19. August 2011

Zettels Meckerecke: Der illiterate Jakob Augstein. Oder zitiert er bewußt sinnentstellend?

Jakob Augstein ist zwar nicht der Sohn Rudolf Augsteins. Er trägt aber dessen Namen und gehört zu seinen Erben. Das macht ihn zu einem beachteten, ja einflußreichen Journalisten.

Nur das. Denn Jakob Augsteins Schreibe hätte ihn ohne diese beiden Vorteile schwerlich über das Volontariat hinausgebracht; auch nicht in den linken Medien.

Ich habe mich schon zweimal mit seiner Art von Journalismus befaßt; beide Male ging es um Thilo Sarrazin (Augstein über Sarrazin. Ein indiskutabler Artikel, der aber doch einen Kommentar verdient; ZR vom 27. 12. 2010, sowie Deutschland, das "Land der Niedertracht"? Jakob Augstein wütet weiter gegen Sarrazin; ZR vom 14. 1. 2010). Jetzt hat sich Augstein wieder etwas von der Art geleistet, wie es typisch für seine Aufsätze ist: Eifernd einerseits; andererseits ohne Respekt vor den Tatsachen. Journalismus mit Schaum vor dem Mund und wenig Substanz hinter der Stirn.

Unter der Überschrift "Gesellschaft vor der Kernschmelze" verdammt Augstein in seiner gestrigen Kolumne in "Spiegel-Online" den Kapitalismus:
Die entgrenzte Akkumulation ist kein Unfall des kapitalistischen Systems. Sie ist das System. (...) Kapitalismus bedeutet, einer besitzt die Yacht mit Swimmingpool und Hangar für den Heli, und Millionen haben seit Jahren keine Gehaltserhöhung bekommen. (...) Wenn es darum geht, was uns wichtiger ist, die Demokratie oder der Kapitalismus - wie werden wir uns entscheiden?
Nicht für den Sozialismus à la DDR, will uns Jakob Augstein nahelegen, von dem er sich ebenfalls distanziert. Er träumt, wie es scheint, von einem demokratischen Sozialismus; so wie Generationen das geträumt haben. Es sind Träume geblieben.

Aber nicht das ist es, worüber ich meckere. Augstein hat selbstverständlich das Recht zum Träumen. Geärgert habe ich mich aber über die Art, wie Augstein zitiert; wen er als Eideshelfer für seinen Traum vom Sozialismus in Anspruch nimmt:
Aber wenn die Gesellschaft kaputt ist, geht auch der Mensch kaputt. Das wollten Thatcher und all die anderen neoliberalen Ideologen nach ihr nicht wahrhaben. Der Markt hat keine moralische Qualität, und ohne Moral werden wir alle zu Tieren.

Jetzt fällt es plötzlich allen auf. Im konservativen "Daily Telegraph" schreibt der Konservative Charles Moore, der die offizielle, erst nach ihrem Tod zu veröffentlichende Biografie über Thatcher verfasst hat: "Es hat mehr als 30 Jahre gedauert, bis ich mir als Journalist diese Frage stelle, aber in dieser Woche spüre ich, dass ich sie stellen muss: Hat die Linke nicht am Ende recht?"
Augstein zitiert, daß Moore diese Frage stellt. Er will suggerieren, daß Moore glaubt, die Linke hätte am Ende recht. Moores Fazit aber ist das exakte Gegenteil. Er stellt die von Augstein zitierte Frage, nicht um sie zu bejahen, sondern um sie mit "nein" zu beantworten:
One must always pray that conservatism will be saved, as has so often been the case in the past, by the stupidity of the Left. The Left's blind faith in the state makes its remedies worse than useless. But the first step is to realise how much ground we have lost, and that there may not be much time left to make it up.

Wir sollten immer beten, daß der Konservativismus, wie so oft in der Vergangenheit, durch die Dummheit der Linken gerettet wird. Der blinde Glauben der Linken an den Staat macht ihre Rezepte schlimmer als nutzlos. Aber der erste Schritt ist es, zu erkennen, wieviel Boden wir verloren haben, und daß nicht mehr viel Zeit bleibt, das wieder aufzuholen.
Moore ist exakt nicht der Meinung, daß die Linke recht hat. Er sieht nur Mängel in der Politik der Konservativen, die diesen aus seiner Sicht falschen Eindruck erzeugen.

Die Art, wie Augstein ihn zitiert, bedeutet, Moore das Wort im Mund herumzudrehen. Augstein ist entweder illiterat, des Lesens nicht fähig. Oder er zitiert bewußt sinnentstellend.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.