2. August 2011

Zitat des Tages: "Es geht um Sozialdemokratie oder Beschränkung der Macht des Staats". Charles Krauthammer über die Bedeutung der US-Schuldendebatte

We're in the midst of a great four-year national debate on the size and reach of government, the future of the welfare state, indeed, the nature of the social contract between citizen and state. The distinctive visions of the two parties — social-democratic vs. limited-government — have underlain every debate on every issue since Barack Obama’s inauguration: the stimulus, the auto bailouts, health-care reform, financial regulation, deficit spending. Everything. The debt ceiling is but the latest focus of this fundamental divide.

(Wir befinden uns mitten in einer großen vierjährigen nationalen Debatte über die Größe und den Umfang der Regierungsgewalt, die Zukunft des Wohlfahrtsstaats, ja das Wesen des Gesellschaftsvertrags zwischen Bürger und Staat. Die unterschiedlichen Visionen der beiden Parteien - Sozialdemokratie vs Beschränkung der Macht des Staats - liegen jeder Debatte zu jedem Thema seit Obamas Amtseinführung zugrunde: Programm zur Ankurbelung der Wirtschaft, Rettungsschirm für die Autoindustrie, Reform des Gesundheitssystems, finanzielle Regulierung, defizitärer Haushalt. Alles. Die Schuldengrenze ist nur der aktuelle Brennpunkt dieses fundamentalen Trenngrabens.)
Charles Krauthammer in seiner aktuellen Kolumne in der Washington Post. Überschrift: "The gread divide" - der große Trenngraben.

Kommentar: Diese fundamentale Debatte in den USA wird in Deutschland oft nicht erkannt. Es geht aus der Sicht vieler Amerikaner darum, ob die USA - so singen sie es in ihrer Nationalhymne - "the land of the free" bleiben, das Land der Freien; oder ob Verhältnisse wie in Europa einziehen, unter denen der Staat es sich anmaßt, über das Glück seiner Bürger zu befinden und für dieses dann auch gleich selbst Sorge zu tragen. Mit dem Geld der Bürger, versteht sich.

Es ist das Vertrauen auf die Freiheit des Einzelnen und die durch sie freigesetzte geistige, wirtschaftliche, auch wissenschaftliche Dynamik, das die USA zur Supermacht hat werden lassen. Ein sozialdemokratisiertes Amerika hätte sein Wesen verloren; es wäre nur noch ein schlechter Abklatsch Europas und zum Abstieg verurteilt.

So sieht es Charles Krauthammer, so sehen es die konservativen, also die im europäischen Sinn des Worts liberalen Amerikaner in ihrer Mehrheit. Ich habe kürzlich auf einen Kommentar von George F. Will aufmerksam gemacht, der die jetzige Schuldendebatte ähnlich bewertet wie Krauthammer ("Aufschwung in Richtung Etatismus". Warum in den USA die Debatte über die Obergrenze der Verschuldung so erbittert geführt wird; ZR vom 26. 7. 2011).

Obama hat mit seiner sozialdemokratischen Politik bisher vollständig Schiffbruch erlitten. Trotz der gigantischen Summen, die als stimulus (Anreiz, Anschub) vom Staat ausgegeben wurden, lahmt die US-Wirtschaft weiter. Krauthammer:
Obama faces two massive problems — jobs and debt. They’re both the result of his spectacularly failed Keynesian gamble: massive spending that left us a stagnant economy with high and chronic unemployment — and a staggering debt burden.

Obama sieht sich zwei massiven Problemen gegenüber - Arbeitslosigkeit und Schulden. Sie sind beide das Ergebniss seines keynesianischen Spiels, das spektakulär gescheitert ist: Massive Ausgaben, die uns eine stagnierende Wirtschaft mit hoher chronischer Arbeitslosigkeit beschert haben - und eine niederschmetternde Schuldenlast.
Obama und die ihm folgende Demokratische Partei im Kongreß haben die Unsummen dieses "Anschub"-Programms ganz überwiegend nicht gezielt eingesetzt, um die Wettbewerbsfähigkeit und die Gewinne der amerikanischen Wirtschaft zu verbessern, sondern mit der Gießkanne verteilt, um das Land in Richtung Sozialstaat umzubauen. Man kann das sehen, wenn man sich anschaut, wofür denn die gigantische Summe von 787 Milliarden Dollar ausgegeben wird. Ich habe das in Zettels kleinem Zimmer kürzlich in diesem Beitrag zusammengestellt.



Für die ganz und gar schiefe Sicht auf die amerikanischen Verhältnisse, die man oft in den deutschen Medien findet, ist der heutige Kommentar von Hubert Wetzel in sueddeutsche.de typisch. Er sieht die USA, da dank des jetzigen Kompromisses die Regierung künftig zum Sparen gezwungen sein wird, nun in einem "traurigen Zustand" und schreibt:
Das Geld, das Washington nun nicht mehr ausgeben kann, wird auch den amerikanischen Unternehmen und ihren Arbeitern fehlen. Das verheißt weniger neue Jobs.
Daß das Geld, welches die Regierung nicht hat, ja jemand anders hat, der es ebenfalls ausgeben kann, scheint dem Kommentator Hubert Wetzel gar nicht in den Sinn zu kommen; daß es der Wirtschaft vermutlich besser bekommt, wenn das Geld bei den Unternehmen und den Konsumenten bleibt, statt zuerst vom Staat kassiert und dann - nach dem ideologischen Gutdünkenden der Mehrheitspartei - wieder in Form von "Anreizen" an diejenigen zurückgereicht zu werden, denen man es zunächst einmal abgenommen hat.

"All die hochfliegenden (und teuren) Träume vom Wandel in Amerika - ausgeträumt", schreibt Wetzel. Da hat er vielleicht Recht. Wenn die USA Glück haben, dann scheitert Obamas Absicht, das Land zu sozialdemokratisieren, an der klassischen Schwäche der Sozialdemokratie: Um die Gesellschaft kontrollieren zu können, braucht der Staat viel Geld. Je mehr der Staat die Gesellschaft und damit auch die Wirtschaft zu kontrollieren versucht, umso weniger Reichtum wird aber geschaffen, umso mehr fehlt es also am Geld.

Bis zu einem gewissen Punkt kann man dieses Dilemma durch Schuldenmachen verdecken. Aber irgendwann kommt - für die USA, beispielsweise auch für Griechenland - die Stunde der sozialdemokratischen Wahrheit.
Zettel



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