In einer ersten Analyse untersucht der Stratfor-Experte für den Mittleren Osten Bayless Parsley, welche politischen und militärischen Kräfte den zu erwartenden Sieg über Gaddafi für sich reklamieren und damit einen Machtanspruch für die Zukunft stellen werden. Ich fasse diese Analyse (nur für Abonnenten zugänglich) zusammen; ergänzt durch anderes Material, hauptsächlich ebenfalls von Stratfor:
Auch mit einer Eroberung von Tripolis - die bisher noch lange nicht vollständig stattgefunden hat - wird der Krieg nicht zu Ende sein. Gaddafis Truppen kontrollieren weiterhin die Städte Sirte und Sabha. Sollten die Rebellen auch dort und in Tripolis siegen, dann wird Libyen von einer Reihe bewaffneter Gruppen beherrscht werden, zwischen denen Kämpfe zu erwarten sind.
Der Nationale Übergangsrat (National Transitional Council, NTC), der seinen Sitz bisher in Bengasi hatte und der dann nach dem 650 km entfernten Tripolis umziehen wird, ist die Dachorganisation von unterschiedlichen, oft miteinander verfeindeten Kräften, die nur zweierlei gemeinsam haben: Sie werden alle mit der Bezeichung "libysche Rebellen" belegt, und sie wollen den Sturz Gaddafis. Sobald dieses gemeinsame Ziel erreicht ist, dürfte es unter ihnen zu erheblichen Auseinandersetzungen kommen.
Die Führung des NTC rekrutiert sich überwiegend aus Gruppen, die in Ostlibyen (Cyrenaika) verwurzelt sind, einem historisch von Westlibyen (Tripolitanien) getrennten Landesteil (siehe Die aktuelle Lage in den arabischen Ländern und im Iran. Teil 3: Libyen; ZR vom 21. 2. 2011, sowie Die Stämme Libyens und ihre Rolle im jetzigen Machtkampf; ZR vom 26. 2. 2011). Der Anspruch dieses NTC, jetzt auch in Westlibyen zu herrschen, dürfte dort auf Widerstand stoßen.
In den vergangenen Monaten hat keine gemeinsam geführte "Rebellenarmee" gekämpft, sondern es haben sich in verschiedenen Gegenden bewaffnete Gruppen gebildet, die jeweils ihre eigene Führung haben. Sie waren mit dem NTC nur locker verbunden; hauptsächlich durch die Lieferungen, die sie aus Bengasi erhielten. Alle diese lokalen Kräfte mit ihren verschiedenen politischen Zielen, die sich aus verschiedenen Stämmen und Clans rekrutieren, werden nach einem Fall Gaddafis ihren Machtanspruch erheben.
Da ist zum einen die Gruppe von Marsa el Brega, deren Hauptstützpunkt Ajdabiya südlich von Bengasi nahe bei den Ölfeldern liegt. Sie hat in den vergangenen Kämpfen die schwächste militärische Leistung gezeigt, ist aber aufgrund der geographischen Nähe am engsten mit dem NTC in Bengasi verflochten und wird von diesem unterstützt werden, wenn es daran geht, nach Gaddafis Sturz die Macht aufzuteilen. Mit den Ölfeldern hat sie ein wichtiges Faustpfand in der Hand.
Dann gibt es den Gegensatz zwischen Arabern und Berbern. Berber aus dem Nafusa-Gebirge waren wesentlich am entscheidenden Vorstoß auf Tripolis beteiligt. Arabische Kämpfer schlossen sich ihnen in Zawiya und Zabrata an und waren diejenigen, die dann als erste in Tripolis einmarschierten. Beide Ethnien dürften den Sieg für sich beanspruchen. Beide werden aber damit zu rechnen haben, daß die Bewohner der Stadt sich von keinen fremden Befreiern werden regieren lassen wollen.
Eine weitere, weitgehend selbständig operierende Gruppe sind die Rebellen von Misurata, die im Westen nahe Zlitan in den vergangenen Wochen eine neue Front errichteten. Sie haben sich immer wieder geweigert, Befehle aus Bengasi entgegenzunehmen, erhielten von dort aber auf dem Seeweg Waffen, Medikamente, Treibstoff und Nahrungsmittel. Ihren Anspruch auf einen wesentlichen Teil der Macht nach einem Ende des Gaddafi-Regimes begründen sie teils mit ihren Erfolgen beim Kampf um Misurata, teils auch damit, daß sie durch die Entsendung eines Schiffs unmittelbar am Kampf um Tripolis beteiligt waren und sind.
Sodann gibt es Gruppen von Dschihadisten, die zuvor im Irak und/oder in Afghanistan gekämpft hatten. Sie haben sich dem NTC nur formal unterstellt. Möglicherweise sind sie für den Tod des militärischen Führers des NTC, General Abdel Fattah Younis, verantwortlich, der unter ungeklärten Umständen ermordet wurde (siehe "Assad gewähren zu lassen, ist keine Option", so "Zeit-Online". Nur, wie soll man es anstellen, ihn nicht gewähren zu lassen?; ZR vom 3. 8. 2011). Gestern hat Mustafa Abdel-Jalil, der Vorsitzende des NTC, seine Sorge über die Dschihadisten geäußert. Es sei für ihn "keine Ehre", einem NTC anzugehören, an dem auch diese islamistischen Rebellen beteiligt seien.
Und schließlich hat es in den letzten Tagen einen bewaffneten Aufstand in Tripolis gegeben, parallel zum Vorrücken der verschiedenen Gruppen auf die Stadt. Inzwischen gibt es Informationen, daß in dieser noch andauernden Phase Spezialeinheiten aus Frankreich, Großbritannien und anderen Ländern eine wesentliche Rolle gespielt haben.
Auch wenn es gegenwärtig danach aussieht, daß Gaddafi die Macht verlieren wird, ist damit keineswegs gesagt, daß es keine ihm ergebenen Truppen mehr gibt. Es ist möglich, daß diese sich vorerst auf bestimmte Stützpunkte zurückgezogen haben, um von dort den Widerstand gegen die siegreichen Rebellen zu organisieren. Dabei kämen ihnen ihre Ausbildung, die schweren Waffen, über die sie verfügen, und ihre Ortskenntnis in Tripolis zugute.
Nimmt man das alles zusammen, dann ist zu befürchten, daß selbst dann, wenn der Aufstand gegen Gaddafi siegreich zu Ende geht, damit die Kämpfe um die Macht keineswegs beendet sein werden.
Auch mit einer Eroberung von Tripolis - die bisher noch lange nicht vollständig stattgefunden hat - wird der Krieg nicht zu Ende sein. Gaddafis Truppen kontrollieren weiterhin die Städte Sirte und Sabha. Sollten die Rebellen auch dort und in Tripolis siegen, dann wird Libyen von einer Reihe bewaffneter Gruppen beherrscht werden, zwischen denen Kämpfe zu erwarten sind.
Der Nationale Übergangsrat (National Transitional Council, NTC), der seinen Sitz bisher in Bengasi hatte und der dann nach dem 650 km entfernten Tripolis umziehen wird, ist die Dachorganisation von unterschiedlichen, oft miteinander verfeindeten Kräften, die nur zweierlei gemeinsam haben: Sie werden alle mit der Bezeichung "libysche Rebellen" belegt, und sie wollen den Sturz Gaddafis. Sobald dieses gemeinsame Ziel erreicht ist, dürfte es unter ihnen zu erheblichen Auseinandersetzungen kommen.
Die Führung des NTC rekrutiert sich überwiegend aus Gruppen, die in Ostlibyen (Cyrenaika) verwurzelt sind, einem historisch von Westlibyen (Tripolitanien) getrennten Landesteil (siehe Die aktuelle Lage in den arabischen Ländern und im Iran. Teil 3: Libyen; ZR vom 21. 2. 2011, sowie Die Stämme Libyens und ihre Rolle im jetzigen Machtkampf; ZR vom 26. 2. 2011). Der Anspruch dieses NTC, jetzt auch in Westlibyen zu herrschen, dürfte dort auf Widerstand stoßen.
In den vergangenen Monaten hat keine gemeinsam geführte "Rebellenarmee" gekämpft, sondern es haben sich in verschiedenen Gegenden bewaffnete Gruppen gebildet, die jeweils ihre eigene Führung haben. Sie waren mit dem NTC nur locker verbunden; hauptsächlich durch die Lieferungen, die sie aus Bengasi erhielten. Alle diese lokalen Kräfte mit ihren verschiedenen politischen Zielen, die sich aus verschiedenen Stämmen und Clans rekrutieren, werden nach einem Fall Gaddafis ihren Machtanspruch erheben.
Da ist zum einen die Gruppe von Marsa el Brega, deren Hauptstützpunkt Ajdabiya südlich von Bengasi nahe bei den Ölfeldern liegt. Sie hat in den vergangenen Kämpfen die schwächste militärische Leistung gezeigt, ist aber aufgrund der geographischen Nähe am engsten mit dem NTC in Bengasi verflochten und wird von diesem unterstützt werden, wenn es daran geht, nach Gaddafis Sturz die Macht aufzuteilen. Mit den Ölfeldern hat sie ein wichtiges Faustpfand in der Hand.
Dann gibt es den Gegensatz zwischen Arabern und Berbern. Berber aus dem Nafusa-Gebirge waren wesentlich am entscheidenden Vorstoß auf Tripolis beteiligt. Arabische Kämpfer schlossen sich ihnen in Zawiya und Zabrata an und waren diejenigen, die dann als erste in Tripolis einmarschierten. Beide Ethnien dürften den Sieg für sich beanspruchen. Beide werden aber damit zu rechnen haben, daß die Bewohner der Stadt sich von keinen fremden Befreiern werden regieren lassen wollen.
Eine weitere, weitgehend selbständig operierende Gruppe sind die Rebellen von Misurata, die im Westen nahe Zlitan in den vergangenen Wochen eine neue Front errichteten. Sie haben sich immer wieder geweigert, Befehle aus Bengasi entgegenzunehmen, erhielten von dort aber auf dem Seeweg Waffen, Medikamente, Treibstoff und Nahrungsmittel. Ihren Anspruch auf einen wesentlichen Teil der Macht nach einem Ende des Gaddafi-Regimes begründen sie teils mit ihren Erfolgen beim Kampf um Misurata, teils auch damit, daß sie durch die Entsendung eines Schiffs unmittelbar am Kampf um Tripolis beteiligt waren und sind.
Sodann gibt es Gruppen von Dschihadisten, die zuvor im Irak und/oder in Afghanistan gekämpft hatten. Sie haben sich dem NTC nur formal unterstellt. Möglicherweise sind sie für den Tod des militärischen Führers des NTC, General Abdel Fattah Younis, verantwortlich, der unter ungeklärten Umständen ermordet wurde (siehe "Assad gewähren zu lassen, ist keine Option", so "Zeit-Online". Nur, wie soll man es anstellen, ihn nicht gewähren zu lassen?; ZR vom 3. 8. 2011). Gestern hat Mustafa Abdel-Jalil, der Vorsitzende des NTC, seine Sorge über die Dschihadisten geäußert. Es sei für ihn "keine Ehre", einem NTC anzugehören, an dem auch diese islamistischen Rebellen beteiligt seien.
Und schließlich hat es in den letzten Tagen einen bewaffneten Aufstand in Tripolis gegeben, parallel zum Vorrücken der verschiedenen Gruppen auf die Stadt. Inzwischen gibt es Informationen, daß in dieser noch andauernden Phase Spezialeinheiten aus Frankreich, Großbritannien und anderen Ländern eine wesentliche Rolle gespielt haben.
Auch wenn es gegenwärtig danach aussieht, daß Gaddafi die Macht verlieren wird, ist damit keineswegs gesagt, daß es keine ihm ergebenen Truppen mehr gibt. Es ist möglich, daß diese sich vorerst auf bestimmte Stützpunkte zurückgezogen haben, um von dort den Widerstand gegen die siegreichen Rebellen zu organisieren. Dabei kämen ihnen ihre Ausbildung, die schweren Waffen, über die sie verfügen, und ihre Ortskenntnis in Tripolis zugute.
Nimmt man das alles zusammen, dann ist zu befürchten, daß selbst dann, wenn der Aufstand gegen Gaddafi siegreich zu Ende geht, damit die Kämpfe um die Macht keineswegs beendet sein werden.
Zettel
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