20. September 2011

Mormonen, Palin, Bauarbeiter. Drei Meldungen aus den USA, die Sie vielleicht interessant finden werden

Bei Durchsicht der Presse stoße ich meist auf Meldungen, die ich nicht sofort für ZR verwende, die ich mir aber für einen eventuellen späteren Artikel notiere.

Mitunter kommt dieser Artikel dann aber nicht zustande - etwa, weil die Aktualität über das Thema hinweggeht, bevor ich es bearbeiten konnte; nicht selten auch, weil es sich bei weiteren Recherchen als zu unergiebig erweist. Aber ganz wegwerfen möchte ich solche Meldungen nicht immer. Hier sind drei aus den USA, die Sie vielleicht interessieren.



Mormonen, Marketing, Mitt Romney. Was ist SEO?
Eine Besonderheit des seit einigen Monaten laufenden Vorwahlkampfs zur Präsidentenwahl 2012 ist es, daß gleich zwei Mormonen im Rennen um die Nominierung bei den Republikanern sind: Mitt Romney, der lange Zeit führte, inzwischen aber von Rick Perry überholt wurde; und Jon Huntsman, ein krasser Außenseiter, der allerdings vom "Spiegel" überschwenglich gelobt wurde (siehe US-Präsidentschaftswahlen 2012 (1): Der lange Vorlauf. Ein erster Eindruck von den republikanischen Kandidaten; ZR vom 9. 9. 2012).

Durch diese mormonischen Kandidaten ist das öffentliche Interesse an der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints, LDS) gestiegen. Die Washington Post hat vorigen Monat beschrieben, wie die Publicity-Strategen der LDS das auszunutzen versuchen.

Öffentlichkeitsarbeit spielt bei den Mormonen traditionell eine große Rolle. Das geht zurück auf die Zeit, als sie wegen ihrer Polygamie und anderer religiöser Eigenarten einen schlechten Ruf hatten. Noch bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein zeigten Umfragen, daß viele Amerikaner mit "Mormonen" vor allem "Polygamie" und "Rassismus" assoziierten. Das versuchte man durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit zu ändern.

Heute gibt es beispielsweise Aktionen wie die Kampagne "I'm a Mormon", in denen auf Plakaten und in Anzeigen sich Menschen zu diesem Glauben bekennen. Und es gibt - das ist das Hauptthema des Artikels in der Washington Post - SEO.

Was ist SEO? Die Abkürzung steht für search engine optimization; die Gesamtheit der Techniken, mit denen man versucht, bei den Suchmaschinen einen möglichst guten Rang zu erreichen. Es gibt dafür viele Rezepte, die Google und die anderen Suchmaschinen natürlich nach Kräften zu konterkarieren versuchen; beispielsweise Kreuzverlinkungen, das Einbauen bestimmter, bei Suchanfragen oft eingegebener Begriffe und häufige Aktualisierungen der jeweiligen Seiten.

Wie auch immer die Mormonen das machen - gemunkelt wird beispielsweise von "Klickkampagnen", in denen viele Mormonen gezielt bestimmte Links anklicken - : Jedenfalls funktioniert es. Rufen Sie einmal google.com auf (also nicht google.de) und geben Sie als Suchbegriff "church" ein, Kirche. Nach drei Wikipedia-Artikeln und zwei anderen Fundstellen erscheint bereits an sechster Stelle die WebSite der LDS.



Warum sinkt die Arbeitslosigkeit am Bau?
Auf den ersten Blick erscheint es paradox: Die US-Wirtschaft lahmt. Aber ausgerechnet im Bausektor - eigentlich einem Konjunktur-Indikator - ist die Arbeitslosigkeit seit Jahresbeginn um ein Drittel zurückgegangen. Was es damit auf sich hat, beschrieb - ebenfalls im vergangenen Monat - das Internetmagazin Slate.

Sieht man sich die Bautätigkeit an, dann zeigt sich keineswegs eine Besserung. Im Mai 2003 wurden, umgerechnet auf das ganze Jahr, 872,5 Milliarden Dollar im Bausektor investiert. Der entsprechende Wert für den Mai dieses Jahres war nur noch 772,3 Milliarden Dollar - und das trotz der riesigen Summen an Steuergeldern, die Präsident Obama in sein Stimulus-(Anschub-)Programm gesteckt hatte (siehe "Es geht um Sozialdemokratie oder Beschränkung der Macht des Staats". Charles Krauthammer über die Bedeutung der US-Schuldendebatte; ZR vom 2. 8. 2011).

Wie kommt es also, daß die Arbeitslosigkeit in der Bauindustrie von 27,1 Prozent im Februar 2010 auf 13,6 Prozent im Juli dieses Jahres sank (saisonal bereinigt)? Nicht, weil es jetzt mehr Jobs gäbe. Sondern im Baugewerbe hat die Zahl der Arbeitsuchenden drastisch abgenommen. Die Zahl der in der Bauindustrie Tätigen liegt unverändert bei 5,5 Millionen. Aber die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter hat sich vom Februar 2010 bis Juli 2011 von 2,4 Millionen auf 1,1 Millionen mehr als halbiert.

So ist das auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt. Wer in einem Industriezweig keinen Job findet, der versucht es woanders. Nicht alle derer, die aus dem Arbeitsmarkt in der Bauindustrie herausgewandert sind, haben vermutlich zwar anderswo einen Job gefunden (genaue Daten liegen nicht vor); manche sind auch vorzeitig in Rente gegangen oder haben - falls sie Einwanderer waren - die USA überhaupt wieder verlassen. Aber generell ist die berufliche Mobilität in den USA erheblich höher als in Europa mit seinem enger gespannten sozialen Netz.



Die überraschende Sarah Palin
Haben Sie aus den deutschen Medien schon einmal etwas Positives über Sarah Palin erfahren? Ich vermute, daß das bisher nicht der Fall war. Auf Palin herumzutrampeln gehört nachgerade zu den Selbstverständlichkeiten unseres Medienkartells. Sie wird als intellektuell unbedarft und unwissend dargestellt, ein Trampel vom Lande.

Seit dem Wahlkampf 2008 habe ich versucht, dieses Bild zurechtzurücken. Einige dieser Artikel habe ich kürzlich zusammengestellt (Sarah Palin, wie Sie sie wahrscheinlich nicht kennen. Ein bemerkenswertes Porträt einer ungewöhnlichen Politikerin. Aber gegen Obama ohne Chance; ZR vom 14. 7. 2011). Jetzt ist - überraschenderweise in der sonst extrem Palin-kritischen New York Times - ein ausgesprochen positiver Artikel über sie erschienen.

Unter der Überschrift Some of Sarah Palin's ideas cross the political divide (Manche der Ideen Sarah Palins überwinden den politischen Graben) befaßt sich darin Anand Giridharadas mit einer Rede, die Palin Anfang dieses Monats in Indianola im Staat Iowa hielt; und zwar auf einer Versammlung der Tea Party.

Palin habe drei bemerkenswerte, miteinander verknüpfte Aussagen in den Mittelpunkt gestellt, schreibt Giridharadas:
First, that the United States is now governed by a "permanent political class," drawn from both parties, that is increasingly cut off from the concerns of regular people. Second, that these Republicans and Democrats have allied with big business to mutual advantage to create what she called "corporate crony capitalism." Third, that the real political divide in the United States may no longer be between friends and foes of Big Government, but between friends and foes of vast, remote, unaccountable institutions (both public and private).

Erstens, daß die Vereinigten Staaten heutzutage von einer "permanenten politischen Klasse" regiert werden, die sich aus beiden Parteien rekrutiert und die sich immer weiter von den Sorgen der Normalbürger entfernt. Zweitens, daß diese Republikaner und Demokraten sich zum gegenseitigen Vorteil mit dem Big Business zusammengetan haben, um einen - wie sie es nannte - "Kapitalismus der Geschäftskumpel" zu errichten. Drittens, daß der eigentliche politische Graben in den USA wohl nicht mehr zwischen Freunden und Feinden des Big Government verläuft, sondern zwischen den Freunden und den Feinden riesiger, abgehobener, nicht mehr zur Verantwortung zu ziehender Institutionen (öffentlichen ebenso wie privaten).
Palin wendet sich, mit anderen Worten, gegen das Netzwerk aus privaten und öffentlichen Interessen, das aus ihrer Sicht Washington beherrscht; sie tritt dafür ein, den kreativen Geschäftsleuten, dem wirklich freien Markt mehr Luft zum Atmen zu lassen. Aus dem Wortlaut ihrer Rede:
This is not the capitalism of free men and free markets, of innovation and hard work and ethics, of sacrifice and of risk. (...) It’s the collusion of big government and big business and big finance to the detriment of all the rest — to the little guys. It’s a slap in the face to our small business owners — the true entrepreneurs, the job creators accounting for 70 percent of the jobs in America.

Dies ist nicht der Kapitalismus freier Bürger und freier Märkte, von Innovation, harter Arbeit und Ethik, von Aufopferung und Risiko. (...) Es ist der Filz der Mächtigen aus Regierung, Wirtschaft und Finanzwelt, zum Schaden aller anderer - des kleinen Mannes. Es ist ein Schlag ins Gesicht unserer kleinen Gewerbetreibenden - der wahren amerikanischen Unternehmer; derer, die 70 Prozent der Jobs in Amerika schaffen.
Nicht wahr, das könnte in Deutschland fast so in der Programmatik der FDP stehen?
Zettel



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