20. Dezember 2021

Paul Scheerbart, "Der Halleysche Komet" (1909)







(Die Krolloper in Berlin („Kroll’s Etablissement“), Stahlstich von Rohbock & Höfer, 1855. Die von Wilhelm Beer 1829 eingerichtete Privatsternwarte auf dem Dach seiner Villa im Tiergarten ist rechts im Hintergrund zu sehen.)

Im Jahre 1835 besuchte der berühmte Astronom Mädler den Salon der Frau Martha Faber in der Französischen Straße zu Berlin. Dreißig Damen und Herren des besten literarischen Gesellschaft waren im Salon und tranken Tee. Und Mädler stand auf und sagte:

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„Meine Damen und Herren! Da gerade der Halleysche Komet pünktlich wiedergekommen ist, so werden Sie es einem Astronomen wohl nachfühlen können, wenn er seine Ansichten über dieses Ereignis aussprechen möchte. Drucken lassen kann ich es nicht, was ich darüber denke: man würde mich steinigen. Aber hier ist ja ein freies Wort erlaubt. Zunächst meine ich, daß wir auf das Vorhersagen der Wiederkunft gar nicht so stolz zu sein brauchen. Wenn ein astrales Lebewesen zehnmal denselben Weg geht, so ist es immer wahrscheinlich, daß es ihn auch zum elften Male geht. Die Erde ging ein paar tausend Jahre hindurch denselben Weg, sie wird ihn wahrscheinlich auch noch ein kommendes Jahrtausend gehen. Sicher ist das nicht. Wir wissen nicht einmal, ob die Erde vor hunderttausend Jahren den Weg ging, den sie heute geht. Es kann alles anders kommen, als wir denken. Die kleinen Asteroiden, die wir vor kurzem entdeckten, werden wohl nicht so regelmäßig denselben Weg einschlagen – wie die andern Planeten. Und darum müssen wir uns eigentlich wundern, daß der Halleysche Komet immer wieder nach guten 76 Jahren wiederkommt. Käme er nicht, so müßte es uns ganz natürlich vorkommen; denen sehr viele periodische Kometen sind nicht wiedergekommen. Die Astronomie ist eine Wissenschaft, die eigentlich gar keine ist; denn wir wissen wirklich zu wenig. Der Halleysche geht nicht nach der Seite rum um die Sonne, nach welcher Seite die Planeten rum gehen. Das ist nicht mit der Nebulartheorie von Kant und Laplace in Zusammenhang zu bringen. Ich halte nichts von dieser Kosmogonie; nur Naturvölker denken über die Entstehung astraler Lebewesen nach. Die Wissenschaft sollte sich hüten, Fragen zu erörtern, die für sie zu hoch sind. Vergessen wir auch nicht, daß schon der große Swift in Gullivers Reisen die Attraktionstheorie des alten Newton für eine sehr vergängliche Modesache hielt.“

Ein vielfaches „Bravo“ unterbrach den Redner. Er verbeugte sich höflich vor den Versammelten, trank noch ein Glas Thee mit Rum und fuhr fort:

„Nun werden Sie aber wissen wollen, wie ich als Astronom über die Natur des Halleyschen Kometen denke. Ich habe einen Ruf als Mann der Wissenschaft. Der Ruf wird gleich gründlich erschüttert werden. Ich halte unsern großen Kometen für ein gewaltiges denkendes Wesen. Die Sonne und die Planeten sind meiner Meinung nach auch vernünftig denkende Wesen. Aber sie denken viel kolossaler als wir armen Menschen. Schon die Nähe eines Kometen bringt Erregung hervor. Und somit glaube ich auch, daß der Halleysche auch auf die Menschenköpfe erregend wirkt. Der alte Volksglaube, der den Kometen einen unheilvollen Einfluß zuschrieb, ist nach meiner festen Überzeugung nicht nur ein leeres Hirrngespinst. Kurzum: ich glaube, daß jedes neue Erscheinen des Halleyschen eine neue Zeit einleitet. Denken Sie, meine Damen und Herren, an die letzte Erscheinung des großen Kometen im vorigen Jahrhundert! Damals wurden die Köpfe der Enzyklopädisten aufgeregt; diese Erregung brachte uns die Revolution und den höchst unangenehmen Räuberhauptmann Napoleon. Jetzt stehen wir abermals vor einer neuen Zeit – vor einer neuen Bewegung. Die Dampfmaschine wird uns eine so große Schnelligkeit im Reisen bescheren, daß eine unheimliche Menschenzentralisation in den großen Städten entstehen muß. Es ist natürlich gar nicht abzusehen, wohin diese unheimliche Menschenzentralisation führt – Waffenunglück erscheint unvermeidlich; Militarismus und Revolutionspartei werden unheimliche Dimensionen erreichen. Wenn aber der Halleysche 1910 wiederkehrt, wird abermals eine neue Zeit hereinbrechen – und die wird durch die lenkbaren Luftschiffe kommen. Man wird dann Sprengstoffe aus den Lenkbaren herauswerfen und so die großen Städte leicht zerstören können. Das wird glücklicherweise eine Dezentralisation der Menschenmassen hervorbringen. So entsteht dann abermals eine neue Zeit. Aber - sprechen Sie nicht darüber! Ich verpflichte Sie, über diese kleine Erörterung zu schweigen.“

Ein kolossaler Beifallssturm folgte; der war so groß, daß die Droschkenkutscher kopfschüttelnd zum Salon der Frau Faber hinaufblickten. Aber die Dreißig schwiegen über diese kleine Rede des großen Mädler. Zehn Damen setzten sich dann im selben Jahre hin und schrieben die Rede gemeinsam auf. Das Manuskript befindet sich in den Händen eines Berliner Antiquars, der die Geschichte nicht herausgeben will.

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„Der Halleysche Komet“ erschien in der “Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben“ „Die Gegenwart“ in der Nummer 47 des 72. Bandes am 20. November 1909.

„…daß schon der große Swift in Gullivers Reisen die Attraktionstheorie des alten Newton für eine sehr vergängliche Modesache hielt“: Buch III der 1727 erschienenen „Reisen in verschiedene entlegene Teile der Welt“ sind bekanntlich einer scharfen Satire auf die Wissenschaft der frühen Neuzeit gewidmet. Viele der unsinnigen Projekte, die die Gelehrten auf der fliegenden Insel Laputa durchführen, sind an tatsächliche Projekte anlehnt – oder parodieren sie – die in den ersten Jahrzehnten des Bestehens der Royal Society tatsächlich als Vorschlag unterbreitet worden waren. Swift verdankte diese Anregungen seinem Freund John Arbuthnot (1667-1735), der sie in den Jahrgängen der „Philosophical Transactions“ gefunden hatte. Diese Zeitschrift, deren erste Nummer im März 1655 erschienen war, existiert bis heute und stellt die älteste kontinuierlich erschienene Zeitschrift überhaupt dar. Arbuthnot, der im Gegensatz zu seinen literarischen Bekannten aus dem Kreis der „Scriblerians,“ wie Swift oder Alexander Pope tatsächlich über brauchbare Kenntnisse der Mathematik verfügte (er leistete Beiträge zur Wahrscheinlichkeitsrechnung), half Swift bei seinen Kalkulationen über die Proportionen und Mengen im Land der Zwerge, Lilliput und dem der Riesen, Brobdingnag, deren Bewohner zwölfmal kleiner bzw. zwölfmal größer waren als der „Menschenberg,“ Quinbus Flestrin, Lemuel Gulliver (der Name Grildrig, den ihm die Bauerntochter Glumdalclitch in Brobdingnag gibt, ist mit „kleines Männchen“ zu übersetzen). Welche Lapsus Swift hier ohne diese Assistenz unterlaufen wären, läßt die nachträglich eingefügte Episode im dritten Kapitel der ersten Reise ahnen, in der Gulliver sein Schnupftuch über einem aus Zweigen gesteckten Gerüst ausbreitet und eine Kavallerieschwadron darauf Parade reiten läßt.

Was Newton aber den besonderen Zorn des irischen Satirikers einbrachte, war nicht sein Ruf als „größter Wissenschaftler seiner Zeit“ (die die Erstausgabe der „Principia Mathematica“ 1687 begründet hatte), sondern die Tatsache, daß Newton seit 1969 Warden und 1699 Direktor der Royal Mint, der Königlichen Münze war. Und als Oberkontrolleur über alle Münzangelegenheiten war Newton zuständig für die Episode des „Wood’schen Halfpence,“ die in Irland zwischen 1722 bis 1724 für erhebliche Unruhe und Aufstandstimmung gesorgt hatte. William Wood, Eisenwarenproduzent aus Shrewsbury, hatte im Sommer 1722, als das Platzen der „South Sea Bubble,“ die eine Wirtschaftskrise ausgelöst hatte, noch jedermann im Gedächtnis war, das Privileg zur Münzherstellung für Irland der Herzogin von Kendall für zehntausend Pfund abgekauft (dieser Betrag entspricht etwa 1,6 Millionen Pfund, in heutige Kaufkraft umgerechnet). Die Duchess, als Melusine von der Schulenburg im magdeburgischen Emden geboren, war die Mätresse des Kurfürsten Georg Ludwig des Kurfürstentums Hannover (die ganze Karriere seines Vaters hatte um die Verleihung der „neunten Kurfürstenwürde“ gekreist) und war mit an den englischen Hof importiert worden, als Durchlaucht 1714 im Sommer nach dem Tod von Queen Anne als Georg I. den englischen Thron bestieg. Das Münzprivileg war ihr auf Betrieben des Königs im Frühjahr 1722 zuerkannt worden, um im Fall eines Ablebens se. Majestät nicht mittellos dazustehen – zumal ihr Ruf im englischen Volk als „graue Eminenz“ denkbar schlecht war und die Peers des Oberhauses, denen die Wiederwahl durch ihre Wahlkreise nahelag, sie liebend gerne in die sprichwörtliche Wüste geschickt hätten. Woods Münzprägungen zeichneten sich durch eine radikale Reduzierung des Kupferanteils und einen hohen Anteil an Eisen aus (schließlich saß er als Produzent an der Quelle der im Aufstieg befindlichen Eisenindustrie). In Irland befürchtete man die Ersetzung der bisherigen Münzen, deren Wert durch den Gehalt an Silber und Kupfer garantiert wurde, durch wertloses Metall, was einen sofortigen Abfluß eben jener Wertmaterialien von der grünen Insel zu Folge hätte. Zu den wirkungsvollsten Pamphleten gegen diesen Affront zählten die sieben „Tuchhändler-Briefe,“ die „Drapier’s Letters,“ die 1724 und 1725 anonym in Dublin gedruckt wurden. Jeder wußte, daß der Dechant der St. Patricks-Kathedrale der Verfasser war, aber niemand, nicht einmal der Erzbischof der anglikanischen Kirche in Irland, William King, fand sich bereit, ihn bei der Zensur zu denunzieren – nicht einmal, als von der englischen Regierung eine Belohnung von 200 Pfund für die Ermittlung des Verfassers ausgesetzt wurde aufgrund von Hochverrat. Im Fünften Brief hatte Swift daran erinnert, daß nach der gesetzlichen Beschlußlage nationale Angelegenheiten wie etwa die Übertragung des Münzwesen ohne die vorherige Zustimmung des irischen Rumpfparlaments verboten waren.

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(Johann Heinrich Mädler)

Um aber von Swift und der fliegenden Insel auf Scheerbart und den Kometen zurückzukommen: Im zweiten Kapitel des dritten Buches, nachdem unser Held an Bord der fliegenden Insel gehievt worden ist, gibt er einen Überblick über die dortigen Bewohner dieses Wolkenkuckucksheims und der Ängste und Obsessionen, die sie umtreiben:

These people are under continual disquietudes, never enjoying a minutes peace of mind; and their disturbances proceed from causes which very little affect the rest of mortals. Their apprehensions arise from several changes they dread in the celestial bodies: for instance, that the earth, by the continual approaches of the sun towards it, must, in course of time, be absorbed, or swallowed up; that the face of the sun, will, by degrees, be encrusted with its own effluvia, and give no more light to the world; that the earth very narrowly escaped a brush from the tail of the last comet, which would have infallibly reduced it to ashes; and that the next, which they have calculated for one-and-thirty years hence, will probably destroy us. For if, in its perihelion, it should approach within a certain degree of the sun (as by their calculations they have reason to dread) it will receive a degree of heat ten thousand times more intense than that of red hot glowing iron, and in its absence from the sun, carry a blazing tail ten hundred thousand and fourteen miles long, through which, if the earth should pass at the distance of one hundred thousand miles from the nucleus, or main body of the comet, it must in its passage be set on fire, and reduced to ashes: that the sun, daily spending its rays without any nutriment to supply them, will at last be wholly consumed and annihilated; which must be attended with the destruction of this earth, and of all the planets that receive their light from it.

They are so perpetually alarmed with the apprehensions of these, and the like impending dangers, that they can neither sleep quietly in their beds, nor have any relish for the common pleasures and amusements of life. When they meet an acquaintance in the morning, the first question is about the sun's health, how he looked at his setting and rising, and what hopes they have to avoid the stroke of the approaching comet. This conversation they are apt to run into with the same temper that boys discover in delighting to hear terrible stories of spirits and hobgoblins, which they greedily listen to, and dare not go to bed for fear.

“Diese Menschen leben in beständiger Unruhe und genießen keinen ruhigen Augenblick; auch rührt ihre Unruhe aus Ursachen, die andere Sterbliche kaum berühren. Ihre Ängste stammen nämlich von den verschiedenen Veränderungen, die sie an den Himmelskörpern befürchten. Die Erde zum Beispiel müsse durch die beständige Annäherung der Sonne im Laufe der Zeit aufgesogen und verschlungen werden. Die Sonnenoberfläche werde allmählich durch ihre eigenen Effluvien verkrusten und der Welt kein licht mehr spenden. Die Erde sei nur höchst knapp einem Schlag vom Schweif des letzten Kometen entgangen, der sie unweigerlich zu Asche verbrannt hätte, und der nächste Komet, dessen Erscheinen sie in einunddreißig Jahren vorausberechnet haben, werde sie wahrscheinlich zerstören. Wenn er nämlich in seinem Perihelium sich in einem bestimmten Winkel der Sonne nähere (wie sie das nach ihren Kalkulationen mit Grund fürchten), werde er sich zehntausendmal höher als rotglühendes Eisen aufheizen und bei seiner Entfernung von der Sonne einen Feuerschweif hinter sich herziehen, der eine Million und vierzehn Meilen lang sei. Dadurch müsse die Erde, wenn sie in einer Entfernung von hunderttausend Meilen den Nukleus des Kometen passiere, bei ihrem Durchgang in Flammen geraten und zu Asche zerfallen. Die Sonne, die täglich ihre Strahlen verbrauche, müsse sich schließlich aufzehren und vernichten., ein Vorgang, der einhergehen müsse mit der Zerstörung der Erde und aller Planeten, die Licht von ihr erhielten.

Sie sind immerfort von den Befürchtungen um diese und ähnliche drohenden Gefahren so beunruhigt, daß sie weder ruhig in ihren Betten schlafen können noch an den üblichen Vergnügungen und Unterhaltungen des Lebens Gefallen finden. („Eine Reise nach Laputa, Balniarbi, Glubbdubdrib, Luggnagg und Japan.“ Ich zitiere aus der Übersetzung von Hermann J. Real und Heinz J. Vienken, die 1987 bei Reclam in Stuttgart erschienen ist)

Sowohl Real und Vienken wie auch Isaac Asimov in seiner annotierten Ausgabe von „Gulliver’s Travels“ von 1980 weisen darauf hin, daß sich die erwartete Rückkehr des nächsten Kometen „in 32 Jahren“ auf die Berechnungen von Edward Halley bezieht, der die Wiederkunft des seither nach ihm benannten Schweifsterns für das Jahr 1758 berechnet hatte, also 32 Jahre nach dem Erscheinen von Swifts Satire 1726.



(Wilhelm Beer)

Auch Laien, die mit der Geschichte der Sternkunde oder gar der Geschichte der Kometenforschung nicht besonders vertraut sind, ist womöglich noch die „Kometenpanik“ in vager Erinnerung, die sich mit dem Erschienen eben des Halley’schen Kometen im Jahr 1910 verband. Im Jahr 1893 war erstmals im Spektrum eines Kometenschweif die Emissionslinien von Cyanwasserstoff, auf deutsch: Blausäure nachgewiesen worden (Komet Rordamme-Quénisset, b 1893); der von Gale im April 1894 in Sydney entdeckte Komet b 1894, der auf seinem Perihel mit bloßen Auge sichtbar war, zeigte dieselben 25 hellen Banden, die anzeigten, daß das fast vakuumdünne Gas sich hauptsächlich aus Kohlenstoff und und eben Blausäure zusammensetzte. Die Bestimmung der genauen Bahn des Halleyschen Kometen im inneren Sonnensystem war aufgrund seiner heftigen Ausgasungen im Vorfeld mit großen Unsicherheiten behaftet; nach seiner ersten Wiederauffindung durch Max Wolff in Heidelberg am 9. September 1909 wurde aber bald klar, daß die Erde am 19. Mai 1910 sechs Stunden lang durch den Schweif des Kometen hindurchfliegen würde. Als das Yerkes-Observatorium am 7. Februar 1910 den Nachweis von Dicyan im Spektrum bekanntgab, nahm das Camille Flammarion, der seinerzeit bekannteste Popularisator der Sternkunde und unermüdlicher Werbefachmann für die Marsbewohner und die von ihnen gegrabenen Kanäle, zum Anlaß, vor einer möglichen Vergiftung der Erdatmosphäre zu warnen. Der Ehre halber sei gesagt, daß es sich bei dieser „Kometenpanik“, soweit ein Blick in die zeitgenössischen Zeitungen und Journale hier als repräsentativ gelten kann, hauptsächlich um ein Medienartefakt handelt: eine „urbane Legende,“ die in populären Kulturgeschichten und Artikeln gerne weitergegeben wird. Die meisten Meldungen in der Presse des Frühjahrs 1910 betonten die Harmlosigkeit dieses Durchgangs, oder angebliche „Schutzmaßnahmen,“ die windige Profiteure verkauft haben sollen, werden verspottet. Aber wenn eine solche Geschichte erst einmal in die Welt gesetzt ist, hält sie sich hartnäckig. Auch die nächste „außerirdische Panik“ – daß die Hörspielfassung des „Kriegs der Welten,“ von H. G. Wells, die Orson Wells zu Halloween 1938 im Rahmen des „Mercury Theater“ des Senders CBS über den Äther schickte, die halbe Ostküste der USA – oder zumindest mehrere Millionen Radiohörer im Großraum New York in Alarm versetzt habe – ist bei näherem Durchsehen der Quellen nur dies: ein Dönekes, eine Ente, neudeutsch: Fake News. Bis auf ein paar wenige ungehaltene Anrufe beim Sender von Zuhörern, die sich nicht erklären konnte, welche Art von Reportage da gerade stattfand, hat der Rest des Publikums den Vorfall schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Erst die Skandalschlagzeile der „New York Times“ am folgenden Morgen und der landesweite Nachdruck in anderen Zeitungen hat erst diese Legende geschaffen.

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Um jetzt aber endlich die Kehre zu Scheerbarts bescheidenem Jeu d’esprit zu vollziehen: sein Protagonist, der wirkliche Johann Heinrich Mädler (1794 bis 1874; seit 1864 „von Mädler“) hätte sich angesichts solcher wolkiger Phantasien, die ihm der zwei Generationen später frei fabulierende Dachstubenpoet in den Mund legt, nur entgeistert an den Kopf gefaßt. Mädler, der als exakt messender und zeichnender Beobachter seiner Zeit seinesgleichen suchte, war ein entschiedener Gegner der Hypothese von der „Vielfalt der bewohnten Welten.“ Die Überzeugung, es gebe „dort draußen im All“ zahllose intelligente Spezies und Zivilisationen unterliegt einer beständigen Konjunkturschwankung, seitdem diese Vorstellung als Denkmöglichkeit mit der kopernikanischen Wende und der Erfindung des Teleskops Anfang des 17. Jahrhunderts möglich wurde. Erst die Erkenntnis, daß die Erde ein Planet war, der seine Sonne umläuft, und daß die anderen Planeten im Sonnensystem ihr in dieser Hinsicht gleich sind, legte den Analogieschluß nahe, dort könnte, unter vergleichbaren Bedingungen ebenso Leben und Intelligenz möglich sein. Bis in die Zeit der Frühaufklärung war dieser „Pluralismus“ theologisch begründet: es schien ausgeschlossen, daß ein Schöpfergott eine unendliche Zahl an Sternen, an Sternsystemen geschaffen hatte, die nicht als Heimstatt für vernünftige Kreaturen dienen sollten. Weshalb sonst „der ganze Aufwand“? Ein leeres, seelenloses, blindes Universum, bei dem sich die Vernunft nur auf die winzige Staubkugel Erde beschränkte, schien selbst den meisten Frühaufklärern, von Bernard Le Bovier de Fontenelle über Johann Gottfried Herder bis hin zu Simon Laplace nachgerade einer Lästerung des Schöpfers gleichzukommen.

Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts weicht die Begeisterung für den Pluralismus einer Ernüchterung. Fast alle namhaften Astronomen in den Jahrzehnten nach 1800 vertreten in dieser Beziehung eine tiefe Skepsis – zumindest, was unsere unmittelbare kosmische Nachbarschaft, das Sonnensystem, betrifft. (Und die unbekannten Dimensionen des restlichen Alls machen jede Äußerung über die dortigen Verhältnisse zur haltlosen Spekulation; der Nachweis der tatsächlichen Entfernungen zu den nächsten Sternen durch Friedrich Bessel im Jahr 1838, der anhand der scheinbaren Verschiebung der Sternposition im Lauf eines Jahres nachwies, daß der Stern 61 Cygni mehr als 10 Lichtjahre von uns entfernt ist, war nur dazu angetan, diese Skepsis zu verstärken.) Erst im Zug der Darwin’schen Evolutionstheorie setzt sich der Glaube an unzählige außerirdische Zivilisationen wieder durch. Seitdem wechselt dieses Pendel mit einer Frequenz von einem guten halben Jahrhundert von der einen Extremposition: Der Terminus N in der berühmten Formel von Frank Drake beträgt „1“ (wir sind die einzigen) zum Gegenteil: „Überall ist Wunderland / Überall ist Leben! / Bei meiner Tante im Strumpfenband / wie irgendwo daneben“ (Joachim Ringelnatz) Die seit jetzt gut 25 Jahren andauernde Inflation der Nachweise von Planeten außerhalb unseres Sonnensystems – zurzeit steht der Zähler bei 4808 Sternbegleitern in 3604 Sonnensystemen - hat der Strumpfenband-Fraktion wieder Oberwasser verliehen.

Mädler, wie gesagt, gehörte dem Lager der „Alien-Leugner“ an, soweit es den Bereich, den er überschauen konnte, betraf – vor allem seinen Liebling-Himmelkörper, den Mond. Wie es Hans-Ulrich Keller in einem Beitrag für sein Jahrbuch „Das Himmelsjahr“ formuliert:

Mädler kritisierte heftig die Vorstellung der früheren Mondbeobachter, der Mond gleiche der Erde. Der Mond sei vielmehr ein toter, unbewohnter, luftloser Himmelskörper ohne Wasser und Wetter. Somit gäbe es auch keine Erosion. Die Mondlandschaften seien für immer unveränderlich. Die dunklen Tiefebenen seien mit erstarrter Lava gefüllt und keineswegs Wasserflächen, die doch gelegentlich im Sonnenlicht aufblitzen müssten. („Monatsthema April 2018“)

Und noch eins ist Scheerbart, der seine Visionen belebter, mit Vernunft begabter Weltkörper – von den Kometen, den Planeten und den Sternen selbst den mystischen Vorstellungen und Visionen Gustav Theodor Fechners verdankt, hier in der Eile des Drauflosfabulierens nicht präsent: Zu dem Zeitpunkt, an dem seine kleine Glosse spielt – die teleskopische Suche nach dem Kometen hatte im August 1835 begonnen; zuerst war er am letzten Augusttag aufgefunden worden; und am 3. Oktober berichtete Johann Joseph von Littrow aus Wien, daß der Komet „als Stern dritter Größe mit bloßen Auge klar am Morgenhimmel zu erkennen“ sei – war Mädler noch keinesfalls eine Koryphäe aus dem Gebiet der Sternkunde, die in den literarischen Salons des vornehmen Berlin gerngesehener Gast war. Diesen Ruhm erwarb er sich erst mit der Veröffentlichung der ersten wirklich genauen Mondkarte, die er in den Jahren zuvor in Zusammenarbeit mit dem Berliner Wilhelm Beer angefertigt hatte. Beer, drei Jahre jünger als Mädler und Sohn einer der ersten wirklich großbürgerlich arrivierten jüdischen Dynastien nach der Emanzipation unter preußischer Ägide, war der dritte Sohn des Zuckerfabrikanten Jacob Herz Beer und seiner Frau Amalie Beer, die in den Jahren nach den Freiheitskriegen einen der renommiertesten literarischen Salons im Berlin jener Jahre führte. Wilhelm übernahm die Pflicht, von den vier Söhnen der Familie das Geschäft fortzuführen, blieb aber auch in der Folge seinen musischen Neigungen treu, wenn auch nur als Nebenbeschäftigung – anders als etwa sein ältester Bruder Jacob Meyer Beer, der, als er mit 18 Jahren zum Studium der Musik nach Paris zu Eugene Scribe ging, seinen Namen in „Giacomo Meyerbeer“ italianisierte und hinfort als einer der populärsten Opernkomponisten der Belle Epoque reüssierte. Die Bekanntschaft, die Wilhelm Beer 1824 mit Mädler machte, brachte ihn dazu, auf dem Dach der neuen Familienvilla im Tiergarten eine Privatsternwarte einzurichten. Mädler, der im Hauptberuf nach seinem Studium der Mathematik am Königlichen Lehrerseminar in Berlin tätig war, konnte dort ungestört nachts seiner Beobachtungstätigkeit nachgehen. Die offizielle Sternwarte der Universität Berlin – an der Friedrich Bessel übrigens seine oben erwähnten Beobachtungen machte, wurde zu dieser Zeit in den Jahren 1830 bis 1835 als Neubau hochgezogen, nachdem das alte Gebäude, 1688 am Marstall in Dorotheenstadt eröffnet und 1709 um einen zweiten Stock erweitert, für die neuen Großteleskope nach Frauenhoferscher Bauweise zu eng und zu baufällig geworden war. (Von diesem Bauwerk ist heute nichts mehr erhalten: es wurde im Juni 1903 abgerissen.)

Die erste Frucht dieser Beobachtungen, die Mädler und Beer ab dem Jahr 1829 durchführten, war eine kleine Broschüre, die im Jahr darauf als Privatdruck erschien, mit einem Umfang von gerade einmal 15 Seiten: „Physische Beobachtungen des Mars bei seiner Opposition im September 1830“ (ohne Ort, ohne Jahr). Auf dem letzten, illustrierten Blatt findet sich dort die erste Darstellung, die jemals von den an der Oberfläche des Mars sichtbaren Merkmalen angefertigt worden ist. Vielleicht hilft es, sich die Schwierigkeiten bei der Beobachtung unseres Nachbarplaneten klarzumachen, wenn man sich vor Augen hält, daß selbst bei der größten Annäherung, wenn die Entfernung auf knapp unter 60 Millionen Kilometer schrumpft, sein scheinbarer Durchmesser immer noch kleiner ist als der des Mondkraters Tycho - der zwar schon im Feldstecher ins Auge springt, aber weit unter dem Auflösungsvermögen des „unbewaffneten Auges“ liegt. Bei der größten Annäherung des Mars am 19. September 1832 betrug die kleineste Entfernung 0,300 Astronomische Einheiten und der Durchmesser der kleinen lachsroten Scheibe belief sich auf 24,1 Bogensekunden.

Möglich geworden waren solche Fortschritte erst durch die Linsenkonstruktionen von Johann Fraunhofer, der ab Ende der 1810er Jahre Fernrohrobjekte aus Glassorten mit unterschiedlichem Lichtbrechungsindex fertigte, die die unterschiedliche Brechung des sichtbaren Lichts in unterschiedlichen Wellenlängen kompensierte und damit farbgetreue Abbildungen ermöglichte, die nicht durch dunstige Schleier entstellt waren. Bislang hatte dieser Störfaktor den Bau von Linsenfernrohren auf Objektivdurchmesser von wenige Zentimeter „lichte Öffnung“ beschränkt. (Die Erfindung des Spiegelteleskops durch Isaac Newton – die Welt ist klein! – vermied diese „chromatische Aberration; stieß aber auf die Schwierigkeit, daß die Glasblöcke für große Spiegel kaum zu gießen waren und die Tubuskonstruktionen ein astronomisches Gewicht erreichten, was die händische Nachführung im Zeitalter vor der Einführung von elektrischen Kraftmaschinen unmöglich machte. Der „Leviathan von Parsonstown,“ den der Earl of Rosse 1842 auf seinem Landsitz in Irland konstruierte, und der mit einem Hauptspiegeldurchmesser von sechs Fuß, 182 Zentimetern, das größte Instrument dieser Art im 19. Jahrhundert darstellte, war als reines „Transitinstrument“ angelegt.)



In der Einleitung zu ihrer kleinen Broschüre beschreiben Beer und Mädler das Instrument, mit dem sie ihre Observationen anstellten:

„Das Beobachtungslokal befindet sich auf der Platteforme einer in der Nähe vor Berlin gelegenen Villa. Sein Mittelpunkt ist vom Herrn Major v. Oesfeld durch genaue Triangulierungen bestimmt worden; es liegt 50°31‘31‘‘ N. Breite, und 31°2‘8‘‘,24 der Länge von Ferro, oder 1‘,21‘‘,79 im Bogen westlich der Königl. Sternwarte zu Berlin. Es ist mit einer Kuppel von 12‘‘ Durchmesser bedeckt, die sich nach allen Richtungen mit Leichtigkeit drehen läßt und deren Klappen dem Beobachter gegen 20° Oeffnung gewähren. Das Fernrohr ist ein Fraunhofer von 4 ½‘ Brennweite von dem hiesigen Mechaniker Duwe parallactisch montiert und mit einem die Rotation der Erde compensirendem Uhrwerk versehen. Es ist dasselbe, dessen der geh. Rath Pastorff sich bediente, und im 50. Bande des Bode’schen Jahrbuchs S. 237 ff. mit großem Lobe erwähnt.

Eines der wichtgisten Ergebnisse der Beobachtung der Marsopposition war die Feststellung seiner Tageslänge. Beer und Mädler wählten als Fixpunkt den gut sichtbaren dunklen Haken der Syrtis Major, die seitdem den Nullmeridian des Mars darstellt. Ihr Wert wich nur um 12 Sekunden von dem heute ermittelten Wert ab.

Bei dem erwähnten Geheimrat handelt es sich um Johann Wilhelm Pastorff, geboren 1767 in Schwest und 1838 in der Mark Brandenburg gestorben, der seine Stellung als königlich-preußischer „Baudepartement-Conducteur“ (dergleichen Titel sind heute leider ausgestorben) aufgab, um sich ganz der Sternkunde zu widmen. Sein Bestreben, nachzuweisen, daß der Mars eben nicht über eine dichte und ausgedehnte Atmosphäre verfügt, sondern daß dieser Nachweis des britischen Astronomen James South nur auf einer optischen Täuschung beruhte. (Auch die von Schiaparelli und Percival Lowell gesichteten „Marskanäle“ erwiesen sich ja zwei Generationen später als genau dies: eine optische Täuschung.) Über den Fraunhofer’schen Refraktor heißt es an der angegeben Stelle in Bode’s Astronomischem Jahrbuch auf das Jahr 1825 (bereits 1822 bei Dümmer in Bonn gedruckt): "… meinen Frauenhoferschen Telescopen, wovon das eine 4 1/3 Fuß Länge, 3 1/2 Fuß Brennweite und 34 Linien-Oeffnung, und das andere 5 1/2 Fuß Länge 54 Zoll Bennweite und 45 Linien-Oeffnung hat. Das letzere ist mit einem Sucher und einem repetirenden Lampen-Mikrometer und 7 astronomischen und 2 terrestrischen Okularen bis zur 300maligen Vergrößerung versehen."

Die zweite Frucht dieser astronomischen Zusammenarbeit, die Mädler dann seinen späteren Weltruf einbrachte, die Scheerbart ihn verfrüht zuschreibt, war die Mondkarte, die sie in über 600 Bobachtungsnächten anfertigten und die als vier Einzelblätter zwischen 1834 und 1836 gedruckt wurden und als Mappenwerk 1837 in Berlin mit erläuterndem Text („Der Mond nach seinen kosmischen und individuellen Verhältnissen“) als „Allgemeine Selenographie“ im Verlag von Simon Schropp und Co. in Berlin erschienen. Zusammen ergaben die einzelnen Kartensegmente eine topographische Darstellung der sichtbaren Seite der Erdtrabanten von 192 Zentimetern Durchmesser, die für die nächsten vierzig Jahre unübertroffen blieb. Sie führte auch dazu daß, Mädler eine Anstellung an der Berliner Sternwarte erhielt und von König Friedrich Wilhelm II. im Dezember 1837 zum Professor ernannt wurde.



Für Mädler hatte die Publikation seiner Mondkarte darüber hinaus eine weitere, einschneidende Auswirkung auf sein weiteres Leben. Die Hofrätin Wilhelmine Witte, 1777 als Tochter eines Senators in Hannover geboren, die seit ihrer frühen Jugend von der Sternkunde begeistert gewesen war und selbst mit einem Fraunhoferschen Refraktor Beobachtungen durchführte, hatte das Erscheinen der Karten zum Anlaß genommen, um anhand dieser Darstellungen einen Globus des Mondes zu erstellen. Als Mädler im Herbst 1839 zur Teilnahme an einem Kongreß von Naturforschern nach Pyrmont kam, reiste sie in Begleitung ihrer ältesten Tochter Minna (1804-1891) dorthin, um ihm ihr Werk zu präsentieren. Der kleine Globus mit seinem Durchmesser von 34 Zentimetern und einer Gesamthöhe von 68 Zentimetern wurde 1841 vom preußischen Königshaus erworben und ist heute im Historischen Museum in Hannover zu sehen. Die Krater und Formationen auf der Mondvorderseite sind aus Wachs und Mastix, also getrocknetem Harz, nachgebildet, die Rückseite blieb hingegen schwarz. Mädler war nicht nur von diesem Werk überaus angetan, sondern auch von der gebildeten und kunstsinnigen höheren Tochter, die er im Februar 1840 heiratete, kurz bevor er als Nachfolger von Georg Wilhelm Friedrich Struwe, der als Direktor an das neue russische Zentralobservatorium in Pulkowo bei Sankt Petersburg berufen worden war, die Leitung der Sternwarte in Dorpat im heutigen Estland übernahm. (Von den drei Mondgloben, die die Hofrätin anfertigte – das erste präsentierte sie 1838 als erstes Probestück John Herschel, den Sohn Wilhelm Herschels – auch er ein gebürtiger Hannoveraner; ein zweites vollendets wurde 1844 von Herschel der Society fort he Advancement of Science in Cambridge geschenkt – ist das Hannoversche als einziges erhalten.)



Die Welt ist übrigens wirklich klein. Christine Wilhelmine Sophie Witte, genannt Minna, zukünftige von Mädler, die auch eigene Gedichte veröffentlichte und aus dem Englischen und Spanischen übersetzte, wurde in jungen Jahren Gesellschafterin von Elizabeth, der Landgräfin von Hessen-Homburg, als deren Gemahl, der Erbprinz Friedrich von Hessen-Homburg, plötzlich im Juni 1829 gestorben war und Elizabeth von Großbritannien, Irland und Hannover (um ihren eigentlichen Titel zu nennen) ihren Wohnsitz in die Stammheimat verlegte und zwischen Hannover und Frankfurt pendelte. Und Princess Elizabeth of the United Kingdom war die dritte Tochter des englischen Königs Georgs III., der seinerseits der Enkel von Georg II. war.

Als kleines Kuriosum am Rande sei erwähnt, daß es Mädler war, der als erster, in einem Bericht in der „Vossischen Zeitung“ vom 25. Februar 1839 über die Arbeiten des Engländers Henry Fox Talbot, die die neuerfundene Kunst der Anfertigung von Bildern mit Hilfe von technischen Verfahren das Wort „Photographie“ verwendet hat, als Portmanteauwort aus griechisch φωτός und γραφή, sieben Wochen nachdem Louis Daguerre am 2. Januar 1839 in der Nähe von Paris zum ersten Mal eine Daguerrotypie aufgenommen hatte. (Unglücklicherweise brannte zwei Monate später Daguerres Atelier bis auf die Grundmauern nieder, mitsamt dieser ersten astronomischen Aufnahme.). (Die Staatsbibliothek Berlin verfügt in Sachen der „alten Tante Voss“ für den fraglichen Zeitraum nur über Digitalisate der Ausgaben vom 26. Januar, 24 Februar und 25. März 1839 – aber wen würde dies angesichts der bekannten Berliner Verhältnisse wundernehmen?).



Stichwort „Photographie“: Vom Observatorium Wilhelm Beers scheint sich keine Photographie, keine Gravüre erhalten zu haben, auch nicht von der Villa Beer im Tiergarten – mit Ausnahme jener Darstellung der Krolloper, deren letzte Reste auch im Herbst 1957 beseitigt wurden, nachdem das Hauptgebäude 1951 gesprengt worden war. Die Villa Beer selbst wurde 1871, 21 Jahre nach dem frühen Tod des Eigners, abgerissen. Aber wo „in der Nähe des damaligen Berlin,“ im Bezirk Tiergarten sollte man nach dem ehemaligen Standort suchen? Die Koordinaten „50°31‘31‘‘ N. Breite, und 31°2‘8‘‘,24“ sind wenig hilfreich, wenn einen die Natur nicht zum GPS-Empfänger bestimmt hat – auch wenn einem der Gebrauch der Ferro-Nullmeridians möglich ist, der bis 1884 die gebräuchlichste Eichlinie darstellte (er verläuft exakt 20 Grad westliche des anderen als Referenzlinie dienenden Meridians von Paris, der Lesern von den Eingangsszene von Umberto Ecos „Das Foucaultsche Pendel“ noch in Erinnerung sein mag). Der Humor des Weltgeistes hat es indes gefügt, daß sich heute an dieser Stelle ein nicht ganz unbekanntes Gebäude befindet. Auf diesem Grundstück, an der Stelle, wo vor 190 Jahren die erste Marskarte und die revolutionäre Kartographierung des Erdmondes entstanden, befindet sich seit seiner Eröffnung im Jahr 2001 das neue Bundeskanzleramt, im Volksmund, so teilt es die Wikipedia mit, auch „Kanzlerwaschmaschine“ oder „Elefantenklo“ genannt.

Sic transit gloria mundi.

U.E.

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