5. August 2011

Der Mörder Breivik, Henryk M. Broder und die gefährliche Nähe der extremen Linken zum Terrorismus (Teil 2)

Für die Tat eines Mörders ist selbstverständlich immer dieser selbst verantwortlich; im ethischen Sinn des Begriffs der Verantwortlichkeit: Er allein trägt die Schuld an dem, was er getan hat.

Jedoch tendieren wir dazu, vor allem bei einem spektakulären Verbrechen nach so etwas wie Mitverantwortung zu fragen. Wir meinen damit einen möglichen ursächlichen Zusammenhang. Gab es nicht vielleicht bestimmte Faktoren, die den Täter motiviert haben, die ihm seine Tat erleichert haben?

Wenn wir so nach "Verantwortung" fragen, dann meinen wir nicht Schuld, sondern Verursachung. Und in diesem Sinn kann man in der Tat die Frage aufwerfen, ob nicht bestimmte Politiker, ob nicht politische Autoren eine Mitverantwortung an terroristischen Anschlägen tragen.

Im ersten Teil habe ich die Kolumnistin der Washington Post Anne Applebaum zitiert, die den Begriff der "Illegitimisten" verwendet - Theoretiker, Politiker, Terroristen, die dem demokratischen Rechtsstaat die Legitimität absprechen und daraus das Recht ableiten, dessen Gesetze zu brechen; bis hin zur revolutionären und terroristischen Gewalt.

Wenn wir die Frage nach der Mitverantwortung an terroristischen Taten diskutieren, dann ist also zu fragen, wo und von wem solche Überzeugungen vertreten wurden und werden.



Ich habe im ersten Teil Theodor W. Adorno und Max Horkheimer erwähnt. Beide waren Kritiker des Kapitalismus; aber beide haben niemals dem Gesetzesbruch oder gar der Gewalt das Wort geredet. Sie sind für die Taten der RAF so wenig verantwortlich, wie Henryk M. Broder für die Taten Breiviks eine Mitverantwortung trägt. Anders sieht es bei einem Dritten aus, der oft im selben Atemzug mit Adorno und Horkheimer genannt wird: Herbert Marcuse.

In dem 1968 verfaßten Nachtrag zu seiner Schrift "Repressive Tolerance" schreibt Marcuse:
The tolerance which is the life element, the token of a free society, will never be the gift of the powers that be; it can, under the prevailing conditions of tyranny by the majority, only be won in the sustained effort of radical minorities, willing to break this tyranny and to work for the emergence of a free and sovereign majority - minorities intolerant, militantly intolerant and disobedient to the rules of behavior which tolerate destruction and suppression.

Die Toleranz, die das Lebenselement, das Wahrzeichen einer freien Gesellschaft ist, wird von den Herrschenden niemals geschenkt werden; sie kann, unter den bestehenden Bedingungen einer Tyrannei der Mehrheit, nur durch die nicht nachlassenden Anstrengungen von radikalen Minderheiten gewonnen werden, die willens sind, diese Tyrannei zu durchbrechen und sich dafür einzusetzen, daß eine freie und souveräne Mehrheit entsteht - von intolerante Minderheiten, von militant intoleranten Minderheiten, die sich weigern, sich den Vorschriften zu unterwerfen, welche Zerstörung und Unterdrückung tolerieren.
Zwei andere Abschnitte aus "Repressive Tolerance", die Marcuses problematisches Verhältnis zur Gewalt belegen, habe ich in Zettels kleinem Zimmer zitiert (bitte hier und hier klicken).

Mit solchen Texten beginnt die tatsächliche Mitverantwortung für terroristische Gewalt. Gewiß hat Marcuse nicht zum bewaffneten Kampf aufgerufen; aber er hat zu "militanter Intoleranz" aufgerufen; er hat dazu aufgerufen, sich den rules of behavior nicht zu unterwerfen, den geltenden Vorschriften oder Regeln für das politische Handeln.

Marcuse war Marxist; und wie Anne Applebaum schreibt: Viele Marxisten lehnen die revolutionäre Gewalt keineswegs ab. Das gilt auch für die deutsche extreme Linke.

Hans-Christian Ströbele, den viele für einen Pazifisten halten, war jahrelang aktiv an der Finanzierung von Waffen für einen revolutionären Krieg beteiligt (siehe "Die Anwendung von Waffen richtig und notwendig". Hans-Christian Ströbele und das "mörderische Regime" eines linken Christdemokraten; ZR vom 6. 2. 2008).

Im Januar 2007 wurde der damals noch einsitzende neunfache Mörder Christian Klar eingeladen, eine Grußadresse an die unter Beteiligung von PDS-Mitgliedern veranstaltete "Rosa-Luxemburg-Konferenz" zu richten (Die PDS und der Gruß eines Terroristen; ZR vom 27. 2. 2007). Die Initiative dazu ging nach Zeitungsberichten von dem zeitweiligen Rektor der Humboldt-Universität und Mitglied der PDS-Fraktion im Bundestag Heinrich Fink (IM "Heiner") aus (Christian Klar, die Waffe der Kritik, die Kritik der Waffen; ZR vom 8. 5. 2007).

Im Januar 2010 hat die kommunistische Tageszeitung "Junge Welt" den RAF-Mörder Karlheinz Dellwo, der die Ziele der RAF "nach wie vor richtig" nennt und der sich ausdrücklich weigert, seine Taten zu bereuen, als das 1000. Mitglied ihrer Genossenschaft gefeiert (Karl-Heinz Dellwo, das "1000. Mitglied" der "LPG junge Welt". Ist das der RAF-Mörder Dellwo? Die "Rote Armee Fraktion" und die Parteikommunisten; ZR vom 23. 1. 2010).

Und erst jüngst, im Januar dieses Jahres, hat die Vorsitzende der Partei "Die Linke", Gesine Lötzsch, öffentlich über "Wege zum Kommunismus" nachgedacht und dabei als Vorbild ausdrücklich Rosa Luxemburg, die Befürworterin einer gewaltsamen Revolution, genannt. Lötzsch war damals bereit gewesen, mit der RAF-Gewaltverbrecherin Inge Viett (wegen versuchten Mordes zu 13 Jahren Haft verurteilt) zu diskutieren; wiederum auf einer "Rosa-Luxemburg-Konferenz". Erst nach öffentlichen Protesten blieb sie dieser Diskussion fern (Gesine Lötzsch und die Wege zum Kommunismus (1): Die Rosa-Luxemburg-Konferenzen und Lötzschs Strategie der "fortschreitenden Machteroberung"; ZR vom 7. 1. 2011).

Diese, sagen wir, zumindest nachsichtige Art, mit den politischen Gewaltverbrechern der RAF umzugehen, hat ihre Tradition bei den deutschen Kommunisten. Als die RAF mordete, hat weder die DKP noch die Regierung der DDR das offiziell gebilligt. Tatsächlich aber hat das MfS dem RAF-Terrorismus schon sehr früh Hilfe mannigfacher Art gewährt.

In den Jahren nach der Wiedervereinigung war zunächst nur bekannt geworden, daß das MfS die RAF logistisch unterstützt hatte (zum Beispiel durch die Erlaubnis, über den Flughafen Schönefeld aus- und einzureisen) und daß die DDR Terroristen wie Inge Viett aufgenommen hatte, denen man eine neue Identität gab. Dies war eine wichtige Unterstützung der RAF gewesen, denn es gab den Terroristen die Lebensperspektive eines gesicherten "Ruhestands"; anstelle der Aussicht, früher oder später gefaßt zu werden und dann Jahrzehnte in Haft zu verbringen.

Dann kam heraus, daß der Polizist Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoß, ein langfähriger Agent des MfS gewesen war. Neue Ermittlungsergebnisse machen es wahrscheinlich, daß er Ohnesorg gezielt und absichtlich tötete und daß am Tatort neben Kurras weitere Leute des MfS gewesen waren. Mit dem Tod von Ohnesorg begann bekanntlich die Entwicklung der Studentenbewegung zur kriminellen Militanz, die zur Gründung der RAF und anderer terroristischer Organisationen wie der "Bewegung 2. Juni" führte; diese benannt nach dem Todestag Ohnesorgs.

Auch sonst mehren sich die Hinweise darauf, daß die DDR von Anfang an den Terrorismus in der Bundesrepublik gefördert hat. Es werden immer neue Einzelheiten darüber bekannt, in welchem Umfang das MfS die RAF unterstützte; zum Beispiel durch Schießtraining von Kadern wie Christian Klar im MfS-"Objekt 74", dem "Forsthaus an der Flut" in Briesen (Der Fall Kurras - muß die "Geschichte jetzt neu geschrieben" werden?; ZR vom 22. 5. 2009).

Auch die Tätigkeit des RAF-Ideologen Horst Mahler hat das MfS von Beginn an wohlwollend begleitet und ihm bei der Wiedereinreise nach seiner terroristischen Ausbildung im Nahen Osten geholfen; auch wenn er vermutlich nicht den formalen Status eines IM hatte.



Keiner der konservativen, keiner der liberalen Kritiker von Multikulti und Islamismus, die jetzt mit der Mordtat des Anders Breivik in Zusammenhang gebracht werden, hat jemals den Gesetzesbruch oder terroristische Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele propagiert, gebilligt oder gar unterstützt. Liberale und Konservative sind Demokraten, die sich den Werten des demokratischen Rechtsstaats verpflichtet fühlen.

Auf der Linken fehlt es hingegen an einer gleichermaßen klaren Grenzziehung. Gewiß sind auch die meisten Linken Demokraten. Aber auf der extremen Linken gibt es eine Grauzone; dort gibt es eine Form des Umgangs mit politisch motivierten Gewaltverbrechern, die nicht erkennen läßt, daß man deren Taten verabscheut. Das war so, als die RAF ihre Taten beging; das zeigt sich noch heute im Umgang mit den Tätern.

Der infamen Weise, in der liberale und konservative Kritiker von Multikulti und Islamismus mit dem Mörder Breivink in Zusammenhang gebracht werden, sollte man aus meine Sicht deshalb nicht nur durch empörtes Zurückweisen entgegentreten. Anläßlich dieser Tat sollte vielmehr die Frage diskutiert werden, wie denn die einzelnen politischen Kräfte in der Bundesrepublik zum Terrorismus stehen. Konservative und Liberale haben sich da nichts vorzuwerfen. Diskutiert werden muß aber das Verhältnis der Partei "Die Linke" und anderer Vertreter der extremen Linken zur Gewalt.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Henryk M. Broder bei seiner Dankesrede zur Verleihung des Börne-Preises in der Frankfurter Paulskirche 2007. Vom Autor dontworry unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported-Lizenz freigegeben (Ausschnitt).