29. September 2011

Marginalie: Was spielte sich wirklich bei der Erstürmung der israelischen Botschaft in Kairo am 9. September ab?

Nach der Erstürmung der israelischen Botschaft in Kairo vor knapp drei Wochen habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß sich in diesem Vorfall die Machtverhältnisse in dem Ägypten nach Mubarak ausdrückten: Die stärkste politische Kraft sind die Moslembrüder; die noch radikaleren Salafiten befinden sich im Aufstieg. In dieser Lage konnten oder wollten die ägyptischen Sicherheitskräfte die Botschaft nicht schützen (Israel zwischen der Machtpolitik der Türkei und einem instabilen Ägypten; ZR vom 15. 9. 2011).

Gestern hat Daniel Pipes im National Review Online beschrieben, wie sich die Vorgänge nach seinen Informationen abgespielt haben. Danach war es noch schlimmer, als es bekannt gewesen war, als ich den Artikel schrieb.

Pipes sieht eine offizielle, damals von den Medien verbreitete Story und einen tatsächlichen Ablauf, der ganz anders gewesen sei.

Die Meldungen, die durch die Presse gingen, beschrieben eine Demonstration von freiheitlichen Kräften auf dem Tahrir-Platz, an der auch Islamisten teilgenommen hatten und von deren Teilnehmern dann ein Teil zur Botschaft weiterzog, gewalttätig wurde und in die Botschaft eindrang. Darauf griffen Sicherheitskräfte ein und beendeten die "Besetzung" und die Gewalttätigkeiten, ohne daß es zu Opfern kam.

Diese Darstellung sollte - meint Pipes - gegenüber dem Westen den Eindruck vermitteln, daß das gegenwärtige Regime unter Mohamed Tantawi das Land im Griff hat. Tatsächlich aber habe sich dies abgespielt:

Bereits am 21. August war ein junger Mann auf das Dach der israelischen Botschaft in Kairo geklettert und hatte die israelische Fahne durch die ägyptische ersetzt. Das Regime belobigte ihn für diese Heldentat und schenkte ihm zur Belohnung ein Appartment.

Als nun am 9. September freiheitliche Kräfte auf dem Tahrir-Platz demonstrierten, sahen sie, wie aus Fahrzeugen der Sicherheitskräfte Zivilisten stiegen, die Hämmer und Ähnliches mitführten. Unter dem Schutz der Demonstranten gelangten diese Gestalten zur israelischen Botschaft und begannen den Sturm auf sie.

Einheiten der Armee und der Polizei hielten sich entfernt und ließen die Botschaft ungeschützt. Erst nach Stunden griffen sie ein und beendeten die Aktion, nachdem der Botschafter geflüchtet war.



Pipes sieht also das Regime selbst hinter dem Vorfall. Es hätte diesem, meint er, u.a. die folgenden Vorteile gebracht:
  • Unterstützung für das Regime seitens der ägyptischen Islamisten

  • Diskreditierung der freiheitlichen Opposition

  • Rechtfertigung für eine mögliche Verhängung des Kriegsrechts; der Informationsminister Osama Heikal hat diese Möglichkeit angekündigt

  • Druck auf Israel, gegenüber Ägypten Konzessionen zu machen

  • Erhöhung des Ansehens der Militärregierung in der arabischen Welt



  • Ob Daniel Pipes' Informationen über den Ablauf stimmen und ob die Militärregierung SCAF tatsächlich diese Ziele verfolgte (Pipes nennt noch weitere), kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls paßt seine Analyse in das Bild, das sich seit dem Sturz Mubaraks abzeichnet (siehe zum Beispiel Plünderer, Bürgerwehren, die Armee, die Polizei. Und die Moslem-Bruderschaft. Die Machtsituation in Ägypten; ZR vom 31. 1. 2011, sowie "Ägyptens fundamentalistischer Sommer". Die Salafiten gewinnen Zulauf. Schritt für Schritt zur Anwendung der Scharia; ZR vom 17. 7. 2011).

    An dem von unseren Medien gepflegten Klischee, daß in Ägypten "Demokraten" einen "Tyrannen" gestürzt hätten, ist wenig Wahres. Tatsächlich hat sich das herrschende Militär Mubaraks entledigt und steuert auf eine Kumpanei mit den Islamisten zu. Ägpyten ist damit im Begriff, von einem Verbündeten Israels zu einem der Problemstaaten an seinen Grenzen zu werden.

    Wie sich in Kairo die Macht künftig verteilen wird, weiß im Augenblick noch niemand. Jedenfalls werden vergleichsweise liberale Kräfte wie die Anhänger ElBaradeis froh sein können, wenn sie im "neuen Ägypten" noch so viele Freiheiten haben, wie Mubarak sie ihnen zugestanden hatte.
    Zettel



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