5. August 2011

Der Fluß des Geldes

Für den Satz "Ein paar Milliarden Schulden bereiten mir weniger schlaflose Nächte als ein paar hunderttausend Arbeitslose" würde der ehemalige österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky heute von der Tea Party (verbal) gekreuzigt werden, aber es hat in Österreich seit dem 2. Weltkrieg ganz gut funktioniert. Daß alle Investitionen sinnvoll waren, kann man, wenn man ein Kernkraftwerk baut, um es dann nicht nicht in Betrieb zu nehmen, wirklich nicht behaupten. Aber wenn die österreichische Hauptstadt Wien regelmäßig im Ranking der Lebensqualität von Mercer Consult den 1. Platz einnimmt und dafür  das "hohe Maß an Sicherheit, politischer Stabilität und funktionierender Infrastruktur" als Gründe angeführt werden, dann kommt diese funktionierende Infrastruktur ja von irgendwoher. Und zwar von Investitionen der öffentlichen Hand, finanziert durch Steuern und Staatsverschuldung. Warum finanziert man dann aber nicht alles gleich mit Steuern? Weil Staatsverschuldung auf beiden Seiten nützlich sein kann.    

Einem Aktivisten der Tea Party wird das ungeheuerlich vorkommen, aber es gibt viele Menschen, die gerne Staatsanleihen kaufen. Internetangebote in Deutschland oder Österreich zum direkten Erwerb von Anleihen der jeweiligen Staaten sind nicht zur Belustigung da, die werden tatsächlich genutzt. Und wer nicht direkt Staatsanleihen kauft, der tut es indirekt:  
Lebensversicherungen haben einen großen Teil ihrer Kundengelder in Staatsanleihen angelegt. Doch wegen der Schuldenkrisen nehmen die Finanzmärkte selbst Spanien und Italien ins Visier, und Ratingagenturen drohen US-Papieren mit dem Verlust ihrer Bestnote. Müssen sich die Versicherungskunden Sorgen machen? "Jein", sagt Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur der Zeitschrift "Finanztest".
Nichts neues, aber offenbar selbst vielen nicht bekannt, die fleissig "Altersvorsorge" betreiben. Auch Nutzer von Riester-Produkten müssten das wissen:
Tenhagen: ´Für die Riester-Sparer kann Entwarnung gegeben werden. Die griechischen Staatspapiere spielen für den gesamten europäischen Rentenmarkt keine bedeutende Rolle. Die größten Brocken sind die deutschen, italienischen und die französischen Anleihen. Dahinter folgen mit etwas Abstand die spanischen Staatspapiere. Es ist zwar im Prinzip möglich, dass die Griechen in Zukunft einmal ihre Anleihen nur zum Teil oder nur verzögert zurückzahlen. Wer jedoch als Riester-Sparer in einen Anleihefonds einzahlt, erleidet zumindest keine Verluste, sondern muss sich höchstens mit einer niedrigen Rendite zufrieden geben. Der Staat garantiert die Einlagen und die staatlichen Zulagen zu 100 Prozent.
Schon mit diesem Wissen bewaffnet müsste man alle Märchen über die ach so böse Staatsverschuldung als solche entlarven können. So etwa daß wir auf "Kosten unserser Kinder leben" würden. Hä? "Wir" zahlen doch was ein!? Es ist schon richtig, daß "wir" später wieder was rausbekommen wollen, aber dann zahlen halt die dann arbeitsfähigen Menschen wiederum in Lebensversicherungen und Riester-Fonds sein. Also ich bin ja selbst kein Fan von Altersvorsorge, aber jemandem vorzuwerfen, er würde "auf Kosten unserer Kinder leben", wenn er dem Staat freiwillig direkt oder indirekt Geld zur Verwendung gibt, also das ist schon ein wenig unfair.
Ich weiß schon, daß die Autoren solcher Behauptungen das nicht gemeint haben. Sondern sie sind nur ein Ausdruck davon, daß sie die Wirtschaft nicht verstehen. Aber darauf gilt es eben hinzuweisen.

Ebenso sollte sich damit das Thema "Schulden zurückzahlen" erledigt haben. Warum sollte der Staat seine "Schulden zurückzahlen"? Damit würde er die sichere und gewünschte Altersvorsorgemöglichkeit der Menschen vernichten. Zumindest hätten sie dann keine Wertpapiere mehr, sondern Bargeld. Klar kann man seine Ersparnisse auch unter dem Kopfpolster lagern, aber es ist riskant und mühsam. Also trägt man sie erst wieder auf die Bank und dort liegen sie rum. In Unternehmen möchte man nicht investieren, das ist vielen Menschen zu riskant, aber konsumieren möchte man auch nicht. Was tun, gäbe es keine Staatsverschuldung?
Jetzt gibt es natürlich auch das bekannte Argument, daß man einen Euro nur einmal ausgeben kann. Daher würde, wenn sich der Staat verschuldet, das Geld an anderer Stelle fehlen. Daher könnte Fiskalpolitik keine Wirkung entfalten, Staatsverschuldung würde auf Kosten von Investitionen in der Privatwirtschaft gehen. Diesen Verdrängungseffekt nennen die Volkswirte Crowding Out.

Nur kann das schon mal nicht für die Fälle stimmen, wo die Bürger direkt Konten von bundeswertpapiere.de oder bundesschatz.at nutzen. Hier wollen sie ja offenbar gezielt dem Staat das Geld geben. Aber das ist ja nur der kleinere Teil des Geldflusses. Der größte Teil geht über den "Markt", wie die Zusammenkunft aller Anleger und Gläubiger von Finanzanlagen auch genannt werden kann. Und damit kommen wir auch zum Grund, warum sich auch der Staat am "Markt" finanziert: der Zins als Preis des Geldes.

Wenn tatsächlich Private Investitionsbedarf haben und Fremdkapital nachfragen, dann steigt der Zins, um Anleger zu locken. Üblicherweise müssen Private je nach Bonität mehr bieten als der Staat, um das Risiko abzudecken, aber das kann wie man aktuell an einigen Euro-Ländern sieht, auch umgekehrt sein. Jedenfalls zeigt der Zins, besser: der Realzins, an, ob ein Konjunkturprogramm Wirkung hätte oder nicht. Wenn die Zinsen hoch sind, die Wirtschaft also intensiv Kapital nachfragt, dann würden zusätzliche Staatsausgaben auf bereits ausgelastete Ressourcen treffen und dann kommt es tatsächlich zu einem Verdrängungseffekt, im schlechtesten Fall 1:1. Dann können Investitionsentscheidungen des Staats sogar schaden, wenn sie ineffizientere Produkte erwirtschaften als Private es könnten.

Wenn der Zins allerdings niedrig ist oder gar bei Null steht, dann ist die Situation anders. Und momentan ist nicht nur der Realzins, d.h. Rendite - Inflation, in weiten Teilen der westlichen Welt und Japan negativ, sogar nominell findet man schon faktisch negative nominelle Zinsen: die Bank of New York Mellon verlangt 0,13% Gebühr für Einlagen ihrer Großanleger. Hier gibt es keinen Verdrängungseffekt. Die Privaten wollen ihr Geld nicht ausgeben. Die kaufen so viele Staatsanleihen, daß die Zinsen auf 10jährige US-Staatsanleihen mittlerweile auf 2,5% gefallen sind. Wir erinnern uns noch an den weitsichtigen Phil Gross, der im Februar alle US-Staatsanleihen verkauft hat. Auch wenn sich die deutsche Qualitätspresse an seiner Wette, die sogar Leerverkäufe inkludiert hat, darüber weidlich ausgelassen hat: es ist genau das Gegenteil von seinen Voraussagen eingetroffen. No na: ARRA läuft aus, schon vergessen? Wenn jetzt noch Einsparungen im US-Haushalt draufgesattelt werden, dann schreit alles nach Rezession oder gar Depression. Daß selbst ein erfahrener Finanzmanager wie Gross derart offensichtlich daneben liegen kann, ist ernüchternd. Es ist im Westen das erste Mal seit den 1930er Jahren, daß eine solche Situation auftritt, aber wenn man diese, in jedem Einführungshandbuch der Makroökonmie beschriebene Liquiditätsfalle, nicht mehr in Erinnerung hat: in Japan ist ja 1990 das gleiche passiert. Es wiederholt sich bei US-Treasuries ja der gleiche Zinsverlauf wie in Japan. Die sind mittlerweile zu über 200% des BIP verschuldet und die Zinsen stehen bei 0%. Null Prozent.

Momentan gibt es keinerlei Crowding Out. Firmen können sich billigst finanzieren. Das nimmt teilweise absurde Züge an. So hat die Microsoft Corporation über 40 Mrd. Dollar Bargeld übrig, aber trotzdem mehrfach Anleihen über mehrere Milliarden Dollar begeben, weil das Geld einfach so billig zu haben ist. Investiert wird davon momentan gar nichts. Oder Apple: verfügte man 2010 über 25 Mrd. Euro Bargeldbestand, ist der Bestand mittlerweile auf über 70 Mrd. Dollar angeschwollen. Es hat steuerliche Gründe, warum das nicht repatriiert und als Dividende ausgeschüttet wird, aber Investitionsbedarf ist kaum vorhanden. Es würde jedenfalls kein Privater an Investitionen gehindert werden, wenn der Staat sich mehr Geld am Kapitalmarkt besorgen würde.

Selbst ein Professor Cochrane von der University of Chicago, ein profiliter Kritiker von Prof. Krugman und seinem Konzept Neokeynesianischer Konjunkturpolitik hat schon 2009 eingesehen:
I would be happiest if the Fed and Treasury satisfied the large demand for government debt and money by transparently buying or lending against high quality corporate and securitized debt, at market prices.
I wäre sehr zufrieden, wenn die Zentralbank und das Finanzministerium die große Nachfrage nach Staatsanleihen und Bargeld damit befriedigen, Schulden privater Gläubiger und verbriefte Forderungen zu Marktpreisen aufkaufen.
Warum er dann meint, Fiskalpolitik würde nicht wirken, ist beyond me, aber daß eine starke Nachfrage nach Staatsschuldpapieren besteht, ist selbst für ihn unbestreitbar. Es war damit selbst aus der Sicht einen Puristen der Neoklassik notwendig, die Staatsverschuldung zu erhöhen. Mit TARP hat man genau das getan. Es war nur die halbe Miete, aber es hat immerhin das Finanzsystem stabilisiert.
Aber manches Problem werde auch übertrieben. "Vor drei Monaten war Inflation das große Thema. Jetzt wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben, jetzt ist es die Staatsverschuldung", sagt der Finanzexperte und warnt: "Oft wird die Hysterie von denen geschürt, die daran verdienen."
Das ist wohl wahr. Aber die Tea Party und deren geistige Verwandte in Europa, die den Griechen und Spaniern Sparprogramme aufzwingen, die sind real und sie richten schon jetzt mächtig Schaden an. 21% Arbeitslosigkeit in Spanien sind ein gefährlicher Nährboden. Und wenn die grundlose Verteufelung von staatlichen Investitions- und Sozialprogrammen und die Verschuldung weitergeht, dann haben wir auch hier 1937. Und das alles, weil ein schlichtes Instrument für Sparer mit hohem Sicherheitsbedürfnis grundlegend mißverstanden wird. 
Johann Grabner


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