4. August 2011

Sozialistischer Sommer in Israel

So bezeichnet Michael Freund in der Jerusalem Post die Protestbewegung, die in der deutschen Presse noch immer als arabischer Frühling in Israel firmiert. Wohnungsknappheit und stark steigende Lebenshaltungskosten sind tatsächlich ein Problem, aber wenn "linksradikale Anarchisten eine wichtige Protestbewegung kidnappen", dann macht das eine Analyse nicht einfach. Sicher ist es nicht die Schuld der "neoliberalen" Likud-Regierung, weil wenn Israel bereits eines in ausreichendem Maße hat, dann sind es Staatseingriffe in die Märkte.   
Die wichtigsten Komponenten im Wohnungsbau sind Verfügbarkeit von Grundstücken und die Baukosten. Schon das erste Thema kann durch an der Oberfläche unproblematisch wirkende Effekte enorme Auswirkungen haben, wie ein Vergleich zwischen Deutschland und England zeigt.
In beiden Ländern entscheidet die lokale Behörde über den Ausweis von Bauland und die Art der Bebauung. In Deutschland gilt dann aber die Regel daß gebaut werden darf, wenn nichts dagegen spricht. Lehnt die lokale Behörde eine Baubewilligung trotzdem ab, dann kann sie vor den Verwaltungsgerichten erzwungen werden. In England (und in Israel) bedarf es dagegen einer individuellen Baugenehmigung, die offenbar nach Gutdünken ausgestellt werden können. In Israel warten etwa 300 Häuser in Beitar Illat auf eine Baugenehmigung. Für die unter Militärverwaltung stehenden Gebiete ist der Verteidigungsminister zuständig und Ehud Barack läßt die Anträge seit einem Jahr liegen. Das mag vernünftige Gründe aus seiner Sicht haben, aber die Wohnungsnot nimmt ständig zu, weil diese Gebiete ein starkes Bevölkerungswachstum aufweisen.
Die Lastenverteilung macht dann auch einen großen Unterschied im Willen der Lokalbehörden aus, neue Wohnflächen zu widmen. In beiden Ländern sind die Kommunen für die lokale Infrastruktur wie Abwasser und Straßenbeleuchtung zuständig. In Deutschland belohnt der Finanzausgleich allerdings wachsende Gemeinden, da proportional nach Größe Geld fließt. In England ist dieser Mechanismus mit fixen Zuweisungen rigider und es gehen auch mehr Steuern direkt an den Bund. Daher sind die Bürgermeister weniger an neuen Einwohnern interessiert, denn sie haben zuerst die Lasten zu tragen, während die Einnahmen vorerst gleich bleiben. 
Was es an Regulierung auf der Seite der Verfügbarkeit zu viel gibt, das fehlt wiederum auf der Kostenseite, konkret bei der Finanzierung. 100% Kredite auch für einkommensschwache Personen haben die Nachfrage und damit die Preise hochgetrieben. Dagegen war die Hypothekenvergabe in Deutschland immer restriktiver, auch da man nicht davon ausgehen konnte, das die Häuser einen starken Wertzuwachs erleben werden. Was dann auch zeigt, wie Blasen durch vergleichsweise unscheinbare Ursachen entstehen können: eine künstliche Verknappung eines Gutes erzeugt Preissteigerungen, die wiederum neue Käufer anlocken, die hoffen, von diesen steigenden Preisen zu profitieren, was wiederum die Preise antreibt und die Kreditvergabe auch an Kunden mit schwacher Bonität möglich macht, weil Häuser ja eh immer im Wert steigen ...
Und auf der Kostenseite gibt es in Israel noch die Nesher Israel Cement Enterprises, die offenbar nahezu ein Monopol auf Zement haben. Sie konnten bei der Regierung immer wieder eine Verlängerung von Importrestriktionen mit dem Argument durchsetzen, die Konkurrenz aus der Türkei oder Jordanien würde zu Dumpingpreisen anbieten. Ein beliebtes Argument, um sich unerwünschte Konkurrenz vom Leib zu halten. Die Betreiber haben dann noch weitere Teile der Bauindustrie des Landes unter Kontrolle. Als Ausgleich für das faktische Monopol setzt die Regierung den Zementpreis fest. Was auch immer die Kalkulationsgrundlage dafür ist, man kann sicher sein, daß es nicht der Preis ist, der bei vollständiger Konkurrenz zustande kommen würde.
Forderungen der mittlerweile von der extremen Linken dominierten Protestbewegung nach Enteignung von Wohnungseigentümern oder eines staatlichen Wohnbauprogramms sind untauglich, um ein primär vom Staat verursachtes Problem zu lösen. Bürokratie und verkrustete Wirtschaftsstrukturen müssen bekämpft werden, d.h. mehr, und nicht weniger Marktwirtschaft ist nötig. 


Freilich wäre es auch hilfreich, das allgemeine Wohlstandsniveau zu erhöhen. Israel leistet sich den Luxus, an die 50.000 Männer im arbeitsfähigen Alter freiwillig arbeitslos sein zu lassen und einige von ihnen sogar dafür zu bezahlen, sich ausschließlich mit religiösen Studien zu beschäftigen. Erst letztes Jahr wurde das bisher an ca. 10.000 Studenten ausgezahlte Stipendium auf maximal 5 Jahre beschränkt. Das sollte mehr als die momentan bloß 25% Haredim dazu bewegen, sich einen Job zu suchen. Vielleicht sogar in der Bauwirtschaft.
Johann Grabner

© Johann Grabner. Für Kommentare bitte hier klicken.