7. Dezember 2015

Aldi-Schulen

In der Schule für das Leben lernen: diesem Ideal streben viele vergeblich nach. Um so lobenswerter sind Schulen, die das hohe Ziel erreichen. Eine der wichtigsten Fähigkeiten, die der erwachsene Mensch braucht, ist offensichtlich das preisgünstige Einkaufen hochwertiger Produkte. Schulen, die diese Fertigkeit in vorbildlichem Maße vermitteln, werden von der Firma "Aldi" feierlich als "Aldi-Schulen" ausgezeichnet. Davon gibt es in Deutschland inzwischen 177.

Um in den Genuss der Auszeichnung zu kommen, muss eine Schule fünf Kriterien erfüllen: erstens muss aus Schülern und Lehrern ein Team gebildet werden, das Aktionen zum preiswerten Einkaufen organisiert. Zweitens muss dieses Team einen "Kompass" erstellen, der beschreibt, wie alle weiteren Kriterien für das Erreichen des Ziels erfüllt werden können. Drittens muss an der Schule ein Verkaufsstand eingerichtet werden, an dem günstige und wertvolle Produkte der Firma "Aldi" angeboten werden. Viertens muss das Thema des preiswerten Einkaufens im Unterricht in mindestens zwei verschiedenen Fächern behandelt werden und fünftens muss es mindestens einmal im Jahr eine Schulaktion zu dem Thema geben. Dabei sind zahlreiche Möglichkeiten denkbar. Vielleicht wird ein Kalender gebastelt, der Kochrezepte enthält, die ausschließlich Zutaten von "Aldi" verwenden. Oder es wird ein Schulfrühstück mit frischen Backwaren von "Aldi" veranstaltet, oder man macht eine Exkursion zu einem der freundlichen und übersichtlichen "Aldi"-Märkte in der Nähe. Auch kulinarische Vergleiche von "Markenprodukten" mit der preiswerteren Discounterware kommen in Frage.

Alle zwei Jahre überprüft "Aldi", ob die Kriterien noch erfüllt sind. Nur dann wird die Auszeichnung verlängert.

Ursprünglich stammt die Idee von einem britischen Discounter, der im Jahre 2007 den "Discounter School Award" ins Leben gerufen hat. Seitdem hat sich der Gedanke weltweit verbreitet. Nicht zuletzt aufgrund der enormen entwicklungspolitischen Bedeutung des preiswerten Einkaufens wird die Kampagne "Discounter-Schools" im Rahmen der "UN-Dekade für Bildung" staatlich gefördert.


An dieser Geschichte ist etwas faul, wie Sie sicher schon bemerkt haben. So etwas könnte es an deutschen Schulen gar nicht geben - die kritische Presse wäre schon längst mit dem Holzhammer auf eine derart schamlose Benutzung der Schulen für kommerzielle Zwecke losgegangen.

Bis auf einige Einzelheiten ist die Geschichte dennoch wahr. Es handelt sich allerdings nicht um die "Aldi KG", die hier tätig wird, sondern um einen Verein namens "TransFair e.V.". Dieser stellt die gemeinsame Werbeplattform von Firmen dar, die sogenannte "fair gehandelte" Produkte verkaufen. Die Schulen heißen dementsprechend auch nicht "Aldi-Schulen", sondern "Fairtrade-Schulen". Alles andere ist aber so wie beschrieben.

Bei dem "fairen Handel" geht es im Kern darum, den Erzeugern der Ware einen höheren Preis zu zahlen als den Weltmarktpreis, der für unfair niedrig gehalten wird. TransFair verleiht solchen Waren dann ein Siegel, das den Kunden einen Anreiz geben soll, für diese Produkte mehr Geld als sonst auszugeben. (Letztlich wird damit der Wareneinkauf auf komplizierte Weise mit einer Spende gekoppelt; man könnte auch den günstigeren Aldikaffee kaufen und die Ersparnis der Caritas geben, aber das wäre dann natürlich keine neuartige Form des Handels.)

Dieses Konzept, das schon in den 70er Jahren entwickelt worden ist - vielleicht erinnern Sie sich noch an die "Sandino Dröhnung" aus Nicaragua - hat in den vergangenen 25 Jahren erheblich an Popularität gewonnen. Der Umsatz "fair gehandelter" Waren stieg von 121 Mio. € im Jahre 2005 auf 1027 Mio. € im Jahre 2014.

Andererseits hat die Idee auch reichlich Kritik auf sich gezogen. Die Preisgestaltung sei intransparent, wobei insbesondere unklar sei, wieviel von dem Mehrpreis zu den Bauern gelange und wieviel bei den Handelsorganisationen hängenbleibe. Kritisiert werden ferner hohe Gebühren für die Zertifizierung der Produzenten, wirtschaftliche Ineffizienz durch Marktverzerrung, Anreiz zu Willkür und Korruption, schlechte Qualität der Ware in Folge einer Abnahmegarantie, Verleumdung des sonstiges Handels als eben nicht "fair". (Quellen s.u.)

Man mag nun solche Einwände richtig oder falsch finden, jedenfalls bietet die Liste genügend Stoff, das Geschäftsmodell "fairer Handel" in der Schule kritisch und ergebnisoffen nach allen Richtungen hin zu diskutieren.

Wenn allerdings die Schule selbst das Marketing betreibt, und sich damit offiziell auf eine Seite stellt, wird es eine solche kritische Debatte kaum geben können. Was hier geschieht, ist weit mehr als das gelegentlich kritisierte Eindringen von kommerzieller Werbung in den Bereich der Schule. Es wirbt nicht etwa TransFair an der Schule um die Produkte seiner Handelspartner, sondern die Schule wirbt für TransFair, noch dazu kostenlos, lässt sich von dem Verein vorschreiben, wie sie das zu tun hat, und legt ihm sogar Rechenschaft darüber ab, dass der Eifer auch nicht nachlässt. Kaufen können die frisch indoktrinierten Schüler die Waren gleich an der Schule.

Hinzu kommt die Außenwirkung. Wenn "faires" Einkaufen an Schulen gelehrt wird, dann wirkt das in der Öffentlichkeit so, als sei es eine solide Angelegenheit wie Mathe oder Französisch-Unterricht, als sei es kein mehr oder weniger seriöses Geschäftsmodell, sondern das moralische Gebotene, an dem sich jeder anständige Mensch gern beteiligt.

Das ist schon alles ziemlich dreist, und man kann dem Verein nur zu dem Erfolg gratulieren, sich eine solche Position erobert zu haben. Und es geht ja weiter. Jeden Monat kommen 10 Fairtrade-Schulen hinzu. Eine "Fairtrade-Woche", "Fairtrade-Städte" und "-Hauptstädte" gibt es auch schon, und sogar eine "Fairtrade-Nation" (Wales). Irgendwann steht Fairtrade im Grundgesetz, und die UNO ruft die faire Welt aus.

Aldi ist übrigens seit 2010 Lizenznehmer bei TransFair e.V. und hat seit 2012 dauerhaft Produkte mit dem Fairtrade-Siegel im Angebot. Fairtrade-Schulen sind eben auch Aldi-Schulen. Wir machen hier keine Satire. Nur wie man preisgünstig hochwertige Ware einkauft, das lernt man an der Schule nicht.


Quellen

Wikipedia über TransFair e.V.
TransFair e.V.

Die fünf Kriterien stehen auf der Webseite über die "Kampagne Faitrade Schools":
https://www.fairtrade-schools.de/wie-mitmachen/die-5-kriterien/

Fairtrade Schools Award Scheme launched in 2007:
http://www.essexchronicle.co.uk/ACHIEVING-STATUS/story-12646743-detail/story.html

Förderung im Rahmen der UN-Dekade für nachhaltige Bildung:
http://www.dekade.org/datenbank/index.php?d=g&gType=11&gid=2490&hLite=fairtrade-school

Umsatzentwicklung:
http://www.forum-fairer-handel.de/fairer-handel/zahlen-fakten/


Kritik an "Fair Trade":

https://de.wikipedia.org/wiki/Fairer_Handel#Kritik

Wenn Kaffee bitter schmeckt, Zeit-Online 18.8.2014
Fair Trade: Zu schön um fair zu sein, Steffen Hentrich, 2.1.2010
Marc Sidwell, Adam-Smith-Institute, 25.2.2008


Gegen Werbung an Schulen:
„Lobbyismus hat an Schulen keinen Platz“, FAZ 13.11.2015

Bis 9.9.2015 wurden 147 Schulen ausgezeichnet (daher bis heute 30 in 3 Monaten):
http://www.fairtrade-deutschland.de/nc/top/presse/pressemitteilungen/detailseite-pressemeldungen-ueberblick/article/sachsens-erste-fairtrade-school/

Sonstige Faire Kampagnen:

Wikipedia: Faire Woche
Wikipedia: Fair-Trade-Stadt
Wikipedia: Hauptstadt des Fairen Handels

Pressemitteilung von Aldi-Süd über ihr Fairtrade-Sortiment:
http://www.presseportal.de/pm/108584/2730775

Kallias

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