Wir hatten uns mit einer fast schon arroganten Unbescheidenheit, mit unangemessenen Mitteln unrealistische Ziele gesetzt und unerfüllbare Erwartungen geweckt. Wir brauchten fast ein Jahrzehnt, die nötige Demut vor der Realität zu erlernen. Aber das haben wir jetzt getan.
Kommentar: Die Titelgeschichte des "Spiegel" "Ein deutscher Krieg", in der sich dieses Zitat findet, ist zwar schon in der vergangenen Woche erschienen; aber erst seit Beginn dieser Woche ist das Heft (36/2011 vom 05.09.2011) im Internet frei zugänglich.
Ich empfehle Ihnen dringend, diesen Artikel zu lesen. Er schildert (ab S. 77), wie amateurhaft, wie wirklichkeitsfern, wie ganz auf die Innenpolitik fixiert die Regierung Schröder agierte, als sie Deutschland in den Afghanistan-Einsatz verstrickte. Die zentralen Punkte:
Fazit: Wir haben es mit einem Lehrstück in schlechter Politik zu tun.
Die Regierung Bush verfolgte nüchterne machtpolitische Ziele. Für die Gefühle des "linksliberalen" Deutschland war das aber nicht das Richtige. Andererseits hatten Fischer und Schröder voreilig und unnötig den Amerikanern eine deutsche Kriegsbeteiligung aufgedrängt. Auch mit dieser "uneingeschränkten Solidarität" folgten sie vermutlich der innenpolitischen Stimmung, die sich in Deutschland als erste Reaktion auf die Schrecken des 11. September aufgebaut hatte.
Nun kippte diese Stimmung, und man saß in der Bredouille; die Regierung Schröder konnte sich nicht einmal ihrer Unterstützung im Bundestag mehr sicher sein (Schröder erreichte sie knapp mit dem Mittel der Vertrauensfrage). Die Lösung bestand in der Errichtung des Wolkenkuckucksheims "demokratisches Afghanistan"; voller Mädchenschulen, ohne Korruption, friedfertig. So, wie es sich der SPD-Lehrer und die grüne Sozialarbeiterin wünschen.
Realistisch war das nie. In Afghanistan - seit buchstäblich Jahrtausenden eines der kriegerischsten und ethnisch zerklüftetsten Länder der Welt, dessen politisches System traditionell auf Korruption basiert - einen demokratischen Rechtsstaat errichten zu wollen, war eine Torheit sondergleichen (siehe zum Beispiel "Wer am Hindukusch die Demokratie einführen will, wird ausgelacht"; ZR vom 19. 8. 2009).
Es ist die typische Torheit freilich von "Linksliberalen", die sich die Welt gern so zurechtphantasieren, wie sie sie haben möchten.
Für diese Torheit wurden (nach den Angaben in dem "Spiegel"-Artikel) im Lauf der zehn Jahre fast hunderttausend deutsche Soldaten nach Afghanistan geschickt. 52 Soldaten fielen, mehr als 200 wurden verwundet. Über 1800 mußten wegen eines posttraumatischen Belastungssyndroms in Behandlung. Den deutschen Steuerzahler kostete der Traum 4,8 Milliarden Euro.
Michael Steiner, derzeit Sonderbeauftragter der deutschen Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan und bei Beginn des Afghanistan-Kriegs außen- und sicherheitspolitischer Berater von Bundeskanzler Schröder, gegenüber dem "Spiegel" über die deutsche Afghanistanpolitik.
Kommentar: Die Titelgeschichte des "Spiegel" "Ein deutscher Krieg", in der sich dieses Zitat findet, ist zwar schon in der vergangenen Woche erschienen; aber erst seit Beginn dieser Woche ist das Heft (36/2011 vom 05.09.2011) im Internet frei zugänglich.
Ich empfehle Ihnen dringend, diesen Artikel zu lesen. Er schildert (ab S. 77), wie amateurhaft, wie wirklichkeitsfern, wie ganz auf die Innenpolitik fixiert die Regierung Schröder agierte, als sie Deutschland in den Afghanistan-Einsatz verstrickte. Die zentralen Punkte:
Condoleezza Rice hatte nation building in Afghanistan, die Errichtung eines demokratischen Rechtsstaats, für "Unfug" gehalten. Aber nun setzte sich dieses in Deutschland aus innenpolitischen Gründen entstandene Konzept mehr oder weniger durch. Die deutsche Vorreiterrolle in dieser Hinsicht wurde daran sichtbar, daß die Afghanistan-Konferenz Ende November, in der die Grundzüge des "neuen Afghanistan" beschlossen wurden, in Deutschland stattfand (Petersberg-Konferenz).Es begann damit, daß die Nato nach 9/11 den Bündnisfall ausrief. Das war eine Idee des Nato-Generalsekretärs George Robertson; von seinen Mitarbeitern begeistert aufgenommen in einer Zeit, in der viele am Sinn der Nato zweifelten. US-Vizepräsident Dick Cheney sagte dazu, die USA hätten von sich aus nicht an eine Befassung des Nato-Rats gedacht. Präsident Bush war ebenfalls nicht angetan. Die Amerikaner interessierte politische Unterstützung durch die Nato-Partner, aber nicht deren militärische Beteiligung an Aktionen in Afghanistan. Die deutsche Regierung war sofort dabei, den Amerikanern militärisch zur Seite zu stehen. Insbesondere Schröder und sein Außenminister Joschka Fischer taten sich mit der "uneingeschränkten Solidarität" hervor, während Verteidigungsminister Scharping und Bundespräsident Rau zur Zurückhaltung mahnten. Am 9. Oktober, zwei Tage nach Beginn der Bombardements in Afghanistan, war Schröder bei Präsident Bush; danach sagte dieser, es gebe "keinen standfesteren Freund" als Schröder. Das ist interessant zum Verständnis dessen, was dann 2002/2003 in Bezug auf den Irakkrieg geschah: Im Sommer 2002 sagte Schröder Präsident Bush zu, Deutschland werde einem Feldzug gegen Saddam Hussein keinen Stein in den Weg legen. Diese Zusage brach er, als er im Herbst aus wahlkampftaktischen Gründen auf "deutsche Friedenspolitik" umschaltete. Bush hatte sich in der Standfestigkeit Schröders geirrt und diesem sein Verhalten nie verziehen (siehe Chirac, der Irak - und die Rolle Gerhard Schröders; ZR vom 24. 5. 2007). Mit den Bombardements am Beginn des Afghanistan-Kriegs kippte die Stimmung in Deutschland. Den schönen Gedanken der Solidarität hatte man gern gefaßt. Aber als es ernst wurde, regten sich die Friedensbewegten; vor allem in den Regierungsparteien SPD und "Die Grünen". In dieser innenpolitischen Zwickmühle ging die Regierung Schröder auf einen Kurs, der Steiners Verdikt der "fast schon arroganten Unbescheidenheit" und der "unrealistischen Ziele" vollauf rechtfertigt. Man erfand nämlich den narrative vom deutschen Friedenseinsatz in Afghanistan; von Hilfe beim Wiederaufbau, von einem "neuen Afghanistan"; vom Brunnenbohren und den Mädchenschulen.
Die USA hatten nur eine counterterrorism-Aktion geplant mit den beiden Zielen, die Strukturen der Kaida in Afghanistan zu zerschlagen und die Herrschaft der Taliban zu beenden, so daß die Kaida sich nicht erneut würde in Afghanistan einnisten können. Deutschland aber wollte nun counterinsurgency in großem Stil; die USA nahmen das aus Gründen der Propaganda in Afghanistan mehr oder weniger zögernd auf (zum Unterschied zwischen counterterrorism und counterinsurgency siehe Präsident Obamas verwirrende Strategie für Afghanistan; ZR vom 31. 3. 2009).
Fazit: Wir haben es mit einem Lehrstück in schlechter Politik zu tun.
Die Regierung Bush verfolgte nüchterne machtpolitische Ziele. Für die Gefühle des "linksliberalen" Deutschland war das aber nicht das Richtige. Andererseits hatten Fischer und Schröder voreilig und unnötig den Amerikanern eine deutsche Kriegsbeteiligung aufgedrängt. Auch mit dieser "uneingeschränkten Solidarität" folgten sie vermutlich der innenpolitischen Stimmung, die sich in Deutschland als erste Reaktion auf die Schrecken des 11. September aufgebaut hatte.
Nun kippte diese Stimmung, und man saß in der Bredouille; die Regierung Schröder konnte sich nicht einmal ihrer Unterstützung im Bundestag mehr sicher sein (Schröder erreichte sie knapp mit dem Mittel der Vertrauensfrage). Die Lösung bestand in der Errichtung des Wolkenkuckucksheims "demokratisches Afghanistan"; voller Mädchenschulen, ohne Korruption, friedfertig. So, wie es sich der SPD-Lehrer und die grüne Sozialarbeiterin wünschen.
Realistisch war das nie. In Afghanistan - seit buchstäblich Jahrtausenden eines der kriegerischsten und ethnisch zerklüftetsten Länder der Welt, dessen politisches System traditionell auf Korruption basiert - einen demokratischen Rechtsstaat errichten zu wollen, war eine Torheit sondergleichen (siehe zum Beispiel "Wer am Hindukusch die Demokratie einführen will, wird ausgelacht"; ZR vom 19. 8. 2009).
Es ist die typische Torheit freilich von "Linksliberalen", die sich die Welt gern so zurechtphantasieren, wie sie sie haben möchten.
Für diese Torheit wurden (nach den Angaben in dem "Spiegel"-Artikel) im Lauf der zehn Jahre fast hunderttausend deutsche Soldaten nach Afghanistan geschickt. 52 Soldaten fielen, mehr als 200 wurden verwundet. Über 1800 mußten wegen eines posttraumatischen Belastungssyndroms in Behandlung. Den deutschen Steuerzahler kostete der Traum 4,8 Milliarden Euro.
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