14. August 2011

Chance Eurobonds

Daß sich "in den Reihen der Koalition die Erkenntnis breitmacht", daß die Euro-Währungsunion ohne die Vergemeinschaftung zumindest eines Teiles der Staatsschulden der Mitgliedsstaaten "möglicherweise nicht mehr retten lasse", wie die Welt am Sonntag berichtet, wird in Deutschland meist als Belastung kolportiert. Der Zinsendienst würde steigen und man würde für andere EU-Länder "zahlen" müssen. Das könnnte sein, wenn 100% der Schulden übernommen werden, aber davon ist ja keine Rede. Der EU-Abgeordnete Leonardo Domenici hat zuletzt den Vorschlag wiederholt, der dem schon in 2010 vorgestellten Plan von Jacques Delpla und Jakob von Weizsäcker entspricht. Das ist meiner Meinung nach ein sauberer Kompromiß zwischen der Schaffung einer echten Währungsunion und dem Erhalt von Eigenverantwortung der EU-Staaten.
Grundlage ist die Vergemeinschaftung der Staatsverschuldung aller Euro-Länder bis zu einer bestimmten Grenze. Das kann die alte Maastricht-Grenze von 60% des BIP sein, man könnte aber auch an einem Stichtag die gewichtete Durchschnittsverschuldung feststellen, um der aktuellen Entwicklung gerecht zu werden, denn das alte Kriterium erfüllt die Mehrheit der Länder nicht mehr.
Ob man, wie George Soros es fordert, "Ländern wie Spanien etwa zyklische Haushaltsdefizite erlaubt, bis sie sich erholt haben.", wäre zweckmäßig, ändert aber an den unmittelbaren positiven Folgen nichts. Denkbar wäre es, aufgrund einer individuellen Überprüfung durch eine von der EU eingesetzte Kommission, wie sie jetzt schon in die EFSF-Länder entsandt werden, zusätzliche Hilfen im Notfall zu gewähren. Ein Land könnte dabei umso mehr Spielraum erhalten, je weiter es unter der anfangs festgestellten Verschuldungsgrenze liegt, d.h. je mehr in wirtschaftlich guten Zeiten vom jeweiligen Staat gespart wurde, umso mehr kann in einer Krise vom ESM an zusätzlichen Mitteln abgerufen werden. Natürlich muß eine europaweite Rezession auch berücksichtigt werden, d.h. dann wird für alle die Verschuldungsgrenze angehoben.
In Summe ist ein Plan dieser Art ein Kompromiß zwischen Finanzmarktstabilität, Weiterentwicklung und Eigenverantwortung. Die Weiterentwicklung hin zu Eurobonds wäre für die Europäische Union dabei der entscheidende Schritt, den schon 1999 erhofften Aufstieg des Euro zu einer Leitwährung für die Welt zu ermöglichen. Dabei ist die Liquidität der entscheidende Faktor:
Wie es scheint, werden Kreditratings zusehends irrelevant in einem Bondmarkt, wo die Investoren "AAA" geratete Unternehmen als riskanter als den amerikanischen Staat einschätzen, der jüngst seines Triple A-Ratings durch S&P entkleidet wurde. Von top-gerateten Unternehmen wie Johnson & Johnson oder Microsoft wird ein Yield Pick-Up zu US-Treasuries vom Markt verlangt, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. 
Für Anleihen von Johnson & Johnson bzw. Microsoft - beides mit AAA geratete Unternehmen - wird also eine höhere Rendite gefordert wie für US-Staatsanleihen, die zwischen AAA und AA+ gerated sind. Die Ursache liegt einerseits in der rein ideologisch motivierten Herabstufung der USA durch S&P, die nicht mit wirtschaftlichen Fakten zu begründen ist. Das ignoriert der Markt genauso, wie die Herabstufung von Japan seit 10 Jahren ignoriert wird: ein Land, das nur Anleihen in seiner eigenen Währung begibt, kann nun mal nicht insolvent werden.
Aber selbst dann müssten gleichrangige Anleihen zumindest gleich viel abwerfen. Der zweite Grund für die Renditedifferenz ist die Liquiditätsprämie: je leichter ein Finanzinstrument handelbar ist, desto geringer ist der Abstand zwischen Kauf- und Verkaufskurs, desto schneller läßt sich am Sekundärmarkt ein Abnehmer dafür finden und desto mehr Nachfrage besteht nach diesem Finanzinstrument. Das ist auch der Grund, warum innerhalb Europas die Bundesanleihen von Deutschland immer etwas teurer sind (Seite 5), d.h. geringere Rendite haben, als die des Landes Österreich: letztere sind einfach nicht so schnell zu verkaufen. Da mag es im Einzelfall nur um wenige Sekunden gehen, aber für Großanleger ist das schon entscheidend. Und daher ergibt sich eine Chance, durch Eurobonds den Euro so attraktiv zu machen wie der US-Dollar es bisher immer war. 
Mit einem Volumen von mehr als fünf Billionen Euro sehen Delpla und von Weizsäcker einen vergleichbar großen Markt wie den für US-Staatsanleihen entstehen. Deren "maßloses Privileg" als bevorzugte Anlageklasse könne deshalb auch Europa nutzen. Während die USA dank dieses Vorteils jährlich 0,8 Prozentpunkte an Zinskosten sparten, schätzen sie den Effekt für Euro-Bonds auf immerhin 0,3 Prozentpunkte. Als "Gelegenheit für Europa", vom "weltweiten Hunger nach sicheren Anlagen" zu profitieren, während "der Status der USA als sicheres Anlageziel gefährdet" sei, werben die Ökonomen für den Euro-Bond. 
Tatsächlich bezeichnet etwa die Ratingagentur Fitch US-Treasuries trotz Herabstufung der Top-Kreditwürdigkeit in einer aktuellen Studie als alternativlos, vor allem weil keine sicheren Anleihen mit einem ähnlich breiten Markt existieren. Als potenzielle Herausforderer, aber mit dem Nachteil des zu geringen Volumens, nennt Fitch neben Bundesanleihen auch die Bonds des Euro-Rettungsfonds EFSF, die man als Vorläufer von Euro-Bonds sehen könnte.
Delpla/Weizsäcker sprechen in diesem Zusammenhang auch von blue bonds, die den US-Treasuries als liquide Anlagealternative zur Seite gestellt werden. Dieser Markt steht dann auch ausländischen Investoren offen. So hat etwa Japan EFSF-Anleihen gekauft und sich dazu bekannt, auch weiterhin als Käufer aufzutreten. Man wird sicher auch erleben, daß China einen Teil seiner in US-Anleihen gehaltenen Bestände in Eurobonds tauscht.
Delpla/Weizsäcker planen dann auch die Einführung von red bonds, die alle Schulden enthalten, die länderspezifisch über der gemeinschaftlich erlaubten Schuldengrenze liegen. Für diese Bonds sind die Länder selbst verantwortlich: die EZB dürfte sie nicht ankaufen und notfalls würden Investoren einen Ausfall in Kauf nehmen müssen. Daher werden für diese Bonds höhere Zinsen zu bezahlen sein und es liegt in der Verantwortung der einzelnen Länder, die Aufnahme von red bonds zu begrenzen oder komplett zu vermeiden.
Das Argument der Mehrkosten für die Bundesrepublik muß man im Lichte aktueller Entwicklungen dann auch relativieren:
Wenige Tage vor dem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zur Schuldenkrise hatten Streitereien in der italienischen Regierung um das Sparpaket des Landes für kurze Zeit eine panikartige Reaktionen an den Anleihemärkten von Italien und Spanien ausgelöst. Anleger schichteten Geld aus den Randländern der Eurozone in entsprechende deutsche Staatsanleihen um. 
Das bleibt aber nicht so, denn dieser Renditeabstand ist ja durch die wirtschaftliche Entwicklung alleine nicht gerechtfertigt. Schon weil es die betroffenen Länder in die sichere Insolvenz treiben würde ist es auch für Deutschland ökonomisch nicht sinnvoll, kurzfristige Überrenditen aus seiner Staatsverschuldung auf Kosten der Euro-Länder zu erhalten, die teilweise sogar mehr Maastricht-konform gewirtschaftet haben als Deutschland. So hat etwa Spanien zwischen 2004 und 2008 seine Staatsverschuldung von 45 auf 35% abgebaut und erst durch den ökonomischen Schock der geplatzten Immobilienblase enorme Schwierigkeiten bekommen. Eine Blase, die rein im Privatsektor entstanden ist. Das gleiche gilt analog für Irland. Hier ist es von EU-weitem Interesse, diese Länder zu stabilisieren.
Warum juristischer und ökonomischer Sachverstand in dieser Frage ausgerechnet bei Politikern der Union und FDP gehäuft fehlt, ist erstaunlich. Sollte sich CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt etwa tatsächlich wundern, daß "Wenn es zutrifft, dass Deutschland im EZB-Rat von den Schuldenländern überstimmt wurde, ist das ein schwerwiegender Vorgang", dann lernt er offenbar erst jetzt die Inhalte der EZB-Statuten kennen, wo eben jeder der 17 Notenbankgouverneure genau eine Stimme hat. Daher ist eine Forderung wie "Die Euro-Zentralbank müsse schleunigst ihre Unabhängigkeit zurückerhalten" geradzu absurd. Und wer meint, "dass die EZB weniger stark auf die Geldwertstabilität achten wird als die Deutsche Bundesbank", zeigt völlige Unkenntnis darüber, daß die EZB den Liquiditätseffekt aller Käufe von Staatsanleihen neutralisiert hat. Diese Praxis halten viele Ökonomen für kritikwürdig, genauso wie Zinserhöhungen mitten in der Krise, und hier steht die EZB auch alleine auf weiter Flur, denn weder die FED, die Bank of England noch die Bank of Japan neutralisieren ihre Anleihekäufe. Man will ja gerade mehr Liquidität im Markt haben. Daher tut die EZB ja genau das, was etwa Stanislaw Tillich vermeint fordern zu müssen, aber vielleicht wurde er auch bloß falsch zitiert. Aber er wird ja sogar noch von einem Parteikollegen getoppt:
„Wer den Weg für Eurobonds freimachen will, legt die Axt an die Stabilität des Euro. Eurobonds sind der Einstieg in eine Transferunion, die am Ende alle Euro-Staaten in einen Abwärtsstrudel reißen würde“. Den Nutzen hätten vor allem Großspekulanten: Sie erhielten mit Eurobonds einen Zugriff auch auf die Finanzen von Staaten mit Spitzenbonität.
Die USA begeben seit 1790 gemeinsame Anleihen. Dem Dollar macht es nichts aus, wenn Kalifornien wieder mal am Rande der Insolvenz steht oder Minnesota wieder einmal kein Budget hat. Texas hat in den 80ern die fast zu 50% auf seinem Boden ausgebrochene S&L-Krise nur mit Bundeshilfe überstanden und hätte als Einzelstaat das Schicksal Spaniens geteilt. Ich vermag den "Abwärtsstrudel", in den Bundesstaaten durch die Vereinheitlichung ihrer Staatsschulden geraten sollen, nicht zu erkennen. Welchen Zugriff ein Käufer von US-Treasuries etwa auf die Finanzen von Minnesota und New Jersey (die größten Nettozahler der USA) haben soll, begreife ich auch nicht. Es ist vielmehr der Finanzausgleich, der die USA trotz aller innenpolitischer Reibereien um so viel stabiler macht als es Europa derzeit ist.

Vielleicht geht man irreführend davon aus, daß alle Schulden übernommen werden sollen. Das ist aber genau nicht der Fall. So wie in den USA steht des den einzelnen Staaten zwar weiterhin frei, mehr auszugeben, als sie selbst an Steuern einnehmen und sie vom Bund zugeteilt bekommen, aber für diese Schulden müssen sie dann selbst gerade stehen. Das wäre eben auch im Delpla/Weizsäcker-Plan der Fall. Es wird nur das vergemeinschaftet, wo bereits im Maastricht-Vertrag die Tragfähigkeitsgrenze festgelegt wurde.  


Es sind auch Wirtschaftsforscher, die mit mit obskuren Szenarien um sich werfen. So meint Kai Carstensen vom ifo-Institut angeblich, "dass Deutschland mit seiner jetzigen Finanzierungsstruktur einen deutlichen Zinsaufschlag von 2,3 Prozentpunkten zahlen müsste. Unter dem Strich entspräche das bei einem Bruttoschuldenstand von 2,1 Billionen Euro jährlichen Mehrkosten von gut 47 Milliarden Euro". Ich nehme an, er hat wie folgt gerechnet: der Staatsschuldenstand von Deutschland beträgt 2080 Mrd. Euro. Das mit 2,3% multipliziert ergibt 47,84 Mrd. Euro. Das wäre als Ergebnis einer gemeinsamen Haftung unter folgenden zwei Annahmen richtig: daß die Zinsen tatsächlich so stark steigen und daß Deutschland seine Schulden jedes Jahr neu finanziert. Ersteres ist, wie ich oben schlüssig dargelegt habe, sehr unwahrscheinlich und zweiteres ist glatt gelogen. Da ich nicht annehme, daß Herr Carstensen nicht weiß, daß sich Deutschland vor allem langfristig, darunter mit Anleihen von 10-30jähriger Laufzeit finanziert, kann ihm und anderen, die ähnlichen Nonsens behaupten, nur unterstellen, mit Falschinformationen Meinungen manipulieren zu wollen.        

Eine seriöse Schätzung müsste sich zuerst den Refinanzierungsbedarf ansehen. Da hat Deutschland bis 2015 knapp 150 Mrd. € aufzubringen, ungefähr so viel wie Italien und damit ca. 30 Mrd. € pro Jahr. Darauf waren in den letzten 12 Monaten zwischen 2,3 und 3,3% zu zahlen. Der EFSF hat bei seinen bisherigen Auktionen einen Renditeaufschlag gegenüber Bundesanleihen von max. 0,6 Prozentpunkte hinnehmen müssen. Der erhöhte Zinsendienst, der den Bundeshaushalt 2012 belasten würde, wäre daher mit 180 Mio. € zu beziffern (30 Mrd. * 0,006). Für 2013 würde sich der Betrag verdoppeln und die Milliardengrenze wäre erst 2015 überschritten. Wobei es wie gesagt durchaus wahrscheinlich ist, daß durch eine geringere Liquditätsprämie überhaupt kein Aufschlag fällig wird. Und ob China nicht auch anfängt, einen Teil seiner Devisenreserven nunmehr auch in Eurobonds anzulegen, ist noch überhaupt nicht eingepreist. Es ist gut begründbar, warum es in Zukunft zwischen Europa und den USA zu keiner nennenswerten Renditedifferenz kommen wird und damit würde sich auch Deutschland genauso günstig wie heute finanzieren können. 47 Mrd. € schon 2012 zu befürchten ist jedenfalls völlig absurd und ein völlig überzeichnetes Risiko. Dagegen werden die Chancen völlig ausgeblendet:

The fact is that Treasury bonds are going to remain the global fixed-income benchmark, simply because there’s no alternative. There are $9.3 trillion in marketable Treasury securities outstanding — that’s five times the debt stock of triple-A countries like France, Germany, or the UK. And when it comes to liquidity, the gap is even bigger: daily Treasury volume of $580 billion is 17 times higher than the next most liquid triple-A security, UK gilts. And UK gilts are denominated in pounds, which is hardly a global reserve currency.
Tatsache ist, daß US-Staatsanleihen weiterhin den globalen Standard für festverzinsliche Wertpapiere darstellen, ganz einfach, weil es keine Alternative gibt. Es laufen US-Staatsanleihen im Wert von 9,3 Billionen Dollar um - das ist das fünffache der Staatschuld von anderen AAA-Ländern wie Frankreich, Deutschland oder England. Und wenn es um die Liquidität geht, dann ist das täglich gehandelte Volumen von 580 Mrd. US-Dollar 17 mal so hoch wie das der Papiere mit der zweithöchsten Liquidität, britische Staatsanleihen. Und diese lauten auch noch auf Pfund, das nicht gerade eine globale Reservewährung darstellt.  
Eurobonds wären eine Chance, Investoren ein Konkurrenzprodukt zu US-Staatsanleihen anzubieten und den Euro damit zu dem zu machen, was er schon seit 1999 sein sollte: eine globale Reservewährung.
   
Johann Grabner

© Johann Grabner. Für Kommentare bitte hier klicken.