3. August 2011

Zettels Meckerecke: Heiner Geißlers "totaler Krieg" und der Stuß des Christoph Schwennicke

"Eine Entschuldigung - und zwar schnell!" lautet, im Stil eines Oberlehrers oder Feldwebels aus dem vorigen Jahrhundert, der Befehl von Christoph Schwennicke an Heiner Geißler; zu lesen gegenwärtig bei "Spiegel-Online".

Christoph Schwennicke ist kein kleiner Schreiber, sondern stellvertretender Chef des Hauptstadtbüros des gedruckten "Spiegel" und damit einer der wichtigsten Journalisten Deutschlands.

Das hindert ihn nicht daran, Stuß zu schreiben. Schon wieder Stuß zu schreiben. Stammleser von ZR erinnern sich vielleicht daran, wie er es vor zwei Jahren fertigbrachte, die Aussage eines Artikels im britisch-amerikanischen Economist in ihr glattes Gegenteil zu verkehren (Christoph Schwennicke und der "Economist". Hanebüchenes in "Spiegel- Online"; ZR vom 1. 6. 2009). Diesmal ereifert er sich über Heiner Geißler.

Wer auf dem Sender Phoenix die Übertragungen der Veranstaltung zum Stresstest für das Projekt Stuttgart 21 verfolgt hat, der weiß, daß Geißler sich im vergangenen Jahr nicht nur in der Rolle des Schlichters gesehen hatte, sondern daß er - mit Eigenlob nicht sparend - in dieser von ihm mitgeschaffenen Art von Bürgerforum einen großen Sprung nach vorn in der Entwicklung der deutschen Demokratie sieht.

In dieser Sitzung am vergangenen Freitag nun war im Grunde schon alles gelaufen; die Planung der Bahn für Stuttgart 21 hatte den Stresstest bestanden. Es blieb nur noch, dieses Ergebnis zur Kenntnis zu nehmen und zu diskutieren.

Aber Heiner Geißler wäre nicht Heiner Geißler, wenn er sich für das Ende seiner Tätigkeit in dieser Sache nicht noch einen Knalleffekt aufgespart hätte. Er zog, gleich dem Zauberer Kalanag, einen ganz neuen (naja, eigentlich uralten) Plan aus der Tasche; des Inhalts, daß man doch einfach sowohl den oberirdischen Kopfbahnhof belassen als auch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof bauen sollte.

Daß dies die verkehrstechnisch günstigste Lösung wäre, behauptete auch Geißler nicht. Ihm ging es um die politische Dimension. Er wollte versöhnen statt spalten. Er hatte seine ganze Schlichtung als einen Akt der Friedensstiftung gesehen, und nun wollte er darauf mit seinem Vorschlag noch das Sahnehäubchen setzen. Man müsse sich doch irgendwie verständigen können. Und in diesem Zusammenhang sagte Geißler: "Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr den totalen Sieg? Das kann man auch machen. Also wollt ihr die totale Konfrontation?"



Eine logische, wenn auch rhetorische Frage im Kontext von Geißlers Bemühen, die Konfrontation abzubauen. Eine der provokanten Formulierungen, für die er bekannt ist. ("Der Pazifismus der dreißiger Jahre, der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem heutigen unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus der dreißiger Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht"; das war 1983).

Natürlich beabsichtigte Geißler mit dem "Wollt ihr den totalen Krieg?" den Anklang an Goebbels. Ja und? Er hat sich davon vermutlich noch ein wenig Publicity versprochen, bevor er in die Berge fuhr, um ein Buch zu schreiben. Und Publicity bekam er. Gestern interviewte ein gewisser Tobias Armbrüster Geißler für das Deutschlandradio Berlin:
Armbrüster: Herr Geißler, seit Tagen wird auch über eine ganz andere Äußerung von Ihnen gesprochen, am Schluss der Gespräche am vergangenen Freitag haben Sie Joseph Goebbels zitiert und die Konfliktparteien gefragt: "Wollt ihr den totalen Krieg?" Was war da Ihre Absicht?

Geißler: Mal klarzumachen, was los ist. Man kann doch nicht dauernd in Entweder-Oder-Kategorien denken, sondern es gibt auch das Denken Sowohl-Als-Auch. Es ist der Kompromiss, der ...

Armbrüster: Aber verharmlosen Sie damit, Herr Geißler, verharmlosen Sie damit nicht ...

Geißler: ... hallo, hallo, hallo ...

Armbrüster: ... ja, ich höre?

Geißler: Ich kann Ihre Frage ja nicht verstehen, wenn Sie mir reinreden.

Armbrüster: Ich muss Sie das ...

Geißler: ... ich wollte doch gerade was erläutern ...

Armbrüster: ... ich muss Sie das gerade fragen: Verharmlosen Sie damit die Sprechweise der Nazis?

Geißler: Ach was, das ist keine Sprechweise der Nazis. Der totale Krieg, den gibt es auch anderswo, den haben wir zurzeit in Syrien.

Armbrüster: Aber die Frage "Wollt ihr den totalen Krieg" stammt von Joseph Goebbels.

Geißler: So? Da wissen Sie mehr als ich.

Armbrüster: Noch mal die Frage, war das Ihre Absicht?

Geißler: Was war meine Absicht?

Armbrüster: Die Sprechweise der Nazis zu verharmlosen?

Geißler: Ja, ich glaube, Sie sind wohl auf dem Mond zu Hause, mir zu unterstellen, ich wollte hier die Nazis verharmlosen!
Recht hat er, der alte Haudegen Heiner Geißler. Wie kann jemand darauf kommen, Geißler wolle die Nazis verharmlosen, weil er vom totalen Krieg sprach? Es ist absurd. Es ist, nebenbei gesagt, auch deshalb absurd, weil der Begriff des "totalen Kriegs" keineswegs von Goebbels oder überhaupt von den Nazis stammt, sondern auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Der Journalist Armbrüster hätte das in der Wikipedia nachlesen können.

Aber selbst wenn Goebbels diesen Begriff geprägt hätte - was in aller Welt verbietet es denn, ihn dennoch zu benutzen? Welches seltsame magische Denken herrscht da, das Wörter tabuisiert, weil sie von den Nazis gebraucht worden waren; so, wie im Märchen der Name des Rumpelstilzchens tabu ist? Der deutsche Spitzenjournalist Schwennicke:
Der einzige wirklich Halsstarrige, der hier im Moment zu erleben ist, ist nicht der härteste oder bornierteste Vertreter im Streit um Stuttgart 21, sondern der bislang von Gegner und Befürwortern umjubelte Schlichter Heiner Geißler.

Er sollte jetzt, besser in den kommenden Minuten oder Stunden als erst in den nächsten Tagen, zur Räson kommen und sagen: Ich habe einen Fehler gemacht, und dann habe ich einen noch viel größeren Fehler begangen, als ich den ersten Fehler hanebüchen rechtfertigen wollte.

Das fällt schwer. Aber das muss jetzt sein. Sonst gab es einmal einen großen Politiker Heiner Geißler.
Mein Gott, geht's nicht 'ne Nummer kleiner? möchte man dem Spitzenjournalisten entgegenhalten.



Wenn der Stuß nicht Methode hätte. Denn es geht ja um Verbote. Es geht darum, daß einer wie Schwennicke es sich anmaßt, einen anderen abkanzeln zu dürfen, weil dieser eine bestimmte Formulierung verwendet hat. Das darf nicht sein, das muß mindestens zur "Entschuldigung" (bei wem eigentlich?) führen. Leute wie Schwennicke wollen das Denken kontrollieren, indem sie bestimmen, welche Wörter, welche Ausdrücke erlaubt sind und welche nicht.

Das Ziel liegt auf der Hand: Die Einschränkung der Freiheit des Wortes. Sprachregelung also. Was übrigens auch ein Begriff der Nazis ist; siehe Aufregung über den "inneren Reichsparteitag". ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz entgleist zum zweiten Mal; ZR vom 14. 6. 2010.
Zettel



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