. 1. 2011, sowie "Ägyptens fundamentalistischer Sommer". Die Salafiten gewinnen Zulauf; ZR vom 17. 7. 2011). Ägypten wird damit nicht mehr der Partner Israels sein, der es unter Hosni Mubarak gewesen war; des einstigen Kriegshelden gegen Israel, der eine pragmatische, am beiderseitigen Interesse orientierte Politik gegenüber dem jüdischen Staat betrieb.
In der gegenwärtigen instabilen Situation ist es vor allem die Schwäche der Militärregierung SCAF (Supreme Council of the Armed Forces), die Vorfälle wie die Terrorattacken gegen Israel am 18. August und die Erstürmung der israelischen Botschaft in Kairo am 9. September ermöglicht. Wenn erst einmal die Moslembrüder an der Macht mindestens beteiligt sind, wenn die Salafiten ein Machtfaktor in Ägypten sein werden, dann wird Distanz zu Israel die offizielle Politik Ägyptens werden.
So, wie es bereits diejenige der Türkei ist. In der Außenpolitik der Türkei hat sich ein Wandel vollzogen, der seit Jahren erkennbar war, der aber offenbar erst jetzt allmählich ins allgemeine Bewußtsein dringt: Unter der Führung von Recep Tayyip Erdoğan wird gegenwärtig aus dem Nato-Staat und EU-Aspiranten, der sich nach Westen hin orientierte, eine Macht im Nahen Osten, die ihre Politik immer mehr in der Nachfolge des Osmanischen Reichs sieht.
Als Anfang 2009 Erdoğan in Davos einen Eklat gegen den israelischen Staatspräsidenten Peres inszenierte, hielten das viele noch für einen Ausrutscher. George Friedman erkannte in Stratfor aber schon damals die Wende in der türkischen Außenpolitik, die sich in dieser Inszenierung ausdrückte (siehe "Es ist unvermeidlich, daß die Macht der Türkei wächst". Erdogans Ausbruch in Davos. Dessen Hintergrund, analysiert von Stratfor-Chef George Friedman; ZR vom 3. 2. 2009).
Seither hat diese neue Machtpolitik Erdoğans immer deutlichere Züge angenommen; begleitet von weiteren symbolischen Akten wie zum Beispiel dem Atomdeal mit dem Iran (siehe Ahmadinedschad, das Weltkind in der Mitten. Krauthammer über Obamas Schwäche und ihre Folgen; ZR vom 21. 5. 2010) und seiner theatralischen Reise nach Kuweit Anfang dieses Jahres (siehe "Diese Region hat das Potential, die Welt zu gestalten". Erdoğan über die imperialen Pläne der Türkei; ZR vom 13. 1. 2011).
Unter den säkularen Regierungen vor der Zeit Erdoğans, die stets auch die Stimmung im westlich orientierten Militär zu berücksichtigen gehabt hatten, blickte die Türkei nach Norden und Westen. Die Mitgliedschaft in der EU sollte das Land modernisieren. Jetzt steht es mitten in dem Prozeß einer industriellen und wirtschaftlichen Modernisierung; ohne eine Mitgliedschaft in der EU.
Zugleich hat Erdoğan das Militär entmachtet. Zugleich ist seine Partei dabei, den säkularen Staat, den Mustafa Kemal Pascha geschaffen hatte, in eine zwar vorerst nicht islamistische, aber doch immer mehr auch vom Islam geprägte Gesellschaft zu verwandeln.
Statt ein Land an der Peripherie Europas, das in der EU allenfalls geduldet gewesen wäre, wird die neue Türkei, die seit dem Machtantritt Erdoğans im Jahr 2002 entsteht, eine der vier großen Mächte im Nahen Osten sein; neben dem Iran, Ägypten und Saudi-Arabien. Von ihrem wirtschaftlichen und militärischen Potential her hat sie alle Voraussetzungen dafür, unter diesen Vier der Hegemon zu sein. So, wie Putin im Begriff ist, das Sowjetreich in Form von Einflußzonen wieder herzustellen, versucht Erdoğan das mit dem Osmanischen Reich.
Wie wird sich das auf das Verhältnis zu Israel auswirken? Bei Stratfor hat kürzlich George Friedman darauf aufmerksam gemacht (Video nur Abonnenten zugänglich), daß die enge Partnerschaft zwischen Israel und der Türkei aus der Zeit des Kalten Kriegs stammt, als beide von der UdSSR bedroht gewesen waren. Heute besteht dieses gemeinsame Interesse nicht mehr. Israel hat jetzt seine Sicherheitsinteressen, die Türkei ihre eigenen Interessen als eine aufstrebende Macht.
Darüber hinaus hat sich die gegenseitige Wahrnehmung verändert. Israel sieht die Türkei nicht mehr als einen säkularen, sondern als einen sich zunehmend islamisierenden Staat; die Türkei wirft Israel vor, in Bezug auf eine Zweistaatenlösung zu unflexibel zu sein. Das sind Entwicklungen, die es aus der Sicht Friedmans faktisch ausschließen, daß es noch einmal zu der alten Partnerschaft kommen wird.
Hinzu kommt die Politik der USA. Unter Obama hat sich das Verhältnis zu Israel abgekühlt. Zugleich hat Obama vom Tag seines Amtsantritts an den Abzug aus dem Irak betrieben und steht jetzt vor dem Problem, was man dem daraus folgenden wachsenden Einfluß des Iran machtpolitisch entgegensetzen kann. Damit wird zwangsläufig die Türkei ein wichtiger, von den USA umworbener Partner; so sehr sie sich ihrerseits auch dem Iran und Syrien angenähert hat.
Was kann Israel in dieser Lage tun? Wohl nicht mehr, als abwarten und auf jede Eventualität vorbereitet sein, so gut es geht.
Niemand weiß derzeit, wie sich die ägyptische Revolution entwickeln wird und ob das auf den Ausgleich mit Israel bedachte Militär wenigstens einen Teil der Macht für sich wird bewahren können. Es ist nicht absehbar, wie der Bürgerkrieg in Israels Nachbarland Syrien ausgehen wird. Der sich abzeichnende Machtkampf zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran ist noch in der Phase des Vorgeplänkels; wie beispielsweise kürzlich auf dem Schauplatz Bahrain (siehe "Bahrain ist wichtiger als Libyen"; ZR vom 8. 3. 2011).
Ebenso ist offen, wie lange der Burgfrieden zwischen Hamas und Fatah hält und ob es nicht demnächst zum Showdown zwischen ihnen kommt. Gegen den Fatah-Plan, demnächst einen Palästinenserstaat auszurufen, hat sich die Hamas bereits gewandt, weil er nur die Westbank und den Gazastreifen, nicht aber "das übrige Palästina" (also das Territorium Israels) umfassen solle.
Der Nahe Osten war seit dem Zweiten Weltkrieg nicht so instabil wie heute. Israel betreibt die einzig vernünftige Politik: Sich gewissermaßen ducken; sich wenn möglich aus allen diesen Konfrontationen heraushalten und abwarten, wohin sie führen werden.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Großmoschee von Kairouan, Tunesien. Vom Autor Wotan unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0-Lizenz freigegeben. Bearbeitet. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.