3. August 2011

Aufruhr in Arabien (19): "Assad gewähren zu lassen, ist keine Option", so "Zeit-Online". Nur, wie soll man es anstellen, ihn nicht gewähren zu lassen?

In "Zeit-Online" ist gegenwärtig ein Kommentar des "Tagesspiegel"-Redakteurs Frank Jansen zu lesen, der sich mit der Situation in Syrien und den Gefahren für den Nahen Osten befaßt; Gefahren, die sich aus der instabilien Lage in Syrien ergeben. Jansen schreibt:
Versinkt Syrien im Chaos, ist der Nahe Osten weit stärker betroffen als im Fall Libyen. Wird Syrien zunehmend instabil, strahlt die Eskalation auf Libanon aus, auf Israel, auf die Türkei und auch auf den Iran. (...)

Es ist nicht ausgeschlossen, dass der wankende Assad die Hisbollah in ein Abenteuer gegen Israel schicken könnte, um antiisraelische Ressentiments in Syrien zu mobilisieren, die Volk und Regime einen sollen. (...) Ein Schlag gegen "die Juden" wäre auch im Interesse des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, der schon lange Israels Vernichtung propagiert.
So ist es, leider. Es könnte jetzt das eintreten, was in diesem Blog vor einem Jahr zu lesen war: Die Gefahr eines Kriegs im Nahen Osten wächst. 2011 wird das entscheidende Jahr werden; ZR vom 21. 8. 2010.

Damals allerdings gab es noch keine Anzeichen dafür, daß Syrien sich im Gefolge eines "Arabischen Frühlings" destabilisieren würde. Aber die anderen Faktoren, durch welche die jetzige Lage in Syrien zu einer Gefahr für die ganze Region wird, waren schon vorhanden: Das Machtvakuum im Irak aufgrund des verfrühten Abzugs der US-Truppen; der Versuch des Iran, Kontrolle über den Irak zu gewinnen; die Bedrohung Israels durch die Atomrüstung des Iran und die vom Iran gesteuerte Hisbollah.

Nun ist Jansens Artikel überschrieben "Assad gewähren zu lassen, ist keine Option". Ja, was sind denn dann die Optionen? Jansens Antwort ist nachgerade rührend. Er erkennt richtig, daß für "eine militärische Operation ... der Wille, das Mandat und die nötigen Kräfte" fehlen. Und also? Und also schlägt Jansen vor, dem Dikator Assad, dem der Westen nicht an den Kragen kann, einen gehörigen Schrecken einzujagen:
Vielleicht wäre eine Antwort im Nahen Osten, wo alles mit allem zusammenhängt, über Libyen zu erlangen. Würde die Nato entschieden gegen Gadhafi vorgehen, wäre das auch ein starkes Signal in Richtung Syrien.
Es wäre, da Assad ja auch den Erkenntnisstand von Frank Jansen hat, das starke Signal, daß der Westen zwar in Libyen militärisch eingreifen kann, in Syrien aber nicht.



Aber einmal gesetzt den Fall, 2008 wäre nicht Barack Obama, sondern John McCain zum Präsidenten gewählt worden; gesetzt den dann wahrscheinlichen Fall, daß dieser Präsident sich mit dem Irak auf ein Fortbestehen der US-Truppenpräsenz geeinigt hätte, bis das Land selbst für seine innere Sicherheit sorgen kann. Gesetzt den Fall, die USA wären dadurch militärisch heute in der Lage, in Syrien so einzugreifen, wie das die von Frankreich und England geführten Luftstreitkräfte in Libyen tun.

Dann wäre keineswegs damit zu rechnen, daß durch ein solches militärisches Engangement stabilere Verhältnisse einkehren, als sie jetzt herrschen. Libyen, aus dem Jansen gern ein Signal Richtung Damaskus senden möchte, signalisiert nämlich allenfalls Bedenkliches. Stratfor hat es gestern unter der Überschrift "Libya: The perils of a humanitarian war" analysiert (Libyen - die Gefahren eines humanitären Kriegs; Artikel nur Abonnenten zugänglich. Siehe auch die Analyse George Friedmans vom März dieses Jahres):

Das Attentat auf den militärischen Führer der Rebellen, General Abdel Fattah Younis, ist noch immer mysteriös. Er war von der Front nach Bengasi zurückbeordert worden. Über seinen Tod hat der Führer des Übergangsrats der Rebellen (NTC), Mustafa Abdel-Jalil, unterschiedliche Versionen erzählt. Erst sagte er, Younis sei auf dem Weg nach Bengasi von einer Gruppe Bewaffneter überfallen worden; dann hieß es, er sei getötet worden, nachdem er in Bengasi bereits Gespräche geführt hatte.

Eine der Theorien zu seinem Tod lautet, daß er einer Fünften Kolonne innerhalb der Rebellenbewegung zum Opfer fiel, die aus einer islamistischen Terrororganisation (der Libyan Islamic Fighting Group) hervorgegangen ist und die mit Younis eine Rechnung zu begleichen hatte, weil dieser sie einst als Gaddafis Innenminister erbarmungslos verfolgt hatte. Drei Tage nach Younis' Tod gab der NTC bekannt, daß es ein fünfstündiges Gefecht zwischen der regulären Rebellenarmee und einer Fünften Kolonne gegeben habe, die sich gegen den NTC gestellt hätte.

Dies wirft ein Schlaglicht auf die Lage bei den Rebellen. Sie sind alles andere als eine homogene, demokratisch gesonnene Gruppe. Schon im März hatte der Oberkommandierende Europa der Nato, der amerikanische Admiral James Stavridis, vor der Möglichkeit gewarnt, daß zu den Rebellentruppen Elemente der Kaida und der Hisbollah gehören könnten (siehe auch Stratfors Analysen: "Noch nie waren die Dschihadisten in Libyen so gut bewaffnet wie jetzt". Scott Stewart über die Vorgänge in Ostlibyen; ZR vom 25. 2. 2011). Nach einem Sturz Gaddafis könnte der Krieg sich durchaus als ein Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Rebellengruppen fortsetzen (siehe "Piraten in Sizilien". Liegt ein Sturz Gaddafis eigentlich im Interesse Europas? Libyen und Afrika; ZR vom 7. 3. 2011).

Angenommen, diese Rebellen würden mit westlicher Hilfe siegen - wie ginge es denn dann weiter? Wer würde dann überhaupt Libyen regieren? fragt Stratfor am Ende des Artikels.



Die Nato ist in diesen Krieg gestolpert, ohne klare Kriegsziele zu haben, außer dem Sturz Gaddafis. Auch ein militärisches Eingreifen in Syrien könnte möglicherweise zum Sturz Assads und seiner Herrschaft der Alawiten führen.

Was nach einem Sturz Gaddafis kommen wird, weiß heute niemand. Ob ein Sturz Assads nicht viel schlimmere Folgen hätte als ein Fortbestehen seines Regimes, wäre ebensowenig abzusehen. So bedrohlich die Lage im Nahen Osten heute ist - Assad gewähren zu lassen, ist die einzige Option.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Großmoschee von Kairouan, Tunesien. Vom Autor Wotan unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0-Lizenz freigegeben. Bearbeitet. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.