1. Juni 2021

Schreckliche Juristen

Unser geschätzter Zimmermann Emulgator hat vor einigen Tagen einen Beitrag im kleinen Zimmer hinterlassen, der mich noch immer in einer Mischung aus Wut, Trauer und Ratlosigkeit zurücklässt. Natürlich nicht seines Beitragsinhaltes wegen, sondern wegen eines Ereignisses, dass er referenziert, von dem man unter normalen Umständen ernsthafte Zweifel haben müsste, dass es sich so zugetragen hat. Da es aber gerade das verantwortende Gericht selber ist, dass den Beschluss nicht nur gefasst, sondern auch veröffentlicht hat, kann am Inhalt nur wenig Zweifel bestehen.

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Was ist passiert? Kurz zusammengefasst hatte ein Kind Kontakt zu einem anderen Kind, welches Corona positiv getestet war. Das Gesundheitsamt Aurich ordnete daraufhin einen Corona-Schnelltest an. Auch wenn das nicht in dem Artikel beschrieben wird, ist es recht offenkundig, dass das Kind sich geweigert hat und dann mit Zwang getestet wurde. Was sich daraus ergibt, dass die Mutter Anzeige gegen das Gesundheitsamt wegen Körperverletzung erstattete. Die Anzeige wurde von Staatsanwaltschaft wie von Oberstaatsanwaltschaft als auch jetzt vom OLG Oldenburg abgelehnt. Unabhängig von der formalen Verwerfung begründet das OLG die Zulässigkeit der Maßnahme aus dem Infektionsschutzgesetz. Sowohl aus der unterstellten Traumatisierung als auch aus dieser Begründung heraus, liegt der Verdacht nahe, dass es sich hier um eine Zwangsmaßnahme gegen den Willen des Kindes gehandelt haben muss, da ansonsten eine solche Begründung kaum notwendig wäre (eine Körperverletzung kann nur gegen das Einverständnis einer Person erfolgen). Und, um einen drauf zu setzen, hat das OLG noch eine Anzeige gegen die behandelnde Ärztin des Kindes angeregt, die ein Attest ausstellte, dass das Kind schwer traumatisiert sei.

Sehen wir uns die Situation einmal vor dem geistigen Auge an: Da ist ein Kind, 4. Klasse, also ungefähr 10 Jahre alt, von Natur aus ziemlich wehrlos, wird von einem Erwachsenen, vermutlich von mehreren (alleine um das Risiko zu minimieren), gepackt, fixiert und es wird ein Gegenstand in eine Körperöffnung gepresst, dort etliche Male hin und her bewegt. Und vermutlich, das lässt sich natürlich nicht beweisen, garniert mit dem Kommentar, es solle sich nicht so anstellen. 

Wissen Sie, wie man das in einem anderen Kontext nennt, lieber Leser? Genau. Eine Vergewaltigung. Das ist mal ab davon, dass es sich um eine andere Körperöffnung handelt, exakt das Szenario einer Vergewaltigung, wenn auch ohne sexuelle Konnotation (die aber 10 jährige Kinder an der Stelle auch nicht unterscheiden). Es geschieht gegen den expliziten Willen, es ist eine Gewaltmaßnahme und sie greift unmittelbar in die körperliche Integrität ein. Käme man bei einer Vergewaltigung auch auf die Idee, eine Ärztin, die hier ein schweres Trauma diagnostizierte, anzuzeigen? Würde man einem Vergewaltigungsopfer auch vor Gericht salopp erklären, dass wäre schon okay so, und man solle sich nicht so anstellen?

Ich habe an der Stelle gleich zwei Probleme. Zum einen, dass Infektionsschutzgesetz selber, das solche Gewaltmaßnahmen legitimiert. Ich kann dem OLG an der Stelle nur den halben Vorwurf machen, das Gesetz steht da so und kann auch so angewandt werden. Ich würde zwar von einem Juristen erwarten, dass er an der Stelle wenigstens die Grundrechtsfeindlichkeit dieses Gesetzes begreift und auch kritisiert, aber vermutlich wird man mit einer solch kritischen Haltung in der heutigen BRD kein Oberrichter mehr. Und es gibt tatsächlich ganz wenige Ausnahmen, wo man zumindest als Erwachsener solche Eingriffe hinnehmen muss (beispielsweise eine Blutprobe nachdem ein deutlicher Verdacht auf Alkohol am Steuer besteht). 
Was aber mein größeres Problem ist, ist die völlige Entgleisung der Verhältnismäßigkeit. Einem betrunkenen, erwachsenen(!) Autofahrer, der sich selber ans Steuer gesetzt hat, eine Blutprobe zuzumuten ist eines, aber ein Kind mit Gewalt zu fixieren und bei diesem mit einem Gegenstand in die Nase einzudringen, ist etwas gänzlich anderes. Zudem ja auch durchaus mildere Mittel zur Verfügung stehen würden, wie ein vorübergehender Ausschluss vom Unterricht oder eine Heimquarantäne. Hier wird die vorsätzliche(!) Traumatisierung eines Kindes bewusst(!) in Kauf genommen. 
Und als ob das nicht genug wäre, wird noch einer hinterher geworfen, weil eine Ärztin es gewagt hatte sich mehr Sorgen um das Kind zu machen, als um die Staatsräson. Das ist dann tatsächlich auch für das Kind noch einmal das Gefühl vergewaltigt zu werden (so wie manche Vergewaltigungsopfer sich vor Gericht ebenso fühlen, wenn ihr Peiniger frei gesprochen wird). Ich hätte (zumindest etwas) Verständnis für einen Richter, der sich hinstellen würde, und Kind und Mutter erklären würde, dass das ganze sehr unglücklich gelaufen ist, dass es einem leid tut(!), dass es dem Mitarbeiter leid tut, und das man in Zukunft versuchen werde, dass besser zu machen. Das muss nicht einmal stimmen, aber im Sinne von Traumabewältigung ist es mit Sicherheit für das Kind das beste, wenn Erwachsene ihm nicht erklären, dass seine körperliche Unverletzlichkeit einen Scheiss (sorry der Deutlichkeit wegen, ich kann mir hier nicht helfen) wert ist, wenn Vater Staat der Meinung ist, das wäre das beste so. 
Aber das OLG tut das Gegenteil. Dem Gesetz muss Folge geleistet werden. Und wer es wagt sich um das Opfer zu bemühen, dem hauen wir noch richtig einen auf die Mütze. Schon alleine der Ton der ganzen Pressemitteilung ist dermaßen neben der Kappe, dass einem die Worte fehlen. 

Ich kann an der Stelle nicht verhehlen, wie abstoßend und menschlich verwerflich ich solche Richter empfinde und dass es als eine Schande empfinde, wer heute auf diesem Stuhl alles Platz nimmt. Es mögen nicht die "furchtbaren Juristen" sein, mit denen man heute NS Richter bezeichnet, die in einem Unrechtsstaat das Unrecht gesprochen haben, dass sich aus unrechten Gesetzen ergab, aber schreckliche Richter sind es auf jeden Fall, die solche Beschlüsse treffen und noch einen hinterher werfen. Es ist abstoßend, menschlich perfide und einfach nur widerlich.

Und es mag nicht der richtige Umgang damit sein, aber manchmal wünschte ich mir, dass solche Juristen nicht einfach hinter ihrer Anonymität verschwinden könnten. Das Leute in ihrem Umfeld erführen, was sie heute wieder für "Recht" erklärt haben. Und vielleicht wünschte ich mir, dass auf irgendeiner Geburtstagsparty wo solche Juristen vielleicht auch einmal auftauchen, ihnen ein Kind vor versammelter Gesellschaft sein Cola-Glas ins Gesicht schüttet. Ich vermute tatsächlich die Richter werden stolz auf ihren Beschluss sein, vielleicht wären sie es dann nicht mehr. 


Llarian

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