4. September 2011

Genealogie (3): Woher weiß man, wer seine Vorfahren sind, und wann wird Familiengeschichte interessant?

Das Prinzip ist einfach: Zu einer nur namentlich bekannten Person (bei Anfängern sind es oft die Ur- oder Ururgroßeltern, über die in der Familie keine genauen Angaben mehr vorliegen) sucht man – möglichst in dieser Reihenfolge – zuerst die Heiratsurkunde und anschließend die Geburts- und Sterbeurkunde. Diesen Urkunden – vor allem der Heirats- und Geburtsurkunde – lassen sich dann die ersten Informationen zu den jeweiligen Eltern, d.h. zur Vorgeneration entnehmen, wenigstens deren Namen, den Heiratsurkunden oft auch deren Wohn- oder Sterbeort.

Zivilstandsregister, also die standesamtlichen Beurkundungen von Geburten, Heiraten und Sterbefällen, gibt es im Gebiet des früheren Kaiserreiches seit 1876 (eine Folge von Bismarcks Kulturkampf), Randgebieten und Nachbarländern teils erst später (in Österreich erst seit 1938), teils früher (im Rheinland seit 1810 [rechtsrheinisch] bzw. 1798 [linksrheinisch], in Frankreich und den Beneluxstaaten seit ca. 1795).

Diese Standesamtsregister sind seit der Reform des Personenstandsgesetzes frei einsehbar mit einer gleitenden Sperrfrist von 110 Jahren für Geburtsregister, 80 Jahren für Heiratsregister und 30 Jahren für Sterberegister. Im Falle eines berechtigten Interesses (es geht um direkte Vorfahren) werden auch Kopien von jüngeren Urkunden ausgegeben. Die Standesamtsregister innerhalb der Sperrfrist, die ggf. noch mit Randvermerken ergänzt werden [Nachtrag eines Heiratsdatums auf der Geburtsurkunde etwa], befinden sich vor Ort in den jeweils zuständigen Standesämtern; die älteren Standesamtsregister sind seit der Reform des Personenstandsgesetzes von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich teilweise weiterhin vor Ort, teilweise im jeweiligen Stadt- oder Gemeindearchiv, teilweise in einem zuständigen Staatsarchiv oder einem eigenen Personenstandsarchiv (NRW, RLP).

Für die Zeit vor der Einführung der Zivilstandsregister ist man angewiesen auf die kirchlichen Tauf-, Trau- und Sterbe- oder Beerdigungsbücher (regional teils als "Kirchenbücher", teils als "Matriken" bezeichnet). In der katholischen Kirche wurde die Einführung von Tauf- und Traubüchern auf dem Konzil von Trient 1563 beschlossen; in der Praxis setzt die Überlieferung von kirchlichen Tauf-, Trau- und Sterbebüchern manchmal im späten 16. Jahrhundert, in der Regel im Laufe des 17. Jahrhunderts, seltener erst im 18. Jahrhundert ein (dann oft infolge eines Verlustes älterer Bücher durch Brand oder Plünderung). In den früheren Ostgebieten sind die Kirchenbücher teilweise 1945 vollständig in Verlust geraten (das macht eine weitere Suche nach Vorfahren dann unmöglich).

Ähnlich ist die Situation für die evangelischen Gemeinden, deren ältesten Bücher ebenfalls aus dem späteren 16. Jahrhundert stammen. Der Hauptunterschied zwischen katholischen und protestantischen Kirchenbüchern ist die Sprache; während die katholischen Kirchenbücher teils bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts auf Latein geführt sind, sind die protestantischen Kirchenbücher in der Regel auf Deutsch.

Der Informationsgehalt der kirchlichen Beurkundungen ist sehr unterschiedlich; er reicht von knappesten Angaben (Datum, Täufling, Vater, Paten; Datum, Brautleute; Beerdigungsdatum, Name) bis zu ausführlichen Urkunden mit detaillierten Angaben über Berufe, Wohnorte, Alter, Todesursachen etc. Die Ausführlichkeit hängt oft damit zusammen, dass im Laufe des 18. Jahrhunderts in manchen Territorien staatliche Vorgaben zur Registerführung erlassen wurden (um eine Statistik über die Bevölkerung zu bekommen oder aus Gründen der Erfassung für das Militär), so dass dann die Kirchenbücher wirkliche Vorläufer der Standesamtsregister sind.

Die Kirchenbücher oder Matriken für die Zeit vor 1876 oder 1810 befinden sich in der Regel nicht mehr in den einzelnen Pfarrgemeinden, sondern meist in dem jeweils zuständigen Bistumsarchiv, seltener in einem Staatsarchiv (im Rheinland im Personenstandsarchiv in Brühl bei Köln; in Tschechien und der Slowakei etwa).

Das Prinzip ist einfach, aber in der Praxis ergeben sich möglicherweise erhebliche Schwierigkeiten, die die Suche nach einem Vorfahren zu einem Rätsel machen, das ein gewisses kriminalistisches Gespür erfordert (und das wiederum macht die Suche nach den Vorfahren auch reizvoll).

Die häufigste Schwierigkeit sind fehlende Herkunftsangaben: Es heiratet jemand, ohne dass der Pfarrer dazu auch den Herkunftsort notiert hat; oder es sind in einem Ort Kinder eines Elternpaares getauft, das aber erst nach der Heirat zugezogen ist, so dass die sonst hilfreichen Angaben auf der Trauurkunde fehlen. Seltener sind Namen falsch angegeben oder eine Person trat vor Einführung verbindlicher Familiennamen unter mehreren verschiedenen Namen auf.

Um solche Probleme zu lösen, ist es unumgänglich, eine Familie so umfassend wie möglich zu recherchieren (was sich generell immer empfiehlt): Man sucht nicht nur das eine Kind eines Elternpaares, von dem man selbst abstammt, sondern alle Kinder, und zwar möglichst deren Geburt, Heirat und Tod; dann überprüft man die Taufpaten aller Kinder (bei denen es sich oft um Verwandte handelt, und manchmal gibt deren Wohn- oder Herkunftsort den entscheidenden Hinweis auf die Herkunft der Eltern).

Schon wenn man nicht nur isoliert die Lebensdaten einzelner Personen sucht, sondern die Familienverhältnis genauer erforscht, beginnt Familiengeschichtsforschung interessant zu werden, weil einzelne Schicksale greifbar werden (Häufungen von Todesfällen; Krankheiten und Todesursachen) und manchmal auch persönlichere Angaben in den Kirchenbüchern zu finden sind (besonders in protestantischen Büchern: Charakterisierungen Verstorbener als fromme oder weniger fromme Gemeindemitglieder mit oder ohne Ehrenämter in der Gemeinde; Kirchenstrafen für junge Leute, deren Kind deutlich weniger als neun Monate nach der Hochzeit geboren wird).

Noch interessanter wird es, wenn man es schafft, einzelne seiner zahlreichen Vorfahren noch genauer zu erforschen, so dass der Mensch hinter den reinen Daten hervortritt und es möglich wird, ein Lebensschicksal auch in die Zeitumstände einzuordnen. Wichtige Quellen sind zum Beispiel Einwohnerverzeichnisse, die über die Familienverhältnisse genauer Auskunft geben, Steuerlisten mit Informationen über Berufe und Wohlstand oder Armut, Pachtverträge, Testamente, Eheverträge, militärische Unterlagen.

Natürlich kann man nicht alle Vorfahren gleichermaßen ausführlich erforschen (erinnert sei an das exponentielle Wachstum), aber es sind Glücksmomente eines Familiengeschichtsforschers, wenn man in einem Archiv einen handgeschriebenen Brief eines Vorfahren aus dem 17. Jahrhundert findet oder österreichische Militärunterlagen aus dem 19. Jahrhundert oder eine Prozessakte wegen eines Erbstreits im 16. Jahrhundert – oder gar ein Tagebuch oder ein Gemälde.

Die nächste Folge beschäftigt sich mit den Fragen: Wie weit lassen sich die Vorfahren normalerweise zurückverfolgen? Seit wann gibt es Familiennamen?

Gansguoter

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