28. August 2011

Marginalie: Der Hurrikan "Irene" und die trotzigen Senioren von Atlantic City. Selbstbestimmung und Gemeinwohl

Atlantic City ist ein Seebad im US-Bundesstaat New Jersey, das für sein Angebot an Unterhaltung und gutem Essen bekannt ist und in dem viele Senioren ihren Lebensabend verbringen.

Gestern war in CNN ein Bericht über diese Senioren zu sehen, der - so ernst das Thema ist - etwas Rührendes hatte. Einige von ihnen - es war anfangs von 600 die Rede; jetzt mögen es noch wenige 100 sein - weigern sich nämlich, den Aufforderungen zur Evakuierung Folge zu leisten; sie sind regelrecht in Widerstand gegangen.

In dem Bericht sah man eine Gruppe älterer Damen versammelt; die Szene ähnelte sehr den Golden Girls. Sie wollten zusammenbleiben und nicht auf Notunterkünfte verteilt werden. Man wohne oben im Gebäude, sei mit allem versorgt und fürchte keinen vorübergehenden Stromausfall. In einem anderen Bericht wird auf das Problem hingewiesen, Haustiere in die Notunterkünfte mitzunehmen.

In einer der Seniorenresidenzen wurde gestern Abend sogar gefeiert. Im Best of Life Park gab es nach Auskunft der Managerin Dorothea Arlotta unter den 80 Bewohnern, die zum Ausharren entschlossen waren, eine "Goodnight Irene"-Party mit Wein und Käse. Man wolle die Gemeinschaft nicht verlassen und halte es - nach den Erfahrungen bei "Katrina" - für sicherer, im Gebäude zu bleiben, als sich den überforderten Rettungskräften auszuliefern.



Wie finden Sie so etwas? Die erste Reaktion wird in der Regel sein: "Wie kann man nur so unvernünftig sein! Altersstarrsinn". Aber vielleicht ist die Risikoabwägung dieser Senioren ja vernünftig?

Ihr Haus brauchen sie einige Tage nicht zu verlassen; davon raten die Behörden sogar in der Regel dringend ab. Die oberen Stockwerke ihres 13stöckigen Gebäudes wird die Flut nicht erreichen; einen Sturm der Hurrikanstärke 1 wird es ebenfalls überstehen. Wenn man vorgesorgt und sich mit Nahrung, Kerzen, Batterien usw. versehen hat, dann kann man auch einen Stromausfall einige Tage aushalten.

Aus ihrer Perspektive könnten diese Menschen sich also durchaus rational verhalten. Sie wissen, daß sie ein Risiko eingehen. Aber wer alt geworden ist, der hat verstanden, daß das Leben nun einmal voller Risiken ist.

Das Problem aus der Sicht der Gemeinde ist natürlich, daß nicht alle Bewohner sich so verhalten dürften; denn nicht alle in einem möglichen Überflutungsgebiet wären so weitgehend ungefährdet. Manche könnten wirklich in Lebensgefahr kommen und dann nicht mehr gerettet werden können. Generell ist also die Evakuierung aus der Perspektive der Behörden richtig.

Was tun? In Atlantic City versucht man es mit Überreden. Mehr nicht. Wer bleiben will, der darf bleiben. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Im land of the free, wie es in der amerikanischen Nationalhymne heißt, dem Land der Freien.
Zettel



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