21. September 2011

Marginalie: Die bevorstehende Hinrichtung von Troy Davis. Einige Anmerkungen

In der Nacht zum morgigen Donnerstag (MEZ) wird wahrscheinlich im Gefängnis von Jackson im US-Bundesstaat Georgia der wegen Mordes verurteilte Troy Davis hingerichtet werden.

Es gibt dagegen in den USA und international einen Sturm des Protests. Unter anderem haben sich der frühere US-Präsident Carter, Papst Benedikt XVI. sowie der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu gegen die Hinrichtung von Davis ausgesprochen; ebenso zahlreiche Organisationen, von Amnesty International bis zum Europarat und zur EU.

Ich bin ein Gegner der Todesstrafe; und zwar aus grundsätzlichen Erwägungen, die ich in anderen Artikeln erläutert habe ("Deutschland" gegen die Todesstrafe; ZR vom 29. 12. 2006, sowie Ist die Hinrichtung durch Erschießen "barbarisch"? Nicht barbarischer als die Todesstrafe als solche; ZR vom 18. 6. 2010). Ich meine aber, daß man beim jetzigen Fall, wie überhaupt in solchen Fällen, verschiedene Fragen auseinanderhalten sollte:
  • Ist die Todesstrafe überhaupt ethisch zu rechtfertigen? Aus meiner Sicht nicht. Auch der schlimmste Verbrecher hat ein Recht auf Leben; und kein Staat hat das Recht, einen Menschen ohne Not zu töten. Die Todesstrafe ist ein archaisches Relikt, das nicht in unsere aufgeklärte Gesellschaft paßt; die letzte - und ultimative - Körperstrafe. Ich habe nie verstanden, wie man für die Todesstrafe sein kann, aber andere Körperstrafen minderer Schwere - das Abhacken der Hand etwa, das Ausstechen der Augen - ablehnt.

  • Wurde Troy Davis zu Recht zum Tod verurteilt, oder ist er unschuldig? Das zu beurteilen obliegt allein der amerikanischen Justiz. Mir ist nicht nachvollziehbar, wie beispielsweise der Generalsekretär des Europarats, Thorbjörn Jagland, sich anmaßen kann, darüber genauere Informationen zu haben als die zahlreichen amerikanischen Gerichte und anderen Instanzen, die über zwanzig Jahre mit dem Fall befaßt gewesen waren:

    Ende August 1991 wurde Davis von einer Jury für schuldig befunden und in einer weiteren Abstimmung von ihr zum Tod verurteilt. Dieser Jury gehörten sieben Schwarze und fünf Weiße an. Der Fall ging, wie alle Todesurteile, zum Obersten Gericht von Georgia, das im März 1993 das Urteil bestätigte. Das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten ließ im November 1993 eine Berufung nicht zu. Davis versuchte das Urteil erneut anzufechten, und der Fall ging wieder vor ein Gericht untergeordneter Instanz und dann erneut vor das Oberste Gericht von Georgia; ohne Erfolg.

    Davis' Anwälte versuchten dann einen anderen Weg; statt über die Gerichtsbarkeit des Staats Georgia über Bundesgerichte. Dabei ergab sich, daß eine Reihe von Zeugen ihre Aussagen, die Davis belastet hatten, zurückzogen. Die Bundesgerichte - der Fall ging wiederum über mehrere Instanzen - sahen aber keine ausreichende gesetzliche Grundlage dafür, das Urteil des ursprünglichen Gerichts aufzuheben. Dieser Instanzenweg war 2006 beendet.

    Die Anwälte versuchten sodann über mehrere Jahre, eine Umwandlung des Urteils auf dem Gnadenweg zu erreichen. Es wurde auch versucht, das Urteil erneut, nun mit anderen juristischen Begründungen, anzufechten. Mehrere bereits angesetzte Hinrichtungs-termine wurden wieder aufgehoben. Es kam zu immer neuen Anhörungen, Verfahren, versuchten Berufungen und Entscheidungen. Die letzte solche Entscheidung war diejenige des Gnadenausschusses des Staats Georgia, der gestern eine Begnadigung endgültig ablehnte.

  • Selbst wenn diejenigen, die sich jetzt international für eine Begnadigung einsetzen, bessere juristische Kenntnisse und besseren Einblick in die Akten hätten als die zahlreichen Organe der amerikanischen Justiz, die über zwei Jahrzehnte mit dem Fall befaßt waren - wäre es denn rechtens, wenn die amerikanische Justiz sich diesem Druck beugen würde? Es wäre eindeutig Unrecht. In diesem langen Verfahren ist alles nach Recht und Gesetz geschehen. Würde sich die amerikanische Justiz, die Justiz eine demokratischen Rechtsstaats, dem internationalen Druck beugen, dann würde sie das Recht beugen.



  • Und noch eine weitere Überlegung: Es ist schon erstaunlich, in welchen Fällen solche internationalen Kampagnen laufen, und wann nicht.

    2006 beispielsweise haben unter anderem Deutschland und Italien gegen die Hinrichtung Saddam Husseins protestiert; nicht aber gegen die fast zeitgleiche Hinrichtung von Xu Shuangfu, Li Maoxing und Wang Jun in China, denen als Mitgliedern der christlichen "Kirche von unten" ohne Beweise Morde vorgeworfen worden waren.

    Im Sommer 2007 wurden im Iran Dutzende politischer Gefangener hingerichtet. Die EU protestierte - aber nicht gegen diese Justizmorde, sondern gegen die Hinrichtung eines Mörders in Texas, der bei einem Überfall auf eine Tankstelle eine Frau erschossen hatte (Hinrichtungen; ZR vom 27. 8. 2007).

    Der Eifer von Gegnern der Todesstrafe ist offenbar sehr ungleich verteilt. Gegen Länder wie China und den Iran, in denen aufgrund fragwürdiger Todesurteile Menschen massenweise hingerichtet werden (in China im Jahr 2010 mehrere tausend, die Schätzungen liegen bei bis zu 5000; im Iran 2010 mindestens 252) ist der Protest gedämpft. Umso lauter äußert man sich, wenn der demokratische Rechtsstaat USA betroffen ist.
    Zettel



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