Der Anti-Atommüll - Erfolgslauf
ein Gastbeitrag von Frode.
“Das wichtigere Argument gegen den Neubau von Atomkraftwerken ist jedoch, dass die Nutzung der Atomkraft in den vergangenen Jahrzehnten schon jetzt Probleme geschaffen hat, die wir bisher nicht lösen können. Der Rückbau eines Atomkraftwerks ist aufwändig. In Grafenrheinfeld dauert er 20 Jahre und kostet 1,2 Milliarden Euro. Und dann ist die Sache nicht vorbei: Gesucht wird ein Endlager, in dem hochradioaktive Abfälle eine Million Jahre sicher gelagert werden können. Eine Million Jahre! Was für ein unvorstellbarer Zeitraum. Den Homo sapiens gibt es seit etwa 300.000 Jahren. Der Berg an Giftmüll, der in diesen Deponien gelagert werden soll, ist jetzt schon riesig – bis zum Jahr 2080 rechnen Fachleute mit rund 10.000 Tonnen hoch radioaktivem Abfall. Und noch wissen wir nicht, ob es wirklich einen sicheren Ort für diese Abfälle gibt. Die Castorbehälter aus Grafenrheinfeld stehen auf Weiteres in einem Zwischenlager. Wann sie umziehen können und wohin, ist unklar. Wir sollten dieses Problem nicht noch größer machen, als es ohnehin schon ist. Der Bau neuer Kraftwerke wäre unverantwortlich.”
Im Widerspruch zur Aussage sind die geschaffenen Probleme gelöst oder lösbar.
Rückbau
“Der Rückbau eines Atomkraftwerks ist aufwändig. In Grafenrheinfeld dauert er 20 Jahre und kostet 1,2 Milliarden Euro.”
Das ist im Rahmen der üblichen journalistischen Unschärfe korrekt. Allerdings sind diese 1,2 Milliarden Euro lange bekannt und wurden als Rückstellungen während dem Betrieb gebildet:
“Eine wesentliche Arbeitsgrundlagen der KFK war das am 10. Oktober 2015 vom BMWi in Auftrag gegebene Gutachten zur Überprüfung der Kernenergie-Rückstellungen ("Stresstest"). Nach dessen Ergebnissen sind die Energieversorgungsunternehmen grundsätzlich in der Lage, die Kosten für den Rückbau der Kernkraftwerke und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle zu tragen. Die von den betroffenen Unternehmen hierfür gebildeten Rückstellungen in Höhe von 38,3 Milliarden Euro basieren auf geschätzten Kosten zu aktuellen Preisen in Höhe von rund 47,5 Milliarden Euro.”
Die Kosten für den Rückbau werden also nicht aus Steuergeldern bezahlt, sondern wurden während dem Betrieb der Kraftwerke mit dem Strompreis erhoben.
Die Rückstellungen sind möglicherweise nicht das ideale Instrument zur Kostenvorsorge - in der Schweiz sind Rückbau- und Entsorgungsfonds geschaffen die während dem Betrieb der Kraftwerke gefüllt werden. Aber dennoch ist die Verantwortung eindeutig beim Betreiber und nicht beim Staat.
Die Dauer von 20 Jahren für den Rückbau ist ungefähr richtig, aber auch irrelevant. Der Rückbau von Kernkraftwerken wird und wurde bereits in unterschiedlichen Ländern und auch in Deutschland vollzogen, wie z. B. beim Kernkraftwerk Würgassen. Der Rückbau ist ein technisch gelöstes Problem.
Lagerzeit Endlager
“Gesucht wird ein Endlager, in dem hochradioaktive Abfälle eine Million Jahre sicher gelagert werden können. Eine Million Jahre! Was für ein unvorstellbarer Zeitraum. Den Homo sapiens gibt es seit etwa 300.000 Jahren.”
Auch hier ist die Aussage korrekt. Allerdings kann man dem “unvorstellbaren” entgegnen indem man darüber nachdenkt, was denn noch über Millionen Jahre so hält. Gesteinsformationen wären ein Beispiel. Einige davon sind sogar seit 300 Millionen Jahren unverändert, wie es in einer Informationsbroschüre der nagra anschaulich dargestellt ist:
“In einem geologischen Tiefenlager für radioaktive Abfälle erreichen die schwach- und mittelaktiven Abfälle nach rund 30 000 Jahren die strahlungsbedingte Giftigkeit (Radiotoxizität) von Granitgestein. Verbrauchter Kernbrennstoff erreicht in etwa 200 000 Jahren die Radiotoxizität des einst dazu abgebauten Uranerzes.”
30 000 Jahre, bzw. auch 200 000 Jahre sind schon eher vorstellbar. Aber vor allem ist es gut vorstellbar, dass irgendwo unter der Bundesrepublik Deutschland ein Ort existiert der mit technischen Maßnahmen soweit hergerichtet werden kann, dass radioaktive Abfälle dort sicher vor Umwelteinflüssen eingelagert werden können.
Menge radioaktiver Abfall
“Der Berg an Giftmüll, der in diesen Deponien gelagert werden soll, ist jetzt schon riesig – bis zum Jahr 2080 rechnen Fachleute mit rund 10.000 Tonnen hoch radioaktivem Abfall.”
Die Zahl von 10.000 Tonnen ist richtig, allerdings ist die Mengenangabe “riesig” objektiv betrachtet falsch. Vorbehaltlich dem Endlagerkonzept wird für dies 10.000 Tonnen ein Volumen von etwa 27.000 m3 veranschlagt. Bei einer Höhe der Endlagerbehälter von 5.5 m entspricht das einer Fläche von etwa einem Fußballfeld.
Die gesamten hochradioaktiven Abfälle aus Deutschland von 1950 bis 2080 können also auf einer Fläche von einem Fußballfeld gelagert werden!
Das bedeutet auch zum einen, dass in jedem Fall ein Endlager in Deutschland errichtet werden muss, da ja der größte Anteil an hochradioaktivem Abfall bereits existiert, und zum zweiten, dass selbst bei einem Neubau von Kernkraftwerken und selbst bei einer Vervielfachung der Abfallmenge das erforderliche Endlager nur unwesentlich größer werden würde. Die zusätzliche Menge an radioaktivem Abfall ist also kein Argument gegen neue Kernkraftwerke.
Im Vergleich dazu werden aktuell pro Jahr etwa nur als Beispiel 1000 Tonnen arsenhaltige Abfälle deponiert. In der grössten untertägigen Deponie in Herfa-Neurode haben sich seit der Eröffnung 1972 “mehr als zwei Millionen Tonnen giftigen Abfalls angesammelt, darunter 690.000 Tonnen dioxin- und furanhaltige Abfälle, 220.000 Tonnen quecksilberhaltiger Abfälle, 127.000 Tonnen zyanidhaltiger Müll und 83.000 Tonnen arsenhaltiger Giftmüll.”
Und das ist nur eine Deponie und bei Weitem nicht der gesamte Giftmüll Deutschlands aller Zeiten…
Auch wenn der Vergleich mit Giftmüll als “Whataboutism” abgetan werden kann, so ist dieser doch durchaus berechtigt. Giftmüll wird wie abgebrannte Brennelemente auch unter Tage in stillgelegten Bergwerken deponiert. Beim Austreten durch Naturereignisse von Wassereinbruch bis zur Vulkaneruption kann Giftmüll freigesetzt werden und zum Schaden führen. Eine Inkorporation von freigesetztem Gift (durch bspw. Trinkwasser) ist abhängig von der freigesetzten Menge gefährlicher als bei radioaktiven Stoffen. Wobei bei hochradioaktiven Abfällen auch die Wahrscheinlichkeit einer Freisetzung aufgrund der massiven Sicherheitsvorkehrungen wesentlich geringer ist als beim Giftmüll.
Nur im Gegensatz zum hoch radioaktiven Abfall verliert Giftmüll nicht seine Toxizität innerhalb der nächsten Millionen Jahre, sondern behält sie auf ewig.
Ich möchte nicht dafür plädieren, dass Giftmüll sorgfältiger behandelt wird, sondern nur aufzeigen, dass das Thema radioaktiver Abfall mehr bewegt. Warum?
Versuch einer Erklärung
Das hohe Ziel der Kernkraftgegner war die Stilllegung der Kernkraftwerke.
Im Atomgesetz war ein Zusammenhang zwischen dem Betrieb von kerntechnischen Anlagen und der Sicherstellung der Entsorgung der radioaktiven Abfälle formuliert (§9a):
“Wer Anlagen, in denen mit Kernbrennstoffen umgegangen wird, errichtet, betreibt, sonst innehat, wesentlich verändert, stillegt oder beseitigt, [...] hat dafür zu sorgen, daß anfallende radioaktive Reststoffe sowie ausgebaute oder abgebaute radioaktive Anlagenteile [...] schadlos verwertet oder als radioaktive Abfälle geordnet beseitigt werden (direkte Endlagerung).”
Dieser Zusammenhang wurde von Kernkraftgegnern erkannt und als Angriffspunkt genutzt.
Auf unterschiedlichen Wegen wurde eine “Verstopfungsstrategie” forciert - wenn Abfälle nicht wiederaufbereitet werden können und nicht gelagert werden können, kann auch kein Kernkraftwerk betrieben werden - so die Strategie.
So wurde die Wiederaufarbeitung von Brennelementen in Deutschland nicht verfolgt und die “CASTOR - Transporte” blockiert, was auch zum Erfolg geführt hat: Brennelemente müssen jetzt in Standortzwischenlagern gelagert werden. So wurden an allen Standorten von Kernkraftwerken in Deutschland Zwischenlager errichtet. Die Kosten dafür haben letzten Endes auch Einfluss auf die Stromrechnung gehabt.
Die moralische Überlegenheit war dabei der Erfolgsgarant. Ein moralischer Mensch kann logisch nicht für mehr radioaktiven Abfall stehen. Die Fokussierung auf den Abfall hat dazu geführt, dass genau diese Argumente auch in die breite Öffentlichkeit als “Standardmeinung” getragen wurden. Wenn man heute zufällig Deutsche befragt wie ihre Meinung zur Kernenergie ist, bekommt man mit hoher Wahrscheinlichkeit die Antwort, dass die Endlagerfrage ja ein grundlegendes ungelöstes Problem sei. So ja auch in dem zitierten Artikel. Kernkraft gehört wie auch der Klimawandel zu Themen, zu denen jeder eine klare Meinung hat.
Meiner Deutung nach ist also die Fokussierung auf den radioaktiven Abfall das Resultat daraus, dass die Strategie mit dem Ziel der Stilllegung der Kernkraftwerke Erfolg gehabt hat - Erfolg gibt recht.
Die Motivation für das Ziel ist ein Zusammentreffen von romantischer Naturliebe und Ablehnung von Industrie mit “German Angst”, vor allem nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl.
Grundlegend ist die Angst dadurch entstanden, dass Radioaktivität eine “unsichtbare Gefahr” darstellt - man kann sie nicht spüren, riechen oder schmecken. Aber die Angst als Grundlage ist nach und nach der moralischen Argumentation gewichen.
Angela Merkel hat 2011 diese Strömung genutzt und hat sich mit dem oberflächlichen Argument der Angst auf die moralische Seite geschlagen und den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen.
Mit der Moral als Grundlage ist das Leben einfacher - ähnlich wie beim Thema Klimawandel ist es irrelevant wie sich der Rest der Welt verhält. Deutschland wird auch in Zukunft einen Teil seines Stroms aus Niederländischen, Belgischen, Französischen, Schweizer, Tschechischen und bald vielleicht auch Polnischen Kernkraftwerken beziehen. Sobald man sich aber in moralischer Überlegenheit wähnen kann ist das Ziel erreicht.
Und auch hier: Der Erfolg ist nicht erst erreicht, wenn die Stromversorgung von Deutschland vollständig mit erneuerbaren Energien ohne Support der Nachbarländer gesichert ist, sondern der Erfolg mit der erreichten moralischen Überhöhung ist schon da, wenn alle Kernkraftwerke abgeschaltet sind. Und Erfolg gibt eben recht.
“Wir sollten dieses Problem nicht noch größer machen, als es ohnehin schon ist. Der Bau neuer Kraftwerke wäre unverantwortlich.”
Das Problem wird seit langem weit größer gemacht als es ist. Die Lagerung von radioaktivem Abfall ist kein großes Problem. Der Bau neuer Kraftwerke wäre der letzte Strohhalm zur möglichen Herstellung der Versorgungssicherheit.
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