7. August 2011

Marginalie: Was man zur Verhinderungen von Mordtaten wie denen Breiviks tun kann. Und was Unfug ist

Kann man überhaupt vorbeugend etwas tun, damit Mordtaten wie diejenigen von Anders Behring Breivik sich nicht wiederholen?

Mit Sicherheit verhindern kann man solche Taten nicht; so wenig, wie man überhaupt irgendeinen terroristischen Anschlag sicher verhindern kann. Man kann nur versuchen, es weniger wahrscheinlich zu machen, daß es zu solchen Taten kommt.

Breiviks Morde unterscheiden sich von den meisten terroristischen Anschlägen des vergangenen Jahrzehnts in zweierlei Hinsicht: Erstens hatten sie keinen islamistischen Hintergrund, wie ihn zum Beispiel die Anschläge von New York 2001, Madrid 2004, London 2005 und Mumbai 2008 hatten. Zweitens waren sie nicht das Werk einer terroristischen Organisation wie der Kaida, sondern eines Einzeltäters, eines "einsamen Wolfs".

Was folgt aus diesen beiden Besonderheiten für die Prävention?

Aus der ersten Besonderheit folgt gar nichts, außer der Trivialität, daß mörderischer Extremismus auf dem Boden nahezu jeder religiös-weltanschaulichen Haltung wachsen kann - vom Islam bis zum Tierschutzgedanken und bis zur christlich begründeten Gegnerschaft zur Abtreibung (siehe Der Mörder Breivik, Henryk M. Broder und die gefährliche Nähe der extremen Linken zum Terrorismus (Teil 1); ZR vom 4. 8. 2011).

Bei Breivik ist der Entschluß zum politischen Verbrechen auf dem Boden der Ablehnung von Islam und Multikulti gewachsen. Das diskreditiert diese Ablehnung ebensowenig, wie der Tierschutzgedanke dadurch diskreditiert wird, daß es terroristische Anschläge der Animal Rights Militia gibt. Schlechterdings keine politische Strömung, keine Religion kann sich dagegen schützen, daß aus ihr Extremisten hervorgehen, die ideologisch motivierte Verbrechen begehen.

Eine Mitverantwortung für terroristische Taten kann es allerdings geben. Sie entsteht aber erst dann, wenn aus der betreffenden Strömung oder Religion heraus zum Gesetzesbruch aufgerufen wird, wie das zum Beispiel islamistische Haßprediger tun; und wie es auf der Linken im Vorfeld der RAF seinerzeit Herbert Marcuse getan hat (siehe Der Mörder Breivik, Henryk M. Broder und die gefährliche Nähe der extremen Linken zum Terrorismus (Teil 2); ZR vom 5. 8. 2011). Weder Henryk M. Broder noch Geert Wilders haben aber jemals zum Gesetzesbruch aufgerufen; Liberale und Konservative tun das in aller Regel nicht.

Bei der zweiten Besonderheit der Taten Breiviks sieht es anders aus: Der Umstand, daß er als Einzeltäter gehandelt hat, wirft konkrete Fragen der Prävention auf. Denn die Mittel, die üblicherweise im Vorfeld geplanter terroristischer Anschläge eingesetzt werden, um diese möglichst zu verhindern (Telefonüberwachung, Einschleusen von V-Leuten usw.), versagen hier (siehe Tätertyp "Einsamer Wolf". Breivik und sein "Manifest" im Kontext des Internationalen Terrorismus; ZR vom 30. 7. 2011).



Wenn man sich diese Sachverhalte vergegenwärtigt, dann wird deutlich, wie sehr die deutsche Diskussion über die Konsequenzen, die aus den Taten Breiviks zu ziehen sind, am Thema vorbeigeht; ja wie diese Diskussion sich in eine nachgerade absurde Richtung bewegt.

In der "Zeit" dieser Woche steht ein Artikel von Christian Denso, den man auch bei "Zeit-Online" lesen kann. Titel: "Welche rechte Gefahr?". Vorspann:
Islamisten beobachtet der Verfassungsschutz genau, Rechtspopulisten so gut wie gar nicht. Wird der Massenmord von Norwegen daran etwas ändern?
In dem Artikel schildert Denso, daß und warum rechtspopulistische Gruppen und Blogs nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden:
Bisher ziehen die Nachrichtendienstler ihre Einschätzungen im Wesentlichen aus offenen Quellen wie Parteiprogrammen oder dem Blog Politically Incorrect (PI). Immer wieder haben sie geprüft, ob auch Rechtspopulisten verfassungsfeindliche Bestrebungen zeigen – so wie Rechtsextremisten, die sich beispielsweise eine Diktatur wie das "Dritte Reich" zurückwünschen. Aber die Verfassungsschützer wurden nicht fündig. So gibt sich PI, ein Leitmedium der deutschen Islam-Opposition, pro-israelisch, pro-amerikanisch und bekennt sich ausdrücklich zum Grundgesetz.

Damit erfüllt die Seite laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht die gesetzlichen Voraussetzungen für die geheimdienstliche "Beobachtung", die erheblich weiter geht.
So ist es. Und so soll es, so muß es in einem demokratischen Rechtsstaat sein.

Wer sich mit seinen politischen Überzeugungen innerhalb des Grundgesetzes bewegt, der kann nicht Gegenstand der Beobachtung durch den Verfassungsschutz (VS) sein. Eine vom Konsens der Mehrheit abweichende Gesinnung genügt nicht; sonst müßte beispielsweise die gesamte Partei "Die Linke" und müßten Sozialdemokraten, die mit dieser politisch zusammenarbeiten, vom VS beobachtet werden (siehe Das Versprechen der Hannelore Kraft. Übrigens: Was macht eigentlich Andrea Ypsilanti?; ZR vom 20. 6. 2010).

Eigentlich sollten gerade Liberale gegen eine Ausweitung der Befugnisse des VS sein. Der Redakteur der liberalen "Zeit" Christian Denso läßt aber rechtstaatliche Skrupel nicht erkennen:
Niemand kann sich einen Geheimdienst wünschen, der außerhalb des Rechts agiert. Aber das Gesetz ist seit Jahrzehnten im Wesentlichen unverändert, und nun, nach Oslo, stellt sich die Frage: Verhindern die Vorschriften womöglich, dass die Gefahr des Rechtspopulismus richtig ausgelotet wird? Wie soll rechtzeitig erkannt werden, wann aus Meinungen "Bestrebungen" werden? Wenn hasserfüllte Worte zu Gewalttaten führen? "Wir müssen uns nach den Taten von Norwegen fragen, ob Rechtspopulisten, die offen Islamhass propagieren, damit nicht auch Grundrechte und das Grundgesetz in Frage stellen und dementsprechend behandelt werden müssen", sagt der SPD-Innenexperte Michael Hartmann.
Die Nonchalance, mit welcher Denso hier seine Sympathie für die Ausweitung geheimdienstlicher Befugnisse des VS erkennen läßt, ist als solche schon bemerkenswert. Aber sehen wir einmal davon ab, daß da von liberalem Geist wenig zu spüren ist - wie wären denn die Erfolgsaussichten eines solchen Schritts in Richtung Überwachungsstaat?

Sie wären null. Der Gedanke, einen eventuellen deutschen Breivik dadurch rechtzeitig entdecken zu können, daß man Blogs wie PI oder Gruppen wie "Pro Köln" durch den VS überwacht, ist schlicht Unfug.

Denn es ist doch gerade das Problem bei Einzeltätern wie Breivik, daß sie sich eben nicht in einem derartigen Umfeld bewegen. Erstens, weil sie mit ihrer Ideologie des bewaffneten Kampfs dort überhaupt keine Gesinnungs-genossen finden würden. Zweitens - und vor allem - , weil es ja gerade die Strategie des "einsamen Wolfs" ist, ein solches Umfeld zu vermeiden, um der Gefahr des Entdecktwerdens zu entgehen.



Wer ernsthaft glaubt, eine Überwachung von Rechtspopulisten durch den VS würde es weniger wahrscheinlich machen, daß Breivik in Deutschland einen Nachahmungstäter findet, der hat also von der Materie erkennbar keine Ahnung. Allerdings wird man nicht ausschließen können, daß manche dies propagieren, obwohl sie von der Materie durchaus eine Ahnung haben; daß sie Breiviks Verbrechen instrumentalisieren, um im politische System der Bundesrepublik die Gewichte ein wenig zu ihren Gunsten zu verschieben.

Was aber nun kann man präventiv tun? Der Terrorismus-Experte von Stratfor, Scott Stewart, hat es erläutert (Artikel auch Nichtabonnenten zugänglich): Die Sicherheitsdienste - in den USA vor allem das FBI, in England MI5, in Deutschland der VS - können wenig ausrichten, weil sich Einzeltäter - siehe oben - nun einmal den üblichen Methoden der Infiltration und Überwachung entziehen. Zu suchen sei, schreibt Stewart, deshalb nicht nach dem "wer?", sondern nach dem "was?". Man kann den Kreis potentieller Täter kaum erfassen; aber man kann nach Handlungen im Vorfeld der Tat suchen.

Dabei wären die Sicherheitsdienste aber überfordert. Gefordert sei, schreibt Stewart, zum einen die Polizei, die geschult werden müsse, ein Auge auf mögliche Anzeichen bevorstehender Anschläge zu haben - illegale Beschaffung von Waffen, Dokumentenfälschung, auffälliges Verhalten bei Verkehrskontrollen; dergleichen. Stewart nennt eine Reihe von Beispielen dafür, wie auf diesem Weg geplante Anschläge von Einzeltätern rechtzeitig entdeckt werden konnten. In den USA werden Polizisten bereits in situational awareness geschult, dem Erfassen solcher Situationen.

Aber auch gewöhnliche Bürger können hier ihren Beitrag leisten, meint Stewart:
Other people such as neighbors, store clerks, landlords and motel managers can also find themselves in a position to notice operational planning activities. Such activities can include purchasing bombmaking components and firearms, creating improvised explosive mixtures and conducting preoperational surveillance.

Andere Personen wie Nachbarn, Verkäufer, Vermieter und Betreiber von Motels können auch in die Lage kommen, Aktivitäten bei der Vorbereitung von Anschlägen zu bemerken. Solche Aktivitäten können zum Beispiel darin bestehen, Material für den Bau von Bomben und Waffen zu kaufen, improvisierte Mischungen für Sprengkörper herzustellen und vor Anschlägen Ausspähungen vorzunehmen.
Auch hier nennt Stewart eine Reihe von Beispielen dafür, daß aufmerksame Bürger Anschläge verhindert haben, indem sie solche Dinge bemerkten und die Polizei informierten.

Viel ist das nicht. Mit der Gefahr von Anschlägen durch Einzeltäter werden wir leben müssen. Aber das, was Stewart nennt, ist immerhin eine rationale, sachgerechte Antwort. Das, was der Redakteur Denso so wohlwollend beschreibt und was der SPD-Innenexperte Michael Hartmann so lauthals fordert, ist hingegen zur Bekämpfung dieser Gefahr ungefähr so geeignet wie Voodoo-Zauber, um sich vor dem Einschlag eines Blitzes zu schützen.
Zettel



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