Sehen Sie sich bitte einmal diese Abbildung genau an (für die volle Größe anklicken). Dann haben Sie, ohne weiterzulesen, bereits Vieles von dem verstanden, was in diesem Artikel steht.
Die Abbildung stammt aus einem gestrigen Aufsatz im Informationsdienst Stratfor, den ich schon häufig zitiert habe. Der Autor ist der Stratfor- Chef George Friedman. Titel: "Erdogan's outburst and the future of the Turkish state" - Erdogans Ausbruch und die Zukunft des türkischen Staats.
Mit "Zukunft" meint Friedman die geopolitische ebenso wie die innenpolitische Zukunft der Türkei. Beide hängen eng miteinander zusammen, schreibt Friedman, und der Ausbruch Erdogans sollte im Zusammenhang damit gesehen werden.
Im folgenden fasse ich aus meiner eigenen Sicht das zusammen, was mir an dem Artikel Friedmans besonders interessant erscheint. Diesen ganz zu lesen empfehle ich sehr.
Innenpolitisch ist die Situation der Türkei durch drei Faktoren gekennzeichnet: Erstens eine schnell wachsende Wirtschaft. Zweitens eine islamistische Bewegung, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Drittens ein Militär, das sich als Wächter der laizistischen kemalistischen Tradition im Inneren und einer zurückhaltenden, nicht- imperialistischen Außenpolitik versteht; mit traditionell guten Beziehungen zu Israel.
Erdogan verkörpert so etwas wie den Vektor aus diesen drei Kräften. Er ist Islamist, aber ein gemäßigter. Er ist ein türkischer Nationalist, aber bisher keiner mit imperialistischen Gelüsten; westlich orientiert wie das Militär. Er ist mit seiner Politik einer Modernisierung der Türkei auch der Mann der Wirtschaft.
Diese drei Kräfte schränken aber auch seinen Spielraum ein. In diesem Kontext muß man seinen Ausbruch in Davos sehen - ob nun echt oder gespielt; ob von langer Hand vorbereitet oder aus der Situation heraus entstanden.
Der Gaza- Krieg hat die türkischen Islamisten mobilisiert. Ihnen mußte Erdogan Zucker geben; aber möglichst so, daß kein diplomatisches Prozellan zerdeppert wird.
Dem diente der Eklat in Davos auf eine perfekte Weise. Sein Adressat war ja nicht der Staatspräsident Peres; also war es kein Affront gegen Israel. Erdogan protestierte vielmehr gegen den Moderator, den Kolumnisten der Washington Post David Ignatius. Aber in der Öffentlichkeit der Türkei wurde der Vorfall so wahrgenommen, daß Erdogan Israel in seine Schranken gewiesen hatte. Es war Theaterdonner; eine Vorstellung für die Galerie. Friedman:
Die Abbildung zeigt diese geostrategische Lage der Türkei sowie die Grenzen des einstigen Osmanischen Reichs. Sie visualisiert die zentrale Position, die die heutige Türkei einnimmt:
Die eine besteht in einer Fortsetzung der Politik, die im Kern auf Kemal Pascha zurückgeht und die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg konkretisiert wurde.
Atatürk hatte erstens den radikalen Abschied von der Tradition des Osmanischen Reichs gewollt, zweitens eine westliche Orientierung der Türkei. In der Nachkriegszeit bedeutete das die Integration der Türkei in die Nato.
Dies war auch eine Reaktion auf die Bedrohung durch die Sowjetunion. Diese antwortete auf die Nato- Bindung der Türkei damit, daß sie einen eigenen Einflußbereich in Arabien aufbaute; vor allem in Ägypten, Syrien, dem Irak. (Später kamen andere Länder wie der Jemen hinzu). Auf diese zusätzliche Bedrohung von Süden her reagierte die Türkei ihrerseits damit, daß sie eine enge Zusammenarbeit mit Israel und mit dem Iran des Schah suchte.
Davon sind die Verbindungen zu Israel geblieben. Seit dem Ende der UdSSR haben sich aber auch die Beziehungen zur arabischen Welt verbessert, so daß die Türkei im Nahost- Konflikt ein wichtiger Vermittler geworden ist.
Das ist die traditionelle Option der Türkei; diejenige, die, wie gesagt, in der Tradition Kemal Paschas steht. Aber mit dem Aufkommen und der schnellen Ausbreitung des Islamismus steht die Türkei immer deutlicher vor einer alternativen Option:
Friedman weist darauf hin, daß die Türkei durchaus das Potential für eine solche imperiale Politik hat: Sie ist zusammen mit Indonesien, Pakistan, dem Iran und Ägypten eines der fünf großen islamischen Länder. Indonesien, Ägypten und Pakistan stecken aber in innenpolitischen Schwierigkeiten; Iran ist durch seine Konflikt mit den USA gebunden. Die Türkei mit ihrer hochgerüsteten Armee und ihrer boomenden Wirtschaft - weltweit inzwischen an 17. Stelle - könnte hingegen zur Führungsmacht der islamischen Welt aufsteigen.
Die Wahrscheinlichkeit, daß die Türkei diesen expansionischen Weg beschreiten wird, sieht Friedman als groß an. Gebremst werden könne sie allerdings durch Rußland, das seinerseits - siehe den Georgien- Krieg - die Expansion nach Süden sucht. Aber auch das werde langfristig wenig am Aufstieg der Türkei ändern:
Interessanterweise erwähnt George Friedman diesen Aspekt mit keinem Wort.
Die Abbildung stammt aus einem gestrigen Aufsatz im Informationsdienst Stratfor, den ich schon häufig zitiert habe. Der Autor ist der Stratfor- Chef George Friedman. Titel: "Erdogan's outburst and the future of the Turkish state" - Erdogans Ausbruch und die Zukunft des türkischen Staats.
Mit "Zukunft" meint Friedman die geopolitische ebenso wie die innenpolitische Zukunft der Türkei. Beide hängen eng miteinander zusammen, schreibt Friedman, und der Ausbruch Erdogans sollte im Zusammenhang damit gesehen werden.
Im folgenden fasse ich aus meiner eigenen Sicht das zusammen, was mir an dem Artikel Friedmans besonders interessant erscheint. Diesen ganz zu lesen empfehle ich sehr.
Innenpolitisch ist die Situation der Türkei durch drei Faktoren gekennzeichnet: Erstens eine schnell wachsende Wirtschaft. Zweitens eine islamistische Bewegung, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Drittens ein Militär, das sich als Wächter der laizistischen kemalistischen Tradition im Inneren und einer zurückhaltenden, nicht- imperialistischen Außenpolitik versteht; mit traditionell guten Beziehungen zu Israel.
Erdogan verkörpert so etwas wie den Vektor aus diesen drei Kräften. Er ist Islamist, aber ein gemäßigter. Er ist ein türkischer Nationalist, aber bisher keiner mit imperialistischen Gelüsten; westlich orientiert wie das Militär. Er ist mit seiner Politik einer Modernisierung der Türkei auch der Mann der Wirtschaft.
Diese drei Kräfte schränken aber auch seinen Spielraum ein. In diesem Kontext muß man seinen Ausbruch in Davos sehen - ob nun echt oder gespielt; ob von langer Hand vorbereitet oder aus der Situation heraus entstanden.
Der Gaza- Krieg hat die türkischen Islamisten mobilisiert. Ihnen mußte Erdogan Zucker geben; aber möglichst so, daß kein diplomatisches Prozellan zerdeppert wird.
Dem diente der Eklat in Davos auf eine perfekte Weise. Sein Adressat war ja nicht der Staatspräsident Peres; also war es kein Affront gegen Israel. Erdogan protestierte vielmehr gegen den Moderator, den Kolumnisten der Washington Post David Ignatius. Aber in der Öffentlichkeit der Türkei wurde der Vorfall so wahrgenommen, daß Erdogan Israel in seine Schranken gewiesen hatte. Es war Theaterdonner; eine Vorstellung für die Galerie. Friedman:
The Turkish prime minister needed to show his opposition to Israel’s policies to his followers in Turkey’s moderate Islamist community without alarming Turkey’s military that he was moving to rupture relations with Israel. Whether calculated or not, Erdogan’s explosion in Davos allowed him to appear to demonstrate vocal opposition to Israel — directly to Israel’s president, no less — without actually threatening ties with Israel.Das also ist - in Friedmans Analyse - die innenpolitische Seite, die freilich eng mit der geostrategischen Lage der Türkei verknüpft ist.
Der türkische Premier mußte seinen Anhängern in der moderat- islamistischen Gruppierung seine Opposition gegen die Politik Israels zeigen, ohne das türkische Militär befürchten zu lassen, daß er sich darauf zubewege, die Verbindungen zu Israel zu kappen. Ob nun kalkuliert oder nicht, die Explosion Erdogans in Davos erlaubte es ihm, scheinbar lautstarke Opposition gegen Israel zu zeigen - direkt gegenüber dem Präsidenten Israels, nichts Geringers als dies -, ohne aber die Bindungen zu Israel tatsächlich zu gefährden.
Die Abbildung zeigt diese geostrategische Lage der Türkei sowie die Grenzen des einstigen Osmanischen Reichs. Sie visualisiert die zentrale Position, die die heutige Türkei einnimmt:
Asia Minor is the pivot of Eurasia. It is the land bridge between Asia and Europe, the northern frontier of the Arab world and the southern frontier of the Caucasus. Its influence spreads outward toward the Balkans, Russia, Central Asia, the Arab world and Iran. Alternatively, Turkey is the target of forces emanating from all of these directions.In dieser Situation steht die heutige Türkei vor zwei geostrategischen Optionen.
Kleinasien ist die Drehachse Eurasiens. Es ist die Landbrücke zwischen Asien und Europa, die Nordgrenze der arabischen Welt und die Südgrenze des Kaukasus. Sein Einfluß erstreckt sich nach außen in Richtung Balkan, Rußland, Zentralasien, die arabische Welt und den Iran. Andersherum betrachtet, ist die Türkei das Ziel von Kräften, die von allen diesen Richtungen ausgehen.
Die eine besteht in einer Fortsetzung der Politik, die im Kern auf Kemal Pascha zurückgeht und die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg konkretisiert wurde.
Atatürk hatte erstens den radikalen Abschied von der Tradition des Osmanischen Reichs gewollt, zweitens eine westliche Orientierung der Türkei. In der Nachkriegszeit bedeutete das die Integration der Türkei in die Nato.
Dies war auch eine Reaktion auf die Bedrohung durch die Sowjetunion. Diese antwortete auf die Nato- Bindung der Türkei damit, daß sie einen eigenen Einflußbereich in Arabien aufbaute; vor allem in Ägypten, Syrien, dem Irak. (Später kamen andere Länder wie der Jemen hinzu). Auf diese zusätzliche Bedrohung von Süden her reagierte die Türkei ihrerseits damit, daß sie eine enge Zusammenarbeit mit Israel und mit dem Iran des Schah suchte.
Davon sind die Verbindungen zu Israel geblieben. Seit dem Ende der UdSSR haben sich aber auch die Beziehungen zur arabischen Welt verbessert, so daß die Türkei im Nahost- Konflikt ein wichtiger Vermittler geworden ist.
Das ist die traditionelle Option der Türkei; diejenige, die, wie gesagt, in der Tradition Kemal Paschas steht. Aber mit dem Aufkommen und der schnellen Ausbreitung des Islamismus steht die Türkei immer deutlicher vor einer alternativen Option:
Under this second vision, Turkey would extend its power outward in support of Muslims. This vision, if pursued to the full, would involve Turkey in the Balkans in support of Albanians and Bosnians, for example. It would also see Turkey extend its influence southward to help shape Arab regimes. And it would cause Turkey to become deeply involved in Central Asia, where it has natural ties and influence. Ultimately, this vision also would return Turkey to maritime power status, influencing events in North Africa. It is at its heart a very expansionist vision.In der Tat. Es ist ja nichts anderes als die Vision, das Osmanische Reich neu entstehen zu lassen (die Abbildung zeigt, daß dieses einst alle die von Friedman genannten Regionen umfaßte). Insofern nicht unähnlich dem Versuch Wladimir Putins (mit dem ja überhaupt Erdogan Vieles gemeinsam hat), das Reich der Zaren und der Sowjets wieder erstehen zu lassen.
Nach dieser zweiten Vision würde die Türkei ihre Macht nach außen hin erweitern, zur Unterstützung von Moslems. Bis zum Ende verfolgt, würde diese Vision beinhalten, daß daß die Türkei auf dem Balkan zum Beispiel Albaner und Bosnier unterstützt. Sie würde auch dazu führen, daß die Türkei ihren Einfluß in südliche Richtung ausdehnt, um arabischen Regimes ihren Stempel aufzudrücken. Und sie würde die Türkei veranlassen, sich bis weit hinein nach Zentralasien zu engagieren, wo sie natürliche Bindungen und Einfluß hat. Letztlich würde diese Vision die Türkei auch wieder zu einer Seemacht werden lassen, so daß sie das Geschehen in Nordafrika beeinflussen könnte. Es ist im Kern eine expansionistische Vision.
Friedman weist darauf hin, daß die Türkei durchaus das Potential für eine solche imperiale Politik hat: Sie ist zusammen mit Indonesien, Pakistan, dem Iran und Ägypten eines der fünf großen islamischen Länder. Indonesien, Ägypten und Pakistan stecken aber in innenpolitischen Schwierigkeiten; Iran ist durch seine Konflikt mit den USA gebunden. Die Türkei mit ihrer hochgerüsteten Armee und ihrer boomenden Wirtschaft - weltweit inzwischen an 17. Stelle - könnte hingegen zur Führungsmacht der islamischen Welt aufsteigen.
Die Wahrscheinlichkeit, daß die Türkei diesen expansionischen Weg beschreiten wird, sieht Friedman als groß an. Gebremst werden könne sie allerdings durch Rußland, das seinerseits - siehe den Georgien- Krieg - die Expansion nach Süden sucht. Aber auch das werde langfristig wenig am Aufstieg der Türkei ändern:
But regardless of what level Russian power returns to over the next few years, the longer- term growth of Turkish power is inevitable — and something that must be considered carefully.In der Tat. Und nicht zuletzt im Hinblick auf den Versuch der Türkei, Mitglied der EU zu werden.
Aber unabhängig davon, bis auf welche Höhe die Macht Rußlands in den kommenden Jahren zurückkehrt, ist langfristig der Machtzuwachs der Türkei unvermeidlich - und etwas, das sorgsam bedacht werden muß.
Interessanterweise erwähnt George Friedman diesen Aspekt mit keinem Wort.
Abbildung: Stratfor; mit Erlaubnis des Urhebers reproduziert. Für Kommentare bitte hier klicken.